BT-Drucksache 16/5415

Bildungsberichterstattung fortführen und weiterentwickeln

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5415
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, Katherina
Reiche (Potsdam), Dorothee Bär, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Eberhard
Gienger, Monika Grütters, Anette Hübinger, Hartmut Koschyk, Johann-Henrich
Krummacher, Carsten Müller (Braunschweig), Dr. Norbert Röttgen, Uwe
Schummer, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Nicolette
Kressl, Willi Brase, Ulla Burchardt, Dieter Grasedieck, Klaus Hagemann,
Lothar Mark, Gesine Multhaupt, Thomas Oppermann, René Röspel, Renate
Schmidt (Nürnberg), Heinz Schmitt (Landau), Olaf Scholz, Swen Schulz
(Spandau), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Bildungsberichterstattung fortführen und weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Erstellung des ersten gemeinsamen Bildungsberichtes im Auftrag des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung der Bundesrepublik Deutsch-
land (BMBF) und der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der
Bundesrepublik Deutschland (KMK) geht zurück auf eine Initiative aus dem
Parlament im Jahr 2002. Diese wurde von der Bundesregierung und den
Ländern positiv aufgenommen und zwischen Bund und Ländern partnerschaft-
lich zu einem gemeinsamen Konzept der Bildungsberichterstattung weiterent-
wickelt.

Der regelmäßig herausgegebene gemeinsame Bildungsbericht sollte nach einer
Vereinbarung des BMBF und der KMK vom März 2004 so angelegt sein, dass

– alle bildungsbiographischen Etappen vom Elementarbereich bis zur Erwach-
senenbildung entsprechend der Bedeutung von Bildung im Lebenslauf als
lebensbegleitendes Lernen erfasst und dabei insbesondere auch die Über-
gänge und Schnittstellen zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen so-
wie ihre wechselseitigen Abhängigkeiten und Einflüsse in den Blick genom-
men werden,

– er auf einen Kernbestand aussagekräftiger Indikatoren zu zentralen Be-
reichen des Bildungssystems aus institutioneller und individueller Perspek-

tive aufgebaut wird, der sowohl die zentralen Kontext-, Prozess- und Wir-
kungsdimensionen des Bildungssystems und formaler Bildungsprozesse als
auch non-formale und informelle Bildungsprozesse erfasst und analysiert,

– internationale Entwicklungen der Bildungsberichterstattung sowie die ver-
fassungsrechtlichen Zuständigkeiten berücksichtigt werden.

Drucksache 16/5415 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der neue Artikel 91b Abs. 2 des Grundgesetzes hat die Feststellung der Leis-
tungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich zu einer neuen
Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern gemacht.

Das Konzept der nationalen Bildungsberichterstattung sieht vor, dass sich der
Bildungsbericht vorrangig auf ein Indikatorenmodell zur längerfristigen Be-
obachtung der Bildungsentwicklung in Deutschland im Sinne eines Lebens-
langen Lernens gründet. Er soll jeweils einen Schwerpunkt setzen, der eine
übergreifende Problemlage oder ein besonderes Bildungsgebiet differenziert
analysiert und in der Darstellung herausarbeitet. BMBF und KMK haben sich
als Auftraggeber des nationalen Bildungsberichtes darauf verständigt, den Be-
richt im Rhythmus von zwei Jahren mit jeweils unterschiedlichen Schwer-
punktthemen vorzulegen. Der Bildungsbericht wendet sich auch an die inte-
ressierte Öffentlichkeit und ist im Aufbau wie in der Darstellung der Rezeption
einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

Der erste gemeinsam von Bund und Ländern herausgegebene Bericht zur
„Bildung in Deutschland“ mit dem Schwerpunkt Migration wurde im Juni 2006
der Öffentlichkeit vorgestellt. Er wurde erarbeitet von einem unabhängigen
interdisziplinären Konsortium unter der Leitung des Deutschen Instituts für
Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Beteiligt waren das Deutsche
Jugendinstitut (DJI), die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS), das
Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) sowie
das Statistische Bundesamt und die statistischen Ämter der Länder.

Der vorliegende Bildungsbericht markiert einen hervorragenden Einstieg in
eine kontinuierlich stattfindende nationale Bildungsberichterstattung. Er liefert
einen umfassenden Überblick und präzise Daten zur Situation des Bildungs-
wesens in Deutschland, zu dessen Leistungsfähigkeit im nationalen Vergleich
zwischen den Bundesländern und im internationalen Vergleich sowie zu wichti-
gen Zukunftsentwicklungen in allen Bereichen des Bildungswesens. Der
Bericht führt die bisher in getrennten Berichten und Studien veröffentlichten
Daten über alle Bildungsbereiche hinweg zusammen. Dadurch entsteht ein
Überblick von „Bildung im Lebenslauf“, der bei der frühkindlichen Bildung,
Betreuung und Erziehung in Tageseinrichtungen für Kinder beginnt und über
die allgemein bildende Schule, die berufliche Ausbildung und die Hochschule
bis hin zur Weiterbildung im Erwachsenenalter einschließlich des informellen
Lernens reicht.

Dabei werden übergreifende Entwicklungslinien sichtbar. So haben die Bil-
dungsbeteiligung und der Bildungsstand der Bevölkerung in den letzten Jahr-
zehnten kontinuierlich zugenommen. Über alle Bildungsbereiche hinweg wird
eine starke Koppelung zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft sichtbar
– beginnend mit einem späteren und selteneren Besuch des Kindergartens bis
hin zu einem deutlich erhöhten Risiko, aufgrund mangelnder beruflicher Quali-
fikation erwerbslos zu sein.

Das Schwerpunktthema „Migration“ zeigt, dass dieser Zusammenhang be-
sonders bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund deutlich wird. Der
Bericht verwendet hier Daten, bei deren Erfassung erstmals von einem an
der Staatsangehörigkeit orientierten „Ausländerkonzept“ auf ein „Migrations-
konzept“ umgestellt wurde. Dies ermöglicht eine bessere Beurteilung der mit
der Zuwanderung verbundenen Aufgaben für die Bildungspolitik.

Zur vertieften Auseinandersetzung mit Zielsetzung, Methodik und Ergebnissen
des ersten nationalen Bildungsberichtes, aber auch zur Einordnung der be-
sonderen Qualität des vorgelegten Berichtes im Verhältnis zu anderen schon
traditionellen Berichten wurde eine parlamentarische Anhörung als sinnvoll
angesehen. Denn neben dem ersten gemeinsamen Bildungsbericht gibt es auf

nationaler Ebene eine Vielzahl von Spezialberichten wie den Berufsbildungs-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5415

bericht, den Jugendbericht oder den Bildungsfinanzbericht, aber auch zahl-
reiche kontinuierliche Berichterstattungen zu Bildungsfragen durch die jeweili-
gen Länder. Auf internationaler Ebene legen diverse Berichtsinstrumente von
EU, OECD wie UNESCO umfangreiche Datensammlungen, profunde Analy-
sen und langfristige Vergleichsbetrachtungen vor.

Durchgeführt wurde die Anhörung durch den Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zu Beginn des Jahres 2007 zum Thema
„Bildungsberichterstattung in Deutschland – Konzeption, Methodik, Weiter-
entwicklung“. Im Focus standen in erster Linie der nationale Bildungsbericht
„Bildung in Deutschland“, der Bericht „Bildung auf einen Blick – OECD-Indi-
katoren 2006“ und „Internationale Bildungsindikatoren im Ländervergleich –
Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2006“.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

– dass mit der Bildungsberichterstattung in der vorgelegten Form ein neues
Instrument geschaffen wurde, mit dem Bund und Länder ihre jeweiligen
bildungspolitischen Entscheidungen wie ihr Zusammenwirken auf einer
deutlich verbesserten Datengrundlage planen können und die Wirkung ihrer
Maßnahmen verfolgen können;

– dass sich namhafte unabhängige Experten aus allen Bereichen der Bildungs-
wissenschaft in einem längeren gemeinsamen Prozess vom Oktober 2004
bis zum April 2006 auf Konzeption, Methodik und Darstellungsformen der
Bildungsberichterstattung verständigten und im Juni 2006 den ersten indika-
torengestützten Bericht „Bildung in Deutschland“ vorlegten;

– dass die Struktur und die Anlage des nationalen Bildungsberichtes an der
Gliederung des deutschen Bildungssystems orientiert sind, ohne die inter-
nationale Anschlussfähigkeit zu verlieren, indem das Konzept des Lebens-
langen Lernens Leitgedanke des vorgelegten Berichtes ist;

– dass die nationale Bildungsberichterstattung sich damit in das umfassende
Monitoring-System einfügt, zu dem sehr intensiv rezipierte internationale
Leistungsvergleichsuntersuchungen wie z. B. die PISA-Studie seitens der
OECD, aber auch andere nationale und internationale Beiträge der Bildungs-
forschung gehören, und dass sie sich grundsätzlich an einer Weiterent-
wicklung des Bildungswesens über eine stärkere Output-orientierte Steue-
rung orientiert;

– dass die Bundesregierung und die Länder dem Thema Bildungsberichterstat-
tung, auch in Zukunft, einen hohen Stellenwert beimessen und zu einer
Weiterentwicklung und Verbesserung der Bildungsberichterstattung mit
einem Ausbau der Bildungsforschung beitragen;

– dass der Bericht „Bildung in Deutschland“ und die darauf basierenden
gemeinsamen Schlussfolgerungen des BMBF und der KMK als gutes Bei-
spiel für eine fruchtbare Zusammenarbeit von Bund und Ländern stehen und
für einen konstruktiven funktionierenden Föderalismus gelten können.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zusammen mit den Ländern eine Bildungsberichterstattung als Instrument
für eine neue Grundlage der bildungspolitischen Steuerung fortzuführen und
in der Konzeption, Methodik etc. weiter auszugestalten. Dazu gehört bei-
spielhaft auch die Weiterentwicklung von empiriegestützten Indikatoren in
Bereichen, die dieser Betrachtung bisher noch nicht sehr intensiv zugänglich
waren, wie dem informellen Lernen oder der Weiterbildung. Über be-

stimmte ausgewählte Indikatoren im nationalen Bildungsbericht sollte auch
weiterhin im internationalen Vergleich berichtet werden;

Drucksache 16/5415 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
2. die Bildungsberichterstattung auch weiterhin durch ein unabhängiges Gre-
mium von Wissenschaftlern aus allen Bereichen der Bildungsforschung vor-
nehmen zu lassen. Neben der analytischen und vergleichenden Betrachtung
von mittel- und langfristigen Bildungsprozessen sollte dabei eine problem-
orientierte Darstellung, die auf Defizite und Schwachstellen hinweist, er-
folgen;

3. sich im Dialog mit den Ländern dafür einzusetzen, das Instrument der ge-
meinsamen Empfehlungen nach Artikel 91b Abs. 2 des Grundgesetzes auf
der Grundlage der Ergebnisse der Bildungsberichterstattung weiterzuent-
wickeln. Dieses Instrument ist – auch unter Hinzuziehung des eingesetzten
wissenschaftlichen Beirates – verstärkt zu nutzen, um gemeinsame Ziele
von Bund und Ländern für die Weiterentwicklung des Bildungswesens zu
vereinbaren und durch koordinierte Maßnahmen in den jeweiligen Zustän-
digkeitsbereichen umzusetzen;

4. gemeinsam mit den Ländern die Prozesse der Qualitätsentwicklung und
-sicherung auf allen Ebenen, von der einzelnen Bildungseinrichtung bis zum
gesamten Bildungssystem im jeweiligen Zuständigkeitsbereich von Bund
und Ländern systematisch zu entwickeln und konsequent umzusetzen;

5. die Weiterentwicklung des Bildungswesens künftig noch stärker auf Ergeb-
nisse der Bildungsforschung zu stützen. Eine zentrale Forderung ist hier, ins-
besondere die empirische Bildungsforschung in Deutschland strukturell und
inhaltlich zu stärken. Dazu wie auch zur mittel- bis langfristigen Verbesse-
rung der Datenbasis für den nationalen Bildungsbericht kann die Etablierung
eines wissenschaftsgetragenen nationalen Bildungspanels einen wesent-
lichen Beitrag leisten;

6. dem Deutschen Bundestag künftig alle zwei Jahre einen nationalen Bildungs-
bericht vorzulegen.

Berlin, den 23. Mai 2007

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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