BT-Drucksache 16/7421

Umgang der Bundeswehr mit afghanischen Gefangenen im Rahmen des ISAF-Mandats

Vom 5. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7421
16. Wahlperiode 05. 12. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke,
Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, Inge Höger, Michael Leutert und der Fraktion
DIE LINKE.

Umgang der Bundeswehr mit afghanischen Gefangenen im Rahmen
des ISAF-Mandats

Seit 2005 führt ISAF – International Security Assistance Force – in Afghanis-
tan verstärkt offensive Militäroperationen durch, in deren Rahmen auch Perso-
nen gefangen genommen werden. Die entsprechenden ISAF-Resolutionen des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen begründen kein Festnahmerecht der
ISAF-Truppen. Nach Angaben der Bundesregierung können ISAF-Truppen
Personen vorübergehend festhalten, soweit und solange eine Gefahr für die
ISAF und die Auftragserfüllung von ihnen ausgeht. Die festgehaltenen Perso-
nen sollen so schnell wie möglich an die zuständigen afghanischen Behörden
übergeben werden (Bundestagsdrucksache 16/2380, S. 10). Das bedeutet, dass
das Verfahren von ISAF mit diesen Personen in einer rechtlichen Grauzone
stattfindet.

Bislang wurde die Öffentlichkeit nur unzureichend über die derzeitige Praxis
der Bundeswehr und anderer ISAF-Staaten im Umgang mit Gefangennahmen
informiert. Die Bundesregierung hat inzwischen lediglich eingeräumt, dass
seit Beginn des ISAF-Einsatzes auch deutsche Soldaten vorübergehend fest-
gehaltene Personen an afghanische Stellen übergeben haben (FOCUS Online,
12. November 2007).

Der jüngste Bericht von amnesty international über Folter und Misshandlungen
von Inhaftierten in afghanischen Gefängnissen („Afghanistan – Detainees
transferred to torture: ISAF complicity“) unterstreicht die Notwendigkeit, über
die Praxis der Bundeswehr im Umgang mit festgehaltenen Personen Auf-
klärung zu erhalten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Menschen wurden in Afghanistan seit 2001 von Bundeswehr-
soldaten vorübergehend festgehalten oder festgenommen (bitte nach Jahren
aufgeschlüsselt)?
2. Wie lange verblieben diese Menschen im Gewahrsam der Bundeswehr, und
wo wurden sie in dieser Zeit untergebracht?

3. Wie viele dieser Menschen wurden anschließend freigelassen, und an wel-
che afghanischen Behörden wurden die anderen anschließend übergeben?

4. Wie verfolgt die Bundesregierung das weitere Schicksal dieser Menschen,
nachdem diese an Dritte übergeben wurden?

Drucksache 16/7421 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Sind der Bundesregierung die Einrichtungen bekannt, an die die festgesetz-
ten Personen in Afghanistan übergeben werden (bitte Aufstellung der
Namen der Einrichtungen und Ort)?

6. Wie viele Menschen in Afghanistan wurden bei gemeinsamen Einsätzen
der Bundeswehr mit afghanischen Sicherheitskräften oder anderen ISAF-
Staaten von letzteren vorübergehend festgehalten oder festgenommen
(bitte nach Jahren aufgeschlüsselt)?

7. Wie viele Menschen wurden in Afghanistan seit 2001 von anderen NATO-
Staaten vorübergehend festgehalten, festgesetzt oder festgenommen (bitte
nach Jahren aufgeschlüsselt)?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Bundeswehr bei ihren
Handlungen als Teil der deutschen öffentlichen Gewalt in die durch das
Grundgesetz (GG) normierte Bindung an die deutschen Grundrechte ein-
bezogen ist?

Wenn nein, welche rechtliche Begründung zieht die Bundesregierung für
ihre Rechtsauffassung heran?

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Bundeswehr auch bei
Auslandseinsätzen in die durch das GG normierte Bindung an die deut-
schen Grundrechte einbezogen ist?

a) Wenn ja, schließt das auch explizit die Unverletzlichkeit der Würde des
Menschen (Artikel 1 Abs. 1 GG), die Rechtsschutzgarantie (Artikel 19
Abs. 4 GG) und das Folterverbot (Artikel 104 Abs. 1) ein?

b) Wenn nicht, wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

10. Auf welcher Rechtsgrundlage und seit wann können Soldaten der Bundes-
wehr in Afghanistan Menschen vorübergehend festhalten bzw. festsetzen
oder gefangen nehmen?

11. Worin besteht der definitorische, rechtliche und materielle Unterschied
zwischen festhalten bzw. festsetzen und gefangen nehmen?

12. Welche Richtlinien und Erlasse wurden vom Bundesministerium der Ver-
teidigung bezüglich dieser Verfahren wann beschlossen?

13. Welche Bundeswehreinheiten in Afghanistan dürfen Menschen vorüber-
gehend festhalten bzw. festsetzen oder Festnahmen durchführen?

14. Auf welcher Rechtsgrundlage und unter welchen Voraussetzungen darf die
Bundeswehr die von ihr vorübergehend festgehaltenen oder gefangen
genommenen Personen an welche Behörden in Afghanistan überstellen?

15. Wie oft und wann hat sich die Bundesregierung vor Ort ein Bild von den
Haftbedingungen afghanischer Häftlinge gemacht?

16. Wurden dabei auch die Einrichtungen geprüft, die unter Frage 4a an-
gesprochen werden, und wenn ja, zu welchen Ergebnissen kam die Über-
prüfung?

17. Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass die afghanischen Behör-
den im Umgang mit ihren Gefangenen die menschenrechtlichen Mindest-
standards einhalten?

18. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die überstellten Personen nicht
zur Todesstrafe verurteilt und dann exekutiert werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7421

19. Erwägt die Bundesregierung bzw. die EU, die Polizeiausbildung der
EUPOL auch auf das afghanische Wach- und Justizpersonal auszuweiten,
um auch dort rechtsstaatliches Bewusstsein zu vermitteln?

a) Wenn ja, welche Schritte wurden bereits eingeleitet?

b) Wenn nein, warum nicht?

20. Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung bislang über Folte-
rungen und Misshandlungen von Gefangenen in afghanischen Haftanstal-
ten?

21. Hat die Bundesregierung seit Veröffentlichung des Berichts „Afghanistan –
Detainees transferred to torture: ISAF complicity“ von amnesty internatio-
nal die bisherige Verfahrenspraxis des Umgangs der Bundeswehr mit fest-
gehaltenen, festgesetzten oder gefangen genommen Menschen in Afgha-
nistan ausgesetzt?

Wenn ja, bis wann?

Wenn nein, wieso nicht?

22. Welche Schritte hat die Bundesregierung bislang unternommen, um die
von amnesty international in diesem Bericht gemachten Aussagen zu veri-
fizieren?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die Existenz von durch das National
Directorate for Security (NDS) geführte Hafteinrichtungen?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage von amnesty international,
demnach dem IKRK (Internationales Kommitee vom Roten Kreuz) als
auch der AIHRC (Afghan Independent Human Rights Commission) eine
umfassendes Monitoring der Hafteinrichtungen des NDS als auch die vom
Bundesministerium der Justiz geführten Gefängnisse nicht ermöglicht wird?

25. Beabsichtigt die Bundesregierung, diesen Vorwurf zu überprüfen und im
Falle der Bestätigung dieser Mängel auf die afghanischen Behörden ein-
zuwirken?

26. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung bislang unternommen
bzw. gedenkt sie zu unternehmen, um unabhängigen Menschenrechts-
organisationen den Zutritt zu afghanischen Haftanstalten verbindlich zu
ermöglichen?

27. Welchen finanziellen und personellen Betrag hat die Bundesregierung zum
Aufbau des NDS geleistet?

28. Welche bilateralen Überstellungsabkommen anderer ISAF-Staaten mit der
afghanischen Regierung sind der Bundesregierung bekannt?

29. Welche Unterschiede gibt es zwischen den Vereinbarungen (bitte eine
synoptische Darstellung)?

30. Warum existiert kein einheitliches Abkommen zwischen ISAF und der
afghanischen Regierung bzgl. der Übergabe festgehaltener bzw. fest-
gesetzter Personen an die afghanischen Autoritäten?

31. Welche Gründe sprachen bislang aus Sicht der Bundesregierung gegen eine
eigene bilaterale Vereinbarung zur Übergabe festgehaltener Personen mit
der afghanischen Regierung?

32. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung bislang unternommen, um
eine bilaterale Vereinbarung zur Übergabe festgehaltener Personen mit der

afghanischen Regierung zu erreichen, und was war das Ergebnis bzw. was
waren die konkreten Dissensgegenstände?

Drucksache 16/7421 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
33. Werden afghanische Behörden und ISAF-Abteilungen über vorüberge-
hende Festnahmen durch die Bundeswehr informiert?

a) Wenn ja welche?

b) Wenn nicht, mit welcher Begründung?

34. An welche Abteilungen im Regionalkommando, dem ISAF Hauptquartier
bzw. bei der NATO in Brüssel werden vorübergehende Festsetzungen ge-
meldet?

Berlin, den 30. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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