BT-Drucksache 16/6462

Ablösung der Kapazitätsverordnung als Steuerungsinstrument im System der Hochschulbildung

Vom 19. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6462
16. Wahlperiode 19. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-
Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning,
Horst Meierhofer, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Rainer
Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Ablösung der Kapazitätsverordnung als Steuerungsinstrument im System
der Hochschulbildung

Mit Urteilen aus den Jahren 1972 und 1973 gab das Bundesverfassungsgericht
den Anstoß, den Hochschulzugang auf der Grundlage von Kapazitätenverord-
nungen zu regeln. Ziel war es, die vorhandenen Lehrkapazitäten möglichst voll-
ständig auszuschöpfen und ein Verfahren zur gleichmäßigen Belastung der
Hochschulen zu entwickeln. Dadurch entstand ein zentrales Planungs- und Ver-
teilungsinstrument, das die Entwicklung der deutschen Hochschullandschaft
maßgeblich beeinflusst hat.

Nach über 30 Jahren und der Neuausrichtung der Zielsetzung im Wissenschafts-
system, insbesondere in Hinblick auf Hochschulautonomie und der Förderung
von Exzellenz in Forschung und Lehre, ist es Zeit zu fragen, ob das Kriterium
der einheitlichen „Lehrauslastung“ von Fächern den heutigen Ansprüchen ge-
recht wird. Die Freiheit der Länder und Hochschulen, miteinander in Wettbe-
werb zu treten, die Studienplatzvergabe zu dezentralisieren, Studienentgelte zu
erheben und damit die Lehrbedingungen, z. B. durch kleine Tutorien und Semi-
nare, deutlich zu verbessern, verdeutlicht, wie unzeitgemäß die Orientierung an
einer maximalen Kapazitätsausschöpfung ist. Ziel der Politik ist es schließlich

nicht, homogene Studiengänge in den einzelnen Disziplinen zu erzwingen, son-
dern im Wettbewerb ein heterogenes Studiengangangebot entstehen zu lassen,
dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Studierenden berücksichtigt. Ein sol-
ches Studienangebot ist zwingende Voraussetzung, wenn man das politische
Ziel einer höheren Akademikerquote erreichen möchte.

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, hat öf-
fentlichkeitswirksam erklärt („Weg mit den alten Zöpfen“, DIE ZEIT, 23. Au-

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gust 2007), dass die Kapazitätsverordnung abgeschafft werden müsse. „Darum
sollten sich die Länder kümmern“, so Dr. Annette Schavan im Interview. Wie
diese Forderung umgesetzt werden sollte, gab die Bundesministerin jedoch nicht
an. Es bleibt allerdings zu klären, inwiefern der verfassungsrechtliche Spielraum
für eine Neuordnung von Studienangebot und Hochschulzugang möglichst aus-
geschöpft werden kann bzw. ob eine veränderte Bewertung durch das Bundes-
verfassungsgericht herbeigeführt werden kann, wie dies von Niedersachsens
Wissenschaftsminister Lutz Stratmann in Aussicht gestellt wurde („Weniger
Studenten pro Professor“, DER TAGESSPIEGEL, 24. August 2007) .

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwiefern hält es die Bundesregierung für zeitgemäß, an einem einheit-
lichen System der zentralen Planung und Verteilung auf der Basis von
Kapazitätsverordnungen festzuhalten?

2. Wie lässt sich dieses System mit den Bestrebungen des Bundes (z. B. über
die Exzellenzinitiative) und der Länder in Einklang bringen, wonach der
Wettbewerb zwischen den Hochschulen gestärkt und die Spitzen im Wis-
senschaftssektor sichtbarer gemacht und weiter ausgebildet werden sollen?

3. Inwiefern werden Maßnahmen der Hochschulen zur Verbesserung der
Lehre, z. B. durch das Angebot kleiner Tutorien und Seminare, durch Kapa-
zitätsverordnungen konterkariert?

4. Kann ausgeschlossen werden, dass die Einnahmen aus Studienentgelten im
Rahmen des bestehenden Kapazitätsrechts dazu führen, dass die Hochschu-
len ihre Aufnahmekapazitäten ausweiten müssen?

5. In welchem Maße werden Hochschulen per Kapazitätsverordnung dazu
genötigt, Studierende aufzunehmen, auch wenn diese aus Sicht der Hoch-
schulen die zur Erlangung des Abschlusses notwendigen Voraussetzungen
nicht vorweisen können?

6. Wie wirken sich ggf. von Hochschulen durchgeführte Aufnahmeprüfungen
diesbezüglich aus?

7. Inwiefern eröffnen die Kapazitätsverordnungen abgewiesenen Studienbe-
werbern immer wieder die Möglichkeit, sich erfolgreich an Hochschulen
„einzuklagen“?

8. Inwiefern erschwert dies den Hochschulen eine systematische Planung und
Entwicklung der Fachbereiche?

9. Über welche Möglichkeiten verfügen die Bundesländer, ihren Hochschulen
das Recht einräumen zu können, nur geeignete Bewerberinnen und Bewer-
ber aufnehmen zu müssen?

10. Welche Bundesländer bzw. Hochschulen machen von diesen Möglichkeiten
Gebrauch?

11. Inwiefern lassen sich die Kapazitätsverordnungen mit den Bologna-
Beschlüssen, insbesondere mit Blick auf die Regelungen hinsichtlich der
Begrenzung des Zugangs zu Masterstudiengängen, in Einklang bringen?

12. Welche Bestrebungen finden sich seitens der Länder, das Kapazitätsrecht zu
novellieren oder abzuschaffen?

13. Welche Vorstöße seitens der Länder hat es diesbezüglich gegeben?

14. Wie werden diese Vorstöße seitens der Bundesregierung bewertet?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorstoß des Niedersächsischen Wis-

senschaftsministers Lutz Stratmann, das Bundesverfassungsgericht die Ka-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6462

pazitätenfrage aufgrund der veränderten Bedingungen neu klären zu lassen
(DER TAGESSPIEGEL, 24. August 2007)?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Erfolgsaussichten einer neuerlichen
Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht?

Berlin, den 19. September 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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