BT-Drucksache 16/6603

Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa beenden

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6603
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden,
Anke Eymer (Lübeck), Erich G. Fritz, Dr. Peter Gauweiler, Hermann Gröhe,
Manfred Grund, Holger Haibach, Joachim Hörster, Hartmut Koschyk, Eduard
Lintner, Ruprecht Polenz, Hans Raidel, Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,
Karl-Georg Wellmann, Willy Wimmer (Neuss), Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert Weisskirchen (Wiesloch),
Niels Annen, Detlef Dzembritzki, Monika Griefahn, Petra Heß, Brunhilde Irber,
Johannes Jung (Karlsruhe), Hans-Ulrich Klose, Dr. Bärbel Kofler, Lothar Mark,
Markus Meckel, Ursula Mogg, Johannes Pflug, Otto Schily, Olaf Scholz, Dr. Dietmar
Staffelt, Andreas Weigel, Uta Zapf, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für konventionelle Abrüstung
und Rüstungskontrolle in Europa beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der KSE-Vertrag befindet sich in einer tiefen Krise, nachdem der russische Prä-
sident Wladimir Putin am 14. Juli 2007 per Dekret für Russland die Aussetzung
der Anwendung des Vertrags ab dem 12. Dezember 2007 angekündigt hat. Zu-
vor blieben sowohl die Dritte Überprüfungskonferenz vom 30. Mai bis 2. Juni
2006 wie eine auf Antrag Russlands einberufene außerordentliche Konferenz
aller KSE-Vertragsstaaten vom 12. bis 15. Juni 2007 in Wien ohne Ergebnis.

Kern des Konflikts ist der Streit um die in Istanbul 1999 von Russland eingegan-
genen Verpflichtungen zum Abzug aus Georgien und Moldau einerseits und die
von den NATO-Staaten als Ratifizierungsvoraussetzung für das KSE-Anpas-
sungsabkommen von 1999 geforderte vollständige Erfüllung dieser Verpflich-
tungen andererseits. Daneben besteht aber auch der Eindruck, dass Russland das
KSE-Regime – jedenfalls in seiner bisherigen Form – insgesamt in Frage stellen
könnte und inzwischen auch eine gewisse Verknüpfung mit weiteren Fragen im
Verhältnis zu den USA und der NATO schafft. Dazu gehört die – allerdings un-
zulässige Verknüpfung zwischen dem KSE-Vertrag und den US-amerikanischen
Plänen, zehn Abwehrraketen in Polen und eine Radaranlage in Tschechien zu

stationieren.

Der KSE-Vertrag ist der Eckpfeiler der konventionellen Stabilität und Sicherheit
zwischen Atlantik und Ural. Er legt in diesem Raum das Kräfteverhältnis für
Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artilleriewaffen, Kampfflugzeuge
und Angriffshubschrauber fest. Das am 19. November 1990 beschlossene Ver-
tragswerk verpflichtete die Staaten der beiden damals bestehenden Bündnisse

Drucksache 16/6603 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

zur Reduzierung ihrer Hauptwaffensysteme um annähernd 60 000 Einheiten,
legte regionale Stationierungsbeschränkungen fest und verpflichtete die Ver-
tragsstaaten zu einem jährlichen Informationsaustausch und einem dichten Netz
von Vor-Ort-Inspektionen. Die wesentlichen Vertragsziele konnten erreicht wer-
den. Die Praxis des Informationsaustausches und der wechselseitigen Inspek-
tionen haben das gegenseitige Vertrauen gestärkt.

Mit dem Ende des Warschauer Paktes ist die Block-zu-Block-Struktur des bis
dato gültigen KSE-Vertrages hinfällig geworden. Die sich daraus ergebenden
Verhandlungen zur Anpassung des KSE-Vertrages wurden in erheblichem Maße
auch durch deutsche Vorschläge geprägt, die Zug um Zug zunächst innerhalb der
Allianz und dann in Wien umgesetzt werden konnten. Während des OSZE-Gip-
fels in Istanbul unterschrieben am 19. November 1999 die Staats- und Regie-
rungschefs der 30 KSE-Vertragsstaaten ein umfassendes Übereinkommen zur
Anpassung des KSE-Vertrages (AKSE), welches die Änderungen des bisherigen
KSE-Vertrages festlegt und folgende wesentliche Elemente enthält: ein ab-
gestimmtes Regelwerk nationaler und territorialer Obergrenzen für die fünf
Waffenkategorien, welches darüber hinausgehend destabilisierende Streitkräfte-
konzentrationen durch einen oder mehrere Vertragsstaaten verhindern soll; ein
erweitertes und verbessertes Informations- und Verifikationsregime; ein aus-
drückliches Zustimmungserfordernis für Streitkräftestationierung seitens der
betroffenen Aufnahmestaaten sowie eine Öffnungsklausel, um Beitritte weiterer
Staaten zu ermöglichen und die stabilisierende Wirkung des KSE-Regimes auf
ganz Europa auszudehnen.

Gleichzeitig wurde die „Schlussakte der Konferenz der Vertragsstaaten des Ver-
trags über Konventionelle Streitkräfte in Europa“ angenommen, inklusive poli-
tischer Erklärungen einzelner Vertragsstaaten zur weiteren Absenkung nationa-
ler bzw. zur Nichterhöhung territorialer Obergrenzen. In der Schlussakte sind
auch Fragen aufgenommen, die Regionalkonflikte betreffen, ohne den KSE-
Vertrag selbst unmittelbar zu berühren, wie die Verpflichtungen zum Abzug rus-
sischer Truppen aus Moldau und den Abschluss einer Vereinbarung zwischen
Russland und Georgien über den Abzug des russischen Kontingents aus Geor-
gien. Teile dieser Verpflichtungen sind außerdem auch in der Erklärung zum
gleichzeitig stattfindenden OSZE-Gipfel enthalten. Mit diesem umfangreichen
Gesamtpaket wurde der KSE-Anpassungsprozess nach dreijährigen Verhand-
lungen erfolgreich abgeschlossen und das Vertragswerk für neue Mitgliedstaa-
ten geöffnet. Damit stünde der Vertrag auch den 25 OSZE-Teilnehmerstaaten
offen, die nicht Mitglieder des KSE-Regimes sind. Bevor ein Beitritt möglich
ist, muss der angepasste Vertrag jedoch in Kraft treten.

Das KSE-Regime wird in seiner stabilitätsfördernden Wirkung ergänzt durch
die Abschließende Akte der Verhandlungen über Personalstärken der konven-
tionellen Streitkräfte in Europa, durch das mehrfach aktualisierte Wiener Doku-
ment über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen sowie durch den
zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Vertrag über den Offenen Himmel, mit
dem ein einzigartiges Überwachungsregime aus der Luft im Raum von Vancou-
ver bis Wladiwostok vereinbart wurde.

Die NATO-Staaten haben auf ihrem Außenministertreffen in Florenz im Jahr
2000 die Ratifikation des AKSE-Vertrags von der Erfüllung der Istanbuler Ver-
pflichtungen abhängig gemacht. Der nunmehr seit sieben Jahre andauernde bei-
derseitige Stillstand droht mittlerweile das gesamte Vertragswerk in Frage zu
stellen. Dies gilt umso mehr, als der alte KSE-Vertrag zunehmend weniger den
– im Zuge der NATO-Erweiterung – sich verändernden sicherheitspolitischen
Gegebenheiten entspricht, selbst wenn das Regime durch Beachtung der verein-
barten Beschränkungen und Regeln diese sicherheitspolitischen Veränderungen

kalkulierbar und transparent gemacht hat. Die NATO hat auf dem Gipfel im Mai
2004 in Istanbul weitere sieben Staaten aufgenommen, von denen vier – Slowe-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6603

nien und die drei baltischen Staaten – nicht dem KSE-Regime angehören. Bis
heute haben erst vier Staaten den angepassten KSE-Vertrag ratifiziert – Russ-
land, Kasachstan, Belarus und die Ukraine.

Trotz aller Probleme leistet jedoch gerade das KSE-Regime nach wie vor einen
grundlegenden und nicht zu unterschätzenden Beitrag zu einem sichereren
Europa. Kooperative konventionelle Rüstungskontrolle war und ist ein zentra-
les Instrument, um das Ende des Ost-West-Konflikts rüstungskontrollpolitisch
abzusichern. Die Bundesrepublik Deutschland hat deshalb ein großes Interesse
an einer Fortsetzung der konventionellen Abrüstung und Rüstungskontrolle in
Europa.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

1. die jüngsten Bemühungen der Bundesregierung – zuletzt bei einem informel-
len Treffen hoher Beamter in Bad Saarow vom 30. September bis 2. Oktober
2007 – mit allen Vertragsstaaten und den baltischen Staaten sowie Slowenien
Wege aus der Krise des KSE-Vertrages zu diskutieren;

2. die kontinuierlichen Bemühungen und den Einsatz der Bundesregierung für
eine weitere Stärkung der konventionellen Stabilität und Sicherheit wie auch
für einen fairen rüstungskontrollpolitischen Interessensausgleich mit allen
Staaten im euro-atlantischen Raum;

3. das am 31. März 2006 geschlossene russisch-georgische Abkommen über
den Abzug der russischen Streitkräfte aus Georgien bis 2008 und dessen
planmäßige Umsetzung;

4. dass der weitaus größte Teil der Vertragsstaaten seine Verpflichtungen zum
Informationsaustausch und der Einzelnotifikationen vollständig und fristge-
recht erfüllt hat und die Höchstgrenzen im Anwendungsgebiet eingehalten
bzw. deutlich unterschritten werden.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf alle KSE-Mitgliedstaaten entsprechend einzuwirken, um wegen aktueller
Schwierigkeiten ein endgültiges Scheitern des KSE-Prozesses zu vermeiden;

2. den in Bad Saarow begonnenen Dialog aller Partner fortzusetzen und die
Möglichkeit einer schrittweisen parallelen Ratifizierung des AKSE bei kon-
sequenter gleichzeitiger Erfüllung der „Istanbul Commitments“ und Ausset-
zung des angekündigten Moratoriums anzustreben;

3. ihrer Rolle als wichtiger Förderer der Implementierung und Ausgestaltung
des KSE-Regimes gerecht zu werden und sich weiterhin aktiv für die Besei-
tigung von Ratifikationshindernissen einzusetzen, um dort – über eine bloße
Absicherung des Erreichten hinaus – weitere politische Ziele bei der konven-
tionellen Abrüstung in Europa anzustreben;

4. diejenigen Länder, die noch nicht Mitglied des KSE-Vertrages sind – ins-
besondere die baltischen Staaten und Slowenien – in ihrem Bemühen zu
unterstützen, dem AKSE nach dessen Inkrafttreten unverzüglich beizutreten.
Ihr Beitritt wäre ein wichtiger Beitrag zur Stabilität und Sicherheit in Europa
und würde das neue Netzwerk einer deutlich erhöhten konventionellen Stabi-
lität auf ganz Europa ausdehnen. Die Lücken der konventionellen Rüstungs-
kontrolle in Nordeuropa, im baltischen Raum und in Südosteuropa würden
auf diese Weise allmählich geschlossen;

5. sich für die Einleitung weiterer Maßnahmen zur Abrüstung konventioneller
Waffen in Europa einzusetzen;

Drucksache 16/6603 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
6. das Instrumentarium der Konfliktverhütung und -bewältigung durch restrik-
tive Exportrichtlinien der Lieferstaaten einerseits und regionale Bemühungen
zur Rüstungsbegrenzung andererseits weiter auszubauen, um zu verhindern,
dass überdimensionierte Arsenale auch kleinerer konventioneller Waffen in
Spannungsgebieten zur dortigen Destabilisierung beitragen.

Berlin, den 10. Oktober 2007

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.