BT-Drucksache 16/6511

Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten bei den Polizeimissionen in Afghanistan

Vom 21. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6511
16. Wahlperiode 21. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Kersten
Naumann, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten bei den Polizeimissionen
in Afghanistan

Der tödliche Anschlag vom 15. August auf drei deutsche Polizeibeamte hat Fra-
gen aufgeworfen, auch zur Polizeimission in Afghanistan insgesamt:

Bei dieser Polizeimission handelt es sich um eine „zivile“ Variante europäischer
Außenpolitik, die von der EU-Militärdoktrin ausdrücklich als Ergänzung zu Mi-
litärinterventionen vorgesehen ist. Diese findet in der afghanischen Bevölkerung
nicht durchgehende Akzeptanz. Der Abgleich zahlreicher Pressemeldungen zu
diesem wichtigen Thema (Berliner Zeitung, 16. August 2007/ taz, 16. August
2007/ DER TAGESSPIEGEL, 19. August 2007) mit Verlautbarungen des Aus-
wärtigen Amtes und dessen Internetpräsenz (http://www.auswaertiges-amt.de/
diplo/de/Aussenpolitik/…) und den Internetpräsentationen des Bundesminis-
teriums des Innern konnte keine Klarheit über Zuständigkeiten, Verantwort-
lichkeiten und nicht einmal die Anzahl der vor Ort befindlichen Kräfte geben.
So nennt die Homepage (HP) der EU-Polizeimission in Afghanistan
(http://www.bmi.bund.de/cln_012/nn_175818/Internet/Navigation/DE/Themen/
Polizei/Afghanistan..) andere Zahlen als die Homepage des BMI
(www.bmi.bund.de): die eine nennt die Zahl von 200, die andere 160 Beamten
vor Ort. Als Kontingentpersonen, also Dienstposten pro Zeitumlauf, werden
einerseits 40, andererseits 60 genannt. Weiterhin lässt sich kein Aufschluss ge-
winnen über den Schutz der eingesetzten Kräfte, über Konzepte, Erfolge und
Misserfolge. Politische Verantwortlichkeiten, Weisungswege und organigra-
fisch aufgeschlüsselte Entscheidungsträgerschaften finden sich gleichfalls nicht.
Nach der Europäisierung der Mission zum 15. Juni 2007 wäre zu erwarten ge-
wesen, dass die eingesetzten Kräfte und ihre Stärke nach Entsendeland aufge-
schlüsselt werden. Das ist aber offenkundig nicht in befriedigendem Umfang ge-
schehen.

Hinzu kommen Unsicherheiten und Zweifel, die den Sinn der Police Mission
insgesamt betreffen: Nach wie vor scheint das afghanische innenministerielle/
polizeiliche System völlig desolat zu sein; die Ernennung von Polizeibeamten
erfolgt nach Gutdünken des Präsidenten statt nach fachlicher Qualifikation.

Die Besoldung ist so schlecht, dass viele Polizeistationen faktisch in der Hand
der – offenkundig besser zahlenden – Taliban sind. So analysiert es jedenfalls
die Stiftung Wissenschaft und Politik (swp-aktuell 47).

Drucksache 16/6511 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Polizeibeamte (bitte auflisten nach den einzelnen Bundesländern
und Bundespolizeibehörden, dem Geschlecht, genauer Funktionen und Auf-
gabe) halten sich gegenwärtig in Afghanistan auf, und wie hoch sind die Kos-
ten für diesen Polizeieinsatz im Jahr 2007 für Bund und Länder?

2. Wie hat sich die Anzahl der in Afghanistan tätigen Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten seit 2002 entwickelt (bitte auflisten nach den einzelnen Bun-
desländern und Bundespolizeibehörden, dem Geschlecht, den Kosten pro
Jahr)?

3. Wie viele Angehörige der EU-Polizeimission halten sich zurzeit in Afghanis-
tan auf (bitte aufschlüsseln nach Einsatzort, genauer Funktion und Aufgabe,
Entsendeland und Geschlecht), und bis wann erwartet die Bundesregierung,
dass die Sollstärke der Mission erreicht sein wird?

4. Wie sind die Führungs- und Aufsichtsfunktionen gestaltet hinsichtlich des im
Rahmen von Eupol-Afghanistan erfolgenden Einsatzes von THW, Feldjägern
und Polizisten?

Welche Rolle spielen deutsche Ministerien angesichts des Umstandes, dass
laut Angabe auf der EUPOL-Homepage das Politische und Sicherheitskomi-
tee der EU „die politische Kontrolle und strategische Führung der Mission“
hat?

5. Trifft es zu, dass nach vollständigem Aufbau von EUPOL AFG der Aktions-
radius der Mission sich auf ganz Afghanistan erstrecken wird, während sich
das ehemalige deutsche Polizeiprojektbüro auf Kabul und die Nordprovinzen
erstreckte, und wie schätzt die Bundesregierung das Risiko für den Einsatz
von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den Südprovinzen Afghanis-
tans ein?

6. Welche Fakten machen nach Ansicht der Bundesregierung einen Einsatz von
Polizeikontingenten in offenen Kriegsgebieten im Rahmen von EUPOL
möglich, und welche Erwägungen erlauben die Begrenzung auf Kabul und
die Nordprovinzen aufzuheben?

7. Wie viele Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wurden seit 2002 bei ihrem
Einsatz in Afghanistan verletzt und getötet (bitte auflisten nach Jahr, Ge-
schlecht, Polizeibehörden des Bundes und der Länder)?

8. Wie viele Angehörige der deutschen Polizei und bundesdeutscher Ministe-
rien (bitte aufschlüsseln nach Polizeibehörden des Bundes und der Länder,
Ministerien des Bundes und der Länder, Geschlecht, Jahren) haben seit 2002
die afghanische Regierung bzw. das afghanische Innenministerium bezüglich
der Polizeiorganisation, Polizeiausbildung und Polizeiausrüstung beraten?

9. Wie gestaltet sich die Finanzierung des Polizeieinsatzes angesichts des Um-
standes, dass EUPOL AFG, wie auch die rein deutsche Vorgängermission,
keine eigenen Finanzmittel hat, und aus welchen Quellen werden anfallende
Aufwendungen realisiert (bitte nach Höhe, Herkunft und Verwendung auf-
schlüsseln)?

a) Welches Finanzvolumen ist für die weiteren Jahre vereinbart worden?

b) Über welche materielle Ausstattung verfügen die EUPOL-Kräfte, und von
wem wurden diese gestellt?

Handelt es sich um Leihgaben, kostenlose Überlassungen oder um Ver-
käufe?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6511

10. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen der auch von
der afghanischen Regierung unterzeichneten Vereinbarung des Afghanistan
Compact, bis zum Jahr 2010 eine „ethnisch ausgewogene, professionell und
funktional arbeitende Polizei in der Größenordnung von 62 000 Polizisten“
aufzustellen, und der Behauptung der afghanischen Regierung, die Sollstär-
ke der afghanischen Polizei von 62 000 sei bereits „erreicht“ (Bundestags-
drucksache 16/2893)?

11. Falls die Sollstärke von 62 000 tatsächlich bereits erreicht worden ist, er-
wägt die Bundesregierung dann, das deutsche Engagement bei der Polizei-
ausbildung zurückzufahren (bitte begründen)?

12. Wie viele Teilnehmer für wie viele Teilnehmerplätze sind bislang von der
afghanischen Regierung benannt worden und trifft die Pressemeldung zu
(DER SPIEGEL 33/07), dass Teilnehmer für die Ausbildungskurse fehlen,
weil die afghanische Regierung keine oder zu wenige Teilnehmer benennt?

13. Wie viele Afghanen wurden bisher zu Polizisten ausgebildet, und wie viele
davon sind Frauen (bitte aufgliedern nach einfacher Ausbildung, mittlerem
und gehobenem Dienst), und wie viele Frauen befinden sich derzeit in der
Ausbildung zum mittleren und der Ausbildung zum gehobenen Dienst?

14. Trifft die Pressemeldung zu (DIE WELT vom 16. Juni 2007), nach der der
zwischenzeitlich abgelöste Leiter der Polizeimission, Friedrich Eichele, er-
wartet, dass die ISAF-Kräfte der NATO die Mission schützen?

15. In welchen Absprachen oder Abkommen ist der ISAF-Schutz der Mission
und ihrer Teilnehmer thematisiert worden, und wie sieht ein solcher Schutz
aus?

Wie wird sichergestellt, dass keine Soldaten der Mission „Enduring Free-
dom“ (mit dem expliziten Auftrag „Krieg gegen den Terrorismus“) mit Mis-
sionsschutzaufgaben betraut werden?

16. Was genau ist darunter zu verstehen, dass die Angehörigen der EUPOL-
Mission Schlüsselpositionen („Training on the Job“) im afghanischen
Innenministerium begleiten?

a) Treten Angehörige der EUPOL-Mission dort als Entscheidungsträger
auf, und wenn ja, um wie viele Personen handelt es sich dabei?

b) Kann hierbei ausgeschlossen werden, dass Polizeibeamte Einblick in
vertrauliche Unterlagen der afghanischen Regierung erlangen und ihren
vorgesetzten deutschen oder EU-Stellen Rechenschaft hierüber ablegen?

c) Ist es vorgesehen, die deutschen Angehörigen der EU-Mission oder eini-
ge dieser Angehörigen im Laufe oder nach Beendigung ihres Aufenthal-
tes in Afghanistan durch deutsche Geheimdienste, das BKA oder militä-
rische Stellen zur Aufklärung von „Afghanistan als Ausgangspunkt von
Terroranschlägen und Rückzugsort für Terroristen“ (http://www.bundes-
regierung.de/Content/DE/Artikel/Afghanistan/VielErreicht/2007-08-18-
viel-erreicht.html) abzufragen?

d) Wie viele deutsche Angehörige der EU-Mission fungieren auch als Infor-
mationsgeber des BND (Bundesnachrichtendienst), MAD (Militärischer
Abschirmdienst), BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) oder des
ZNBw (Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr)?

17. Wie geht die Bundesregierung mit der Tatsache um, dass die US-Seite die
Ausbildung der afghanischen Polizei unter dem Gesichtspunkt der militäri-

schen Aufstandsbekämpfung betreibt und diese Ausbildung zudem noch

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durch private Firmen durchführen lässt, und sieht die Bundesregierung hier-
in nicht ein Problem?

18. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Angehörige der EUPOL-
Mission sich an der Ausbildung der sogenannten Afghan National Auxiliary
Police (ANAP) beteiligen, zu deren Aufgaben die militärische Bekämpfung
„Aufständischer“ gehört?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung Überlegungen zur Schaffung einer afgha-
nischen Gendarmerie als Art Mischform zwischen Polizei und Armee?

Berlin, den 21. September 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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