BT-Drucksache 16/5117

Die Bedrohung der Meeresumwelt durch Unterwasserlärm stoppen

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5117
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Antrag
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Volker Beck (Köln), Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Bärbel
Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Reinhard Loske, Nicole Maisch
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Bedrohung der Meeresumwelt durch Unterwasserlärm stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Delfine und Wale (Cetacea) sind zunehmend durch anthropogenen Lärm in den
Meeren und Ozeanen bedroht. Der Einfluss von Lärmemissionen nimmt in
Aufenthaltsgebieten von Meeressäugern insbesondere in Küstengewässern
weltweit stark zu. Meeressäuger benutzen den Gehörsinn, um sich ein akusti-
sches Bild ihrer Umgebung oder ihrer Beute zu machen. Anthropogener Lärm
kann somit zu physischen Schädigungen von Meeressäugern (temporären
Gehörschwellenverschiebung, Gehörschäden) und zu Verhaltensänderungen
(z. B. Sozial- und Jagdverhalten) führen.

Anthropogener Unterwasserlärm steht unter dem begründeten Verdacht, für
einen Teil der Strandungen von Cetacea-Arten verantwortlich zu sein. Wissen-
schaftler, Naturschützer und Artenschützer machen seit langem geltend, dass der
Einsatz bestimmter aktiver Sonargeräte bei Meerestieren, insbesondere bei Mee-
ressäugern, zu Orientierungsproblemen bis hin zu schweren inneren Verletzun-
gen im Hirn- und Ohrenbereich führt. Die Internationale Walfangkommission
(IWC) kam 2004 zu dem Ergebnis, dass es unmittelbare negative Auswirkungen
militärischer Sonare auf Wale gibt.

Die bekannt gewordenen Strandungen von Walen sind nur die Spitze des Eis-
bergs. Vermutlich verenden die meisten betroffenen Tiere im offenen Meer und
versinken in den Tiefen des Meeres. In den USA ist es in den vergangenen Jah-
ren wiederholt zum gerichtlich angeordneten temporären Verbot des Einsatzes
bestimmter Militärsonare gekommen. Vor diesem Hintergrund ist es erfor-
derlich, Maßnahmen gegen den Unterwasserlärm durch leistungsstarke aktive
militärische Sonarsysteme zu ergreifen.

So plant die US-Regierung Medienberichten (taz vom 28. März 2007, Ostsee-
Zeitung vom 22. März 2007) zufolge, US-Kriegsmarineschiffe in die Ostsee zu

entsenden, die den Tagungsort des G8-Gipfels vom 6. bis zum 8. Juni 2007 in
Heiligendamm seewärtig sichern sollen. Es sollen ein Zerstörer der Arleigh-
Burke-Klasse und ein Kreuzer der Ticonderoga Klasse eingesetzt werden. Diese
Schiffe haben das taktische Mittelfrequenzsonar AN/SQS-53C an Bord, das bei
in der Nähe befindliche Schweinswale zu physiologischen Schäden führen kann.

Drucksache 16/5117 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Unterwasserlärm wird aber in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen
und somit auch die Bedrohung der Meeresumwelt. Neben der Lärmverschmut-
zung durch militärische Aktivitäten stellt der Schiffsverkehr, der Bau und Be-
trieb von Offshore Windparks, die maritime Erdöl- und Gasförderung und die
Sand- und Kiesgewinnung ein zunehmendes Problem für die Meeresumwelt dar.
In diesem Zusammenhang sind auch die seismischen Untersuchungen nach ma-
ritimen Erdöl- und Erdgasquellen zu nennen.

Seit Anfang April 2007 werden seismische Untersuchungen im Nordsee-Natur-
schutzgebiet „Doggerbank“ mit dem Ziel Erdöl- und Erdgaslagerstätten zu fin-
den, durchgeführt. Entgegen Bedenken des Bundesamtes für Naturschutz hat
das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Niedersachsen
die seismischen Messungen auch im Naturschutzgebiet Doggerbank genehmigt.
Diese Untersuchungen verstoßen gegen europäisches Naturschutzrecht und
gefährden die dort lebenden streng geschützten Schweinswale, die in der vorge-
sehenen Untersuchungszeit ihre Jungen zur Welt bringen.

Gesunde Meere und Ozeane beherbergen einen enormen Reichtum an Meeres-
säugern, Fischen und anderen Meeresorganismen, die für unser soziales und
wirtschaftliches Wohlergehen sowie unsere Lebensqualität von großer Be-
deutung sind. In ihrer Funktion als globale, lebenserhaltende Systeme für die
Regulierung des Klimas und von Wettersystemen sind sie für uns überlebens-
wichtig. Der Belastungsdruck auf die Meere und Ozeane durch menschliche
Aktivitäten hat ein so bedrohliches Ausmaß erreicht, dass Meere und Ozeane in
ihrer Funktion akut gefährdet sind.

Der Schutz der Meere kann nicht vor politischen Grenzen halt machen. Die
starke Vernetzung von Meeresökosystemen sowie die vielfältigen Belastungen,
die auf sie einwirken, machen eine Stärkung des Meeresschutzes, verbunden mit
einer Meerespolitik, die die komplexen Probleme wie die Lärmverschmutzung
ganzheitlich betrachtet, dringend erforderlich. Für den dauerhaften Erhalt von
Meeresökosystemen und der biologischen Vielfalt ist es daher notwendig, die
Schutzbemühungen deutlich zu verstärken. Der Meeresschutz muss eine tra-
gende Säule im Grünbuch Meerespolitik der europäischen Kommission und die
europäische Meeresstrategie-Richtlinie werden. Dazu gehört die Ausweisung
geschützter Meeresflächen innerhalb von EU Gewässern und in den angrenzen-
den Meeresgebieten auf hoher See sowie die Festlegung von Grenzwerten für
Schallemissionen in Verbreitungsgebieten von Meeressäugern.

In der Resolution des Europäischen Parlaments – P6 TA (2004) 0047 vom
26. Oktober 2004 – zu den Umweltauswirkungen leistungsfähiger aktiver mili-
tärischer Unterwassersonarsysteme wird neben einem Moratorium für die Wei-
terentwicklung dieser Technologie zudem gefordert, den derzeitigen Einsatz
dieser Technologie einzuschränken, bis eine Gefährdung der Meeresumwelt,
insbesondere der Meeressäugern, auszuschließen ist. Weiterhin wird ein trans-
parenter Umgang mit militärischen Daten gefordert, die im Zusammenhang mit
Strandungen von Walen und Delfinen stehen. Ende November 2005 verabschie-
dete die UN-Generalversammlung eine Ozean-Resolution, in der empfohlen
wird, die Auswirkungen von Unterwasserlärm auf die Meeresressourcen zu prü-
fen.

Deutschland hat während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der G8-
Präsidentschaft sowie als Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz zum
Schutz der biologischen Vielfalt, die im Mai 2008 in Bonn stattfinden wird, eine
besondere Verpflichtung, den Schutz der Meeresumwelt unter anderem auch vor
Unterwasserlärm voranzutreiben.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5117

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. national Maßnahmen gegen den anthropogenen Unterwasserlärm zu ergrei-
fen und sich während und nach der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und
der G8-Präsidentschaft konsequent für internationale Maßnahmen gegen den
Unterwasserlärm einzusetzen, um einen Beitrag zum Schutz der Meeresum-
welt, insbesondere der Delfine und Wale, zu leisten. Dazu gehört auch, sich
dafür einzusetzen, dass konkrete Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt
vor anthropogenen Unterwasserlärm in das Grünbuch Meerespolitik der
europäischen Kommission und in die europäische Meeresstrategie-Richtlinie
festgelegt werden;

2. anthropogene Aktivitäten, die mit Unterwasserlärm verbunden sind, beson-
ders in Schutzgebieten aber auch in hoch frequentierten Aufenthaltssgebieten
von Cetacea-Arten und weiteren geschützten maritimen Arten nicht mehr zu
genehmigen;

3. dafür Sorge zu tragen, dass außerhalb von Schutzgebieten anthropogene
Aktivitäten, die mit Unterwasserlärm verbunden sind, nur noch nach einer
verpflichtenden Umweltverträglichkeitsprüfung, einer räumlichen und zeit-
lichen Koordinierung der Aktivitäten und nicht zu Beginn der Reproduk-
tionszeit der Meeressäuger sowie nur mit Unterstützung von wirkungsvollen
Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahen und im Abstand einer adäquaten
Pufferzone zu den Schutzgebieten stattfinden können;

4. die seismischen Untersuchungen im Naturschutzgebiet „Doggerbank“, die die
dort lebenden streng geschützten Schweinswale bedrohen, sofort zu stoppen;

5. im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft im Vorfeld des G8-Gipfels in
geeigneter Weise auf die Regierung der USA einzuwirken, dass zur Bewa-
chung des vom 6. bis 8. Juni 2007 in Heiligendamm stattfindenden G8-Gip-
fels in der Ostsee eventuell eingesetzten Schiffe der US-Kriegsmarine keine
leistungsstarke aktiven Mittelfrequenzsonare einsetzen;

6. sich während und nach der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit Nachdruck
für die europaweite Umsetzung der Resolution des Europäischen Parlaments
zu den Umweltauswirkungen von aktiven leistungsstarken militärischen So-
naranlagen – P6 TA (2004) 0047 vom 26. Oktober 2004 – einzusetzen;

7. die Resolution des Europäischen Parlaments zu den Umweltauswirkungen
von aktiven leistungsstarken militärischen Sonaranlagen – P6 TA (2004)
0047 vom 26. Oktober 2004 – in Deutschland schnellst möglich umzusetzen,
und insbesondere den transparenten Umgang mit militärischen Daten, die im
Zusammenhang mit Strandungen von Walen und Delfinen (Cetacea) stehen,
zu gewährleisten;

8. die Forschung über die Umweltauswirkung von leistungsstarken aktiven
Sonarsystemen und weiteren Unterwasserlärm verursachenden anthropoge-
nen Aktivitäten auf die Meeresumwelt, insbesondere auf alle Cetacea-Arten,
zu intensivieren, um unter anderem die räumlichen und zeitlichen Zusam-
menhänge vom Einsatz von leistungsstarken aktiven Sonarsysteme mit
Strandungen von Cetacea und mit einer Schädigung der Meeresumwelt
hinreichend zu klären, und eine abschließende Bewertung dieser Forschung
vorzunehmen sowie geeignete und wirkungsvolle Grenzwerte für Schall-
emissionen in Verbreitungsgebieten von Meeressäugern festzulegen;

9. die Forschung über und die Entwicklung und Erprobung von geeigneten und
wirkungsvollen Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen sowie Ver-
grämungs- und Warnsignalen (z. B. Walschutzprozeduren) zu intensiveren,
um die Störung und Bedrohung der Meeresumwelt durch Unterwasserlärm

auszuschließen, und diese geeigneten und wirkungsvollen Vermeidungs- und
Minimierungsmaßnahmen so schnell wie möglich anzuwenden;

Drucksache 16/5117 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
10. die wissenschaftliche Forschung und insbesondere die industrielle Entwick-
lung im Bereich von geeigneten und wirkungsvollen Alternativmethoden
von leistungsstarken aktiven Sonarsystemen, z. B. des aktiven Walsonars,
das mit unkritischen Sendeleistungen arbeitet, um Wale zu orten, sowie
automatischen passiven Detektionen von Meeressäugern zu stärken;

11. einen Bericht zum aktuellen Stand der nationalen Maßnahmen für den
Schutz der Meeresumwelt durch anthropogenen Unterwasserlärm dem
Bundestag je Legislaturperiode einmal vorzulegen;

12. unter anderen im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und G8-
Präsidentschaft sowie als Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz zum
Schutz der Biologischen Vielfalt im Mai 2008 in Bonn die Anstrengungen,
geschützte Meeresflächen innerhalb von EU Gewässern und in den angren-
zenden Meeresgebieten auf hoher See, insbesondere in den Ausschließ-
lichen Wirtschaftzonen der Mitgliedstaaten (AWZ), einzurichten, deutlich
zu verstärken und den Ausweisungsprozess des internationalen maritimen
Schutzgebietsnetzes zügig voranzubringen.

Berlin, den 25. April 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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