BT-Drucksache 16/7109

Für eine erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7109
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Cornelia Hirsch, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Petra Pau, Kersten Naumann, Wolfgang Neskovic, Dr. Hakki Keskin,
Jan Korte, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Petra Sitte und der Fraktion
DIE LINKE.

Für eine erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bildungs-
und Berufsabschlüssen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Ein wesentliches Problem bei der Beschäftigung und beim Arbeitsmarkt-
zugang von Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik Deutschland
ist, dass ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen und Schul-, Bildungs-
und Berufsabschlüsse unter anderem infolge des streng formalisierten bun-
desdeutschen Systems nicht oder nur teilweise und häufig nur unter er-
schwerten Bedingungen anerkannt werden. Berufsverbände, insbesondere in
den klassischen Handwerksberufen, verhindern oftmals die Anerkennung
von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen. Dazu kommt, dass An-
erkennungsverfahren unübersichtlich gestaltet und mit einem hohen büro-
kratischen und finanziellen Aufwand verbunden sind. Bereits die Suche nach
der jeweils für die Anerkennung zuständigen Stelle (IHK, Handwerks-
kammer, Kultusministerium, Regierungspräsidium usw.) bereitet erhebliche
Mühen (vgl. den sechsten Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Aus-
länder in Deutschland, Bundestagsdrucksache 15/5826, 46 f.). Schließlich
gelten auch unterschiedliche Bestimmungen, je nachdem, ob es um Spätaus-
siedlerinnen und Spätaussiedler, EU-Angehörige oder Drittstaatenangehö-
rige geht.

2. Der Bundestag nimmt mit Besorgnis die Ergebnisse einer Studie der OECD
(„Jobs for Immigrants“; vgl. Pressemitteilung der OECD vom 10. Juli 2007)
zur Kenntnis, wonach in nur wenigen Ländern die formelle Qualifikations-
struktur der eingewanderten im Vergleich zur übrigen Bevölkerung so un-
günstig wie in der Bundesrepublik Deutschland ist. Bei Migrantinnen und
Migranten mit akademischem Abschluss ist demnach die Arbeitslosigkeit
überdurchschnittlich hoch – höher als in den meisten anderen Ländern der
OECD und fast dreimal so hoch wie bei deutschen Akademikerinnen und Aka-

demikern (12,5 Prozent gegenüber 4,4 Prozent). Während die Beschäfti-
gungsquote von Migrantinnen und Migranten mit geringer Qualifikation mit
ca. 45 Prozent sogar um 5 Prozent höher ist als die von in der Bundesrepublik
Deutschland geborenen Personen mit vergleichbarer Qualifikation, liegt sie
bei zugewanderten Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit 68 Pro-
zent weit unter der entsprechenden Quote in Höhe von 84 Prozent bei den hier
geborenen Akademikerinnen und Akademikern.

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3. Der Bundestag kritisiert die Unbestimmtheit und Unverbindlichkeit der Er-
klärung der Bundesländer im Nationalen Integrationsplan (S. 28), wonach die
im Ausland erworbenen Qualifikationen und Abschlüsse von Zuwanderinnen
und Zuwanderern „volkswirtschaftlich besser genutzt werden“ sollen, was
„ggf. auch Teilanerkennungen und gezielte Nachqualifikationen einschlie-
ßen“ könne (ebd.). Kritisiert wird auch, dass die in der Arbeitsgruppe 3 des
Integrationsgipfels abgegebene Selbstverpflichtung des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge, ein „Konzept zur beruflichen Integration zuge-
wanderter Akademikerinnen und Akademiker zu den Schwerpunktthemen
Anerkennungsverfahren von Bildungs- und Berufsabschlüssen … sowie zur
fachlichen und sprachlichen Nachqualifizierung“ zu erarbeiten (vgl. ebd.,
S. 80), in der Erklärung des Bundes zum Nationalen Integrationsplan fehlt
(vgl. ebd., S. 15 ff.).

4. Der Bundestag betont, dass eine wirksame Lösung des Problems nur durch
eine Vielzahl konkreter Initiativen, die bundesweit gebündelt und koordiniert
werden müssen, erreicht werden kann. Initiativen zur Anerkennung von im
Ausland erworbenen Qualifikationen dürfen sich dabei nicht auf akademische
Abschlüsse beschränken, sondern müssen auch Berufsqualifikationen, Schul-
und Ausbildungsabschlüsse und Hochschulzugangsberechtigungen (HZB)
berücksichtigen. Bei der großen Gruppe der Spätaussiedlerinnen und Spät-
aussiedler besteht beispielsweise das besondere Problem, dass viele der in der
ehemaligen Sowjetunion bzw. in Russland existierenden Berufsbilder oder
nichtakademischen Ausbildungen keine Entsprechung in der Bundesrepublik
Deutschland haben. Beim Hochschulzugang von Drittstaatsangehörigen wie-
derum sind Betroffene häufig dazu gezwungen, ein Studienkolleg zu be-
suchen, um ihre Hochschulzugangsberechtigungen nachzuholen, wobei es zu
unterschiedlichen Beurteilungen von vergleichbaren Schulsystemen und nicht
nachvollziehbaren Ausschlüssen kommt.

5. Der Bundestag macht darauf aufmerksam, dass Migrantinnen und Migranten
aufgrund von Diskriminierungen selbst bei gleicher Qualifikation schlechtere
Berufsvermittlungschancen haben (vgl. z. B. die OECD-Studie „Jobs for Im-
migrants“). Dies zeigt, dass Beschäftigungsprobleme von Migrantinnen und
Migranten bei weitem nicht nur die Folge ihrer vermeintlich oder tatsächlich
schlechteren Schul- und Bildungsabschlüsse sind. Alle Anstrengungen zur
vermehrten Beschäftigung von Migrantinnen und Migranten können nur dann
wirklich Erfolg haben, so auch die benannte OECD-Studie, wenn Migran-
tinnen und Migranten in einem verantwortungsvollen öffentlichen Diskurs als
selbstverständlicher und fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft akzep-
tiert werden – woran es immer noch mangelt, wie ausgrenzende und popu-
listische Debatten, verschärfte Aufenthaltsgesetze und restriktive Einbürge-
rungs- und Ausweisungsbestimmungen zeigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zu beauftragen, in enger Zusam-
menarbeit mit der Kultusministerkonferenz (KMK), regierungsunabhängigen
Sachverständigen und allen maßgeblichen Akteuren (Migrantinnen- und Mi-
grantenorganisationen, Berufsverbänden, Gewerkschaften usw.) ein Konzept
zu entwickeln, mit dem die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifika-
tionen bzw. von Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen sowie Hochschul-
zugangsberechtigungen bundesweit vereinheitlicht, vereinfacht, erleichtert
und beschleunigt wird. Diese Initiative ist finanziell abzusichern. Mögliche
Elemente eines solchen Konzepts sind neben einer immer zu wahrenden über-
sichtlichen und möglichst bundeseinheitlichen Struktur und klaren institutio-
nellen Zuständigkeitsregelungen:
1.1 eine erleichterte Teilanerkennung von im Ausland erworbenen Qualifi-
kationen, verbunden mit gezielten Angeboten zur Ergänzungsqualifizie-

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rung und damit zur vollständigen Anerkennung, die entsprechend finan-
ziell gefördert werden muss, etwa durch ein Bundesförderprogramm oder
durch Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit;

1.2 eine gezielte Berufsberatung für Migrantinnen und Migranten, die über
Möglichkeiten zur Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifika-
tionen informiert und entsprechende Angebote vermittelt. Die Berufs-
beratung muss auch Vermittlungsversuche in Berufe entsprechend der im
Ausland erworbenen Qualifikation beinhalten, die gegebenenfalls ohne
vorherige formelle Anerkennung durch besonderes Werben und Auf-
klären bei potentiellen Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen erfolgen;

1.3 eine vereinfachte Anerkennung im Rahmen von speziellen Lehrgängen,
etwa durch eine zunächst „vorläufige“ Anerkennung, die dann durch die
im Rahmen des Lehrgangs erworbenen Zusatzqualifikationen „endgül-
tig“ wird (so die kanadische Praxis, vgl. Gutachten des Sacherständigen-
rates für Zuwanderung und Integration, 2004, S. 200);

1.4 die Ermöglichung und Förderung von gegebenenfalls vereinfachten Ab-
schlussprüfungen im jeweiligen Fachbereich in der Bundesrepublik
Deutschland ohne vorherige Ausbildung bzw. vorheriges Studium;

1.5 die Einrichtung und Förderung von Studiengängen für ein Zweitstudium
akademisch ausgebildeter Migrantinnen und Migranten;

1.6 die Erforschung und Evaluierung von Systemen und Praktiken der An-
erkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen in anderen (vor
allem europäischen) Ländern, um Best-Practice-Modelle entwickeln zu
können;

1.7 die Entwicklung eines Systems mit Rechtsansprüchen zur Feststellung,
Einordnung und Zertifizierung von vorhandenen Bildungs- und Berufs-
abschlüssen, praktischem Erfahrungswissen und von durch Berufsaus-
übung erworbenen Qualifikationen und eines Informationssystems über
die Anerkennungsproblematik und die Rechte und Möglichkeiten der
Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland;

2. dem Bundestag jährlich, erstmalig im Frühjahr 2009, darüber Bericht zu
erstatten, welche Bemühungen und Maßnahmen die Bundesregierung un-
ternommen hat und wie der Stand ihrer Initiativen ist, bis ein bundesweit
einheitliches, vereinfachtes System der Anerkennung von im Ausland er-
worbenen Qualifikationen erreicht wurde.

Berlin, den 13. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Nach Schätzungen des Leiters des Oldenburger Instituts für Bildung und Kom-
munikation in Migrationsprozessen (IBKM), Prof. Dr. Rolf Meinhard, leben in
Deutschland etwa 500 000 zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker,
deren Abschluss hierzulande nicht anerkannt wird und die in der Regel unqua-
lifizierten Tätigkeiten nachgehen (AP vom 3. August 2007). Selbst (hoch)quali-
fizierte Migrantinnen und Migranten werden dadurch auf den Niedriglohnsektor
und prekäre Beschäftigungsverhältnisse verwiesen. Dies beinhaltet für sie die Er-

fahrung eines radikalen sozialen Abstiegs und der Entwertung ihrer Kenntnisse

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und Fähigkeiten. Gleichzeitig verzichtet die Gesellschaft auf deren qualifizierte
Tätigkeit. Von den 35- bis 60-jährigen jüdischen Migrantinnen und Migranten
beispielsweise haben 80 Prozent einen akademischen Abschluss, 60 bis 70 Pro-
zent von ihnen jedoch sind arbeitslos (Gutachten des Sachverständigenrates für
Zuwanderung und Integration 2004, S. 199).

Aber auch bei nichtakademischen Berufen ist es beim Zugang zu einer angemes-
senen Beschäftigung oft entscheidend, dass die erlangte Qualifikation zertifiziert
und schriftlich nachgewiesen werden kann bzw. dass sie in Bezug auf deutsche
Beschäftigungsnachweise „gleichwertig“ oder vergleichbar sein muss, was häu-
fig aufgrund unterschiedlicher Berufsbilder nicht möglich ist. Im Ergebnis wer-
den Migrantinnen und Migranten überdurchschnittlich häufig nicht entsprechend
ihrer persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten beschäftigt und entlohnt. In ge-
sellschaftlicher Hinsicht bedeutet dies zum einen, dass umfangreiche Potentiale
und Fähigkeiten von Migrantinnen und Migranten ungenutzt bleiben. Zum ande-
ren verfestigt sich fälschlicherweise eine Sichtweise von Armut als ursächlich
(auch) „ethnisches“ Problem, wodurch allgemeine Vorurteile verstärkt werden.
Diese schlagen wiederum Migrantinnen und Migranten als Diskriminierungen
insbesondere auch bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzvergabe entgegen.

Das mit Bundesmitteln geförderte „Akademikerprogramm“ der Otto Benecke
Stiftung e. V., das eine Förderung von Nachqualifikationen, Orientierungsmaß-
nahmen, Stipendien usw. vorsieht, richtet sich lediglich an akademische Spät-
aussiedlerinnen, Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge sowie an – allerdings
auch erst seit 2003 – Asylberechtigte, die älter als 30 und jünger als 50 Jahre sind.
Die Haushaltsaufwendungen hierfür wurden seit 2006 gleichzeitig zurückge-
fahren.

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