BT-Drucksache 16/5254

Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts abwenden - Bestehende europäische Förderstrukturen stärken und weiterentwickeln

Vom 9. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5254
16. Wahlperiode 09. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn) und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts abwenden – Bestehende
europäische Förderstrukturen stärken und weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Jahr 2005 hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erstmalig die
Errichtung eines Europäischen Technologieinstituts (ETI) vorgeschlagen. Die
vorhandene europäische Forschungsexzellenz müsse im ETI – nach dem Vorbild
des berühmten Massachusetts Institute of Technology – gebündelt werden. Das
ETI solle zum Flaggschiff der europäischen Technologieforschung und damit zu
einem weltweit sichtbaren Referenzpunkt für exzellente wissenschaftliche Aus-
bildung, Forschung, Innovation und Kooperation mit der Industrie werden.
Nachdem es gegen ein solches zentralisiertes europäisches „Superinstitut“ er-
hebliche Vorbehalte von vielen Seiten gab, sieht der aktuelle Kommissionsvor-
schlag die Schaffung von dezentralen „Wissens- und Innovationsgemeinschaf-
ten“ vor, die aus Partnerschaften bestehender Universitäten, Forschungszentren
und Unternehmen entstehen sollen. Die Wissensgemeinschaften sollen mehr
sein als ein herkömmliches wissenschaftliches Netzwerk, sondern sollen als
„integrierte Partnerschaften“ bzw. „Joint Ventures“ geführt werden.

Der Deutsche Bundestag lehnt die Pläne der Kommission zur Errichtung eines
ETI ab. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen die Wissens- und Inno-
vationsgemeinschaften die vom Verwaltungsrat des ETI festgelegten For-
schungsschwerpunkte verfolgen. Wie der Forschungsbeirat der Kommission
(EURAB) in seiner Stellungnahme zu Bedenken gibt, können wissenschaftliche
Exzellenz und anwendungsrelevante Innovationen aber nicht in einem „top-
down“-Verfahren entstehen. Die Helmholtz-Gemeinschaft und die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) kritisieren in diesem Zusammenhang eine zu
befürchtende „Zwangsvernetzung“. Hinzu kommt, dass das Konzept der Wis-
sens- und Innovationsgemeinschaften unklar bleibt. Sofern sie als eigenständige
Rechtspersönlichkeiten firmieren – was der Kommissionsvorschlag explizit of-
fenlässt – würde dies mittel- bis langfristig zu einer Herauslösung der Wissens-
gemeinschaften aus ihren eigenen Einrichtungen führen. Dies wäre aber nicht
sinnvoll, weil es den wissenschaftlichen Austausch eher erschwert als intensi-

viert. Außerdem wäre es einer qualitativ hochwertigen Ausbildung des wissen-
schaftlichen Nachwuchses, die in den Wissensgemeinschaften ebenfalls geleis-
tet werden soll, abträglich. Weiterhin ist fraglich, ob es rechtlich überhaupt mög-
lich ist, dass das ETI, wie von der Kommission vorgesehen, eigene akademische
Grade vergibt.

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Der Haushalt des Europäischen Technologieinstituts soll – unter der Annahme,
dass sechs Wissensgemeinschaften eingerichtet werden – 2,4 Mrd. Euro bis zum
Jahr 2013 umfassen. Die Kommission schlägt vor, 309 Mio. Euro als Direkt-
finanzierung aus dem Gemeinschaftshaushalt zu leisten. Weitere Mittel sollen
aus erfolgreichen Bewerbungen der Wissensgemeinschaften beim Siebten For-
schungsrahmenprogramm und anderen EU-Förderprogrammen wie z. B. den
Strukturfonds, stammen. Nach der Vorstellung der Kommission soll darüber
hinaus ein großer Teil der Kosten durch private Gelder, insbesondere aus der
Industrie, gedeckt werden. Wie zuletzt auch eine vom Europäischen Parlament
beauftragte Gruppe externer Experten feststellte, ist dieser Finanzierungsplan
nicht realistisch. Mit Ausnahme der Direktfinanzierung aus dem Gemein-
schaftshaushalt sind alle anderen vorgesehenen Geldquellen erst erschließbar,
wenn bereits eine adäquate Grundausstattung vorhanden wäre. Dafür reichen die
309 Mio. Euro aber nicht aus. Außerdem besteht von Seiten der Privatwirtschaft
kaum Interesse, das vorgeschlagene ETI zu fördern. Es müsste zunächst ein
überzeugendes inhaltliches Konzept vorliegen, damit es überhaupt gelingen
könnte, private Gelder zu akquirieren.

Der Deutsche Bundestag begrüßt es deshalb, dass die Bundesregierung der Idee
zur Errichtung eines Europäischen Technologieinstituts bisher kritisch gegen-
überstand. Insbesondere teilen wir die ablehnende Haltung gegenüber einem zen-
tralen, neu zu errichtenden Institut. Auch teilt der Bundestag die Bedenken der
Regierung gegenüber einer möglichen Herauslösung von Wissensgemeinschaf-
ten aus ihren bestehenden Einrichtungen. Allerdings hält der Bundestag auch die
Vorschläge der Regierung zur Modifizierung des Kommissionsvorschlags für
nicht sinnvoll. Im Kern schlägt die Regierung vor, das ETI als dezentrales wis-
senschaftliches Netzwerk zu organisieren. Das ETI würde damit zu einem
Instrument der Wissenschaftsförderung, dessen Mittel nach dem Vorbild der
Exzellenzinitiative an bereits bestehende Einrichtungen vergeben werden, mit
dem Ziel eine gezielte Clusterbildung zu befördern. Einen ähnlichen Vorschlag
unterbreitet auch die vom Europäischen Parlament beauftragte Gruppe externer
Experten. Auch die Ende April 2007 erfolgte Einigung der EU-Forschungs-
minister, die in weiten Teilen dem deutschen Kompromissvorschlag gefolgt
sind, kann nicht überzeugen. Zwar ist es im Sinne einer Schadensbegrenzung er-
freulich, dass das ganze Vorhaben nun in deutlich kleinerem Maßstab angegan-
gen werden soll und zunächst zeitlich befristet ist. Allerdings bleibt weiterhin
unklar, welchen zusätzlichen Nutzen das Institut angesichts der bestehenden
europäischen Förderprogramme stiften würde und warum es außerhalb und pa-
rallel zu den Förderinstrumenten des Siebten Forschungsrahmenprogramms ge-
setzt werden soll.

Es gibt bereits eine Reihe von europäischen Initiativen und neuen Instrumenten,
die sich den Zielen der Förderung wissenschaftlicher Exzellenz, Beschleuni-
gung von Innovation und Marktzugang für Forschungsergebnisse und der bes-
seren Einbindung der Industrie widmen. Im Bereich der Grundlagenforschung
ist mit dem Europäischen Forschungsrat gerade erst ein neues Instrument öffent-
licher Forschungsförderung auf europäischer Ebene ins Leben gerufen worden.
Für die stärker anwendungsorientierte Forschung gibt es im Rahmen des Siebten
Forschungsrahmenprogramms die Möglichkeit zur Förderung von Gemeinsa-
men Technologieplattformen und daraus entwickelten Technologieinitiativen.
Zu nennen sind außerdem das Programm „Lebenslanges Lernen“ und das
Programm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP). Angesichts dieser
Programme ist ein dezentrales „Netzwerk-ETI“ eine Parallelstruktur. Es steht zu
befürchten, dass dies zu einer Zersplitterung der vorhandenen finanziellen Res-
sourcen führt, die der Beförderung der genannten Ziele nicht dient, sondern
diese eher behindert.
Stattdessen ist es sinnvoller, Ressourcen in den bestehenden Förderstrukturen
zu bündeln, diese einer regelmäßigen Evaluation zu unterziehen und an deren

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gezielter Optimierung zu arbeiten. Das Siebte Forschungsrahmenprogramm,
mit dem verschiedene Innovationen in der Forschungsförderung eingeführt
worden sind, ist gerade erst in Kraft getreten. Es wäre notwendig, vor einer
eventuellen Einführung von neuen Instrumenten zunächst einmal abzuwarten,
wie die neuen Maßnahmen wirken, und sie einer Bewertung zu unterziehen.
Etwaige weitere Instrumente sollten erst auf der Grundlage dieser Erfahrungen
initiiert werden. Anstatt kurzfristig und überhastet Mittel in ein vermeintlich
prestigeträchtiges – aber wenig durchdachtes – Großprojekt mit zweifelhaftem
Nutzen zu investieren, muss das langfristige Ziel einer stetigen Verbesserung
bestehender Instrumente und deren finanzieller Ausstattung verfolgt werden.
Die Weiterentwicklung von Forschungsschwerpunkten sollte sich aus dem ak-
tuellen und den vergangenen Forschungsrahmenprogrammen herauskristallisie-
ren. Hier haben sich längst zahlreiche Kooperationsnetzwerke herausgebildet,
deren Stärkung und Weiterentwicklung zentraler Bestandteil fortzuschreiben-
der Forschungsrahmenprogramme sein sollte. Ziel muss es sein, einen gut ver-
netzten europäischen Forschungsraum zu schaffen, in dem die europäischen
Markenzeichen der regionalen Vielfalt und verteilten Exzellenz zur Geltung
kommen können. Das ETI wäre demgegenüber im über viele Jahre gewachse-
nen System der europäischen Forschungsförderung ein Fremdkörper, der die
bestehenden Strukturen schwächen würde.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass der Plan für ein Euro-
päisches Technologieinstitut aufgegeben wird – anstatt sich lediglich für eine
Modifizierung der Kommissionspläne durch eine dezentralere Organisation
und mehr Wettbewerbselemente stark zu machen;

2. dafür Sorge zu tragen, dass für die Errichtung des Europäischen Techno-
logieinstituts – sofern sich dessen Einrichtung nicht gänzlich verhindern lässt –
keine Gelder aus dem jüngst gestarteten Siebten Forschungsrahmenpro-
gramm, dem Europäischen Strukturfonds, dem Programm „Lebenslanges
Lernen“ und dem Programm für Wettbewerb und Innovation (CIP) zur Ver-
fügung gestellt werden. Ebenso sollen keine Mittel aus dem europäischen
Gemeinschaftshaushalt oder dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt
werden;

3. sich dafür stark zu machen, dass die bestehenden europäischen Strukturen der
Forschungsförderung, insbesondere das Siebte Forschungsrahmenprogramm,
der Europäische Forschungsrat, das Programm zum Lebenslangen Lernen und
das Programm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, gestärkt werden;

4. sich dafür einzusetzen, dass die bestehenden Förderstrukturen und -instru-
mente regelmäßig evaluiert weiterentwickelt und Mechanismen der Quali-
tätssicherung implementiert werden. Außerdem ist die Begleitforschung zur
Wirksamkeit der Förderinstrumente zu intensivieren;

5. insbesondere zu prüfen, ob die Schwerpunktsetzung innerhalb des Siebten
Forschungsrahmenprogramms ausreichend ist, um der mangelnden For-
schungsstärke von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu begegnen
und sich gegebenenfalls für eine weitere Stärkung des Schwerpunktes einzu-
setzen;

6. sich dafür einzusetzen, dass in den bestehenden Förderstrukturen auch zu-
künftig ausreichende Möglichkeiten zur Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses enthalten sind, und die entsprechenden Instrumente weiter zu
stärken;

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7. sich dafür einzusetzen, dass die Förderkriterien auch dem berechtigten Inte-
resse der EU-Neumitglieder auf wirtschaftlichen und wissenschaftlichen
Anschluss an die älteren Mitglieder Rechnung tragen;

8. sich dafür einzusetzen, dass die Förderstrukturen so gestaltet werden, dass sie
die Chancen von Frauen in Wissenschaft und Forschung verbessern, um
wesentliche individuelle und gesellschaftliche Potentiale ausschöpfen zu
können.

Berlin, den 9. Mai 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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