BT-Drucksache 16/6670

Zugang zum Denkmal für die antimilitaristischen Matrosen Max Reichpietsch und Albin Köbis auf dem Gelände der Luftwaffenbasis Köln-Wahn

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6670
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dag˘delen, Kersten Naumann,
Wolfgang Neskovic, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Zugang zum Denkmal für die antimilitaristischen Matrosen Max Reichpietsch
und Albin Köbis auf dem Gelände der Luftwaffenbasis Köln-Wahn

Auf einem der Luftwaffenbasis Köln-Wahn zugehörigen Friedhof befindet sich
neben Gräbern von kriegsgefangenen Soldaten aus dem Deutsch-Französischen
Krieg 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg auch eine Gedenkstätte für zwei
Matrosen, die am 5. September 1917 hingerichtet worden sind. Albin Köbis
und Max Reichpietsch gehörten einer revolutionären Bewegung in der kaiser-
lichen Marine an, die sich gegen die Fortsetzung des Krieges richtete. Albin
Köbis war Heizer auf dem Linienschiff Prinzregent Luitpold und führend an
einem Matrosenstreik beteiligt. Max Reichpietsch gehörte einer Koordinie-
rungsgruppe an.

Mit Urteil vom 25. August 1917 wurden sie und weitere Beteiligte „wegen
vollendeter kriegsverrätischer Aufstandserregung“ zum Tode verurteilt. Offen-
bar um die angebliche „Schwere“ der Schuld zu dokumentieren, wiesen die
Militärrichter darauf hin, dass vor allem Max Reichpietsch in Kontakt mit der
Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) gestanden
und mit mehreren ihrer Reichstagsabgeordneten Kontakt aufgenommen hatte.
Der damalige USPD-Abgeordnete Wilhelm Dittmann bezeichnete das Todes-
urteil als „militärischen Willkürakt aus politischen Motiven“. Die Grabstätte
wurde von Vertretern aller Arbeiterparteien bis hin zur SPD geehrt, an ihr fan-
den auch – getrennte – Demonstrationen von SPD und KPD statt. 1928 wurde
vom Roten Frontkämpferbund ein Denkmal aufgestellt.

Das ehrende Gedenken an die beiden Matrosen steht bis heute auf der Agenda
politischer Initiativen, die in dem „Kriegsverrat“ der Matrosen eine Friedenstat
sehen. Die Gedenkfeiern werden jedoch erheblich durch den Umstand er-
schwert, dass sich das Denkmal auf Bundeswehrgelände befindet.

Die Kulturvereinigung Leverkusen hatte anlässlich des 90. Jahrestages der Hin-
richtung beim Kasernenkommandanten eine Veranstaltung am Denkmal ange-
meldet. Der Kommandant teilte der Vereinigung mit Schreiben vom 23. August
mit, „dass politische Betätigung innerhalb einer Bundeswehrliegenschaft unter-
sagt ist.“ Weil die Anmelder jedoch nicht ausschließen wollten, dass „politische
Themen angesprochen“ werden, erklärte der Kommandant: „[…] ihren Antrag
auf Durchführung der Veranstaltung am 8. September lehne ich daher ab. Den
Zutritt zur Luftwaffenkaserne Wahn gewähre ich nicht.“ (Broschüre „Feuer
raus aus den Kesseln der Kriegsmaschinerie!“).

Das Gedenken an die beiden Matrosen ist aus Sicht der Fragesteller allerdings
per se ein politischer Akt. Politische Themen nicht anzusprechen, wäre da
schlechterdings unangemessen. Außerdem können andere Gedenkveranstaltun-

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gen mit anders gelagerten Inhalten durchaus auf Bundeswehrgelände statt-
finden, wie beispielsweise „Mölders-Feiern“ auf der Luftwaffenbasis Zell.

Nach Intervention von Bundestagsabgeordneten wurde einer nur zehnköpfigen
Abordnung der Kundgebung, darunter dem Bundestagsabgeordneten Gert Win-
kelmeier, dann doch gestattet, das Militärgelände zu betreten. Nach Angaben
von Teilnehmern dieser Delegation befindet sich das Denkmal in einem ver-
nachlässigten Zustand.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Kasernenkommandanten,
politische Betätigung in Kasernen sei unzulässig, und falls ja, wie ist das
mit dem Leitbild des „Bürgers in Uniform“ zu vereinbaren?

2. Falls Frage 1 verneint wird: Beabsichtigt die Bundesregierung, den Kaser-
nenkommandanten entsprechend zu belehren?

3. Wie hat sich der Konflikt zwischen der Kulturvereinigung und dem Kaser-
nenkommandanten aus Sicht der Bundesregierung entwickelt, und welche
Überlegungen haben dazu geführt, die Veranstaltung erst nicht zu geneh-
migen und dann doch einer Delegation den Zutritt zu gewähren?

4. In welcher Form war die Bundesregierung mit den geschilderten Vor-
gängen beschäftigt, und welche Stellung hat sie in dem Konflikt zwischen
der Kulturvereinigung und dem Kasernenkommandanten bezogen?

5. Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, wie angesichts der Tat-
sache, dass Reichpietsch und Köbis ein politisches „Delikt“ begangen hat-
ten und von einer militaristischen Justiz dafür umgebracht wurden, ein
ehrendes Andenken möglich sein sollte, das nicht zugleich politische
Inhalte aufweist?

6. In welcher Weise werden die in Köln-Wahn stationierten Soldaten darüber
unterrichtet, dass auf dem Gelände zwei Soldaten hingerichtet wurden, die
sich gegen den imperialistischen Kriegskurs Deutschlands zur Wehr ge-
setzt haben, und welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung,
die Tat von Reichpietsch und Köbis in aktuelle Zusammenhänge zu stel-
len?

7. Welcher Stellenwert kommt den Taten der revolutionären Matrosen in der
Traditionspflege der Bundeswehr zu, und wie wird dies in Form von Ver-
anstaltungen, Broschüren und anderen geeigneten Mitteln verdeutlicht
(bitte detailliert auflisten)?

8. Welchen Umfang und welche Bedeutung hat dieses Gedenken im Ver-
gleich zur Ehrung von Offizieren des Kaiserreichs und der Wehrmacht,
nach denen immer noch zahlreiche Kasernen benannt sind?

9. Befindet sich der Friedhof einschließlich Denkmal im Besitz der Bundes-
wehr, der Stadt Köln oder in einem anderen Besitzverhältnis?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung den derzeitigen Zustand des Denkmals,
und wer ist für dessen Pflege zuständig?

11. Wie sind derzeit die Zugangsmöglichkeiten zum Denkmal von Reich-
pietsch und Köbis geregelt (bitte detailliert angeben)?

a) Ist für einen Besuch des Denkmals eine vorherige schriftliche oder
mündliche Anmeldung erforderlich, und wenn ja, bei welchen Stellen,
und welche weiteren Stellen erhalten Zugang zu diesen Daten?

Wo und für wie lange werden die Daten aufbewahrt?

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b) Welche Regelungen bestehen für einen spontanen, ohne vorherige An-
meldung erfolgenden Besuch?

c) Ist für einen Besuch das Vorzeigen von Personalausweisen oder eine an-
dere Identifizierung der Besucher nötig, und wenn ja, wer erhält Zugang
zu diesen Daten, und für wie lange werden die Daten aufbewahrt?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Zugangsregelung im Hin-
blick auf das unmittelbar durch Artikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
gewährleistete Benutzungsrecht an in öffentlichem Eigentum stehender
Örtlichkeiten zu Versammlungszwecken unter dem Aspekt, dass Bürge-
rinnen und Bürger, die der Matrosen Reichpietsch und Köbis gedenken
wollen, zur Erreichung und dieses Versammlungszwecks auf Benutzung
des Geländes um das Denkmal angewiesen sind?

13. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Reichweite des grundrecht-
lichen Nutzungsrechts zu Versammlungszwecken aus Artikel 8 GG ent-
gegen dem Grundsatz des Vorrangs des Verfassungsrechts durch die ein-
fachgesetzliche Widmung eines im öffentlichen Eigentum stehenden Ortes
beschränkt wird (bitte begründen)?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherige Praxis der Zugangsgewäh-
rung für Menschen, die der auf dem Friedhof begrabenen Opfer des Krie-
ges und militaristischer Willkür gedenken wollen, im Hinblick auf die aus
Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 GG resultierende Schutzpflicht aller staatlichen Ge-
walt für den postmortalen Achtungsanspruch der dort Begrabenen?

15. Wie verhält sich der Umstand, dass Gedenkversammlungen mit ander-
weitiger politischer Ausrichtung in der Vergangenheit oft auf Bundeswehr-
geländen erlaubt wurden und erlaubt werden (z. B. „Mölders-Feiern“,
Pfingstfeier in Mittenwald usw.), zum grundgesetzlichen Gleichbehand-
lungsgebot nach Artikel 3 Abs. 3 GG, wonach niemand wegen seiner poli-
tischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf?

16. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Zugangsmöglichkeiten zu erwei-
tern, ggf. durch die Schaffung eines separaten Zugangs zum Militärfried-
hof, um die Möglichkeit für die unbehinderte Wahrnehmung des Versamm-
lungsrechts und für Gedenkveranstaltungen zu schaffen, und falls ja,
welche konkreten Schritte will die Bundesregierung unternehmen?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Erschwernisse, denen die Anmelder
der Reichpietsch/Köbis-Ehrung ausgesetzt waren, im Vergleich zum Ent-
gegenkommen, dass Kasernenkommandanten bei anders gelagerten Ge-
denkveranstaltungen zeigen, wenn diese wie etwa in Mittenwald oder auf
der Luftwaffenbasis Zell nicht Opfer des deutschen Militarismus, sondern
Wehrmachtsangehörige ehren wollen?

Berlin, den 9. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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