BT-Drucksache 16/7281

Die UN-Vertragsstaatenkonferenz in Bali - den Grundstein für ein Kyoto-Nachfolgeabkommen legen

Vom 27. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7281
16. Wahlperiode 27. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Andreas Jung (Konstanz), Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck,
Katherina Reiche (Potsdam), Michael Brand, Cajus Caesar, Dr. Maria Flachsbarth,
Josef Göppel, Jens Koeppen, Hartmut Koschyk, Katharina Landgraf, Ingbert
Liebing, Dr. Georg Nüßlein, Ulrich Petzold, Dr. Norbert Röttgen, Volker Kauder,
Dr. Peter Ramsauer und der Fraktionen der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Frank Schwabe, Marco Bülow, Dirk Becker, Petra
Bierwirth, Gerd Bollmann, Martin Burkert, Gabriele Groneberg, Ulrich Kelber,
Lothar Mark, Dr. Matthias Miersch, Marko Mühlstein, Detlef Müller (Chemnitz),
Thomas Oppermann, Christoph Pries, Heinz Schmitt (Landau), Olaf Scholz,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Die UN-Vertragsstaatenkonferenz in Bali – den Grundstein für ein
Kyoto-Nachfolgeabkommen legen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Klimawandel schreitet voran und beschleunigt sich. Er ist die zentrale öko-
logische, wirtschaftliche, soziale und sicherheitspolitische Herausforderung des
21. Jahrhunderts. Aus der Überforderung der Anpassungsfähigkeit vieler Gesell-
schaften könnten Gewalt und Destabilität erwachsen, die die nationale und inter-
nationale Sicherheit in einem bisher unbekannten Ausmaß bedrohen.

Die Erforschung des Klimawandels beruht heute auf einer breiten Datengrund-
lage und einer geografisch breiteren Erfassung der Erde und hat zu einem viel
klareren Verständnis der aktuellen Klimaänderungen geführt. Sie beginnen be-
reits zur alltäglichen Erscheinung zu werden und erfordern schon jetzt Anpas-
sungsleistungen von Mensch und Natur.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse bestätigen, dass die Erwärmung seit Mitte
des 20. Jahrhunderts auf den vom Menschen verstärkten Treibhauseffekt zurück-
geht. Bisher hat sich die Erde in den letzten 100 Jahren um 0,74 Grad erwärmt.
Die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre beträgt etwa 380 ppm
(380 Teile pro eine Million Teile Luft). Um irreversible Klimaschäden zu ver-
hindern, dürfen die Konzentration 450 ppm nicht überschreiten und die globale
Oberflächentemperatur nicht mehr als 2 Grad über dem vorindustriellen Niveau
liegen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Anstieg der Treibhausgasemis-

sionen in den nächsten Jahren gestoppt und global bis 2050 um mindestens
50 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Den Industrieländern kommt hier
eine besondere Bedeutung zu; sie müssen ihrer Vorbildfunktion gerecht werden.
Um glaubwürdig zu sein, müssen die Europäische Union ihre vereinbarten Emis-
sionsreduktionsziele und Deutschland die im Rahmen des „burden sharings“
übernommenen Verpflichtungen erreichen und auch künftig eine Vorreiterrolle
übernehmen. Bereits heute stehen Technologien zur Verfügung, die es ermög-

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lichen, den Treibhausgasausstoß deutlich zu reduzieren, wie beispielsweise die
erneuerbaren Energien sowie Techniken zur effizienteren Energieerzeugung und
-verwendung. Durch Forschung und Entwicklung können diese weiterentwickelt
und in ihrer Kosteneffizienz verbessert sowie neue Klimaschutztechnologien
hervorgebracht werden. Hierzu sind Anreize für Investitionen, Kostenminderun-
gen sowie weitere Entwicklungen und Anwendungen einer breiten Palette CO2-
armer Technologien zu setzen. Der Einsatz von klimafreundlichen Technologien
ist weltweit voranzutreiben.

Das Kyoto-Protokoll bildet den ersten Schritt für die Umsetzung einer frühzeitig
eingeleiteten Langzeitstrategie mit kalkulierbaren und anspruchsvollen Zielvor-
gaben. 1997 konnte man sich auf eine Senkung der Treibhausgasemissionen um
5 Prozent gegenüber 1990 einigen. Die Ziele des Kyoto-Nachfolgeabkommens
müssen viel ambitionierter sein. Der Kampf gegen den Klimawandel und die
Anpassung an nicht zu verhindernde Veränderungen wie Überflutungen setzen
umgehend neue und global verbindliche internationale Vereinbarungen voraus.

Das Jahr 2007 hat viel Bewegung in die Debatte über den Klimawandel ge-
bracht. Es wurden national und international eine Reihe von Beschlüssen und
Entscheidungen getroffen, die der globalen Klimaschutzpolitik neuen Schub ge-
geben haben. Dazu hat das konsequente Engagement der Bundesregierung den
Boden bereitet, die den Klimaschutz sowohl im Rahmen des G8-Vorsitzes als
auch der EU-Ratspräsidentschaft ganz oben auf die Agenda gesetzt hat. Die
deutsche Doppelpräsidentschaft wurde effektiv genutzt, um der internationalen
Klimapolitik neue Dynamik zu verleihen und dabei zwei zentrale Ziele zu ver-
folgen: das Einleiten der Energiewende und die Weiterentwicklung des Kyoto-
Protokolls.

Die Weichen für eine integrierte klima- und energiepolitische Strategie der
Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs auf dem Frühjahrs-
gipfel gestellt. Die EU hat auf die Herausforderungen des sich beschleunigenden
Klimawandels reagiert und sich ambitionierte Klimaziele gesetzt. Der Deutsche
Bundestag begrüßt die während der deutschen Ratspräsidentschaft getroffene
Vereinbarung der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 Prozent zu
senken, sofern sich andere Industriestaaten zu vergleichbaren Emissionsreduzie-
rungen und die wirtschaftlich weiter fortgeschrittenen Entwicklungsländer zu
einem ihren Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten angemessenen
Beitrag verpflichten.

Auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm haben die Staats- und Regierungschefs
der führenden Industrienationen die Vereinten Nationen eindeutig als das zen-
trale Forum für ein Folgeabkommen zum Kyoto-Protokoll anerkannt. Sie haben
zugleich den Fahrplan für das weitere Vorgehen verabschiedet: Ende 2009 sollen
die Verhandlungen über ein neues Klimaschutzabkommen abgeschlossen sein.
Dort wurde auch der Grundstein für das langfristige Ziel gelegt, die globalen
Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens die Hälfte zu senken. Auch die
USA haben erstmals zugestimmt, dieses Ziel ernsthaft in Betracht zu ziehen und
auf Bali eine aktive Rolle einzunehmen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt insbesondere das Bekenntnis der G8-Staaten
zum UN-Prozess und sieht als Voraussetzung für einen Erfolg, dass die G8-Part-
ner ihre Verpflichtungen ernst nehmen und bereit sind, die Vereinbarungen des
Gipfels in klare Ziele und Zeitpläne umzusetzen und nicht zuletzt auch weitere
Partner für weitere Klimaschutzanstrengungen zu gewinnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● Impulsgeber für den Klimaschutz zu sein und die Umsetzung der Verpflich-
tungen des Kyoto-Protokolls weiter voranzutreiben und alle politischen und

diplomatischen Möglichkeiten zu nutzen, um die Umsetzung der Verpflich-
tungen des Kyoto-Protokolls zu erreichen;

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● die teilnehmenden Staaten der Vertragsstaatenkonferenz mindestens auf
einen Fahrplan zu verpflichten, bis 2009 eine gemeinsame Vereinbarung un-
ter dem Dach der Vereinten Nationen zur globalen Klimaschutzpolitik nach
2012 zu erarbeiten. In ihm sollen die wesentlichen Verhandlungsinhalte be-
schrieben und ein Verhandlungszeitplan festgelegt werden. Versuche, ein Ge-
genmodell zum Kyoto-Prozess aufzubauen und es den Einzelstaaten zu über-
lassen, wie sie den Klimawandel angehen werden, sind abzulehnen;

● sich auf der Vertragsstaatenkonferenz auf Bali und in zukünftigen Verhand-
lungen über eine Fortsetzung der globalen Klimaschutzpolitik nach 2012 dafür
einzusetzen, dass die Industrieländer ihrer Verantwortung für den Klimaschutz
gerecht werden und bis 2009 ein anspruchsvolles Klimaregime unter Ausbau
der Kyoto-Architektur für die Zeit nach 2012 vereinbaren. Die Einhaltung des
2-Grad-Zieles soll dabei international verbindlich sein. Global müssen die
Emissionen hierzu in den kommenden zehn bis 15 Jahren ihren Höhepunkt
erreichen und bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 1990 reduziert
werden. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat in Sze-
narien, die mit der 2-Grad-Obergrenze noch kompatibel sind, Emissionskor-
ridore für die Industriestaaten von 25 bis 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990
ermittelt. Dies soll Grundlage für die Verhandlungen auf Bali sein;

● die Beschlüsse des EU-Frühjahrsgipfels 2007 aktiv zu vertreten und darauf
zu drängen, dass die dort vereinbarten Ziele eingehalten werden. Für den Fall,
dass die EU in diesem Rahmen ihren Treibhausgasausstoß um 30 Prozent ge-
genüber 1990 reduziert, hat die Bundesregierung erklärt, dass Deutschland
dann eine darüber hinaus gehende Reduktion seiner Emissionen um 40 Pro-
zent anstreben muss. Darüber hinaus begrüßt der Deutsche Bundestag den
Vorschlag der Bundesregierung, im Zuge einer gerechteren Gestaltung der
Reduktionsverpflichtungen weltweit zu einer langfristigen Angleichung der
Pro-Kopf-Emissionen zu kommen. Ausgehend von einem globalen Emis-
sionsbudget würden die Pro-Kopf-Emissionsrechte aller Länder konvergie-
ren und ab einem festzulegenden „Konvergenzjahr“ (z. B. 2050) überein-
stimmen. Ausgehend von der 2-Grad-Obergrenze bedeutet dies, dass jeder
Mensch dann nur 2 Tonnen CO2 pro Jahr emittieren darf. Bei den großen
Industrienationen verursacht gegenwärtig die USA den größten Ausstoß
von Kohlendioxid pro Kopf und Jahr mit fast 20 Tonnen und einem Anteil an
den globalen Emissionen von mehr als 21 Prozent. Jeder Deutsche stößt im
Durchschnitt etwa 10 Tonnen CO2 aus, die Bürgerinnen und Bürger der
EU-25 fast 9 Tonnen, China hat einen Pro-Kopf-Ausstoß von 3 bis 4 Tonnen,
der weltweite Durchschnitt liegt bei 4,2 Tonnen;

● darin fortzufahren, die Regierung der USA zur Teilnahme am Nachfolge-
abkommen für das Kyoto-Protokoll zu bewegen;

● sich für die schrittweise, angemessene Einbeziehung großer Schwellen- und
Entwicklungsländer, insbesondere von China, Indien, Brasilien, Mexiko und
Südafrika in das fortgeschriebene Kyoto-Protokoll einzusetzen;

● sich für eine Aufwertung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen
(UNEP) als eigenständige und schlagkräftige UN-Umweltorganisation mit
einem ihren Aufgaben entsprechenden Budget aus UN-Mitteln einzusetzen;

● sich dafür einzusetzen, dass die G8-Staaten und die fünf großen Schwellen-
länder als die politisch und wirtschaftlich führenden Staaten einen „Innova-
tionspakt zur Dekarbonisierung“ vereinbaren, wie dies vom Wissenschaft-
lichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
empfohlen wurde;

● strategische Partnerschaften mit Ländern wie z. B. China, Indien, Brasilien,
Mexiko und Südafrika zu forcieren, um sie bei der Entwicklung von nachhal-
tigen Energiestrategien zu unterstützen, beispielsweise durch weitere CDM-

Absprachen (Clean Development Mechanism), Technologiekooperationen

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und eine Intensivierung der Exportinitiative für erneuerbare Energien und
Energieeffizienz;

● die Anstrengungen zur Anpassung an den Klimawandel – insbesondere in
den Entwicklungsländern – massiv voranzutreiben. Für die enorm hohen
Anpassungskosten müssen auf internationaler Ebene die effizientesten
Finanzierungs- und Umsetzungsinstrumente entwickelt werden. Es gilt ins-
besondere zu prüfen, ob und wie das Nairobi Work Programme on impacts,
vulnerability and adaptation to climate change bei der Weiterentwicklung be-
stehender und der Schaffung neuer Instrumente dazu einen Beitrag leisten
und einen kohärenten Rahmen schaffen kann;

● die Entwicklungsländer darin zu unterstützen, dass ihnen beim Schutz ihrer
Wälder im Rahmen des zukünftigen Klimaschutzregimes mehr Anreize ge-
geben werden, und damit den Erhalt bestehender biologisch terrestrischer
Kohlenstoffspeicher, insbesondere der Primärwälder, zu unterstützen;

● das Handlungsfeld Wiederaufforstung und Walderhalt als zentrale Heraus-
forderung des internationalen Klimaschutzes aufzugreifen und mit Blick auf
die im Jahr 2008 in Deutschland auszutragende CBD-Konferenz (Conven-
tion on Biological Diversity) mit Schwerpunkt Wald, Initiativen für den
Walderhalt und den damit einhergehenden Schutz der Biodiversität vorzu-
bereiten. Finanzierung und Methodik sind voranzutreiben und gegenüber
Entwicklungsländern eingegangene Versprechungen einzuhalten. Insbeson-
dere sollte die Bundesregierung darauf drängen, dass die Weltbank der
„Forest Carbon Partnership Facility“ mehr Mittel zur Verfügung stellt, um
Entwicklungsländern in ihren Erwartungen weiter entgegenzukommen;

● zur Ergänzung und Unterstützung von Fortschritten im UN-Klimaschutzpro-
zess den Gleneagles-Dialog weiter voranzutreiben, der auf eine anspruchs-
volle Modernisierung der Energieversorgung zur Steigerung der Energie-
effizienz und auf den Ausbau erneuerbarer Energien gerichtet ist, und sich
besonders dafür einzusetzen, dass Entwicklungsländer bei ihren Bemühun-
gen, sich an den Klimawandel anzupassen und ihre wirtschaftliche Entwick-
lung und Energieversorgung mit klimafreundlichen Technologien zu gestal-
ten, stärker unterstützt werden;

● die Schaffung eines globalen Kohlenstoffmarktes nach dem Vorbild des
Emissionshandels in der Europäischen Union und die Weiterentwicklung der
flexiblen Mechanismen in die Verhandlungen einzubringen sowie die Arbeit
der neu gegründeten International Carbon Action Partnership (ICAP) zur
Harmonisierung und Verbindung von internationalen Emissionshandelssys-
temen aktiv zu unterstützen. Mit der Schaffung eines globalen Kohlenstoff-
marktes unter Einschluss der flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls
können zusätzliche Finanzquellen erschlossen werden, die für die Antwort
auf die Herausforderungen des Klimawandels erforderlich sind;

● sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen der Fortschreibung des Kyoto-
Protokolls auch die weiteren Treibhausgase des Protokolls, die Emissionen
des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs in zukünftigen Verpflichtungs-
zeiträumen den nationalen Inventaren für Treibhausgasemissionen zugeord-
net und damit auch in die Minderungspflichten einbezogen werden; dabei
müssen internationale Wettbewerbsgesichtspunkte berücksichtigt werden;

● in der zügigen Umsetzung des auf der Klausur der Bundesregierung in
Meseberg beschlossene Maßnahmenpakets fortzufahren und möglichst viele
der Punkte vor der Konferenz von Bali zu konkretisieren.

Berlin, den 27. November 2007

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion

Dr. Peter Struck und Fraktion

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