BT-Drucksache 16/4863

Neue Wege in der Technologieförderung ergreifen - Deutschland als Technologiestandort stärken

Vom 28. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4863
16. Wahlperiode 28. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Flach, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn),
Markus Löning, Horst Meierhofer, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela
Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Neue Wege in der Technologieförderung ergreifen – Deutschland als
Technologiestandort stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Innovationsfähigkeit Deutschlands und damit der wirtschaftliche Erfolg und
die Schaffung neuer und zukunftssicherer Arbeitsplätze hängt entscheidend da-
von ab, in welchem Maße es gelingt, moderne Technologien zu entwickeln und
in marktfähige Produkte und Dienstleistungen umzusetzen.

Bund, Länder, Kommunen und Wirtschaft wendeten im Jahr 2005 für Forschung
und Entwicklung (FuE) gemeinsam rund 55,2 Mrd. Euro auf (Quelle: BMBF,
Stifterverband Wissenschaftsstatistik). Nach ersten Schätzungen des Stifterver-
bandes für die Deutsche Wissenschaft und des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung (BMBF) konnte Deutschland seine Ausgaben für FuE im Jahr
2006, nach Jahren des Rückgangs, auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
(BIP) steigern. Nach wie vor sind wir dem Ziel, 3 Prozent des BIP im Jahr 2010
für FuE auszugeben, kaum näher gekommen. Bislang stehen in der mittelfristi-
gen Finanzplanung der Bundesregierung lediglich Steigerungsraten von 600
Mio. Euro. Das 3-Prozent-Ziel wird also nach gegenwärtigen Planungen deut-

lich verfehlt werden. Der amerikanische Bundesstaat Kalifornien allein wendete
2006 an staatlichen und privaten Mitteln insgesamt rund 70 Mrd. US-Dollar für
FuE auf. Dies relativiert die deutschen Anstrengungen.

Zahlreichen Studien, aber auch der Bericht zur technologischen Leistungsfähig-
keit, belegen: Deutschland ist gut bis sehr gut in der Grundlagenforschung, aber
die Umsetzung in marktfähige Produkte dauert zu lange, scheitert an fehlendem
Wagniskapital oder an bürokratischen und unübersichtlichen Antragsverfahren.

Drucksache 16/4863 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Eine Untersuchung von Max-Planck-Innovation im Januar 2007 brachte es auf
den Punkt: Deutschland verfügt über eine breite und solide Basis in der akade-
mischen Forschung. Den akademischen Forschungsergebnissen fehlt oft die
Reife für eine wirtschaftliche Umsetzung. Weder Unternehmen noch Venture-
Capital-Investoren sind bereit, in die Weiterentwicklung der Projekte zu inves-
tieren, da das betriebswirtschaftliche Risiko zu groß ist.

Gerade in der Spitzentechnik erleben wir einen stärkeren Wettbewerb mit euro-
päischen und internationalen Mitbewerbern, bei dem Deutschland in wichtigen
Branchen Marktanteile verloren hat. Beispiele sind die Computertechnologie
oder die Unterhaltungselektronik. Die Boston Consulting Group hat im Januar
2007 eine Analyse von 700 000 Patenten in 17 Technologiefeldern durchgeführt
und festgestellt, dass Deutschland im globalen Innovationswettbewerb in Tech-
nologiefeldern führend ist, die ihre starke Wachstumsphase bereits hinter sich
haben. Je höher die Innovationsdynamik, desto schwächer ist die deutsche Posi-
tion. In der Automobiltechnik, im Maschinenbau, in der Chemie-, Energie- oder
Bautechnik zählt Deutschland zu den größten Patentanmeldern weltweit. Bei
Technologien wie der Computertechnik, der Unterhaltungselektronik, der Bio-
technologie, der Mikroelektronik oder den Optischen Technologien liegt
Deutschland im weltweiten Vergleich deutlich zurück.

Beklagt wird vor allem die mangelnde Risikobereitschaft der Banken bei der
Vergabe von Krediten und Darlehen. Dadurch entsteht eine Lücke in der Inno-
vationskette zwischen der Förderung von Start-up-Unternehmen und den sich
selbst tragenden, marktreifen Produkten. Der Innovationsindikator des BDI und
der Deutschen Telekom Stiftung macht deutlich, dass in Deutschland Mut zur
Selbständigkeit fehlt. Von 17 untersuchten Nationen befindet sich Deutschland
in dieser Studie auf Platz 16. Andere Länder, z. B. die USA, Korea oder auch
Irland, weisen eine weitaus höhere Bereitschaft auf, die Gründung eines Unter-
nehmens zu riskieren. Wenn diese Tendenz durch Zurückhaltung der Kapitalge-
ber verstärkt wird, ist dies ein Hindernis für die Innovationsfähigkeit unserer
Wirtschaft.

Seit Jahren wird in zahlreichen Studien beklagt, dass Förderprogramme für
Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) zu bürokratisch sind und die Verfah-
rensdauer zu langwierig ist. Entsprechend haben sich, einer Untersuchung des
Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zufolge, nur 27 Prozent der KMU in
den letzten fünf Jahren mit der Möglichkeit der Förderung von Forschung und
Entwicklung beschäftigt. Der wichtigste Grund dafür ist, dass die meisten Un-
ternehmen glauben, dass es für sie keine relevanten Fördermöglichkeiten gebe.
Die mehr als 100 000 innovativen Unternehmen des Mittelstandes in Deutsch-
land sind von großer Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung. KMUs kön-
nen nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 9 Prozent mit einer Förderung ihrer
FuE-Aktivitäten rechnen, bei Großunternehmen sind es 33 Prozent.

Zudem ist der Anteil der staatlichen Ausgaben für FuE, der in die Wirtschaft
fließt, seit Jahren rückläufig. Innerhalb der Projektförderung für KMU gibt es
nur sehr wenige technologieunabhängige Programme. Das Fördersystem des
Staates ist sehr selektiv und baut stark auf bestimmte, politisch gewollte Tech-
nologiefelder auf.

Die Bundesregierung hat im Januar 2007 eine umfassende Reform der Innova-
tionsförderung im Mittelstand angekündigt. Die Gelegenheit ist insofern güns-
tig, als die EU eine Reform der Mittelstandförderung beschlossen hat, die gerade
für Projekte der Technologieförderung von großer Bedeutung ist. So wird der
Höchstbetrag für beihilfefreie öffentliche Hilfen von 100 000 auf 200 000 Euro
angehoben; Bürgschaften sind bis zu einer Höhe von 1,5 Mio. Euro mit der
D- Minimis-Verordnung vereinbar und die Beihilfen können mit anderen staat-
lichen Beihilfen kumuliert werden. Diese Änderungen sollten aber dazu genutzt

werden, staatliche Beihilferegelungen in Deutschland nicht einfach auszu-
weiten, sondern sie flexibler und effizienter einzusetzen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4863

In diesem Sinne muss auch klar sein, dass jede Technologieförderung ein Sub-
ventionstatbestand darstellt, d. h., sie wirkt tendenziell marktverzerrend und be-
lastet den Haushalt oft über Jahre ohne strengen Evaluationskriterien zu unter-
liegen.

Noch immer werden zu viele Fördermittel des Bundes für Programme aufge-
wendet, deren Mittelabfluss nicht gewährleistet ist. Im Jahr 2006 flossen bei-
spielsweise nur 89,49 Prozent der veranschlagten 99,6 Mio. Euro im Programm
„Vernetzte Welt“ ab. Beim Titel „Produktionssysteme und -technologien waren
es nur 90,2 Prozent von veranschlagten 62 Mio. Euro, beim Titel „Innovative
Dienstleistungen Multimedia“ nur 79,8 Prozent der bereitgestellten 176 Mio.
Euro, die Förderung der Innovationsfähigkeit von KMU konnte nur mit 6,8 Mio.
Euro anstatt den angesetzten 8,1 Mio. Euro gefördert werden (85,1 Prozent).

Die Förderung von Technologien ist nach wie vor zu stark von politischen
Wunschvorstellungen in den Bundesministerien geprägt, die sich in der konkre-
ten Projektphase oftmals als nicht realisierbar herausstellen. Um die gewünsch-
ten Mittelabflüsse zu erreichen, werden nicht selten auch am Ende eines Haus-
haltsjahres auch Projekte bewilligt, die weniger förderungswürdig erscheinen.
Die reine Steigerung der Mittel für die Technologieförderung ist daher kein ge-
eignetes Kriterium für die Innovationsfähigkeit.

Die Förderung von Technologien im Rahmen „Leuchtturmprojekte“ ist oft nur
eine Umschreibung der Tatsache, dass zu wenige Mittel zur Verfügung stehen,
um auch nur alle sehr guten Projektanträge fördern zu können. Leuchtturmpro-
jekte sind deshalb eher ein Steuerungsinstrument für Fachgebiete, die neuer An-
stöße bedürfen als für wichtige und dynamische Querschnittsfelder.

Noch immer gibt es Dopplungen zwischen den Bundesministerien bei der För-
derung bestimmter Technologien. Das betrifft z. B. die Zersplitterung der För-
derung der Energietechnologien. Noch immer sind auch politische Zielvorstel-
lungen der Bundesministerien gegenläufig und konterkarieren eine konsistente
Technologiepolitik. Das betrifft beispielsweise die Grüne Gentechnik oder die
Fusionsforschung.

Erschwert wird die Innovationsförderung in Deutschland durch eine im Ver-
gleich mit anderen Ländern ausgeprägte Risikoscheu und Technikskepsis in Tei-
len der Bevölkerung. „Die Mehrheit der Bundesbürger ist zwar überzeugt, dass
Innovationen das Leben gesünder, leichter und die Arbeit interessanter machen,
gleichzeitig aber sehr skeptisch, ob die erwarteten positiven Effekte die potenzi-
ellen Nachteile überwiegen“, so der Innovationsindikator Deutschland 2006 des
BDI und der Deutschen Telekom Stiftung. Innovationsführer werden wir welt-
weit nur, wenn nicht jede neue Entwicklung vor ihrer Markteinführung in jahre-
langen gesellschaftlichen Dialogen, Risikodiskussionen und endlosen Genehmi-
gungsverfahren solange gestoppt wird, bis die Mitbewerber aufgeschlossen bzw.
uns überholt haben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Technologieförderung des Bundes einer umfassenden externen Evalua-
tion zu unterziehen, die mit nachprüfbaren Indikatoren Erfolg oder Misser-
folg der Förderung bewertet und entsprechende Vorschläge zur Verbesserung
der Effizienz unterbreitet. Dies muss zu einem umfassenden, regelmäßigen
Controlling-System ausgebaut werden. Dabei darf es für Programme keine
Bestandsgarantie geben. Der Ansatz des Bundesministers für Wirtschaft und
Technologie, für den Mittelstand nur noch einen einzigen Ansprechpartner
im Antragsverfahren vorzusehen, wird ausdrücklich begrüßt. Auch für die
Innovationsförderung muss es eine „One-Stop-Agency“ geben, um Bürokra-

tie zu vermeiden und schneller zu neuen Produkten zu kommen;

Drucksache 16/4863 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. die Technologieförderung des Bundes prinzipiell im Wettbewerb und mit
Konzentration auf Exzellenz durchzuführen. Innovationspolitik kann struk-
turpolitische Fehlentwicklungen nicht kompensieren, jedoch einen Beitrag
für eine wissensbasierte Wirtschaft leisten;

3. den Subventionsbegriff im § 12 des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes
breiter zu fassen, damit mehr Transparenz und Klarheit bei der Technologie-
förderung einzieht;

4. die verbleibenden Subventionen im Technologiebereich auf Förderung
technologischer Innovationen auszurichten, wie dies z. B. bei der Werften-
hilfe geschehen ist. Gleiches muss für die Luft- und Raumfahrt und die
Energietechnologien gelten;

5. anders als in der High-Tech-Strategie der Bundesregierung nicht eine große
Zahl von Themenbereichen ein wenig zu unterstützen, sondern klare Priori-
täten und Nachrangigkeiten zu definieren. Dabei muss sich die Bundes-
regierung bei der Definition von Prioritäten und Nachrangigkeiten unabhän-
gigen Sachverstandes bedienen;

6. die Verzahnung der verschiedenen Fördersysteme des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie, des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit zu verbessern, die Struktur aus vielen kleinen unüber-
sichtlichen Förderprogrammen zu bereinigen, wettbewerblich auszurichten
und dem Querschnittscharakter vieler neuer Technologien durch gemein-
same Ausschreibungen mehrerer Referate innerhalb eines Bundesministe-
riums Rechnung zu tragen;

7. „Leuchtturmprojekte“ für solche Technologiefelder anzuwenden, die neuer
Anstöße bedürfen, nicht aber für dynamische Querschnittsfelder. Hier ist
eine zeitlich begrenzte und degressiv gestaltete Förderung notwendig;

8. Mit einem gemeinsamen Internetportal aller Bundesministerien für die ge-
samte Technologieförderung des Bundes Übersichtlichkeit herzustellen.
Dieses Portal muss dialogorientiert sein, damit sich ein Interessent über
Rückfragen hinreichend orientieren kann, welches Programm für ihn geeig-
net ist;

9. im Rahmen der Europäischen Union gemeinsame Technologieförderkrite-
rien zu entwickeln und in Form von grenzüberschreitenden Technologiepro-
jekten zu realisieren;

10. sich aus Eigenentwicklungen von IT-Produkten, Software und IT-Dienst-
leistungen zurückzuziehen und sich stattdessen auf das Vorantreiben von
gemeinsamen Standards zu konzentrieren;

11. die Möglichkeiten einer Start-up-Förderung durch den „Hightech-Gründer-
fond“ für innovative Unternehmen auszubauen;

12. mit einem Innovationsfonds der deutschen Forschung die strukturelle Lücke
zwischen der akademischen Forschung und der wirtschaftlichen Verwer-
tung zu schließen. Dabei sollen die Fördermittel nach rein wirtschaftlichen
Gesichtspunkten vergeben werden und die Projekte von industrieerfahrenen
Spezialisten begleitet werden. Das geistige Eigentum soll vollständig bei
den antragstellenden Forschungseinrichtungen verbleiben;

13. Im Rahmen der geplanten Unternehmenssteuerreform alles zu unterlassen,
was die Verfügbarkeit von Wagniskapital für Technologieunternehmen be-
einträchtigen könnte. Private-Equity- und Risikokapitalfonds sollten grund-
sätzlich als vermögenswirksam eingestuft werden. Eine Ausweitung der

Deckungsfähigkeit für Versicherungen auf Wagniskapital nach angelsächsi-
schem Vorbild erleichtert die Kapitalaufnahme. Der Handel mit Verlustvor-

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trägen darf nicht soweit eingeschränkt werden, dass Start-up-Unternehmen
im Zugang zu Wagniskapital behindert werden;

14. die Akzeptanz moderner Technologien in Deutschland durch Aufklärungs-
kampagnen, Kongresse und Multiplikatorengespräche zu erhöhen;

15. die im Rahmen der Unternehmenssteuerreform geplante Verschlechterung
der unternehmerischen Fremdfinanzierung und damit die stark investitions-
feindliche Steuerpolitik umgehend zu stoppen.

Berlin, den 26. März 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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