BT-Drucksache 16/6752

Bundeswehreinsatz im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, bislang nicht erwähnte Amtshilfe und deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit

Vom 18. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6752
16. Wahlperiode 18. 10. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dag˘delen, Kersten Naumann,
Wolfgang Neskovic, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Bundeswehreinsatz im Inneren anlässlich des G8-Gipfels, bislang nicht erwähnte
Amtshilfe und deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit

Der Einsatz mehrerer tausend Bundeswehrsoldaten anlässlich des G8-Gipfels
fügt sich in die Bestrebungen von Teilen der Bundesregierung ein, die Bundes-
wehr zunehmend als Ordnungsfaktor auch in der Innenpolitik einzusetzen. Ver-
fassungsrechtlich zulässig sind Inlandseinsätze außer zu Verteidigungszwecken
jedoch nur unter den Voraussetzungen des Grundgesetz-Artikels 35. Die Bun-
desregierung beruft sich bislang auf dessen Absatz 1, der die Verpflichtung zur
Amtshilfe vorsieht. Zulässig sind dabei aber nur solche militärischen Verwen-
dungen, die keinen Einsatzcharakter im Sinne eines obrigkeitlichen Tätigwer-
dens aufweisen. Aus Sicht der Fragesteller wurde diese Vorgabe mit dem Ein-
satz von Spähpanzern, Tornados und Hunderten von Feldjägern verletzt. Die
bisherigen Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Fragesteller wei-
sen Widersprüchlichkeiten auf. So gab es offenkundig Einsätze, die in keiner
bislang veröffentlichten Liste von Amtshilfeersuchen aufgeführt sind, wie bei-
spielsweise die Versorgung von Polizisten mit Verpflegung und Wasser mittels
Bundeswehrhubschraubern. Dem liegen offensichtlich kurzfristig mündlich ge-
stellte Anträge von Polizeiführern zugrunde. In diesem Zusammenhang wurde
auf eine verfassungsrechtliche Zulässigkeitsprüfung der Polizei-Anträge ver-
zichtet.

Dies wirft die Frage auf, ob es noch weitere Bundeswehreinsätze gab, zu denen
die Bundesregierung bislang keine Angaben gemacht hat. Ein entsprechender
Verdacht verstärkt sich durch die Weigerung der Bundesregierung, die täg-
lichen Lageberichte zur Verfügung zu stellen, die vom Streitkräfteunterstüt-
zungskommando und anderen Dienststellen der Bundeswehr erstellt worden
waren. Auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke teilte das BMVg
mit, es sei „nicht verpflichtet“, diese Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Hierdurch wird die parlamentarische Kontrolle des Bundeswehreinsatzes er-
schwert.

Hinzu kommen einige Widersprüche zwischen den Antworten der Bundesregie-
rung und den Ausführungen des Bundesministeriums der Verteidigung in seinem
Bericht vom 2. Juli 2007. Dies betrifft unter anderem die Festlegung von

Streckenabschnitten und Prioritäten für die Tornado-Überwachung. In Zusam-
menhang hiermit ist auch nach wie vor unklar, was die Mehrzahl der von den Tor-
nados gemachten Bilder – von Menschenansammlungen, Zelten und Duschen
usw. – mit dem offiziellen Auftrag, „Bodenmanipulationen“ festzustellen, zu tun
haben soll.

Drucksache 16/6752 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Insgesamt verstärkt sich der Verdacht, dass die Bundesregierung mit Nach-
druck die Militarisierung der Innenpolitik anstrebt und eine parlamentarische
Kontrolle erschweren will.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Fällen geht die Bundesregierung davon aus, dass ein Amtshilfe-
ersuchen „von verfassungsrechtlicher Bedeutung“ ist?

2. Welche im Zeitraum seit 1996 erfüllten Amtshilfeersuchen hat die Bundes-
regierung für verfassungsrechtlich bedeutsam gehalten und einer verfas-
sungsrechtlichen Zulässigkeitsprüfung unterzogen (bitte detailliert darstel-
len)?

3. Welche Prüfung hat die Bundesregierung vorgenommen, um sicherzustellen,
dass der im BMVg-Bericht erwähnte Transport von 100 Polizisten am 6. Juni
2007 durch Marineboote „nicht im Zusammenhang mit einem unmittelbaren
polizeilichen Einsatz“ gestanden habe?

a) Hat die Polizei die Zusage gegeben, die Polizisten seien nicht auf dem
Weg zu einem Einsatz, und wenn ja, hat die Polizei angegeben, wo und
wann die Polizisten zum nächsten Mal eingesetzt werden?

b) Welche Möglichkeiten hatte die Bundeswehr, dies zu überprüfen, und
wann und durch wen ist diese Prüfung vorgenommen worden?

c) Aus welchen Überlegungen heraus wurde eine solche Prüfung vorgenom-
men, wo doch die Bundesregierung sonst niemals Angaben zu Polizei-
einsätzen der Länder macht?

d) Handelte es sich um eine außerdienstliche Fahrt der Polizisten?

e) Wie ist der Begriff eines „unmittelbar“ bevorstehenden Einsatzes zu ver-
stehen?

f) Wie viel Zeit ist bis zum nächsten Einsatz der Polizisten vergangen?

g) Falls die Bundesregierung die Teilfrage f) nicht beantworten kann: Wie
kann sie dann sicher sein, dass diese Polizisten beim Transport durch
Marineboote nicht unmittelbar auf dem Weg zu einem Einsatz waren?

4. Ist die Aussage, die Polizisten seien nicht „unmittelbar“ auf dem Weg zu
einem Einsatz gewesen, so zu verstehen, dass der Transport ansonsten ver-
weigert worden wäre, und wenn ja,

a) welche rechtlichen Überlegungen sind darüber von wem angestellt wor-
den,

b) welche Anweisungen an die Dienststellen der Bundeswehr sind mit wel-
chem inhaltlichen Tenor hierzu übermittelt worden?

5. Warum ist dieser Transport nicht in den bislang veröffentlichten Übersichten
über Amtshilfeersuchen enthalten?

a) Auf wessen Anfrage und Veranlassung fand dieser Transport statt?

b) Wer hat den Transport angeordnet?

c) Fand eine verfassungsrechtliche Prüfung durch die Abteilung Recht im
Bundesministerium der Verteidigung statt, wenn ja: wann, wenn nein:
warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6752

6. Warum gibt die Bundesregierung unter Bundestagsdrucksache 16/6317 an,
die „Anlage 2, Seite 4“ enthalte Angaben über Amtshilfeersuchen vom
6. und 7. Juni 2007 bzgl. des Transports von Wasser und Verpflegung an
Polizeibeamte, obwohl die genannte Stelle zwar einen Hinweis auf einge-
setzte Soldaten, aber keineswegs auf ein diesem Einsatz zugrundeliegendes
Amtshilfeersuchen enthält?

a) Auf welcher Grundlage hat der Befehlshaber Wehrbereichskommando I
„Küste“ den „kurzfristig mündlich“ gestellten Antrag der BAO Kavala
als „zulässig nach Artikel 35 Grundgesetz“ beurteilt, wenn doch nach
Angaben der Bundesregierung (Antwort auf Frage 3 auf Bundestags-
drucksache 16/6317) grundsätzlich die Abteilung Recht im Bundes-
ministerium der Verteidigung für die bei Anträgen von Polizeibehörden
erforderliche verfassungsrechtliche Prüfung zuständig ist?

b) Trifft es zu, dass mit dem Hinweis auf „Artikel 35 Grundgesetz“ der
Absatz 1 des Artikels 35 gemeint ist?

c) Sollte die Bundesregierung diesen Transport nicht als Amtshilfeleistung
einschätzen: Was ist dann die rechtliche Grundlage dafür und wie ist
dann der Hinweis des Befehlshabers Küste auf Artikel 35 zu verstehen?

d) Warum enthalten die bislang von der Bundesregierung veröffentlichen
Übersichten über Amtshilfeersuchen keinen Hinweis auf diesen Trans-
port?

7. Warum hat die Bundesregierung unter Bundestagsdrucksache 16/6166
(Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP) behauptet (Punkt 34), die Be-
reitstellung von Hubschraubern für die Versorgungsflüge am 6. und 7. Juni
2007 „erfolgte auf der Grundlage der Anträge des Auswärtigen Amtes und
des Bundespresseamtes“, und warum behauptet sie unter Bundestagsdruck-
sache 16/6317, es habe sich um einen „kurzfristig mündlichen“ Antrag der
BAO Kavala gehandelt hat und wie erklärt die Bundesregierung diesen Wi-
derspruch?

8. Warum sind die unmittelbar von der BAO Kavala beim Aufklärungs-
geschwader 51 angeforderten zusätzlichen Tornado-Flüge nicht in den
regierungsamtlichen Auflistungen über Amtshilfeersuchen enthalten?

9. Wie viele weitere kurz- oder langfristig, mündlich, schriftlich oder mittels
anderer Kommunikationsformen angeforderten Amtshilfeersuchen hat es
noch gegeben, die nicht in der Anlage 1 zu Bundestagsdrucksache 16/6317
aufgeführt sind (bitte jeweils den Wortlaut angeben sowie nach Datum
des Amtshilfeersuchens, seiner Entscheidung, der entscheidenden Stelle,
Durchführung, Durchführungsort, Zahl der eingesetzten Soldaten, Verwen-
dungszweck, Tätigkeit und Bewaffnung aufgliedern)?

10. Welche nicht als Amtshilfe firmierenden Unterstützungsleistungen und
sonstigen Verwendungen der Bundeswehr hat es im Zusammenhang mit
dem G8-Gipfel gegeben (bitte aufgliedern nach Datum der Durchführung,
Datum der Beantragung, Antragsteller, Ort, Zahl der eingesetzten Soldaten,
Verwendungszweck, Tätigkeit und Bewaffnung und angeben, wer die je-
weiligen Anträge entschieden hat)?

11. Treffen Informationen der Fragesteller zu, wonach der Bericht des Bundes-
ministeriums der Verteidigung vom 2. Juli 2007 eine „Prioritätenverteilung“
bei der Überwachung durch Tornados anregt bzw. festsetzt, und wenn ja,
welche Vereinbarungen wurden konkret getroffen und von welchen Betei-
ligten?

a) Trifft es zu, dass ein Schreiben eines Angehörigen des Stabes BAO

Kavala von April 2007 zu beobachtende Areale mit der Prioritätenzuwei-
sung „P 1“ bezeichnet, und wenn ja, welche Areale sind dies genau?

Drucksache 16/6752 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Trifft es zu, dass es am 8. Mai 2007 eine Absprache gegeben hat, mar-
kierte Strecken mit der Prioritätenzuweisung „P 2“ zu bezeichnen und
wenn ja, welche Strecken sind dies genau und wer war an dieser Ab-
sprache beteiligt?

c) Welche Überlegungen haben jeweils dazu geführt, den beiden vorerwähn-
ten Arealen die höchsten Prioritäten zuzuweisen?

12. Warum wurden den Angehörigen der BAO Kavala zahlreiche Tornado-Bil-
der überlassen, auf denen keinerlei mögliches Blockadegerät, sondern aus-
schließlich Menschenansammlungen innerhalb der Protestcamps zu sehen
sind, so dass keinerlei Zusammenhang mit dem offiziell behaupteten
Zweck, „Bodenmanipulationen“ festzustellen, zu erkennen ist?

13. Trifft es zu, dass von der Bundeswehr mindestens ein Foto mit dem Titel
„BUND_JUGEND.tif“ angefertigt und der Polizei übergeben wurde und
wenn ja, welche Relevanz hat die Beobachtung von Mitgliedern der BUND-
Jugend in Zusammenhang mit dem offiziellen Auftrag, mögliche Blockade-
materialien bzw. Bodenmanipulationen aufzuspüren?

14. Trifft es zu, dass die Bundeswehr mindestens ein Foto mit dem Titel
„TGT_03_Reddelich_BUND_*“ angelegt hat, und wenn ja, wie lautet der
volle Name der Fotodatei, warum wurde das Foto an die Polizei übergeben
und in welchem Zusammenhang steht das Bild mit dem offiziellen Auftrag?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Beobachtung der BUND-Jugend un-
ter dem Aspekt des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung?

16. Trifft es zu, dass die Bundeswehr mindestens zwei Fotos mit dem Titel
„DUSCHEN.tif“ bzw. „DUSCHEN1.tif“ angelegt und der Polizei überge-
ben hat?

17. Trifft es zu, dass die Bundeswehr mindestens ein Foto mit dem Titel
„TGT_03_Reddelich_DUSCH*“ angelegt hat, und wenn ja, wie lautet der
volle Name dieser Datei?

18. In welchem Zusammenhang stehen Duschen mit dem offiziellen Auftrag
des Aufspürens von Bodenmanipulationen bzw. Blockadematerialien?

19. Trifft es zu, dass die Bundeswehr mindestens drei Fotos mit dem Titel
„MENSCHEN“ („_03.tif, _1.tif, _4.tif“) angefertigt und der Polizei überge-
ben hat, und wenn ja, in welchem Zusammenhang steht die Beobachtung
von Menschengruppen mit dem offiziellen Auftrag?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Beobachtung von Menschengruppen
unter dem Aspekt des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung?

21. Trifft es zu, dass die Bundeswehr mindestens drei Fotos mit dem Titel
„TGT_03_Reddelich_Ansam*“ angelegt hat, und wenn ja, wie lautet der
volle Name der Bilder? Unterstellt, es gehe hierbei um Ansammlungen:
Warum wurden Bilder von Ansammlungen gemacht, wenn es doch nur um
Blockadematerial gehen sollte?

22. Warum ist nicht geprüft worden, ob jedes von den Tornados gemachte Foto
im Rahmen des Auftragsumfanges des Amtshilfeersuchens lag, um auszu-
schließen, dass die Polizei von der Bundeswehr Fotos erhält, die diesen Auf-
tragsumfang überschreiten?

23. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Umständen, dass
weit mehr Tornado-Flüge als bewilligt stattgefunden haben, dass die Polizei
Fotos von Duschen und Menschengruppen erhalten hat und dass Militär-
hubschrauber lediglich nach mündlicher Anforderung durch Polizeiangehö-

rige aufgestiegen sind?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/6752

24. Wie genau lautete der Auftrag an die Besatzungen der Fennek-Spähpanzer?

a) Wie wurde der Auftragsteil „Feststellungen über Fahrzeug- und Perso-
nenbewegungen“ umgesetzt?

b) Welchen Verfahrens- und Ermessensspielraum hatten die Besatzungen
bzw. der Fahrzeugkommandant bei der Umsetzung des Auftrages?

c) Welche Feststellungen sind konkret an die Polizei übermittelt worden?

25. Was veranlasst die Bundesregierung zu der Annahme, die von Feldjägern
im Bereich des Krankenhauses Bad Doberan fotografierten Zivilpersonen
seien mit den Aufnahmen einverstanden gewesen (Antwort auf Frage 11 auf
Bundestagsdrucksache 16/6046)?

a) Was muss man sich unter typischen „Feldlagerszenen“ vorstellen?

b) Ist die Bundesregierung bereit, die von den Feldjägern gemachten Foto-
grafien vorzulegen?

c) Wo befinden sich diese Aufnahmen und war wird mit ihnen sowie dem
Negativmaterial bzw. den Dateien geschehen?

26. Trifft es zu, dass Bundeswehrangehörige in Gefangenensammelstellen
waren, und wenn ja

a) in welcher Gefangenensammelstelle und an welchem Datum?

b) wie viele Soldaten mit welchem Dienstgrad aus welchen Einheiten wa-
ren dort?

c) Hatten die Soldaten einen dienstlichen Auftrag und wenn ja, welchen?

d) Was war der Zweck ihres Aufenthaltes, auf welcher Rechtsgrundlage
fand dieser statt und welche Tätigkeiten haben die Soldaten unternom-
men?

27. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Bericht des Verteidigungsministe-
riums vom 2. Juli zu Unterstützungsleistungen der Bundeswehr anlässlich
des G8-Gipfels weiterhin als Verschlusssache zu behandeln oder will sie ihn
der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen (bitte begründen)?

28. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Weigerung, die vom Streitkräfteunter-
stützungskommando erstellten täglichen Lageberichte, die Analysen und
Übersichten des Zentrums für Nachrichtenwesen und den Abschlussbericht
des Wehrbereichskommandos I „Küste“ herauszugeben oder vorzulegen
(Schreiben des BMVg vom 27. Juli 2007 an die Abgeordnete Ulla Jelpke),
auch wenn dies darauf hinausläuft, die parlamentarische Kontrolle des Bun-
deswehreinsatzes zu erschweren?

29. Unterstellt, die benannten Berichte seien eingestuft: Womit begründet die
Bundesregierung die Notwendigkeit der Einstufung (bitte für die einzelnen
Unterlagen getrennt begründen)?

Berlin, den 16. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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