BT-Drucksache 16/491

Integrationskurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge

Vom 27. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/491
16. Wahlperiode 27. 01. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Jan Korte, Karin Binder
und der Fraktion DIE LINKE.

Integrationskurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge

Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde ein verbindliches Integrationskursangebot
für Neuzuwanderer eingeführt, das aus einem Sprach- und einem Orientierungs-
kurs besteht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist verantwortlich
für die Kurse, deren Durchführung es privaten oder öffentlichen Trägern über-
trägt. Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die vor dem Inkrafttre-
ten des Zuwanderungsgesetzes eingereist sind und bereits länger in Deutschland
leben, können unter dem Stichwort „nachholende Integration“ entweder bei Be-
zug von Leistungen nach SGB II oder bei „besonderer Integrationsbedürftig-
keit“ zur Teilnahme verpflichtet oder bei freien Plätzen zu den Kursen zugelas-
sen werden. Teilnehmende müssen sich an den Kosten der Kurse mit mindestens
1 Euro pro Unterrichtsstunde beteiligen.

Zirka 200 000 Menschen mit Duldung sind von den vom Bund geförderten In-
tegrationsmaßnahmen ausgeschlossen, unter ihnen fast 50 000 Menschen, die
bereits seit über zehn Jahren in der Bundesrepublik Deutschland leben (Antwort
auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 20. Dezember 2005, Bun-
destagsdrucksache 16/307).

Von Politikerinnen und Politikern der CDU/CSU wird immer wieder die Aus-
weisung von Migrantinnen und Migranten gefordert, die eine Teilnahme an den
Integrationskursen angeblich verweigern (Berliner Zeitung, 2. August 2005).
Falls die Teilnahme an einem Kurs verweigert wird, sieht das Gesetz die Kürzung
von Sozialleistungen vor. In Bayern beschloss das bayerische Kabinett, dass
Sozialleistungen gekürzt und darüber hinaus eine weitere Aufenthaltserlaubnis
abgelehnt werden kann, wenn ein Integrationskurs nicht erfolgreich absolviert
wird (FAZ, 21. Dezember 2005).

Träger der Integrationskurse berichten dagegen, dass viele der Migrantinnen und
Migranten über eine niedrige Schulbildung verfügen, schlechte Lernvoraus-
setzungen mitbringen und deswegen den Kurs voraussichtlich nicht erfolgreich
absolvieren werden. Sie fordern den Gesetzgeber auf, mehr Stunden zu geneh-
migen (taz, 17. August 2005).

Zahlen oder andere Angaben über ausländische Staatsangehörige, die eine Teil-
nahme verweigern, sind bisher nicht bekannt. Stattdessen teilen Träger der In-

tegrationskurse in Berlin mit, dass überwiegend Migrantinnen und Migranten an
den Kursen teilnehmen, die schon länger in Deutschland leben (taz, 17. August
2005). Laut Aussage der Staatsministerin für Integration, Migration und Flücht-
linge, Maria Böhmer, ist die Nachfrage von auf Dauer hier lebenden Auslän-
derinnen und Ausländern weit höher als das Angebot an Plätzen (Frankfurter
Rundschau, 8. Dezember 2005).

Drucksache 16/491 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Kritik gibt es ebenso an der Qualität der Sprachkurse. Die Zuwanderungskom-
mission hatte bereits gefordert, „das Kursangebot […] nach Sprach- und Bil-
dungsniveau der Teilnehmer zu differenzieren“ (Bericht der Unabhängigen
Kommission „Zuwanderung“: „Zuwanderung gestalten – Integration fördern“,
S. 261). Kritiker weisen darauf hin, dass eine Unterstützung bei der Eingliederung
in den Arbeitsmarkt ergänzend zu den Sprachkursen notwendig sei, um die Ar-
beitsmarktchancen von Teilnehmenden zu verbessern (taz, 28. Dezember 2005).

Sprachträger wie Volkshochschulen kritisieren, dass die Durchführung der neu-
en Integrationskurse zu einer aufwendigen Verwaltung führe. Der Kontrollauf-
wand sei überdimensioniert und die Berichtspflichten gegenüber dem Bundes-
amt umfangreich. Die Folge sei ein unangemessen hoher Aufwand an Personal
und ein damit verbundener zusätzlicher Arbeitsaufwand, der nicht vergütet wer-
de (DIE ZEIT, 7. Juli 2005, DIE WELT, 18. Juli 2005).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Integrationskurse mit wie vielen Plätzen haben seit 1. Januar 2005
begonnen (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

2. Wie hoch ist die Anzahl der Teilnehmenden insgesamt, die seit dem 1. Januar
2005 an den Integrationskursen teilnehmen?

a) Wie viele derjenigen sind Neuzuwanderer und besitzen nach § 44 des Auf-
enthaltsgesetzes (AufenthG) einen Teilnahmeanspruch?

b) Wie viele derjenigen sind Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, die
nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes einen Teilnahme-
anspruch besitzen?

c) Wie viele derjenigen sind ausländische Staatsangehörige sowie Unions-
bürgerinnen und Unionsbürger, die nach § 44 Abs. 4 AufenthG zur Teil-
nahme zugelassen wurden?

d) Wie viele derjenigen sind ausländische Staatsangehörige, die nach § 44a
Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zur Teilnahme verpflichtet worden sind?

(Bitte die einzelnen Gruppen auch getrennt nach Geschlecht und Bundesland
aufführen.)

3. Wie viele der neu zugewanderten Teilnehmenden mit Teilnahmeberechti-
gung nach § 44 Abs. 1 AufenthG sind

a) ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Drittstaaten,

b) Unionsbürgerinnen und Unionsbürger,

c) Asylberechtigte,

d) Ausländerinnen und Ausländer, die im Rahmen der Familienzusammen-
führung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten,

e) Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention,

f) Kontingentflüchtlinge?

(Bitte die einzelnen Gruppen auch getrennt nach Geschlecht und Bundesland
aufführen.)

4. Wie viele der neu zugewanderten Teilnehmenden mit Teilnahmeanspruch
nach § 44 Abs. 1 AufenthG sind nach § 44a Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG
zur Teilnahme verpflichtet worden, weil sie „sich nicht auf einfache Art in
deutscher Sprache mündlich verständigen“ können oder weil sie Leistungen
nach dem SGB II beziehen (bitte auch getrennt nach Geschlecht und Bundes-
land aufführen)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/491

5. Wie viele der Teilnehmenden, die bereits länger in der Bundesrepublik
Deutschland leben und unter dem Stichwort „nachholende Integration“ am
Kursangebot teilnahmen,
a) nahmen freiwillig an den Kursen teil (nach § 44 Abs. 4 AufenthG),
b) wurden von Arbeitsagenturen zur Kursteilnahme verpflichtet

(nach § 44a Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG),
c) wurden von den Ausländerbehörden zur Kursteilnahme verpflichtet

(nach § 44a Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG),
d) haben Leistungen nach dem SGB II bezogen,
e) sind beruflich gering qualifiziert,
f) sind Mütter mit Familien?
(Bitte die einzelnen Gruppen auch getrennt nach Geschlecht und Bundes-
land aufführen.)

6. a) Wie viele der neu zugewanderten Teilnehmenden bestanden den Integra-
tionskurs nicht, wie viele schlossen ihn erfolgreich ab?

b) Wie viele Teilnehmende, die bereits länger in der Bundesrepublik
Deutschland leben und unter dem Stichwort „nachholende Integration“
am Kursangebot teilnahmen, bestanden den Integrationskurs, wie viele
von ihnen nicht?

(Bitte die Angaben auch getrennt nach Geschlecht aufführen.)
7. Welche Kenntnisse und Angaben besitzt die Bundesregierung darüber, dass

ausländische Staatsangehörige sich einer verpflichtenden Teilnahme an den
Integrationskursen verweigert haben, und wie hoch ist der prozentuale
Anteil der sich Weigernden zur Zahl derjenigen, die zur Teilnahme an den
Kursen verpflichtet wurden?

8. a) Wie viele der ausländischen Staatsangehörigen, die sich einer Teilnahme
verweigerten, mussten eine Kürzung der Sozialleistungen in Kauf neh-
men?

b) Bei wie vielen derjenigen wurde eine weitere Aufenthaltserlaubnis nicht
verlängert?

9. a) Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, dass zur Teil-
nahme verpflichtete ausländische Staatsangehörige, die Sozialleistungen
nach SGB II beziehen und die Teilnahme verweigert haben, der Drohung
mit Abschiebung bzw. mit der Nichtverlängerung ihrer Aufenthaltser-
laubnis ausgesetzt waren?

b) Wie bewertet die Bundesregierung Forderungen nach Ausweisung von
Migrantinnen und Migranten, die eine Teilnahme an den Integrationskur-
sen angeblich verweigern?

10. a) Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des
bayerischen Kabinetts, dass Sozialleistungen gekürzt werden können
und darüber hinaus eine weitere Aufenthaltserlaubnis abgelehnt werden
kann, wenn ein Integrationskurs nicht erfolgreich absolviert wird?

b) Hat die Bundesregierung Kenntnis von weiteren Bundesländern, die be-
schlossen haben bzw. planen, eine ähnliche Regelung wie in Bayern zu
beschließen?
Falls ja, um welche Regelungen in welchem Bundesland handelt es
sich?

11. Teilt die Bundesregierung die Kritik von Sprachschulen und Volkshoch-
schulen, dass das Verfahren zur Verwaltung der Kurse zu aufwendig ist und
dieser zusätzliche Arbeitsaufwand nicht ausreichend vergütet wird?
Falls ja, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um diese Probleme

zu beseitigen?
Falls nein, warum nicht?

Drucksache 16/491 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
12. Wie viele der Integrationskurse waren berufsfeldbezogen ausgerichtet, und
welche Berufsfelder sind einbezogen worden?

Wenn keine Kurse berufsfeldbezogen ausgerichtet waren, warum nicht?

13. Bei wie vielen der zur Teilnahme verpflichteten ausländischen Staatsange-
hörigen fanden begleitend weitere Maßnahmen zur Unterstützung ihrer
Eingliederung in den Arbeitsmarkt statt?

14. a) Wie viele der Intergrationskurse wurden für spezielle Zielgruppen durch-
geführt?

b) Wie viele der Integrationskurse wurden speziell für Frauen, wie viele für
Jugendliche, wie viele für Eltern angeboten?

c) Wie viele richteten sich speziell an Analphabeten?

d) Wie viele der Kurse waren von einer Kinderbetreuung begleitet?

15. Wie hoch war bisher die finanzielle Ausstattung der Intergrationskurse von
Seiten der Bundesregierung, und wie viel Geld stellten die Länder zur Ver-
fügung?

a) Wie viele Bundesmittel, wie viele Landesmittel waren für Neuzuwande-
rer, wie viele für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, wie viele für
ausländische Staatsangehörige, die bereits länger in der Bundesrepublik
Deutschland leben, vorgesehen?

b) Wie viel Geld will die Bundesregierung in den nächsten vier Jahren pro
Jahr für die Integrationskurse zur Verfügung stellen, wie viel für Neu-
zuwanderer, wie viel für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und
wie viel für ausländische Staatsangehörige, die bereits länger in der
Bundesrepublik Deutschland leben?

c) Plant die Bundesregierung, das Fördervolumen für die Integrationskurse
für ausländische Staatsangehörige, die bereits länger in der Bundes-
republik Deutschland leben, zu erhöhen?

Wenn ja, um wie viel?

Wenn nein, warum nicht?

16. Plant die Bundesregierung in Reaktion auf die Kritik der Träger, die Unter-
richtsstunden der Integrationskurse von 600 auf 900 zu erhöhen?

Wenn nein, warum nicht?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik, dass viele Geringverdienende
durch die Kosten von mindestens 1 Euro pro Unterrichtsstunde zu stark
belastet werden, und plant die Bundesregierung, die Kosten deswegen für
Geringverdienende zu erlassen?

18. Plant die Bundesregierung, ausländische Staatsangehörige mit Duldung zur
Teilnahme an den Integrationskursen zu berechtigen?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 26. Januar 2006

Sevim Dagdelen
Ulla Jelpke
Jan Korte
Karin Binder
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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