BT-Drucksache 16/5680

Keine Online-Durchsuchung

Vom 14. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5680
16. Wahlperiode 14. 06. 2007

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau, Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic
und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Online-Durchsuchung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Online-Durchsuchung, also das heimliche Durchsuchen von Computern
mittels eines Trojaners oder eines ähnlichen Programms oder Verfahrens, ist
ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen, für den es
keine Rechtsgrundlage gibt.

2. Der Bundestag missbilligt, dass die bislang angeordneten Online-Durch-
suchungen ohne Rechtsgrundlage erfolgten.

3. Der Bundestag missbilligt, dass das Bundesministerium des Innern Geheim-
diensten per Dienstanweisung die Möglichkeit eröffnet hat, Online-Durch-
suchungen durchzuführen, obwohl dies in einer Antwort auf eine Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/3973) wahr-
heitswidrig verneint wurde und ohne dass eine Rechtsgrundlage gegeben
war.

4. Der Deutsche Bundestag missbilligt, dass das Bundesministerium des Innern
allen juristischen Bedenken zum Trotz im „Programm zur Stärkung der In-
neren Sicherheit“ (PSIS) Mittel in Höhe von 273 000 Euro und darüber hin-
aus im laufenden Haushalt Mittel in Höhe von 152 000 Euro an Sach- und
Investitionskosten für die Online-Durchsuchung bereitgestellt hat, ohne zu-
vor die rechtlichen Voraussetzungen für dieses Instrument hinreichend zu
klären und eine ausreichende Debatte zu Nutzen und Notwendigkeit im
Bundestag zu führen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Arbeiten und Projekte zur Entwicklung, Planung und Durchführung der
Online-Durchsuchung einzustellen,

2. die im PSIS und im laufenden Haushalt des Bundesministeriums des Innern
eingestellten Mittel für die Online-Durchsuchung in Höhe von insgesamt
425 000 Euro statt für dieses rechtswidrige Instrument für die Förderung

unabhängiger Organisationen wie dem Chaos-Computer-Club, der Deutschen
Vereinigung für Datenschutz, der Humanistischen Union und dem FoeBuD
einzusetzen, die sich dem Schutz der Grund- und Bürgerrechte und dem
Datenschutz widmen,

Drucksache 16/5680 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. darauf zu verzichten, in der Strafprozessordnung (StPO) oder anderen Ge-
setzen eine Rechtsgrundlage für Polizei, Verfassungsschutz und Nachrich-
tendienste zur Anwendung der Online-Durchsuchung zu schaffen.

Berlin, den 14. Juni 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

1. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 31. Januar 2007 ein-
deutig festgestellt, dass die „verdeckte Online-Durchsuchung mangels einer
Rechtsgrundlage unzulässig“ ist (Az.: StB 18/06). Insbesondere käme der
§ 102 StPO nicht als Rechtsgrundlage in Frage. Selbst dem juristischen
Laien müssen Zweifel kommen, dass § 102 StPO eine geeignete Rechts-
grundlage für die Online-Durchsuchung sei, da nach dieser Regelung die
Hausdurchsuchung eine offene Maßnahme ist, die auch die Inanspruch-
nahme von Rechtsschutz ermöglicht, wohingegen die Online-Durchsuchung
vom Charakter her und nach dem erklärten Willen ihrer Befürworter eine
verdeckte Maßnahme ist. Der Betroffene bemerkt die Maßnahme nicht und
hat somit auch nicht die Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen. Das lange
Zeit stoische Beharren der Bundesregierung auf der Auffassung, die Online-
Durchsuchung habe eine tragfähige Rechtsgrundlage, erscheint angesichts
der klaren Argumentation des Bundesgerichtshofs als zumindest fahrlässig.

In der Haushaltsdebatte, vor allem in Zusammenhang mit dem „Programm
zur Stärkung der Inneren Sicherheit“ wurde als Begründung für die Bereit-
stellung der entsprechenden Mittel vorgebracht, es habe eine Bitte des Gene-
ralbundesanwalts an das Bundeskriminalamt vorgelegen, die „technischen
Voraussetzungen“ für ein „Instrument des heimlichen Abziehens von Daten
auf fremden Computern mittels spezieller Software“ zu schaffen. Die Erfül-
lung dieser Bitte, die eilfertige Einstellung von Mitteln zu diesem Zweck in
einer Art Nebenhaushalt, den das „Programm zur Stärkung der Inneren
Sicherheit“ zu diesem Zeitpunkt immer noch darstellte, war schon damals
sehr bedenklich. Aus heutiger Sicht ist es nicht mehr zu rechtfertigen, dass
Mittel bereitgestellt und ausgegeben werden für Maßnahmen, deren feh-
lende Rechtsgrundlage nicht einmal mehr von ihren Befürwortern bestritten
werden kann.

2. Auf die Online-Durchsuchung ist zu verzichten, weil sie nicht verhältnis-
mäßig ist. Bei der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der Bürgerinnen
und Bürger müsste die Verhältnismäßigkeit durch einen übergroßen Nutzen
der Maßnahme hergestellt werden. Tatsächlich schreibt die Bundesregierung
in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 16/3787:
„Im Zuge von Online-Durchsuchungen können regelmäßig dieselben Er-
kenntnisse gewonnen werden, wie durch ‚offene‘ Durchsuchungen und die
Auswertung sichergestellter Computerdateien.“ Da es die herausragende
Aufgabe des Staates ist, die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger zu schüt-
zen, müssen staatliche Zwangsmaßnahmen, die einen Eingriff in eben jene
Rechte der Bürgerinnen und Bürger darstellen, möglichst zurückhaltend an-
gewandt werden. Dazu gehört es auch, Maßnahmen mit der jeweils gerings-
ten Eingriffsintensität anzuwenden. Da die Online-Durchsuchung im Ver-
gleich zu einer normalen Hausdurchsuchung der schwerwiegendere Eingriff

in die Grundrechte des Betroffenen ist, kommt die Online-Durchsuchung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5680

nicht in Betracht, zumal, wenn mit ihr keine anderen Erkenntnisse gewon-
nen werden können als mit einer „normalen“ Durchsuchung. Die von der
Bundesregierung angeführten ermittlungstaktischen Erwägungen reichen
nicht aus, um weitgehende Eingriffe in die Grundrechte zu rechtfertigen.

3. Vor dem Hintergrund der Unvereinbarkeit mit den Grundrechten, der man-
gelnden Verhältnismäßigkeit, Nützlichkeit und Rechtmäßigkeit ist eine Ent-
wicklung technischer Verfahren zur Online-Durchsuchung ebenso wenig
nötig wie die Schaffung einer speziellen Rechtsgrundlage. Bereits eingeplante
Mittel sind daher einem sinnvollen Zweck zuzuführen.

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