BT-Drucksache 16/4994

Einsatz von Wahlcomputern

Vom 5. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4994
16. Wahlperiode 05. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, Kersten Naumann, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz von Wahlcomputern

Mechanische, elektrische sowie rechnergesteuerte Geräte (Wahlcomputer), die
bei Wahlen der Abgabe und Zählung der Wählerstimmen dienen, werden im
deutschen Wahlrecht als Wahlgeräte bezeichnet. Bei Stimmzettelwahlen in de-
mokratischen Staaten ist der gesamte Wahlablauf, vom Aufstellen der Urne bis
zur Ergebnisfeststellung, grundsätzlich öffentlich und damit verifizierbar. Beim
Einsatz von Wahlcomputern werden wesentliche Schritte des Wahlablaufs in das
Innere eines Gerätes verlegt und damit der öffentlichen Kontrolle entzogen. Die
Integrität der Wahl hängt damit vom ordentlichen Funktionieren der Wahlcom-
puter und von deren Manipulationssicherheit ab und kann allenfalls noch von
den wenigen Personen beurteilt werden, die mit der Prüfung von Wahlgeräten
befasst sind. Obwohl das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
(BSI) die informationstechnische Sicherheit und Zuverlässigkeit von kritischen
Soft- und Hardwaresystemen prüft, ist die Physikalisch-Technische Bundesan-
stalt (PTB), die ihre Kompetenzen bei der Zulassung von Feuerlöschern und
Geldspielgeräten erworben hat, mit der Zulassung der Wahlcomputer betraut.
Der zuständige Fachbereichsleiter der PTB, Dieter Richter, hat gegenüber der
Zeitschrift „c’t“ (24/2006) und der Nachrichtenagentur AP (10. November
2006) in einem Interview eingeräumt, dass Wahlcomputer grundsätzlich mani-
pulierbar seien. Damit bestätigte er entsprechende Ergebnisse des Chaos
Computer Clubs (CCC) und revidierte die bisherige Position der PTB, wonach
die Manipulation von Wahlgeräten „theoretisch möglich, praktisch aber unwahr-
scheinlich“ sei. Dieter Richter bekräftigte, dass die vom CCC nachgewiesenen
Unsicherheiten und Manipulationsmöglichkeiten praktisch anwendbare Szena-
rien sind, welche die Sicherheit deutscher Wahlen real gefährden und stellte fest,
dass es „bei diesem Konzept keinen absoluten Schutz gegen Insider-Angriffe“
gebe. Zur bisherigen Haltung des Innenministeriums, wonach die Wahl-
computer hinreichend manipulationssicher seien, befragt, erklärte er: „Wir
würden jetzt, in dieser neuen Lage, dem Ministerium nicht mehr raten, die
Erklärung ohne Einschränkung abzugeben.“

Nach Enthüllungen der niederländischen Initiative wijvertrouwenstemcompu-
tersniet.nl („Wir vertrauen Wahlcomputern nicht“) hat der holländische Mono-
polhersteller der Software (Groenendaal BV) offenbar versucht, die holländische

Wahlbehörde mit der Einstellung aller notwendigen Aktivitäten für die Provin-
zwahlen am 7. März 2007 in den Niederlanden zu erpressen. Die Wahlbehörde
sollte dadurch gezwungen werden die Softwarefirma aufzukaufen (u. a. tages-
schau.de, 2. März 2007). Die Groenendaal BV ist Miteigentümer der auch in den
deutschen Wahlcomputern ESD1 und ESD2 sowie im sog. Integrierten Wahl-
system verwendeten Software des deutschen Herstellers HSG Wahlsysteme
(http://www.wahlsysteme.de/Wir%20ueber%20uns/Vorstellung.htm). Nachdem

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eklatante Manipulationsmöglichkeiten und Sicherheitslücken in Nedap-Wahl-
geräten der Typen Es3b und ESD1 öffentlich wurden, beschloss die Stadt Cottbus
am 31. Januar 2007 auf den geplanten Kauf von 74 bislang gemieteten Wahl-
computern zu verzichten. Die Stadtverordneten revidierten damit einen entspre-
chenden Beschluss vom September 2006.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Plant die Bundesregierung den verstärkten Einsatz von Wahlcomputern,
und wenn ja, wie sehen die konkreten Pläne aus?

2. Warum liegt die Zuständigkeit für die Zulassung von Wahlcomputern bei
der PTB und nicht beim BSI?

3. Hält die Bundesregierung nach den Äußerungen von Dieter Richter (PTB)
an ihrer Position zur Sicherheit der eingesetzten Wahlcomputer fest?

Wenn ja, mit welcher Begründung?

4. Wie ist der aktuelle Stand der Zulassung der Wahlcomputer der Firma
Nedap?

5. a) Wie kam es dazu, dass die Zulassungsbedingungen in enger Abstim-
mung mit dem Hersteller entwickelt wurden?

b) Ist eine solche enge „Kooperation“ aus Sicht der Bundesregierung wün-
schenswert, und wenn ja, warum?

6. Welche Tests hat die PTB bezüglich der Abschirmung der Nedap-Wahlcom-
puter vorgenommen?

a) Welche Abstrahlungen wurden an welchem Gerätetyp gemessen?

b) Warum ist das genaue Zulassungsverfahren für Wahlcomputer und die
Tests zur Abschirmung nicht öffentlich?

7. Wie hat die PTB den Quellcode der Wahlcomputer geprüft und mit welchem
Ergebnis?

8. Wie und wo ist eine „sichere Umgebung“ definiert, und welche Ausfüh-
rungsbestimmungen gibt es für diese „sicheren Umgebungen“, in denen
Wahlcomputer gelagert werden sollen?

9. Sind die Bestimmungen für eine „sichere Umgebung“ zwingend von den
Gemeinden zu befolgen, oder handelt es sich lediglich um Vorschläge?

10. Wie wird die sichere Lagerung überprüft und dokumentiert?

11. Wieso enthält die Bundeswahlgeräteverordnung keine Vorschrift, die Elek-
tronikeinheiten oder EPROMs (lösch- und programmierbare Festwertspei-
cher) zu versiegeln?

12. Warum fehlen in der Bundeswahlgeräteverordnung Vorschriften über die
Protokollierung der Wartungszugriffe?

13. Ist aus Sicht der Bundesregierung die Tatsache, dass die Schlüssel für alle
Nedap-Computer identisch und im Internet für ca. 1,50 Euro bestellbar sind,
mit der Bundeswahlgeräteverordnung (§10 Abs. 2 und §15 Abs. 3) verein-
bar?

a) Wenn ja, warum?

b) Wenn nein, welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus?

14. Bei welchen Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland sind bislang Wahl-
computer verwendet worden (bitte nach Wahl, Wahlkreisen, Anzahl der ein-

gesetzten Wahlcomputer und Typen aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4994

15. Kam es beim bisherigen Einsatz von Wahlcomputern zu Problemen, und
wenn ja, welche waren das (bitte nach Wahl, Wahlkreisen, Anzahl der ein-
gesetzten Wahlcomputer und Typen aufschlüsseln)?

16. Ist es mit der Bundeswahlgeräteverordnung und den Bestimmungen zu den
„sicheren Umgebungen“ vereinbar, wenn Wahlcomputer aus dem Ausland
(z. B. aus Holland) für deutsche Wahlen entliehen werden?

17. Werden die Wahlcomputer vor jedem Einsatz einzeln durch die PTB über-
prüft und nochmals versiegelt?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, welche Kosten entstehen dadurch?

18. Sind die Nedap-Wahlcomputer, deren verwendete Bauteile so alt sind, dass
sie keine Freigabe mehr für einen Verkauf erhalten würden, konform zur
EU-Elektroschrottrichtlinie, oder ist bei der bevorstehenden Entsorgung mit
Umweltrisiken zu rechnen?

19. Hat die Bundesregierung die Medienberichte zur Kenntnis genommen, in
denen über einen Erpressungsversuch des Herstellers der Wahlcomputer-
software (Groenendaal Bureau voor Verkiezingsuitslagen) gegen das hol-
ländische Innenministerium berichtet wird?

20. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus für die Beurtei-
lung der Zuverlässigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Zukunftsfähigkeit der
Software des deutschen Herstellers HSG Wahlsysteme?

Berlin, den 5. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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