BT-Drucksache 16/5504

Tierheilpraktiker - Ein Gewerbe ohne bundesrechtliche Vorschriften

Vom 25. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5504
16. Wahlperiode 25. 05. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch
und der Fraktion DIE LINKE.

Tierheilpraktiker – Ein Gewerbe ohne bundesrechtliche Vorschriften

Der Beruf Tierheilpraktiker unterliegt – nach der Antwort der Bundesregierung
vom 31. Oktober 1995 auf eine Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 13/
2824) – „keinen bundesrechtlichen Vorschriften“. Weder gibt es eine gesetz-
liche Regelung noch eine Erlaubnis, die zum Führen der Berufsbezeichnung
Tierheilpraktiker berechtigt. In der Bundesrepublik wird dieser Beruf indirekt
durch arzneimittelrechtliche, tierseuchenrechtliche, tierschutzrechtliche und be-
täubungsmittelrechtliche Vorschriften geregelt. Dadurch stehen weder die Un-
terrichtsstätten noch die Unterrichtsinhalte oder die Praxen, wie dies bei Tier-
ärzten und Tierarzthelfern der Fall ist, unter Aufsicht des Bundes bzw. der
Länder. Zum Zeitpunkt der Kleinen Anfrage lagen der Bundesregierung keine
Informationen über die Anzahl der in Deutschland ausgebildeten und praktizie-
renden Tierheilpraktiker vor. Dennoch kann, so die Antwort der Bundesregie-
rung, die Einhaltung der spezialrechtlichen Vorschriften im Zusammenhang mit
der Ausübung des Tierheilpraktikerberufes von den Länderbehörden überwacht
werden.

In seinem Buch „Vorsicht Tierheilpraktiker – ‚Alternativveterinäre‘ Diagnose-
und Behandlungsverfahren“ (ISBN 3-86569-004-1, Alibri Verlag 2006) stellt
Colin Goldner fest, dass sich der Tierheilpraktikerberuf als nicht zu den Heil-
berufen oder Heilhilfs- oder Heilnebenberufen gehörig in einem „juristischen
Freiraum“ befindet. Wenngleich die Verbandsorganisationen darauf verweisen,
dass es diesen „Beruf“ schon seit 1905 gäbe (weshalb vom traditionellen
Bestand dieses Gewerbes gesprochen werden könne) widerspricht dem der
Verfasser, weil dafür keine Literatur- oder andere Quellen zu finden seien. Die
meisten Tierheilpraktikerschulen verleihen schulinterne Abschlüsse wie
„Diplome“, „Urkunden“ und „Zertifikate“. „Die Verwendung dieser (gesetzlich
nicht geschützten) Begriffe“, so die Kritik, „dient vor allem der Absicht,
Seriosität und abgesicherte Lehrinhalte zu suggerieren“, obwohl „den Erfor-
dernissen einer seriösen tiermedizinischen Tätigkeit“ in keiner Weise Genüge
getan werde.

Tierheilpraktiker haben nach geltender Rechtsauffassung keinerlei veterinär-
medizinische Befugnis. Sie dürfen, so Goldner, nur „im Rahmen der für jeder-
mann geltenden Tierschutzgesetze praktizieren“. Weder dürfen sie chirurgi-
sche, orthopädische, röntgenologische oder sonstige klinische Maßnahmen
ergreifen noch Medikamente verschreiben oder verabreichen. Dies bedeutet
auch eine entsprechende Einschränkung bei der Diagnostik, zum Beispiel bei
invasiven Verfahren wie die Blutentnahme oder bei sämtlichen bildgebenden
Verfahren. Durch den fehlenden Sach- und Fachkundenachweis besteht darüber
hinaus die Gefahr, dass geltender Tierschutz durch nicht erkannte Leiden eines

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Tieres und/oder falsche, verzögerte oder gar verhinderte Therapien zu weiteren
Leiden der betroffenen Tiere führen können.

Nach europäischem Recht dürfen keine ärztlichen Tätigkeiten von nicht appro-
bierten Personen durchgeführt werden. Dazu hat der Europäische Gerichtshof
(EuGH) im Jahre 2002 ein entsprechendes Urteil gesprochen (Rechtssache
C-294/00). Eine sinnentsprechende Regelung für den Tierheilpraktiker fehlt.
Anders als für die Ausbildung zum/zur Tierarzt/Tierärztin oder zum/zur Tier-
arzthelfer/in, gibt es keine bundeseinheitliche Ausbildungsregelung für den
Tierheilpraktikerberuf.

Obwohl sich nach Goldner Tierheilpraktiker gern auf das Heilpraktikergesetz
von 1939 berufen, müssen sie nicht, wie dies bei Humanheilpraktikern der Fall
ist, sittliche Zuverlässigkeit, gesundheitliche Eignung und mindestens einen
Hauptschulabschluss nachweisen, um sich als Tierheilpraktiker zu bezeichnen.
Eine ausschließliche Regelung der Tätigkeitsausübung des Tierheilpraktikers
wird durch die Kurierfreiheit erschwert, wenngleich verschiedene Gesetze die
Tätigkeit einschränken sollen.

Die Landestierärztekammer Sachsen weist auf Ihrer Homepage darauf hin, dass
die Berufsbezeichnung „Tierheilpraktiker“ bei vielen Tierhaltern für Verwirrung
sorgt, weil nicht klar ist, welche Ausbildung und Leistungen von einem Tierheil-
praktiker erwartet werden können und wo die Unterschiede zum Tierarzt liegen.
Die Ursachen dafür sind „unangemessene und wettbewerbsrechtlich bedenk-
liche Anpreisung des eigenen Leistungsspektrums“ und das Wecken falscher
Erwartungen beim Tierhalter. Intransparente Arbeitsweisen sollen helfen, neue
Kundenkreise zu erschließen. Dabei sollen sich Tierheilpraktiker die Tatsache
zu Nutze machen, dass Laien nur schwer zwischen dem Beruf des Tierarztes
und dem des Tierheilpraktikers differenzieren können (http://www.tieraerzte-
sachsen.de/tierarzt/warumnichtzumtierheilpraktiker.html). In Österreich ist laut
dem Tierärztegesetz die Ausübung des Berufs als Tierheilpraktiker verboten.

Eine vom Bundesverband für Tierheilpraktiker angestoßene Initiative, wonach
für Tierheilpraktiker eine bundeseinheitliche Regelung angestrebt wird, würde
nicht nur einen Eingriff in die Kurierfreiheit bedeuten, sondern den nicht
anerkannten Beruf des Tierheilpraktikers implizit auch anerkennen.

Eine genaue Statistik über die Zahl der praktizierenden/niedergelassenen Tier-
heilpraktiker und über die Zahl der Tierheilpraktikerschulen ist nicht bekannt.
Einzig eine Schätzung aus dem Jahre 2002/2003 der Arbeitsgruppe Ausbil-
dungs- und Berufsangelegenheiten ging von etwa 900 als Tierheilpraktiker täti-
gen Personen aus. Weder wurden bei dieser Zählung alle Bundesländer noch
die nicht den Behörden bekannten Tierheilpraktiker berücksichtigt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist es im Sinne der Berufsfreiheit laut Artikel 12 des Grundgesetzes, wenn
Berufe ohne gesetzliche Legitimation erlernt und ausgeübt werden und le-
diglich eine indirekte Regelung durch nicht speziell den Beruf betreffende
Rechtsvorschriften die Berufsausübung regeln bzw. einschränken?

2. Liegen der Bundesregierung Informationen bzw. verlässliche Quellen darü-
ber vor, seit wann es den Beruf des Tierheilpraktikers in Deutschland gibt?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

3. Liegen der Bundesregierung Statistiken über die Anzahl der praktizieren-
den/niedergelassenen Tierheilpraktiker und der Tierheilpraktikerschulen in
Deutschland vor?

Wenn ja, wie viele gibt es?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5504

Wenn nein, warum nicht, und wie können die zuständigen Länderbehörden
die Einhaltung der spezialrechtlichen Vorschriften im Zusammenhang mit
der Ausbildung zum Tierheilpraktiker und der Ausübung dieser Tätigkeit
überwachen, wenn keine entsprechend personifizierten Daten, die Kontrol-
len und Stichproben ermöglichen, vorliegen?

4. Sieht die Bundesregierung für den Beruf des Tierheilpraktikers den
Tatbestand erfüllt, dass – nach Aussagen des Berufsverbandes der Tier-
heilpraktiker – aufgrund des Bestehens der Tätigkeitsbezeichnung „Tier-
heilpraktiker“ seit 1905 Bestandsschutz für diesen Beruf besteht?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Autors Colin Goldner, dass
die Tätigkeit des Tierheilpraktikers tierschutzrelevant ist bzw. sein könnte?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

6. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, wie häufig im
Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs des Tierheilpraktikers Ver-
stöße gegen den Tierschutz und gegen das Wettbewerbsrecht vorkamen?

Wenn ja, wie viele Verstöße gab es, und welcher Art waren sie?

Wenn nein, warum nicht?

7. Hält es die Bundesregierung für notwendig und angemessen, sowohl die
Ausbildung als auch den Beruf des Tierheilpraktikers unter fachliche Auf-
sicht des Bundes oder der Länder zu stellen, eine einheitliche Ausbildungs-
ordnung zu schaffen, die Voraussetzungen für die Ausbildung zum Tier-
heilpraktiker festzulegen und klar zu regeln, wie sich das Berufsbild des
Tierheilpraktikers von dem des Tierarztes abgrenzt?

8. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, Maßnahmen gegen das für viele
Tierbesitzer häufig intransparent wirkende Angebots- und Tätigkeitsspekt-
rum von Tierheilpraktikern vorzugehen?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

9. Wie bewertet die Bundesregierung das Verbot der Ausübung des „Berufs“
des Tierheilpraktikers in Österreich hinsichtlich eines solchen Tätigkeits-
verbotes in Deutschland?

10. Wie bewertet die Bundesregierung – auch hinsichtlich der Harmonisierung
der Berufsausübung in den Ländern der EU – die Tatsache, dass in
Deutschland ausgebildete Tierheilpraktiker aufgrund des Berufsverbots in
Österreich diesen Beruf dort nicht ausüben dürfen?

11. Hält die Bundesregierung den Zustand für befriedigend, dass aufgrund der
Nichtzulässigkeit des Tierheilpraktikerberufes eine entsprechende Aus-
bildung weder notwendig ist noch kontrolliert werden muss?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

12. Wie grenzt die Bundesregierung den „Beruf“ des Tierheilpraktikers von
dem des Tierarztes auch hinsichtlich der Möglichkeit ab, bestimmte Ein-
griffe am Tier vorzunehmen?

Drucksache 16/5504 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
13. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, ein Verbot der Tätigkeitsaus-
übung als Tierheilpraktiker, zum Beispiel über eine entsprechende Rege-
lung im Tierschutzgesetz, zu erwirken?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 23. Mai 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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