BT-Drucksache 16/6822

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und Landreform in Namibia, unter besonderer Berücksichtigung der San-Problematik

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6822
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, Inge Höger, Monika
Knoche, Michael Leutert, Paul Schäfer (Köln), Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine
und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und Landreform in Namibia,
unter besonderer Berücksichtigung der San-Problematik

Die Bundesrepublik Deutschland ist der größte bilaterale Geber Namibias, seit
das Land im März 1990 seine Unabhängigkeit erlangte. Pro Kopf der Bevölke-
rung erhält Namibia mehr Mittel aus der deutschen Entwicklungszusammenar-
beit (EZ) als jedes andere Land auf der Welt. Es nimmt damit eine Schlüsselrolle
in der deutschen Entwicklungspolitik ein.

Rund 70 Prozent der Bevölkerung Namibias leben von der Landwirtschaft. Die
Kolonisierung, erst durch das deutsche Kaiserreich und schließlich durch Süd-
afrika, hat dabei zu einer extrem ungleichen Verteilung der landwirtschaftlich
nutzbaren Fläche geführt. Seit der Unabhängigkeit war und ist es daher erklärtes
Ziel der aufeinander folgenden namibischen Regierungen, das Land gerechter
zu verteilen. Die schwarze Bevölkerungsmehrheit und insbesondere die histo-
risch benachteiligten Ethnien sollen bei der Umverteilung des nutzbaren Landes
bevorzugt berücksichtigt werden.

Das kommerzielle Farmland, auf dem für den nationalen und internationalen
Markt produziert wird, erstreckt sich über 44 Prozent der namibischen Gesamt-
fläche. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit befanden sich 94,4 Prozent des kom-
merziell nutzbaren Bodens in der Hand der kleinen weißen Minderheit. 1995
wurde der „Commercial Land Reform Act“ verabschiedet. Auf dieser Grund-
lage erwarb das namibische Ministerium für Land, Umsiedlung und Rehabilita-
tion bis 2005 nach eigenen Angaben 146 Farmen mit 36 Millionen Hektar Nutz-
fläche. Dennoch verblieben noch rund 90 Prozent des kommerziellen
Farmlandes in der Hand von 3 500 weißen Farmern zumeist deutscher oder
burischer Abstammung.

Das kommunale Farmland, das im Unterschied zum kommerziellen Farmgebiet
gemeinschaftlich genutzt und von der namibischen Regierung verwaltet wird,
nimmt 41 Prozent der Gesamtfläche Namibias ein. Dieses Land ist in der Regel
schwieriger zu bewirtschaften und wird hauptsächlich für die Subsistenzwirt-
schaft genutzt. Die gesetzliche Grundlage zur Verwaltung des kommunalen Lan-

des wurde 2002 mit dem „Communal Land Reform Act“ geschaffen. Nach die-
sem Gesetz verwaltet die Regierung die Flächen zum Wohle traditioneller
Gemeinschaften, die in dem jeweiligen Gebiet ansässig sind. Eine traditionelle
Autorität kann nach Übereinkunft mit dem lokalen Communal Land Board
innerhalb seines Gebiets Landflächen vergeben.

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Allerdings werden von der Regierung nur bestimmte traditionelle Autoritäten
anerkannt. Außerdem ist nach dem Gesetz unklar, für welche Ethnien die
Flächennutzung bestimmt sein soll. Zudem fehlt ein rechtliches Instrument, das
den traditionellen Gemeinschaften, denen eine kommunale Landfläche zuge-
wiesen wurde, finanzielle Entschädigungen zusichert, falls ihnen die Nutzungs-
berechtigung entzogen wird.

Die Durchführungsorganisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
sind auf dem Gebiet der Landreform in Namibia aktiv. Die Gesellschaft für tech-
nische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützt nach eigenen Angaben das zuständi-
ge Ministry of Lands and Resettlement (MLS) beim Aufbau eines Technischen
Teams zur Landreform, das für das Ministerium einen Aktionsplan ausarbeiten
soll. In einer 2005 herausgegebenen Broschüre der GTZ (Landreform in Nami-
bia) wird beklagt, dass bis zu diesem Zeitpunkt diesbezüglich noch keine klaren
Richtlinien vorgelegt worden seien.

Die KfW Entwicklungsbank unterzeichnete am 7. November 2006 ein Abkom-
men, das dem MLS 37 Mio. Namibische Dollar (entspricht ca. 4 Mio. Euro) für
die Entwicklung von Infrastrukturmaßnahmen in kommunalen Gebieten zusi-
chert. Es handelt sich hier um eine Sektorbudgetfinanzierung.

Die San sind die älteste Volksgruppe Namibias. Sie leben in deprimierender
Armut. Die meisten von ihnen sind landlos. Daran haben auch die Maßnahmen
der Regierung nichts grundlegend geändert. Laut der National Resettlement
Policy sollen die San jedoch die primären Nutznießer des Umsiedlungsprozes-
ses im Rahmen der Landreform sein.

Unter dem „Nature Conservation Amendment Act 5“ von 1996 wurde 2003 das
N#a Jaqna Conservancy amtlich ausgewiesen. Die San erhielten das legale
Recht, dieses Land zu nutzen. Am 22. Juni 2006 wurde den San durch das MLS
mitgeteilt, dass in dem Gebiet Kleinfarmen angesiedelt werden sollen.

Die San-Gemeinschaften sprechen sich gegen dieses Vorhaben aus und plädie-
ren dafür, selbst über die Nutzung zu entscheiden, so dass sie für die Sicherung
ihrer Lebensgrundlage sorgen können. Sie fürchten, durch die Umsiedlung von
Farmern aus dem Gebiet verdrängt zu werden. Zudem ist unklar, ob das Gebiet
sich überhaupt zur landwirtschaftlichen Nutzung, wie vom MLS angestrebt, eig-
net. Nach Zeitungsberichten sollen auch die von der KfW Entwicklungsbank
bereitgestellten EZ-Mittel für die Umsiedlungsmaßnahmen im N#a Jaqna Con-
servancy verwendet werden (Namibian, 14. November 2006).

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Landreform und deutsche EZ

1. a) Warum und mit welchem Ziel unterstützt die Bundesregierung den Land-
reformprozess in Namibia?

b) Wie bewertet die Bundesregierung den Verlauf und Erfolg der Landreform
seit der Unabhängigkeit Namibias bis heute?

c) Schätzt die Bundesregierung den Landverteilungsprozess in Namibia als
zu schnell, als zu langsam oder als im Tempo zufriedenstellend ein?

d) Hat der bisherige Landverteilungsprozess in Namibia nach Einschätzung
der Bundesregierung erfolgreich zu einer Milderung der sozialen Un-
gleichheit und zur Bekämpfung der Armut beigetragen?

2. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die in Namibia geschaffenen
rechtlichen Rahmenbedingungen adäquat sind, um eine gerechte Verteilung
und Nutzung der Agrarfläche zu gewährleisten (Einschätzung bitte begrün-

den)?

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3. a) Welche deutschen Durchführungsorganisationen sind von der Bundes-
regierung in welchem Zeitraum mit der Unterstützung des Landreform-
prozesses in Namibia betraut worden, und worin liegen ihre jeweiligen
Aufgaben?

b) Wie hoch sind die Summen, die im Rahmen der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit bislang für die Landreform in Namibia bereitge-
stellt worden sind (bitte nach Zeitraum und Bestimmung aufschlüsseln)?

4. Wie hoch ist dabei der Anteil an Budgetfinanzierung?

5. Wie viel Geld ist von den bereitgestellten deutschen EZ-Mitteln bislang tat-
sächlich vom Partnerland abgerufen worden?

6. a) Wie viele Farmen sind mit Hilfe deutscher Finanzmittel bis heute in
Namibia vom Staat aufgekauft und umverteilt worden?

b) Auf welche Größenordnung summiert sich die mit Unterstützung durch
deutsche EZ-Mittel aufgekaufte und umverteilte Landfläche?

c) Nach welchen Kriterien sind dabei die zu verkaufenden Farmen aus-
gewählt worden?

d) Nach welchen Kriterien sind die neuen Eigentümer ausgewählt worden?

e) Wie viele vormalige Farmangestellte befinden sich unter den neuen
Eigentümern?

f) Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, wie viele
der mit deutschen EZ-Mitteln umverteilten Farmen an Minister, Staats-
sekretäre, Mandatsträger oder Regierungsbeamte übereignet wurden?

7. a) Liegt der Bundesregierung eine Evaluation über die gewollten und unge-
wollten Auswirkungen der Mittelvergabe auf den Landverteilungspro-
zess in Namibia vor?

b) Wie hat sich die landwirtschaftliche Produktivität der mit Hilfe deutscher
Mittel umverteilten Landgüter entwickelt?

c) Sofern diesbezüglich keine genauen Zahlen vorhanden sind, verfügt die
Bundesregierung über Kenntnisse, ob der landwirtschaftliche Ausstoß
der mit Hilfe deutscher Gelder umverteilten Farmen generell gewachsen
oder gefallen ist?

8. Warum hat sich die Bundesregierung dafür entschieden, die kommunale
namibische Landreform nicht projektbezogen, sondern auf dem Wege der
Sektorbudgetfinanzierung zu unterstützen?

9. Welchen Einfluss haben Bundesregierung und zuständige Durchführungs-
organisationen auf die effektive Verwendung der in die Budgetfinanzierung
geflossenen EZ-Mittel?

10. Welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung getroffen, um korrupter Ver-
wendung der im Rahmen der Sektorbudgetfinanzierung bereitgestellten
Mittel vorzubeugen?

11. a) Beabsichtigt die Bundesregierung auch nach dem Auslaufen der gegen-
wärtigen Programme die Landreform in Namibia weiter zu unterstützen?

b) Wenn ja, welche Form soll diese Unterstützung nach jetzigem Stand der
Planung annehmen?

12. a) Beabsichtigt die Bundesregierung, die Frage der Landreform bei den
nächsten Regierungsverhandlungen mit der namibischen Regierung zum
Thema zu machen?
b) Wenn ja, mit welcher Zielsetzung?

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II. San-Problematik

13. Ist die Bundesregierung der Überzeugung, dass die namibische Regierung
die San-Gemeinschaften angemessen bei der Umverteilung des Landes im
Sinne ihrer National Resettlement Policy berücksichtigt und deren Inte-
ressen gewahrt werden (Antwort bitte begründen)?

14. Wurde die Bundesregierung bzw. die zuständige Durchführungsorganisa-
tion über den Konflikt mit den San-Gemeinschaften im N#a Jaqna Conser-
vancy in Kenntnis gesetzt?

Wenn ja, wie bewertet sie ihn, und rechnet sie damit, dass der Konflikt im
Sinne und zum Wohle der San gelöst werden wird?

15. Ist die Bundesregierung der Überzeugung, dass bei dem Konflikt im N#a
Jaqna Conservancy die in den Richtlinien und Gesetzen zur Landreform-
politik geforderte Transparenz gegenüber den San-Gemeinschaften einge-
halten wird?

16. Würde die Bundesregierung die Verwendung der finanziellen Mittel für die
Umsiedlungsvorhaben der namibischen Regierung im N#a Jaqna Conser-
vancy befürworten?

Berlin, den 19. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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