BT-Drucksache 16/5202

Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen

Vom 27. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5202
16. Wahlperiode 27. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Karin Binder, Katja Kipping,
Jan Korte, Elke Reinke, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen

Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung aufenthalts- und asyl-
rechtlicher Richtlinien der Europäischen Union in der Fassung vom 28. März
2007 ist eine Stärkung der Aufenthaltsrechte von zwangsverheirateten Frauen
nicht vorgesehen. Bis auf eine Ausnahme hatten jedoch alle Sachverständigen
der Anhörung zum Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE. „Für einen
Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen, für die Stärkung ihrer Rechte und
die längerfristige Bekämpfung der Ursachen patriarchaler Gewalt“ (Bun-
destagsdrucksache 16/1564) vom 19. Juni 2006 im Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend aufenthaltsrechtliche Verbesserungen zugunsten
von zwangsverheirateten Frauen gefordert. Selbst Staatsministerin Dr. Maria
Böhmer trat dafür ein, dass zumindest „Mädchen und jungen Frauen, die gegen
ihren Willen ins Herkunftsland verheiratet worden sind, die Rückkehr nach
Deutschland auch nach Ablauf von sechs Monaten ermöglicht werden (muss)“
(Presseerklärung vom 19. Juni 2006).

Stattdessen finden sich in dem Gesetzesentwurf allgemeine Verschärfungen des
Ehegattennachzugs, die mit der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen be-
gründet werden.

Die Bundesregierung hatte in der Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion
DIE LINKE. „Situation der von Zwangsverheiratung bedrohten und betroffenen
Frauen und Männern in Deutschland“ vom 19. Januar 2006 darauf hingewiesen,
dass ihr zum Ausmaß und zur Charakteristik des Phänomens „Zwangsheirat“ in
Deutschland zurzeit keine statistischen Daten oder repräsentativ erhobenen wis-
senschaftlichen Erkenntnisse vorliegen (Bundestagsdrucksache 16/412).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Bemühungen hat die Bundesregierung seit dem 19. Januar 2006 un-
ternommen, um ihren Mangel an statistischen Daten und wissenschaftlichen
Erkenntnissen zur Problematik der Zwangsverheiratung zu beseitigen, und zu
welchen Erkenntnissen ist sie gekommen?
2. Liegen der Bundesregierung Zahlen vor, gegen wie viele Personen aufgrund
des § 240 Abs. 4 Satz 1 des Strafgesetzbuches (StGB) ein Ermittlungsverfah-
ren aufgenommen wurde und wie viele Personen aufgrund dieses Paragra-
phen verurteilt worden sind (bitte nach Jahren auflisten)?

Drucksache 16/5202 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Aus welchen Gründen ist bisher keine Evaluierung der Gerichtspraxis der
strafrechtlichen Regelung in § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfolgt?

Plant die Bundesregierung eine Evaluierung, und wenn ja, bis wann wird sie
abgeschlossen sein?

4. Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung die Forderungen der über-
wiegenden Mehrheit der Sachverständigen der Anhörung vom 19. Juni 2006

a) nach Verlängerung bzw. Aufhebung der Rückkehrfrist in § 51 des Aufent-
haltsgesetzes (AufenthG) für ins Ausland zwangsverheiratete Frauen,

b) nach einem unbeschränkten Recht auf Wiederkehr im Rahmen des § 37
AufenthG für ins Ausland zwangsverheiratete Frauen, die als Minderjäh-
rige ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten, unabhängig
von Nachweisen der Lebensunterhaltssicherung und einer bestimmten
Aufenthaltsdauer,

c) nach einer gesetzlichen Klarstellung eines eigenständigen Aufenthalts-
recht für Opfer von Zwangsverheiratung im Rahmen des § 31 Abs. 2
AufenthG vor Ablauf der zweijährigen Ehebestandszeit,

d) nach einem humanitären Aufenthaltsrecht für von Zwangsheirat betrof-
fenen Frauen, die kein gesichertes Aufenthaltsrecht haben,

im vorliegenden Gesetzesentwurf nicht umgesetzt?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung des Bundesministe-
riums der Justiz, dass die geplante Regelung, in Zukunft nur ausländische
Ehepartnerinnen und Ehepartner nach Deutschland einreisen zu lassen, wenn
diese Grundkenntnisse der deutschen Sprache vorweisen können, kaum mit
dem grundgesetzlichen Schutz der Ehe vereinbar sei (ddp vom 27. Januar
2007)?

6. Wenn die Bundesregierung den Erwerb von Deutschkenntnissen für eine
sinnvolle (Präventiv-)Maßnahme gegen Zwangsverheiratungen erachtet
(vgl. Begründung zum § 30 des AufenthG-GE), aus welchen Gründen tritt sie
dann nicht für eine möglichst schnelle Einreise und einen schnellen Zugang
zu Sprachkursen in Deutschland ein, da sich die Sprache eines Landes be-
kanntermaßen am leichtesten in den Ländern selbst erlernen lässt und in
Deutschland seit 2005 Sprachkurse zur Verfügung stehen, die die Bundes-
regierung ansonsten als ein im Grundsatz bewährtes „Erfolgsmodell“ preist?

7. Auf welche Erkenntnisse bezieht sich die Bundesregierung bei ihrer Bewer-
tung der niederländischen Regelung zum Familiennachzug, Sprachkennt-
nisse vor der Einreise zu verlangen, als „gut“ (siehe Antwort der Bundes-
regierung in der Fragestunde vom 9. März 2007, Plenarprotokoll 16/84,
S. 8459)?

Gab es eine unabhängige Evaluierung dieser gesetzlichen Regelung in den
Niederlanden hinsichtlich der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen und
des Versagens des Nachzuges von Ehepartnern, und wenn ja, mit welchen
Ergebnissen?

8. Für wie zielführend hält die Bundesregierung eine Verlängerung der Ehe-
bestandsdauer von zwei auf vier Jahren zur Erteilung eines eigenständigen
Aufenthaltstitels, um Frauen, die aus einer Zwangsverheiratung ausbrechen
wollen, zu unterstützen und zu schützen?

9. Welche Ministerien, interministeriellen Arbeitsgruppen, Arbeitsgruppen aus
Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung und der Zivilgesellschaft,
Gremien des Bundes und der Länder etc. sind zurzeit mit der Problematik

Zwangsverheiratung befasst?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5202

10. Zu welchen Bewertungen kam die Unterarbeitsgruppe 1 der AG 4 „Situa-
tion von Frauen und Mädchen verbessern, Gleichberechtigung verwirk-
lichen“ zur Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans Integration hinsicht-
lich der Frage, ob Vorhaben wie

a) Grundkenntnisse der deutschen Sprache als Voraussetzung des Ehe-
gattennachzuges,

b) ein Mindestalter von 18 Jahren für den Ehegattennachzug,

c) aufenthaltsrechtliche Verbesserungen, wie in Frage 4 genannt,

zielführend sind, um Zwangsverheiratungen zu bekämpfen und die Betrof-
fenen zu schützen?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und ggf. in welchen Bundesländern
Arbeitsgruppen bzw. Kommissionen bestehen, die sich ausschließlich mit
der Problematik der Zwangsverheiratung befassen?

Sind Handlungskonzepte erarbeitet worden, und wenn ja, welche aufent-
haltsrechtlichen Veränderungen werden vorgeschlagen?

12. Falls die Bundesregierung über die in Frage 11 genannten Maßnahmen der
Bundesländer keine Kenntnisse besitzt, wie ist dieser Mangel an Kenntnis-
sen ihrer Auffassung nach mit der Schwere der Menschenrechtsverletzung
im Falle von Zwangsverheiratung zu vereinbaren?

13. Mit welchen Modellprojekten ist das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend seit der Anhörung am 19. Juni 2006 verstärkt
aktiv geworden, um Zwangsverheiratungen zu bekämpfen?

14. Welche gesetzlichen Änderungen, Modellprojekte und wissenschaftlichen
Untersuchungen plant die Bundesregierung in der Fortschreibung des
Aktionsplans der Bundesregierung gegen Gewalt gegen Frauen speziell zur
Problematik der Zwangsverheiratung?

Wie hoch sind die finanziellen Mittel, die speziell für die Bekämpfung der
Zwangsverheiratung im Aktionsplan vorgesehen werden?

Wann wird der Aktionsplan der Bundesregierung dem Parlament vorgelegt?

Berlin, den 27. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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