BT-Drucksache 16/6257

Stand der Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen

Vom 21. August 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6257
16. Wahlperiode 21. 08. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche,
Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Ulla Lötzer, Paul Schäfer (Köln),
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Stand der Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen

In seiner Broschüre „Europa – Starker Partner für nachhaltige globale Entwick-
lung. Entwicklungspolitische Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft“
erklärt das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (BMZ), ein „weitreichendes und attraktives Angebot der EU an die
AKP-Staaten“ sei entscheidend dafür gewesen, dass die Verhandlungen über die
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen „fristgerecht bis Ende 2007 abgeschlossen
werden“ könnten. Tatsächlich konnten die AKP-Staaten (Staaten Afrikas, der
Karibik und des Pazifik) der Europäischen Union Zugeständnisse bezüglich der
Festlegung von Übergangsfristen für besonders sensible Produkte und bei den
Ursprungsregeln abringen. Dennoch verstärkt sich in der Öffentlichkeit der
Eindruck, dass wenige Monate vor Ablauf der von der Europäischen Union
gesetzten Verhandlungsfrist die Widersprüche zwischen den Interessen der EU
einerseits und den Verhandlungspartnern in den unterschiedlichen Regional-
gruppen andererseits immer deutlicher zu Tage treten. Daraus nähren sich Zwei-
fel daran, ob überhaupt noch am Zeitplan der EU festgehalten werden sollte.

1. Die Verhandlungspartner aus den AKP-Staaten kritisieren den Druck, den die
EU-Kommission in den Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen (EPA) auf sie ausübt. Zuletzt wurde der Europäischen Union gar
Erpressung vorgeworfen. So kam es Ende Juli bei Gesprächen in Port Vila (Va-
nuatu) zum Streit zwischen der pazifischen Verhandlungsgruppe und der EU-
Kommission, weil die Kommission Auszahlungen aus dem 10. Europäischen
Entwicklungsfonds (EDF) an die Bedingung eines Abschlusses von Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen knüpfte. Nach Meldung der Presseagentur Pacnews
(Pacific Islands News Association) vom 1. August 2007 wurde die Rückhaltung
von 48 Prozent der im Regional Indicative Programme des EDF für die Pazifik-
region vorgesehenen Mittel angedroht, falls es zu keinem Abschluss käme, bzw.
von 26 Prozent, falls ein Abkommen sich lediglich auf den Güterverkehr be-
schränke und nicht weitere Bereiche wie den Schutz geistigen Eigentums, Inves-
titionsschutz und Wettbewerbsrecht einschlösse. Verhandlungsteilnehmer hatten
dies als Erpressungsversuch gewertet und sich dagegen verwahrt (vgl. auch

Meldung von AP, 3. August 2007).

2. In Nigeria forderten Unternehmensverbände und Kammern ihre Ein-
beziehung in Verhandlungen zwischen der EU und der westafrikanischen
Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und warnten mit Blick auf die negativen
Folgen für die lokale Industrie vor einer übereilten Unterzeichnung des Abkom-
mens. (Meldung von Vanguard Media, 2. August 2007) Auch in den Staaten der
zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEMAC) wächst die Skepsis.

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Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und Regierungsvertretern der
CEMAC-Staaten in Yaoundé (Kamerun) endeten im Juli ohne Ergebnis, nach-
dem die Kommission, offenbar unerwartet, auf große Vorbehalte ihrer Verhand-
lungspartner gestoßen war. Zivilgesellschaftliche Gruppen hatten zuvor auf ei-
ner internationalen Konferenz in Yaoundé auf die Risiken hingewiesen, die die
Abkommen für die lokalen Märkte mit sich brächten.

3. Seit Jahren wird um die entwicklungspolitische Kohärenz der Wirtschafts-
partnerschaftsabkommen gerungen. So setzten sich im Oktober 2006 der Han-
dels- und der Entwicklungsminister von Großbritannien in einem Offenen Brief
an den Rat, dafür ein, den Entwicklungsländern, „so viel Zeit zu geben, wie sie
für eine Marktöffnung brauchen“, und ihnen die Möglichkeit einzuräumen, „Im-
porte subventionierter Nahrungsmittel zu verbieten“. Sie sollten außerdem nicht
zu Verhandlungen über Investitionen, Wettbewerb und das öffentliche Beschaf-
fungswesen gezwungen werden (Meldung von Reuters, 16. Oktober 2006). Der
Ausschuss für die Europäische Union der französischen Nationalversammlung
kritisierte in einem Bericht (Drucksache 3251: Rapport d’Information sur la né-
gociation des accords de partenariat économique avec les pays d’Afrique, des
Caraïbes et du Pacifique; sog. Lefort-Bericht) die bisherige Verhandlungsfüh-
rung der EU-Kommission. Die Durchsetzung der EU-Forderungen würde die
Volkswirtschaften der AKP-Staaten einem „Schock“ aussetzen. Der Ausschuss
forderte deshalb, der EU-Kommission das Verhandlungsmandat zu entziehen,
und benannte Kriterien für ein neu zu definierendes Verhandlungsmandat. Dazu
gehöre die Rücksichtnahme auf regionale Integrationsbemühungen.

4. Die Forderung aus den AKP-Staaten, die Verhandlungsfrist zu verlängern,
hatte die Bundesregierung in der Zeit ihrer EU-Präsidentschaft unter Verweis
auf das Auslaufen der von der Welthandelsorganisation (WTO) gewährten Aus-
nahmeregelung für das bisherige Präferenzsystem kategorisch zurückgewiesen.
Zugleich weisen Kritiker der EU-Verhandlungsführung darauf hin, dass Arti-
kel 24 GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) , der grundlegend ist für
die EPA-Verhandlungen, sich lediglich auf den Handel mit Gütern bezieht. Die
von der EU angestrebten Liberalisierungen im Dienstleistungsbereich und im
öffentlichen Beschaffungswesen sowie Regelungen zum geistigen Eigentum,
die Harmonisierung des Wettbewerbsrechts und Investitionsschutz müssten
demnach nicht notwendigerweise Bestandteil der EPA-Verhandlungen sein, um
WTO-Kompatibilität zu erreichen. AKP-Regierungen brachten deshalb den
Vorschlag ein, bis Jahresende lediglich Abkommen abzuschließen, die sich auf
den Güterhandel beziehen („EPA-light“). Die EU ließ bislang keine Bereitschaft
zu einem solchen Vorgehen erkennen.

5. Auch bezüglich der Finanzierung der im Zusammenhang mit Handelslibe-
ralisierungen anfallenden Kompensations- und Anpassungsleistungen bestehen
offenbar unterschiedliche Vorstellungen: Die AKP-Regierungen und Nicht-
regierungsorganisationen sprechen sich dagegen aus, diese Leistungen aus dem
EDF zu finanzieren, und schlagen stattdessen eine zusätzliche EPA-Fazilität vor.
Die EU hat dies bislang zurückgewiesen.

6. Die Bedeutung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft wird vom Rat immer
wieder betont, zuletzt wieder in den Schlussfolgerungen vom 14./15. Mai 2007;
es gibt jedoch keine verbindlichen Mechanismen zur Einbeziehung der Zivil-
gesellschaft. Die Verhandlungen werden im Wesentlichen unter Ausschluss der
Öffentlichkeit geführt. Die Paritätische Parlamentarische Versammlung aus Ab-
geordneten des Europäischen Parlaments und der AKP-Staaten, die zuletzt am
23. bis 28. Juni 2007 in Wiesbaden zusammengetreten war, verfügt über keine
verbindlichen Einwirkungsmöglichkeiten. Zivilgesellschaft und Parlamentari-
erinnen und Parlamentarier fordern seit langem Transparenz in den Verhandlun-

gen und Möglichkeiten der Mitwirkung und Kontrolle.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6257

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung Kenntnis über den Verlauf der Gespräche zwischen
Vertretern der EU und der Pazifischen Staaten Ende Juli in Port Vila (Vanuatu),
und kann sie bestätigen, dass seitens der EU dort angedroht wurde, die vorge-
sehenen Auszahlungen aus dem EDF zu Teilen an die Bedingung des Ab-
schlusses von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu knüpfen, wie unter an-
derem der Handelsminister von Vanuatu kritisierte?

2. In welcher Weise wird die Bundesregierung gegebenenfalls gegen diese Form
der Verhandlungsführung seitens der EU-Kommission Einspruch erheben?

3. Wie steht die Bundesregierung grundsätzlich zur Verknüpfung der Auszahlung
von Teilen der im 10. Europäischen Entwicklungsfonds vorgesehenen Mittel
an die Unterzeichnung und konkrete Ausgestaltung von Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen?

4. Welches sind die Eckpunkte des von der Bundesregierung in der o. g. Bro-
schüre (Europa – Starker Partner für nachhaltige globale Entwicklung.
Entwicklungspolitische Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft) be-
haupteten „weitreichenden und attraktiven Angebots“ (bitte einzeln für jede
Regionalgruppe und mit Angaben zu konkreten Themen/Verhandlungsgegen-
ständen erläutern)?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung den gegenwärtigen Stand der Verhandlun-
gen der EU-Kommission mit den sechs Regionalgruppen (bitte einzeln für jede
Regionalgruppe und mit Angaben zu konkreten Themen/Verhandlungsgegen-
ständen erläutern)?

6. In welchen Verhandlungen steht die Finalisierung der Vertragsdokumente nach
Kenntnis der Bundesregierung kurz bevor oder wurde bereits vorgenommen?

7. Welches sind nach Ansicht der Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeit-
punkt die schwierigsten Verhandlungsfelder (bitte für jede Regionalgruppe
einzeln erläutern)?

8. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung nach einer Neufassung des Ar-
tikels 24 GATT in dem Sinne, dass auch asymmetrische Beziehungen in Han-
delsabkommen grundsätzlich erlaubt und vor der WTO (World Trade Organi-
sation) abgesichert werden (bitte mit Begründung)?

9. Rechnet die Bundesregierung mit dem Abschluss von Partnerschaftsabkom-
men mit allen sechs Regionalgruppen bis zum Ende des Jahres?

10. Zu welchem Zeitpunkt und für welche Regionalgruppe(n) rechnet die Bundes-
regierung mit der Unterzeichnung erster Partnerschaftsabkommen?

11. Welche Vorstellung hat die Bundesregierung von einer möglichen Regelung
für den Fall, dass mit einer oder mehreren Regionalgruppe(n) bis zum Jahres-
ende kein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abgeschlossen werden kann?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnis von diesbezüglichen Überlegungen in der
EU-Kommission, und welchen Inhalts sind entsprechende Überlegungen?

Welche Absprachen gibt es dazu innerhalb des Rats?

13. Sieht die Bundesregierung für den Fall, dass mit einer oder mehreren Regio-
nalgruppe(n) bis zum Jahresende kein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
abgeschlossen werden kann, in der einseitigen Verlängerung des Präferenzsys-
tems aus dem Lomé-Abkommen eine taugliche Übergangslösung, und würde
sie eine solche Lösung im Rahmen eines Interimsregimes auch ohne Zustim-
mung der WTO befürworten?
14. Wie schätzt die Bundesregierung die Wahrscheinlichkeit ein, dass ein solches
Vorgehen die Zustimmung der zuständigen Gremien auf EU-Ebene fände?

Drucksache 16/6257 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit des Abschlusses von Part-
nerschaftsabkommen, die sich lediglich auf den Handel mit Gütern beziehen,
und späterer Verhandlungen auf den übrigen von der EU anvisierten Feldern
(bitte mit Begründung)?

16. Plant die Bundesregierung, sich innerhalb der EU für diese Variante in einzel-
nen Fällen einzusetzen (falls ja, bitte die betreffende Regionalgruppe nennen),
falls sonst die Gefahr bestünde, dass kein Abkommen unterzeichnet wird?

17. Sind solche Abkommen („EPA-light“) nach Kenntnis der Bundesregierung in
Vorbereitung?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung, mit den Handelsliberalisie-
rungen verbundene Anpassungs- und Kompensationskosten aus einer zusätz-
lich zum EDF einzurichtenden EPA-Fazilität zu finanzieren und dafür nicht
den EDF heranzuziehen?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Vorbemerkung angeführte Kritik
des EU-Ausschusses der französischen Nationalversammlung und die Stel-
lungnahme der britischen Minister vom Oktober 2006?

20. An welchen konkreten Punkten haben kritische Anregungen – beispielsweise
aus der erwähnten Resolution der französischen Nationalversammlung oder
dem Offenen Brief der britischen Minister, aber auch von Regierungen und der
Zivilgesellschaft der Partnerstaaten und von Nichtregierungsorganisationen –
Eingang in eine veränderte Verhandlungsstrategie der EU gefunden (bitte kon-
krete Punkte nennen, an denen die EU-Verhandlungsziele angepasst wurden)?

21. Zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise plant die Bundesregierung, den
Deutschen Bundestag vollumfänglich über den Verhandlungsstand und die
Zielsetzungen zu informieren?

22. In welcher Weise wird die Bundesregierung eine Beteiligung der Zivilgesell-
schaft an den abschließenden Verhandlungsprozessen organisieren?

23. In welcher Form könnte nach Meinung der Bundesregierung die Zivilgesell-
schaft in das Monitoring bei der Umsetzung der Wirtschaftspartnerschafts-
abkommen einbezogen werden?

24. In welcher Weise will die Bundesregierung auf die während der Paritätischen
Parlamentarischen Versammlung am 23. bis 28. Juni 2007 von Parlamentariern
aus den AKP-Staaten vorgebrachte Beschwerde darüber reagieren, dass sie
sich nicht ausreichend über den Verhandlungsverlauf informiert sehen?

25. Wie erklärt die Bundesregierung, dass die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
als zentrales Projekt in der Afrika-Politik der Europäischen Union nicht explizit
auf der Tagesordnung des G8-Gipfels in Heiligendamm standen, obwohl dort
ein Schwerpunkt der Debatten auf der Partnerschaft mit und entwicklungs-
politischen Initiativen für Afrika lag, obwohl Deutschland zum Zeitpunkt des
Gipfels die Präsidentschaft sowohl der G8 als auch der EU innehatte?

26. Wurden die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen im Zusammenhang mit den
Tagesordnungspunkten „Wachstum und Verantwortung in der Weltwirtschaft“,
„Neue Impulse für die Doha-Entwicklungsrunde“ oder „entwicklungspoliti-
sche Initiativen für Afrika“ diskutiert, welche handels- und wirtschaftspoliti-
schen Aspekte wurden dabei konkret diskutiert, und zu welchen Übereinstim-
mungen gelangten die Teilnehmer?

Berlin, den 20. August 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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