BT-Drucksache 16/7213

Soziale Existenzsicherung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

Vom 12. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7213
16. Wahlperiode 12. 11. 2007

Große Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Petra Pau, Kersten Naumann,
Wolfgang Neskovic, Jan Korte, Dr. Hakki Keskin und der Fraktion DIE LINKE.

Soziale Existenzsicherung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
erhalten vor allem Asylsuchende und Geduldete, aber auch Nichtdeutsche mit
bestimmten Aufenthaltstiteln (vgl. § 1 AsylbLG). Diese Leistungen betragen
etwa nur 65 Prozent der sonst üblichen Sozialhilfeleistungen nach SGB XII
bzw. II: So erhält ein „Haushaltsvorstand“ nach den im Gesetz immer noch in
DM ausgedrückten Regelsätzen monatlich insgesamt 440 DM (224,97 Euro),
80 DM (40,90 Euro) in Bargeld für „persönliche Bedürfnisse des täglichen Le-
bens“ und 360 DM (184,07 Euro) vorrangig in Sachleistungsform (etwa: Wert-
gutscheine, Chipkarten, „Essenspakete“, „Spezialläden“ usw.) für „Grundleis-
tungen“. Für Haushaltsangehörige und Kinder gelten noch einmal deutlich
niedrigere Sätze.

Sofern Sachleistungen gewährt werden, kann der tatsächliche Wert dieser Leis-
tungen wesentlich unter dem im Gesetz genannten nominellen Wert liegen,
z. B. weil es den Betroffenen in solchen Fällen nicht möglich ist, auf besondere
Angebote von Discountern oder Wochenmärkten zurückzugreifen, was üb-
licherweise aber bei der Bedarfsberechnung vorausgesetzt wird, oder weil keine
Restgeldrückgabe bei Wertgutscheinen vorgesehen ist. Auch klagen viele Be-
troffene darüber, dass sie ihren ohnehin geringen Barbetrag zweckwidrig dafür
aufwenden müssen, eine ungenügende, ungesunde oder den eigenen Ess-
gewohnheiten nicht entsprechende Ernährung in Sachleistungsform (etwa bei
fremdbestimmt zugeteilten „Esspaketen“) durch den Kauf von Nahrungsmitteln
auszugleichen. Die Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG ist seit Inkraft-
treten des Gesetzes im Jahr 1993 unverändert geblieben.

Die Gewährung von Sachleistungen ist wegen des bürokratischen Verwaltungs-
aufwandes teurer als die Auszahlung von Bargeld, Mitte der 1990er Jahre be-
trugen diese Mehrkosten durchschnittlich etwa 122 DM pro Person und Monat
(vgl. Bundestagsdrucksache 13/2746, S. 13). Als Teil des Sachleistungsprinzips
gilt auch, dass Betroffene verpflichtet werden, in entpersönlichenden Massen-
unterkünften (Gemeinschaftsunterkünften) unter beengten und streng reglemen-
tierten Bedingungen in häufig abgelegenen Gebieten zu „wohnen“ (in Kasernen,
Container-„Wohnungen“ usw.).
Nach § 4 AsylbLG wird die medizinische Versorgung auf die „Behandlung
akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ eingeschränkt. § 6 AsylbLG sieht
die Übernahme „sonstiger Leistungen“ lediglich als Kann-Bestimmung vor, vor
allem wenn dies „im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der
Gesundheit unerlässlich“ ist.

Drucksache 16/7213 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Das erklärte Ziel des im Zusammenhang des so genannten Asylkompromisses
neu geschaffenen Asylbewerberleistungsgesetzes war es, „die einen Asylmiss-
brauch begünstigende wirtschaftliche Anreizwirkung der bisherigen Regelun-
gen über Sozialhilfe an Ausländer durch Neustrukturierung und Kürzung der
Sozialhilfe für bestimmte Ausländergruppen zu mindern“ (Bundestagsdruck-
sache 12/5008, S. 2). Es solle kein „Anreiz“ geschaffen werden, „aus wirt-
schaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen“ (ebd., S. 13). Durch die
„Umstellung auf Sachleistungen“ würde „den Schlepperorganisationen der
Nährboden entzogen“ (ebd., S. 13 f.), so die Begründung. Der reduzierte Leis-
tungsumfang sei „für eine vorübergehende Zeit zumutbar und ermöglicht ein
Leben, das durch die Sicherung eines Mindestunterhalts dem Grundsatz der
Menschenwürde gerecht werden soll“ (Bundestagsdrucksache 12/4451, S. 6).

Die Fraktion der SPD machte im Gesetzgebungsverfahren grundsätzliche
Bedenken gegen ein eigenes Leistungsgesetz für bestimmte Gruppen geltend,
die auch in der von ihr beantragten Anhörung geäußert worden waren (vgl. Bun-
destagsdrucksache 12/5008, S. 14). Die Gruppe der PDS/Linke Liste lehnte den
Entwurf des Asylbewerberleistungsgesetzes unter anderem aus verfassungs-
rechtlichen Gründen ab (ebd.).

In der Gesetzesbegründung wurde ausgeführt, dass eine Angleichung der
Leistungen an das übliche Sozialhilferecht nach spätestens einem Jahr erfolgen
solle, weil „bei einem längeren Zeitraum des Aufenthaltes und – mangels Ent-
scheidung [im Asylverfahren] – noch nicht absehbarer weiterer Dauer nicht
mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann, der bei einem in der
Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutsch-
land entsteht. Insbesondere sind nunmehr [nach einem Jahr] Bedürfnisse
anzuerkennen, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensver-
hältnisse und auf bessere soziale Integration gerichtet sind“ (Bundestagsdruck-
sache 12/5008, S. 15).

Mit einem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU und FDP auf Bundestags-
drucksache 13/2746 vom 24. Oktober 1995 wurde die Ausweitung des Anwen-
dungsbereichs des AsylbLG über Asylsuchende hinaus auf geduldete Personen
und auf einen Zeitraum von zwei Jahren angestrebt. Auch bei Geduldeten
könne „in aller Regel“ auf einen „nur kurzen oder vorübergehenden Aufenthalt
abgestellt werden“, hieß es zur Begründung (a. a. O., S. 11). Nach zwei Jahren
allerdings sei „dem Ausländer auch eine Integration in die deutsche Gesell-
schaft durch öffentliche Mittel zu ermöglichen, so dass die höheren Leistungen
entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz zu gewähren sind“ (ebd., S. 15).
Nach Verhandlungen im Vermittlungsausschuss (vgl. Bundestagsdrucksache
13/7510) wurde dann eine Regelung in § 2 AsylbLG beschlossen, die Asyl-
suchende und Geduldete über einen Zeitraum von drei Jahren auf die geringe-
ren (Sach-)Leistungen des § 3 AsylbLG verwies.

Mit dem EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz wurde dieser Zeitraum im Jahr
2007 noch einmal auf vier Jahre verlängert. Eine nachvollziehbare Begründung
für die sukzessive Verlängerung der Wartefrist, nach der gesetzgeberisch davon
ausgegangen wird, dass „soziale Integrationsbedürfnisse“ anzuerkennen seien,
von ursprünglich einem Jahr auf zwei bzw. drei und nunmehr auf vier Jahre,
ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien nicht.

Die Vereinbarkeit zumindest einiger Regelungen des AsylbLG mit Ver-
fassungs- und Völkerrecht ist im Streit. So haben englische Gerichte in einigen
Fällen die Rücküberstellung von Asylsuchenden nach Deutschland abgelehnt,
weil die Betroffenen durch die Anwendung des AsylbLG in ihren Rechten nach
der Europäischen Menschenrechtskonvention beeinträchtigt sein könnten
(siehe zum Beispiel House of Lords, Judgement 27 of 2004; [2004] UKHL 27).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7213

Auch von Nichtregierungsorganisationen und in der juristischen Literatur
wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen das AsylbLG vorgebracht: Die
Gewähr des soziokulturellen Existenzminimums dürfe nicht für sachfremde
Zwecke (Bekämpfung des „Asylmissbrauchs“) instrumentalisiert werden; die
Dauer und das Ausmaß der sozialrechtlichen Ungleichbehandlung sei unver-
hältnismäßig; das Abschreckungs- und Sachleistungsprinzip des AsylbLG
verstoße gegen die Menschenwürde und sei überdies nicht geeignet, das an-
gegebene Ziel zu erreichen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur genaueren Ausdifferen-
zierung der gewährten Leistungen nach dem AsylbLG, d. h. wie hoch waren
die jeweiligen Leistungen (in absoluten und relativen Zahlen) aufgrund der
unterschiedlichen Bestimmungen des AsylbLG (nach § 1a AsylbLG als
gekürzte Leistung, nach § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend SGB XII, nach
§ 3 AsylbLG als Grundleistung bzw. als „Taschengeld“, nach § 4 bzw. 6
AsylbLG bei Krankheiten, als sonstige Leistungen oder für Hilfen bei
Schwangerschaft und Geburt, nach § 5 AsylbLG für „Aufwandsentschädi-
gungen“ usw.; bitte nach Jahren, ab 1994, und nach Bundesländern auf-
listen)?

2. Wie hoch waren die nach dem AsylbLG jährlich erbrachten Leistungen seit
1994, wie viele Personen waren jeweils leistungsberechtigt, und wie hoch
war im jeweiligen Jahr die durchschnittliche, monatlich pro Person gewährte
Hilfe (bitte auch nach Bundesländern differenzieren)?

a) Welche Erkenntnisse zur Altersstruktur, dem Aufenthaltsstatus, dem
Geschlecht und der Aufenthaltsdauer der Leistungsempfänger und Leis-
tungsempfängerinnen hat die Bundesregierung (bitte auch rückblickend
nach Jahren differenzieren)?

b) Welche Erkenntnisse liegen ihr zur Zahl der Unterbringungen von Leis-
tungsempfängern und Leistungsempfängerinnen in Massenunterkünften
bzw. in Privatwohnungen vor (bitte möglichst auch rückblickend nach
Jahren und nach Bundesländern differenzieren)?

c) Wie hoch sind die Unterbringungskosten durchschnittlich bei einer Unter-
bringung in Massenunterkünften bzw. in Privatwohnungen (bitte nach
Bundesländern differenzieren)?

d) Welcher Anteil/Betrag der Grundleistungen soll jeweils für Ernährung
und Getränke, für Haushaltsenergie/Haushaltsverbrauchsgüter, Beklei-
dung usw.; welcher Anteil/Betrag der Bargeldleistungen soll jeweils für
Telefonkosten, Verkehrsmittel, Lesestoff, Genussmittel usw. verwandt
werden (bitte nach Altersgruppen differenzieren); und welche Unter-
schiede gibt es diesbezüglich bei der praktischen Anwendung in den ein-
zelnen Bundesländern (etwa: unterschiedlich pauschalisierte Kürzungen
bei einer Unterbringung in Massenunterkünften bezüglich der Haushalts-
energiekosten)?

e) Welche Berechnungen, empirischen Erhebungen oder andere Erkenntnis-
quellen führten zur genauen Bestimmung der Höhe der Regelsätze nach
dem AsylbLG im Jahr 1993, und hält die Bundesregierung die Bedarfs-
sätze nach dem AsylbLG aktuell immer noch für ausreichend, angemes-
sen und richtig bestimmt, trotz der Inflation seit 1993?

Welche Methode der Berechnung verwendet sie dabei (Warenkorb, Ein-
kommens- und Verbrauchsstichprobe – EVS – oder andere Modelle), und

welche konkreten Abzüge werden gegebenenfalls in den einzelnen
Abteilungen der EVS mit welcher Begründung vorgenommen?

Drucksache 16/7213 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

f) Wie wird bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt, dass üblicherweise
auf die Verbrauchsausgaben, das Verbraucherverhalten und die Lebens-
haltungskosten der untersten 20 Prozent der nach ihrem Nettoeinkommen
geschichteten Haushalte abgestellt wird, während auf das Sachleistungs-
prinzip verwiesene Leistungsempfänger und Leistungsempfängerinnen
höhere Ausgaben haben müssen, da sie mangels Bargeld nicht oder nur
begrenzt Zugang zu billigen Discount-Geschäften oder Wochenmärkten
haben?

g) Wie viele (potentiell) Leistungsberechtigte sind aufgrund eigener
Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise nicht auf Leistungen nach dem
AsylbLG angewiesen bzw. wie viele Menschen mit einer Duldung bzw.
Aufenthaltsgestattung erhielten eine Arbeitserlaubnis für eine Beschäfti-
gung bzw. einen Aufenthaltstitel, der die Beschäftigung erlaubt (bitte
nach Jahren, ab 1994, und nach Bundesländern differenzieren)?

h) Welche Grundsätze/Standards/praktische Regelungen gelten neben § 3
Abs. 1 Satz 5 AsylbLG bei der Gewährung von Leistungen nach dem
AsylbLG an Leistungsberechtigte in Abschiebungshaft (bitte nach Bun-
desländern differenzieren)?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie hoch der Anteil
der in Sach- bzw. in Geldleistungsform gewährten Grundleistungen ist (bitte
nach Jahren, ab 1994, und nach Bundesländern differenzieren)?

a) In welchen Bundesländern erfolgt derzeit die Leistungsgewährung
grundsätzlich (oder überwiegend) in Geld- statt in Sachleistungsform?

b) In welchen Bundesländern wird überwiegend oder grundsätzlich das
Wohnen in Privatwohnungen gestattet, und nach welchen Kriterien er-
folgt eine Mietkostenübernahme bzw. in welchen ist dies kategorisch
oder bis auf besondere Ausnahmefälle mit welcher Begründung ausge-
schlossen?

c) In welchen Bundesländern werden Leistungsempfänger und Leistungs-
empfängerinnen, die bereits in privaten Wohnungen leben, unter welchen
Bedingungen gezwungen, die Wohnung zu kündigen und in einer
Massenunterkunft zu leben?

Gelten jeweils Sonderbestimmungen z. B. für Familien mit Kindern, und
wie bewertet die Bundesregierung eine solche Praxis angesichts der
Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Menschenwürde, des Persön-
lichkeitsrechts und des Vertrauensschutzes?

d) In welchen Bundesländern erhalten Leistungsberechtigte nach § 2
AsylbLG, die in einer Massenunterkunft leben, unter Hinweis auf Ab-
satz 2 des § 2 AsylbLG grundsätzlich (d. h. ohne einzelfallbezogene
Prüfung der „örtlichen Umstände“, wie in Absatz 2 vorgesehen) Sach-
leistungen, und ist diese Praxis nach Auffassung der Bundesregierung mit
dem Gesetz vereinbar (bitte begründen)?

e) Welche Mechanismen stellen nach Kenntnis der Bundesregierung sicher,
dass von gemeinnützigen oder kommerziellen Anbietern erbrachte Leis-
tungen in Massenunterkünften (vor allem Nahrungsmittel) ihrem Geld-
wert nach den Regelsätzen des AsylbLG entsprechen?

4. Wie hoch veranschlagt die Bundesregierung derzeit die durchschnittlichen
monatlichen Mehrkosten pro Person infolge einer Leistungsgewährung in
Sach- statt in Geldleistungsform (bitte nach Mehrkosten bei der Gewährung
von Grundleistungen bzw. bei der Unterbringung differenzieren)?

a) Welche Argumente sieht die Bundesregierung auf ihrer Seite, die trotz
der Mehrkosten und der integrationshemmenden Wirkung für eine Unter-

bringung in Massenunterkünften deutlich über einen kurzen Zeitraum
nach der Einreise hinaus sprechen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7213

5. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff eines „sozialen Integrations-
bedarfs“ bzw. „sozialer Integrationsbedürfnisse“ (vgl. die in der Vorbemer-
kung zitierte Gesetzesbegründung), der bei Leistungsempfängern und
Leistungsempfängerinnen nach dem AsylbLG in den ersten (vier) Jahren des
Leistungsbezugs nicht bestehen soll, bzw. was versteht sie hierunter kon-
kret?

a) Welche Bedürfnisse bzw. Anschaffungen des täglichen Lebens fallen
hierunter (bitte möglichst konkrete Beispiele benennen)?

b) Was genau sind die „sozialen Integrationsbedürfnisse“ von Babys, Klein-
kindern und Kindern (in der Antwort bitte differenzieren), die Kinder von
Asylsuchenden und Geduldeten im Gegensatz zu deutschen Kindern
nicht haben sollen, und wie begründet sich in diesen Fällen die ent-
sprechende Leistungskürzung gegenüber den üblichen Regelsätzen nach
SGB II bzw. XII?

c) Haben Menschen, die nach Auffassung der Behörden die Dauer ihres
Aufenthalts „rechtsmissbräuchlich“ selbst beeinflusst haben, auch nach
langjährigem Aufenthalt keine sozialen Integrationsbedürfnisse (bitte er-
läutern)?

d) Wie wird dem (Mehr-)Bedarf, den Menschen im Anwendungsbereich des
AsylbLG typischerweise haben (etwa: Anwaltskosten, Kosten für Kon-
takte zum Herkunftsland, Dokumentenbeschaffung für Asylverfahren
usw.), im Rahmen des AsylbLG bzw. bei der Berechnung der Bedarfs-
sätze Rechnung getragen?

6. Wie wird begründet, dass ein (sozialer) „Integrationsbedarf“ erst nach einem
Zeitraum von einem, zwei, drei, vier oder mehr Jahren vorliegen soll (und
vorher nicht)?

a) Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse zu dieser Frage, auf die sich die
Bundesregierung stützt bzw. stützen kann, und wenn ja, welche?

b) Spielen bei der Bewertung von „sozialen Integrationsbedürfnissen“,
denen bei der Sicherung des Existenzminimums Rechnung getragen
werden muss, nicht auch individuelle Faktoren wie: Voraufenthalte, vor-
handene Sprachkenntnisse, Alter, soziale/persönliche Kontakte usw. eine
entscheidende Rolle, und weshalb werden diese im AsylbLG nicht be-
rücksichtigt?

c) Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es verfassungsrechtlich zu-
lässig ist, Geduldeten und Asylsuchenden zeitlich unbefristet ein geringe-
res Existenzminimum zuzugestehen, auch wenn die Dauer des Aufent-
halts von den Betroffenen nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst
wird (bitte begründen), bzw. wie bewertet sie die entsprechende Geset-
zesinitiative des Landes Niedersachsen (Bundesratsdrucksache 36/07)
und andere politische Forderungen zur zeitlichen „Entfristung“ des
AsylbLG?

7. Warum wird die Frist, ab der „soziale Integrationsbedürfnisse“ anzuerken-
nen und Leistungen nach § 2 AsylbLG entsprechend SGB XII zu gewähren
sind, von der Bezugsdauer von Leistungen nach § 3 AsylbLG abhängig
gemacht und nicht von der tatsächlichen Aufenthaltsdauer, so dass z. B. auch
jahrelang Erwerbstätige dem AsylbLG unterliegen, selbst wenn sie sozial
integriert sind?

a) Wie ist es zu begründen, dass wegen des Wortlautes von § 2 Abs. 1
AsylbLG (Anknüpfung an den Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG) neu
geborenen Kindern von Leistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG für vier
Jahre nur gekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG gewährt werden, ob-

wohl bei den Eltern von einer sozialen Integration ausgegangen wird?

Drucksache 16/7213 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wie ist diese Praxis mit der Gesetzesbegründung vereinbar, wonach
minderjährigen Kindern innerhalb einer Familie keine anderen Leistun-
gen gewährt werden sollen als ihren in einer Haushaltsgemeinschaft
lebenden Eltern (vgl. Bundestagsdrucksache 13/2746, S. 16)?

b) Plant die Bundesregierung bezüglich der Fragen zu a) und b) Gesetzes-
änderungen, auch in Hinblick auf die Entscheidung des Landessozial-
gerichts NRW (B. v. 26. April 2007, L 20 B 4/07 AY ER), mit der die
Zweckwidrigkeit des Wortlauts von § 2 Abs. 1 AsylbLG aufgezeigt
wird, und wenn nein, warum nicht?

8. Welche Überlegungen führten zur Verlängerung der Wartefrist nach § 2
Abs. 1 AsylbLG im Rahmen des EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes von
drei auf vier Jahre, obwohl sich diese Verlängerung weder aus einer EU-
Richtlinie ergibt noch mit der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes be-
gründen lässt (in der Antwort bitte Bezug nehmen auf den Evaluierungs-
bericht des Bundesministeriums des Innern zum Zuwanderungsgesetz vom
Juli 2006 (S. 242), nach dem sich die 3-Jahres-Frist „in der Praxis auch be-
währt“ habe und ab diesem Zeitpunkt „Personen die notwendigen Mittel,
die sie für die Teilnahme an den soziokulturellen Angeboten unserer Ge-
sellschaft benötigen, zur Verfügung gestellt werden“ sollten)?

9. Wie haben sich die allgemeinen Lebenshaltungskosten seit 1994 jährlich
bzw. insgesamt entwickelt?

a) Welche Einschätzungen oder Erkenntnisse gibt es dazu, wie sich die
Kosten der nach § 3 AsylbLG zu gewährenden Grundleistungen seit
1994 bis heute entwickelt haben?

b) Wann und wie haben die nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG dazu berufe-
nen Bundesministerien jeweils konkret geprüft, ob eine Änderung der
zu gewährenden Grundleistungen bzw. des Barbetrages erforderlich
war?

c) Welche konkreten Vorschläge für eine im Bundesrat zustimmungs-
pflichtige Verordnung zur Höhe der Bedarfssätze hat das jeweils zustän-
dige Ministerium seit 1994 gemacht, und zu welchen Ergebnissen haben
diese Vorschläge jeweils konkret geführt?

d) Warum hat es seit der Einführung des AsylbLG im Jahr 1993 keine
Änderung der Grund- bzw. Bargeldleistungen nach § 3 Abs. 3 Satz 1
AsylbLG gegeben?

e) Wie bewertet die Bundesregierung die Angemessenheit der Leistungen
nach dem AsylbLG insbesondere auch vor dem Hintergrund der Debat-
ten um die Angemessenheit der Regelleistungen nach dem SGB II und
SGB XII?

10. Wie wurde die Empfehlung des Vermittlungsausschusses (vgl. BR-PlPr
Nr. 711, S. 127), Länder und Gemeinden sollten als Ausgleich für Ein-
sparungen im Bereich des AsylbLG 750 Mio. DM (jährlich 150 Mio. DM
von 1998 bis 2002) für den Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina zur
Verfügung stellen, umgesetzt?

Wurde eine konkrete Regelung beschlossen, und wie hoch waren die tat-
sächlich geleisteten Wiederaufbauhilfen?

11. Verfügt die Bundesregierung über wissenschaftliche oder nachprüfbare Er-
kenntnisse darüber, dass die Höhe und Art der gewährten Sozialleistungen
für Asylsuchende in einem signifikanten Zusammenhang mit der Zahl der

Asylsuchenden bzw. der „Berechtigung“ ihrer Asylgesuche (gemessen
etwa an der „Schutzquote“ im Asylverfahren) steht, und wenn ja, welche?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/7213

a) Wenn nein, hält die Bundesregierung an der Einschränkung des Leis-
tungsbezugs für Asylsuchende fest, obwohl eine maßgebliche Begrün-
dung für die Einführung des AsylbLG (keine „wirtschaftlichen Anreize“
für eine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen) nicht
aufrecht zu erhalten ist (bitte begründen)?

b) Wie verträgt sich die Ausweitung des Personenkreises nach § 1 AsylbLG
auf Menschen, denen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde wegen des
Krieges in ihrem Herkunftsland oder weil mit einem Wegfall der Aus-
reisehindernisse in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann (vgl. § 1
Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG), mit der Gesetzesbegründung, wonach „wirt-
schaftliche Anreize“ für einen „Asylmissbrauch“ gemindert werden soll-
ten bzw. wonach die Kürzung der Leistungen damit begründet wird, dass
auf einen nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalt und einen ent-
sprechend geringeren Bedarf abgestellt werde?

c) Wie verträgt sich die immer länger dauernde Frist, innerhalb der Asyl-
suchenden und Geduldeten gesetzlich kein (sozialer) „Integrations-
bedarf“ zugestanden wird, mit dem in der Migrationspolitik sonst üb-
lichen Grundsatz des „Forderns und Förderns“ von Integrationsleistun-
gen?

d) Welche Einschätzungen oder Erkenntnisse liegen dazu vor, wie viele
Asylsuchende/Geduldete, die über einen Zeitraum von vier Jahren hin-
weg gestattet bzw. geduldet wurden, letztlich (nach welcher Zeit) doch
ein Bleiberecht bzw. eine nicht in § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG genannte
Aufenthaltserlaubnis erhalten haben?

Wie lange dauert durchschnittlich ein Asylverfahren in Fällen, in denen
letztlich eine Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder eines recht-
lichen Abschiebungshindernisses erfolgt?

e) Wie bewertet die Bundesregierung die individuellen und gesellschaft-
lichen Folgen der nach dem AsylbLG über Jahre hinweg verweigerten
Integration in den Fällen, in denen die Betroffenen später dauerhaft in
Deutschland verbleiben, auch angesichts des Umstandes, dass Asyl-
suchende und Geduldete zugleich von der Teilnahme an Integrations-
kursen ausgeschlossen sind?

12. Wie hat sich nach Erkenntnissen der Bundesregierung die absolute Zahl
bzw. der relative Anteil von unerlaubten Einreisen in die Bundesrepublik
Deutschland mit Beteiligung von sog. Schleppern seit 1993 entwickelt, und
gab es nach Einführung des AsylbLG im Jahr 1993 bzw. nach der Verschär-
fung im Jahr 1997 eine signifikante Abnahme der Schleusertätigkeit?

a) Bestätigt die erfragte Entwicklung die Annahme des Gesetzgebers,
durch Umstellung der Leistungen nach dem AsylbLG auf Sachleistun-
gen würde „den Schlepperorganisationen der Nährboden entzogen“
(Bundestagsdrucksache 12/5008, S. 13 f.), und wenn nicht, beabsichtigt
die Bundesregierung, das die Betroffenen erheblich belastende Sach-
leistungsprinzip wieder abzuschaffen (bitte begründen)?

13. Warum gilt der vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil 5 C 72/84
vom 16. Januar 1986 entwickelte Grundsatz, wonach es zur Führung eines
Lebens in Menschenwürde gehört, „dass dem erwachsenen Menschen die
Möglichkeit gelassen wird, im Rahmen der ihm nach dem Gesetz zustehen-
den Mittel seine Bedarfsdeckung frei zu gestalten“ (Rdnr. 15), d. h. dass
die Sozialhilfe grundsätzlich als Geldleistung gewährt werden muss und
nur in besonderen Einzelfallkonstellationen, die vor allem mit der „Person
des Hilfeempfängers“ begründet werden müssen, eine Sachleistungs-

gewährung zulässig ist, nicht für Leistungsempfänger und Leistungsemp-
fängerinnen nach dem AsylbLG?

Drucksache 16/7213 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Gilt in Bezug auf Asylsuchende und Geduldete ein anderes Menschen-
würdeverständnis (bitte begründen)?

a) Wie ist das AsylbLG und vor allem das mit der Sachleistungsgewährung
verbundene Prinzip der Abschreckung mit der vom Bundesverwaltungs-
gericht im oben genannten Urteil getroffenen Feststellung vereinbar:
„Es ist von vornherein nicht zulässig, die Sachleistung als Mittel zu dem
Zweck einzusetzen, eine ganze Gruppe von Hilfesuchenden von der
Geltendmachung eines Hilfeanspruchs gegenüber einem bestimmten
Träger der Sozialhilfe abzuschrecken“ (a. a. O., Rdnr. 20)?

b) Wie ist der Grundsatz der Sachleistungsgewährung im AsylbLG mit der
Forderung des Bundesverwaltungsgerichts im oben genannten Urteil
vereinbar, dass keine „abstrakte, gruppenspezifische Betrachtung“ eine
Sachleistungsgewährung begründen kann, sondern stets nur eine kon-
krete Prüfung der Einzelfallumstände und der hilfebedürftigen Person
(a. a. O., Rdnr. 21)?

c) Wie sind die abgesenkten Leistungen des AsylbLG, das Sachleistungs-
prinzip und die erzwungene Unterbringung in häufig abgelegenen
Massenunterkünften vereinbar mit der Rechtsprechung, wonach die
Sozialhilfe auch „einen Schutz vor Stigmatisierung und sozialer Aus-
grenzung“ umfassen muss (vgl. Bundessozialgericht B 11b AS 1/06 R,
U. v. 23. November 2006, Rdnr. 48, mit weiteren Hinweisen zur Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts)?

d) Wie sind die Leistungen des AsylbLG, und insbesondere das Sach-
leistungsprinzip, mit der dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungs-
gericht auferlegten Pflicht vereinbar, „die von Verfassungs wegen zu
berücksichtigenden existenzsichernden Aufwendungen nach dem tat-
sächlichen Bedarf realitätsgerecht [zu] bemessen“ (BVerfG, Beschluss
vom 10. November 1998, 2 BvL 42/93)?

14. Welche praktischen Folgen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen
einer umfangreichen Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung
(FKE) der Universität Bonn (vgl. Pressemitteilung vom 2. August 2007),
wonach die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II für Kinder und
Jugendliche nicht ausreichen, um eine ausgewogene Ernährung zu realisie-
ren, in Bezug auf Kinder und Jugendliche, die nach dem AsylbLG versorgt
werden?

15. Sind der Bundesregierung Probleme in der Praxis bekannt, wonach es in
manchen Kommunen/Sozialämtern Schwierigkeiten bei der Kostenüber-
nahme für eine medizinische/ärztliche Behandlung nach dem AsylbLG
gibt, weil Sachbearbeiter oder Sachbearbeiterinnen meinen, es läge keine
akute und/oder schmerzhafte Erkrankung (im Sinne des § 4 AsylbLG) vor,
bzw. was gedenkt sie zu unternehmen, um solche Probleme gar nicht erst
entstehen zu lassen?

16. Sind der Bundesregierung Probleme in der Praxis bekannt, wonach es in
manchen Kommunen/Sozialämtern gerade bei der Übernahme von Kosten
für eine Therapie/Behandlung traumatisierter Flüchtlinge Schwierigkeiten
gibt, weil Sachbearbeiter oder Sachbearbeiterinnen meinen, es handle sich
nicht um eine akute Erkrankung, was gedenkt sie zu unternehmen, um
solche Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen, und unter welchen
genauen Bedingungen und auf welcher Rechtsgrundlage kommt nach
Auffassung der Bundesregierung die Übernahme von Behandlungs- bzw.
Therapiekosten für traumatisierte Flüchtlinge nach dem AsylbLG in
Betracht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/7213

17. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die Begründung im
Evaluationsbericht des Bundesministeriums des Innern vom Juli 2006
(S. 244), § 6 Abs. 2 AsylbLG stelle für „Opfer von Folter, Vergewaltigung
oder sonstiger schwerer Formen psychischer, physischer oder sexueller
Gewalt“ eine „Öffnungsklausel dar, die den zuständigen Behörden Spiel-
raum gibt, den besonderen Bedarfslagen im Einzelfall gerecht zu werden“,
falsch bzw. zumindest irreführend ist, da § 6 Abs. 2 AsylbLG eine Sonder-
regelung nur für Personen darstellt, die nach § 24 Abs. 1 des Aufenthalts-
gesetzes – AufenthG – (aufgrund eines Beschlusses des Rates der Europäi-
schen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG) aufgenommen wurden,
und diese Richtlinie bis heute niemals angewandt wurde (wenn nein, bitte
begründen)?

a) Wird die Bundesregierung oder das Bundesministerium des Innern vor
dem Hintergrund der benannten Fehleinschätzung die Frage der Notwen-
digkeit klarstellender gesetzlicher Regelungen für die Sicherstellung
einer (psychotherapeutischen) Behandlung von traumatisierten Opfern
bzw. anderen Personen mit besonderen Bedürfnissen erneut evaluieren
und prüfen (bitte begründen, auch in ausdrücklicher Auseinandersetzung
mit Artikel 15 Abs. 2 und Artikel 20 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates
vom 27. Januar 2003)?

b) Weshalb wurde für den Personenkreis der nach § 24 Abs. 1 AufenthG
aufgenommenen Flüchtlinge mit besonderen Bedürfnissen eine expli-
zite Regelung zur Übernahme medizinischer oder sonstiger Hilfe in § 6
Abs. 2 AsylbLG geschaffen, wenn die Bundesregierung im Übrigen der
Auffassung sein sollte, dass diese Hilfen bereits auf der Grundlage der
§§ 4 und 6 Abs. 1 AsylbLG gewährt werden können?

c) Warum wurden mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asyl-
rechtlicher Richtlinien der Europäischen Union keine Vorgaben zu
den nach Artikel 17 Abs. 2 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom
27. Januar 2003 vorgesehenen Einzelprüfungen zur Anerkennung von
Personen als „besonders hilfebedürftig“ gemacht, und wie wird der
Richtlinie in diesem Punkt in der Praxis derzeit entsprochen?

18. Warum fand die in den Referentenentwürfen zum EU-Richtlinien-Um-
setzungsgesetz vorgesehene explizite Regelung nach § 6 Abs. 3 AsylbLG
zur Übernahme der Kosten für die medizinische Hilfe bzw. angemessene
psychologische und psychotherapeutische Behandlung von Opfern des
Menschenhandels keinen Eingang in die vom Kabinett beschlossene
Fassung des Gesetzentwurfs, insbesondere in Hinblick auf Artikel 9 Abs. 2
der EU-Opferschutz-Richtlinie (2004/81/EG)?

19. Ist der Bundesregierung die Studie von Birgit Behrensen und Verena Groß
„Auf dem Weg in ein ‚normales Leben‘? Eine Analyse der gesundheit-
lichen Situation von Asylsuchenden in der Region Osnabrück“ (Universität
Osnabrück, EQUAL-Teilprojekt, 2004) bekannt, in der die krankheitsver-
ursachenden, -verstärkenden und -erhaltenden Verunsicherungen beschrie-
ben werden, denen Asylsuchende in Deutschland angesichts der staatlich
verordneten Lebens- und Wohnbedingungen ausgesetzt sind (vgl. ebd.,
S. 84 ff.), und wird sie gegebenenfalls Lösungsansätze und Handlungs-
empfehlungen dieser Studie (vgl. ebd., S. 102 ff.) für künftige Gesetzesän-
derungen übernehmen, insbesondere die Forderung nach

a) einer Abkehr vom Sachleistungsprinzip bzw. zumindest die Schaffung
von individuellen Kochmöglichkeiten („höherer Anteil selbstbestimm-
ter Lebensgestaltung“),

Drucksache 16/7213 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) einer Trennung des direkten Wohnbereichs von Asylsuchenden von den
für sie zuständigen Verwaltungseinrichtungen,

c) einem Ausbau und einer Finanzierung einer qualifizierten Sprachmitt-
lung im Gesundheitsbereich,

und wenn nein, warum nicht?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die bei der Vorstellung einer Studie über
die medizinische Versorgung von Asylsuchenden und von ohne Status in
Europa lebenden Migranten und Migrantinnen geäußerte Kritik der Orga-
nisation „Médecins du Monde“, Deutschland sei das einzige Land in der
EU, das Asylsuchenden nicht den gleichen Zugang zu medizinischer Ver-
sorgung biete wie anderen Bürgern und Bürgerinnen, was gedenkt sie zu
tun, um diesen Zustand zu ändern, und wie verträgt sich aus ihrer Sicht
diese von anderen EU-Staaten abweichende Rechtslage und Praxis mit dem
Gedanken einer EU-weiten Harmonisierung der Bedingungen für Asyl-
suchende?

21. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Kürzungsregelung des
§ 1a AsylbLG entgegen dem Wortlaut der Bestimmung und entgegen den
Klarstellungen im federführenden Ausschuss, wonach es sich bei „unab-
weisbar gebotenen“ Leistungen in der Regel um Sachleistungen in Ge-
meinschaftsunterkünften (ohne „Taschengeld“) handele (vgl. Bundestags-
drucksache 13/11172, S. 7), auch eine vollständige Leistungseinstellung
zulässt, und wenn ja, mit welcher Begründung und in welchen konkreten
Fallkonstellationen wäre diese möglich?

22. Wird die Bundesregierung die im Bericht des Menschenrechtskommissars
des Europarats Thomas Hammarberg vom 11. Juli 2007 über seinen Be-
such in Deutschland im Oktober 2006 (CommDH(2007)14) enthaltenen
Forderungen zum Schutz der Menschenrechte hinsichtlich der Unter-
bringung und Versorgung von Asylsuchenden umsetzen (vgl. ebd., insb.
Punkt 6.1.5., Nr. 140 ff.), wenn ja, was konkret wird sie unternehmen und
welche Gesetzesänderungen strebt sie an, wenn nein, warum nicht?

a) Wie steht die Bundesregierung zur Forderung nach „alternativen Mög-
lichkeiten für die Unterbringung von Asylsuchenden nach ihrem anfäng-
lichen Aufenthalt in den Erstanlaufstellen“, da „der Langzeitaufenthalt
von Asylsuchenden in wohnheimähnlichen Gemeinschaftsunterkünften
in Mehrbettzimmern deren Wohlbefinden abträglich“ sei, bzw. zur For-
derung nach Erarbeitung von „Mindeststandards für die Unterbringung
von Asylbewerbern“ zur Sicherstellung eines „adäquaten Lebens-
standards“ (a. a. O., Nr. 140 und Nr. 143; in den von Hammarberg be-
sichtigten „Wohn-Containern“ waren in den 12,92 qm großen Räumen
jeweils zwei bis vier Asylsuchende untergebracht)?

b) Wie steht die Bundesregierung zur Forderung des Menschenrechts-
kommissars nach der „Bereitstellung von Nahrung und Kleidung“ durch
„Gutscheine oder Bargeldzuwendungen“, da durch „die Verteilung von
Nahrung und Kleidung in Form von Naturalien (…) die persönliche
Auswahl eingeschränkt“ und die „Achtung der Privatsphäre der Asyl-
bewerber in Frage gestellt“ sei (ebd.)?

c) Wie steht die Bundesregierung zur Empfehlung des Menschenrechts-
kommissars, Asylsuchenden den „Zugang zu einer umfassenden medi-
zinischen Versorgung bereits zu einem früheren Zeitpunkt“ zu gewähren
(a. a. O., Nr. 141)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/7213

23. Mit welcher Begründung ist – auch vor dem Hintergrund der in der Vor-
bemerkung erwähnten englischen Gerichtsentscheidungen – die Bundes-
regierung den in der Stellungnahme des Sachverständigen Stefan Keßler
(Jesuiten-Flüchtlingsdienst; Ausschussdrucksache 16(4)209E, insb. S. 16 ff.)
dargelegten grundsätzlichen völkerrechtlichen Bedenken gegen das AsylbLG
nicht gefolgt, obwohl sie eine Berücksichtigung der deutschen Verpflichtun-
gen aus internationalen Verträgen bei jedem Gesetzgebungsvorhaben zuge-
sagt hat?

a) Weshalb verstoßen die Bestimmungen des AsylbLG nach Auffassung
der Bundesregierung insbesondere nicht gegen Artikel 9, 11 Abs. 1
und 12 sowie Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 4 des Internationalen Paktes
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (bitte auseinander-
setzen mit den Ausführungen des Sachverständigen Stefan Keßler,
a. a. O., S. 16)?

b) Weshalb verstößt das AsylbLG nach Auffassung der Bundesregierung
nicht gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 1 des Internationa-
len Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskrimi-
nierung (CERD) (bitte auseinandersetzen mit den Ausführungen des
Sachverständigen Stefan Keßler, ebd.)?

c) Weshalb verstößt das AsylbLG nach Auffassung der Bundesregierung
nicht gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 14 der Europäi-
schen Menschenrechtskonvention – EMRK – (bitte auseinandersetzen
mit den Ausführungen des Sachverständigen Stefan Keßler, a. a. O.,
S. 17, und der von ihm herangezogenen Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofs für Menschenrechte – EGMR –)?

Berlin, den 8. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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