BT-Drucksache 16/744

Die Besondere Aufgaben Organisation - USA des Bundeskriminalamtes nach dem 11. September 2001

Vom 21. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/744
16. Wahlperiode 21. 02. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke, Dr. Hakki Keskin,
Jan Korte, Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.

Die Besondere Aufgaben Organisation-USA des Bundeskriminalamtes
nach dem 11. September 2001

In seinem Vortrag auf der BKA-Herbsttagung „Islamistischer Terrorismus –
Eine Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft“ vom 13. bis
15. November 2001 hatte der seinerzeitige Präsident des Bundeskriminalamtes
(BKA), Ulrich Kersten, unter dem Titel „Die polizeiliche Bekämpfung des
internationalen Terrorismus“ über die Rolle und die Aufgaben des BKA, nach
den 3 Monate zurückliegenden Angriffen auf das New Yorker WTC, referiert.
(vgl. Hg. Bundeskriminalamt Kriminalistisches Institut, Islamistischer Terroris-
mus – Eine Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft –
BKA-Herbsttagung 2001, Neuwied, 2002).

Insbesondere informiert er über die bereits am 11. September 2001 installierte
Besondere Aufgaben Organisation-USA (BAO-USA).

Eine Besonderheit der BAO-USA ist, laut des Vortrags des BKA-Präsidenten
Ulrich Kersten, dass sie den üblichen Rahmen schutz- und kriminalpolizei-
licher Beteiligung sprengt und das Zollkriminalamt, die Bundespolizei (seiner-
zeit noch Bundesgrenzschutz), das Bundesamt für Verfassungsschutz und den
Bundesnachrichtendienst integriert hatte.

Ferner wird zur Aufklärung des Unterstützerumfeldes die Zusammenarbeit von
polizeilichem Staatsschutz und Dienstellen allgemeiner Kriminalpolizei auf
Anregung des BKA empfohlen.

Deutschland als Ruhe- und Rückzugsraum soll mit „aller Anstrengung“ mittels
polizeilicher Gefahrenabwehr und nachrichtendienstlicher Beobachtung ermit-
telt werden.

Zum Stichtag am 15. November 2001 hatte – laut BKA-Präsident Ulrich
Kersten – die BAO-USA 600 Mitarbeiter. Es wurden von BKA-Präsident
Ulrich Kersten in seinem damaligen Vortrag zwei Einsatzabschnitte benannt,
und zwar der Einsatzabschnitt Hamburg und der Einsatzabschnitt Wiesbaden.
Ersterer hatte zum oben genannten Stichtag 100 Mitarbeiter, darunter 25 vom
Landeskriminalamt (LKA) Hamburg. Der Einsatzabschnitt Wiesbaden wurde
kurz vor dem oben genannten Stichtag „nach Meckenheim zurückverlegt“.
Laut BKA-Präsident Ulrich Kersten waren am Stichtag 14 FBI-Beamte in
Deutschland tätig.

Die BAO-USA arbeitet, so BKA-Präsident Ulrich Kersten, mit dem System
Spurendokumentation (SPUDOK). In der Zeit vom 11. September 2001 bis
zum 15. November 2001 waren 17 000 Vorgänge erfasst, von denen ca. 6 000
abschließend bearbeitet worden waren (35,3 Prozent).

Drucksache 16/744 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

BKA-Präsident Ulrich Kersten berichtet ferner über „Strukturverfahren“ des
Generalbundesanwaltes, welche das BKA bearbeitet.

Das Strukturermittlungsverfahren, welches sich zwingend zunächst gegen
Unbekannt richtet, soll bislang noch nicht ermittelte Organisationen und Per-
sonen identifizieren, die mit der Vorbereitung und Planung weiterer Anschläge
beschäftigt sind.

BKA-Präsident Ulrich Kersten präzisiert, dass neben den eigentlichen Tat-
ermittlungen auch eine „strategische Auswertung betrieben wird (…) „um der
Politik Entscheidungshilfen an die Hand zu geben“.

Laut BKA-Präsident Ulrich Kersten wird diese „strategische Auswertung“ ins-
besondere auch mit Erkenntnissen aus nachrichtendienstlichen Quellen unter-
füttert.

Neben den Informationen zur BAO-USA lieferte BKA Präsident Ulrich
Kersten ein programmatisches Bekenntnis zur notwendigen Neuausrichtung
seiner Behörde nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001.

Nämlich: Erkenntnisaustausch zwischen BKA, Bundesnachrichtendienst
(BND) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), in Information Boards
oder Intelligence-Zentren. Ziel soll es sein, deutsche Sicherheitsagenturen an
einen runden Tisch zu bringen. Das Trennungsgebot, das BKA-Präsident Ulrich
Kersten als bloße organisatorische Trennung von Polizei und Diensten verstan-
den wissen will, sei nicht gefährdet oder auch nur in Frage gestellt. Als Positiv-
Beispiel nennt BKA-Präsident Ulrich Kersten „dauerhafte Zusammenarbeitsfor-
men“ in USA, Großbritannien und Frankreich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann genau wurde die BAO-USA zu welchem Zweck und Ziel von wem
eingerichtet?

2. Auf wessen Auftrag hin wurde die BAO-USA eingerichtet?

3. Wurde die Einrichtung der BAO-USA innerhalb der Bundesregierung er-
örtert, abgestimmt und entschieden?

4. Wurde die weitere Arbeit der BAO-USA im Bundeskanzleramt erörtert und
wenn ja, wann und zu welchen Anlässen?

5. Welche Sicherheitsbehörden waren an der Ermittlungstätigkeit der BAO-
USA beteiligt?

6. Trifft es zu, dass unter Leitung des BKA in der BAO-USA neben den
schutz- und kriminalpolizeilichen Regelbeteiligten auch das Zollkriminal-
amt, die Bundespolizei (damals Bundesgrenzschutz), das Bundesamt für
Verfassungsschutz und der BND integriert wurden und waren und wenn ja,
auf welcher gesetzlichen Grundlage?

7. Wie viele Beamte welcher Sicherheitsbehörden waren in der BAO-USA
beteiligt (bitte nach Personen und Behörde nach Jahren auflisten)?

8. Wie viele Einsatzabschnitte hat es im Verlauf der Ermittlungstätigkeit der
BAO-USA gegeben (bitte einzeln nach Region/Stadt, Behörden und der
Anzahl der von ihnen eingesetzten Beamten, ausländischer Behörden
und Anzahl ihrer Mitarbeiter und gegebenenfalls eigener BAO-Einsatz-
abschnittsnamen)?

9. Welche besonderen Dateien (Spudok-Dateien usw.) hatte und hat die BAO-
USA für ihre Aufgaben zur Verfügung (bitte auflisten für die Gesamt-BAO-
USA und nach Einsatzabschnitten)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/744

10. Wie viele Vorgänge wurden in diesen Dateien erfasst und wie viele ab-
schließend bearbeitet?

11. Wie ist der Verbleib der Datenverarbeitungsvorgänge geregelt?

a) Werden abschließend bearbeitete Vorgänge sofort gelöscht?

b) Werden diese Vorgänge erst nach einer gewissen Zeitspanne gelöscht
und wenn ja, nach welcher?

c) Welche Zeitspanne ist zwischen Erledigung und Löschung üblich?

12. In wie vielen Fällen hatte die BAO-USA bei ihren Ermittlungen technische
Mittel eingesetzt in Form von

a) Telefonüberwachung,

b) Überwachung des Internets (Content-Kontrolle) und Kontrolle des
E-Mail Verkehrs,

c) Personen und/oder Fahrzeugortung gegebenenfalls per GPS,

d) Wohnraumüberwachung (bitte nach Jahren, Eingriffen und betroffenen
Personen auflisten)?

13. In wie vielen Fällen wurde in das Postgeheimnis eingegriffen (bitte nach
Jahren und betroffenen Personen auflisten)?

14. In wie vielen Fällen wurden verdeckte Ermittler, V-Männer und Informan-
ten eingesetzt (bitte nach Jahren auflisten)?

15. Wie und in welcher Form wurden polizeiliche Daten und Daten der Nach-
richtendienste zusammengeführt und auf welcher gesetzlichen Grundlage
geschah dies?

16. Wie wurde die datenschutzrechtliche Kontrolle gewährleistet?

17. Hatten auch ausländische Sicherheitsbehörden Zugriff auf diese Daten und
wenn ja, welche Sicherheitsbehörden hatten auf welche Daten Zugriff und
auf welcher gesetzlichen Grundlage und wie wurde hier die datenschutz-
rechtliche Kontrolle gewährleistet?

18. Welche US-amerikanischen Sicherheitsstellen waren und/oder sind im
Rahmen der Ermittlungsarbeit der BAO-USA in Deutschland tätig (bitte
nach Anzahl und Behörden sowie nach Jahren aufschlüsseln)?

19. Welche Aufgaben hatten die US-amerikanischen Mitarbeiter konkret und
auf welcher Rechtsgrundlage wurden diese tätig?

20. Welche weiteren ausländischen Sicherheitsbehörden haben in der BAO-
USA kontinuierlich oder auch zeitweise mitgearbeitet (bitte nach Zeit-
räumen auflisten)?

21. Mit welchen weiteren ausländischen Sicherheitsbehörden hat man im Rah-
men der BAO-USA dauerhaft oder zeitweise zusammengearbeitet (bitte
nach Zeiträumen auflisten)?

22. Arbeitet die BAO-USA weiterhin und wenn ja, welche zeitliche Perspek-
tive wird der BAO-USA gegeben?

23. Wurden und werden im Rahmen der BAO-USA auch Strukturermittlungs-
verfahren durchgeführt und wenn ja, wie viele und gegen welche natür-
lichen und/oder juristischen Personen richteten und/oder richten sich diese
Strukturermittlungsverfahren?

24. Welche genauen Ziele verfolgen diese Strukturermittlungsverfahren?
25. Sollten zurzeit noch derartige Verfahren laufen, mit welcher zeitlichen Per-
spektive werden sie geführt?

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26. Gingen aus Strukturermittlungen Ermittlungsverfahren hervor und wenn
ja, wie viele und wegen welcher Delikte?

27. Gegebenenfalls

a) Wie viele dieser Ermittlungsverfahren wurden eingestellt?

b) In wie vielen Fällen wurde Anklage gegen wie viele Personen erhoben?

c) In wie vielen Fällen wurde Anklage zugelassen und das Hauptverfahren
eröffnet?

d) In wie vielen Fällen kam es zu gerichtlichen Einstellungen?

e) Wie viele Urteile gegen wie viele Personen sind ergangen (unterschie-
den nach rechtskräftig/nicht rechtskräftig)?

f) Wie viele Freisprüche erfolgten?

g) In wie vielen Fällen wurden von wem insgesamt Rechtsmittel eingelegt
(bitte nach Staatsanwaltschaft/Verteidigung auflisten)?

28. Wurden im Laufe der Arbeit der BAO-USA Information-Boards ein-
gerichtet und wenn ja, wo und wie viele und auf welcher gesetzlichen
Grundlage geschah dies?

29. Wurden im Laufe der Arbeit der BOA-USA Intelligence-Zentren ein-
gerichtet und wenn ja, wo und wie viele und auf welcher gesetzlichen
Grundlage geschah dies?

30. Wurden im Rahmen der Arbeit der BAO-USA – und den daraus resultie-
renden Erfahrungen und auftauchenden Problemen – der Politik von den
Sicherheitsbehörden Entscheidungshilfen an die Hand gegeben und wenn
ja, wie oft geschah dies und zu welchen Problemstellungen wurden Ent-
scheidungshilfen mit welchem Ergebnis vorgeschlagen?

Berlin, den 17. Februar 2006

Petra Pau
Wolfgang Neskovic
Ulla Jelpke
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Kersten Naumann
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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