BT-Drucksache 16/642

Bildungspolitische Auswirkungen der geplanten Kindergeldbefristung auf 25 Jahre

Vom 14. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/642
16. Wahlperiode 14. 02. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Kornelia Möller, Diana Golze, Jörn Wunderlich,
Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), Oskar Lafontaine,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion DIE LINKE.

Bildungspolitische Auswirkungen der geplanten Kindergeldbefristung
auf 25 Jahre

Die Bundesregierung beabsichtigt laut Presseberichten, den Bezug von Kinder-
geld auf das 25. Lebensjahr zu begrenzen. Bisher wird Kindergeld bis zum
vollendeten 27. Lebensjahr bezahlt (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteu-
ergesetz – EStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz – BKGG).

Bereits im November 2005 wurde im Deutschen Bundestag nach dem Stand der
Planungen gefragt (Bundestagsdrucksache 16/158, S. 18); hier verwies die Bun-
desregierung jedoch ohne weitere Angaben lediglich auf den laufenden Pla-
nungsprozess. Im „Nationalen Reformprogramm Deutschland“ (Bundestags-
drucksache 16/313) wurde keinerlei Aussage zu diesem Komplex getätigt.

Die geplante Regelung würde vor allem zu Lasten von Eltern mit studierenden
Kindern gehen, da ein Hochschulstudium in vielen Studiengängen realistischer
Weise bis zum vollendeten 25. Lebensjahr nicht abgeschlossen werden kann.
Die Eltern sind jedoch rechtlich gesehen bis zum Abschluss einer Erstausbil-
dung ihren studierenden Kindern gegenüber unterhaltspflichtig, gegebenenfalls
auch über das 25. Lebensjahr hinaus. Die Einführung von Studiengebühren in
mehreren Bundesländern wird die Familien vor weitere Schwierigkeiten stellen.

Der Erfolg im Bildungssystem ist schon heute stark von der sozialen und damit
ökonomischen Situation im Elternhaus abhängig. Das Kindergeld ist somit ein
wesentlicher beeinflussender Faktor in Bezug auf die Bildungsbeteiligung der
unterschiedlichen sozialen Schichten. Mit der geplanten Regelung würde für
viele Studentinnen und Studenten in der Abschlussphase ihres Studiums plötz-
lich die Unterstützung ihrer Eltern zur Sicherung ihres Lebensunterhalts in Fra-
ge gestellt werden. Dieses Problem würde sich gerade für Kinder aus bildungs-
fernen Schichten stellen. Somit droht diese Maßnahme, die soziale Selektivität
im Bildungssystem weiter zu verschärfen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. a) Wann soll ein Gesetzesentwurf zur Kindergeldbefristung vorgelegt wer-
den?

b) Welche konkreten Schritte wurden dazu bereits unternommen?

c) Warum hat die Bundesregierung die geplante Kürzung in ihrem „Nationa-
len Reformprogramm Deutschland“ (Bundestagsdrucksache 16/313)
nicht genannt?

Drucksache 16/642 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

d) Welchem Ministerium obliegt die Federführung für die Umsetzung eines
Gesetzentwurfs?

e) Bis wann soll die Kindergeldkürzung frühestens eingeführt werden?

f) Sind Übergangszeiten geplant?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

2. a) Wie viele Familien mit Kindern werden in welcher Höhe von der geplan-
ten Kürzung betroffen sein (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

b) Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die finanziellen Aus-
wirkungen für diese Familien bzw. Einzelpersonen zumindest teilweise zu
kompensieren?

3. a) Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen der geplanten Kin-
dergeldkürzung auf die soziale Selektivität des Bildungssystems?

b) Wie will die Bundesregierung ihr Ziel der Chancengleichheit, das sie unter
anderem in ihrem „Nationalen Reformprogramm Deutschland“ (Bundes-
tagsdrucksache 16/313, S. 6, Abschnitt C) genannt hat, trotz der zu be-
fürchtenden Verschärfung der sozialen Selektivität durch die Kindergeld-
kürzung erreichen?

4. a) Wie viele Familien mit Kindern bzw. Einzelpersonen werden durch die
geplante Kindergeldbefristung in welcher Höhe von dem Wegfall von
weiteren Unterstützungsleistungen, die an den Kindergeldanspruch ge-
koppelt sind (Bezug von Waisen- und Halbwaisenrente, Anspruch auf
Steuerklasse II bei Alleinerziehenden, Anspruch auf Kinderzulagen im
Besoldungsrecht und im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes, Anspruch
auf Beihilfe bei Beamtinnen und Beamten etc.), betroffen sein (bitte auf-
geschlüsselt nach den einzelnen Leistungen)?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen auf die Möglichkei-
ten zur Bildungsbeteiligung von Kindern aus Familien, die über diesen
Wegfall der an den Kindergeldanspruch gekoppelten Leistungen von der
geplanten Befristung besonders betroffen sind?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen für Alleinerzie-
hende – auch vor dem Hintergrund der Geschlechtergerechtigkeit –, da
Alleinerziehende zum größten Anteil Frauen sind?

d) Welche Kompensationsmaßnahmen sind bezüglich des Wegfalls dieser
weiteren an das Kindergeld gekoppelten Unterstützungs- und Transfer-
leistungen geplant, um negative Auswirkungen auf Chancengleichheit im
Bildungssystem und Geschlechtergerechtigkeit zu vermeiden?

5. a) Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen der geplanten Kür-
zung auf die Studierendenquote?

b) Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung einer negativen Aus-
wirkung auf die Studierendenquote entgegenwirken?

c) Wie bewertet die Bundesregierung Auswirkungen der zusätzlichen Belas-
tung durch den Wegfall des Kindergelds und der Einführung von Studien-
gebühren auf die Chancen von Menschen aus sozial schwächer gestellten
Familien, ein Studium aufzunehmen und erfolgreich abzuschließen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/642

6. a) Welche Erkenntnisse und/oder wissenschaftlich fundierte Prognosen über
die Auswirkungen der geplanten Kindergeldkürzung für die Bildungsbe-
teiligung von Menschen, die eher ungerade Bildungsbiographien aufwei-
sen, also etwa den zweiten Bildungsweg wählen, zunächst eine Ausbil-
dung machen oder aber auf Grund von Wartesemestern längere Zeit auf
den gewählten Studiengang warten müssen, liegen der Bundesregierung
vor?

b) Wie bewertet die Bundesregierung diese Auswirkungen?

c) Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um negativen Auswirkungen für
diese Gruppe entgegenzuwirken?

d) Wie will die Bundesregierung vor diesem Hintergrund ihr anvisiertes Ziel
der Öffnung der Hochschulen für Menschen des zweiten Bildungswegs
(vgl. Bundestagsdrucksache 16/313, S. 8, LL 24 ) realisieren?

7. a) Wie hoch ist die Anzahl von Studierenden aus Beamtenfamilien, die sich
im Vertrauen auf ihre Beihilfeberechtigung von der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Krankenversicherung haben befreien lassen und nun
mit der geplanten Kindergeldkürzung bereits ab dem 25. Lebensjahr den
vollen Beitrag zur privaten Krankenversicherung bezahlen müssen (bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die zu erwartende höhere finanzielle
Belastung dieser Gruppe?

c) Welche Kompensationsmaßnahmen und/oder Übergangsregelungen sind
geplant?

8. a) Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass die Finan-
zierung der Ausbildung weitgehend den Eltern überlassen ist, aber sich die
wenigsten Studiengänge und Ausbildungen vor dem 25. Lebensjahr ab-
schließen lassen, ihren verfassungsmäßigen Auftrag des besonderen
Schutzes von Familien?

b) Wie steht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu Überlegun-
gen, die Bildungsfinanzierung im tertiären Sektor komplett elternunab-
hängig zu gestalten?

Berlin, den 13. Februar 2006

Cornelia Hirsch
Kornelia Möller
Diana Golze
Jörn Wunderlich
Dr. Petra Sitte
Volker Schneider (Saarbrücken)
Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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