BT-Drucksache 16/4732

Beitrag der Bundesregierung zur politischen Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts

Vom 19. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4732
16. Wahlperiode 19. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche,
Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke und der Fraktion DIE LINKE.

Beitrag der Bundesregierung zur politischen Lösung des türkisch-kurdischen
Konflikts

Die Situation in den kurdischen Gebieten der Türkei ist immer noch explosiv,
die Lage der kurdischen Bevölkerungsminderheit bleibt prekär. Die Unruhen in
Diyarbakir am 28. März 2006 im Anschluss an eine Trauerfeier für Kurdinnen
und Kurden, die vom türkischen Militär getötet worden waren, bildete nur einen
weiteren Höhepunkt in dem seit Jahren andauernden Konflikt. Im Verlauf dieser
Auseinandersetzung wurden mehr als 100 Zivilisten verletzt und zwei getötet.
Nach wie vor werden den Kurdinnen und Kurden wesentliche Menschenrechte
und Minderheitenrechte verweigert: so wird z. B. der Gebrauch der kurdischen
Sprache in Erziehung, Ausbildung, Presse, Rundfunk und Fernsehen und in den
Institutionen mit Strafverfolgung geahndet, die Gründung und Tätigkeit kultu-
reller, sozialer und politischer Organisationen ebenso wie die Pflege und Aus-
übung der kurdischen Kultur eklatant behindert. Die Aufrechterhaltung des
Dorfschützersystems, die unzureichende Entschädigung der Binnenflüchtlinge,
die anhaltende Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden unter anderem
nach Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches („Verunglimpfung des
Türkentums“) und dem geänderten Antiterrorgesetz sowie der von der türki-
schen Regierung offen angedrohte Einmarsch in das kurdische Gebiet im Irak
verschärfen die Situation zusätzlich.

Mit Beginn der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei im Ok-
tober 2005 hat sich die Türkei verpflichtet, die Erfüllung der politischen Kopen-
hagener Kriterien für den EU-Beitritt schrittweise durch Reformen zu erreichen.
Diese beinhalten das Vorhandensein stabiler Institutionen, die Gewährleistung
von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte sowie die
Wahrung der Rechte und den Schutz von Minderheiten. Ein jährlicher Fort-
schrittsbericht der EU-Kommission begleitet und beurteilt diesen Prozess. Die
Bundesregierung betont, dass sie die Türkei bei der Umsetzung der politischen
Beitragskriterien unterstützt und sich für eine friedliche Lösung des Konflikts
zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bevölkerung einsetzt.

Der bisherige Beitrag der Bundesregierung ist allerdings widersprüchlich. Einer-
seits unterstützt sie die Initiativen der EU, die von der türkischen Regierung die

Einhaltung der Menschenrechte und Minderheitenrechte verlangen. Anderer-
seits ist in der bilateralen Praxis der Zusammenarbeit nicht zu erkennen, dass die-
ses Anliegen eine prioritäre Stellung einnimmt und entsprechend Druck ausge-
übt wird. Nach wie vor gehören die türkischen Streitkräfte zu den wichtigsten
Abnehmern deutscher Rüstungsgüter, darunter auch Waffensysteme, die sich für
den Einsatz gegen die kurdische Bevölkerung eignen wie z. B. die Leopard 2A4
Kampfpanzer aus Bundeswehrbeständen oder Hubschrauber aus deutsch-fran-

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zösischer Koproduktion und in Lizenz produzierte Kleinwaffen. Mit dem Fest-
halten am Verbot der PKK in Deutschland und der Weigerung der Bundesregie-
rung, in Deutschland lebende Kurdinnen und Kurden türkischer Herkunft als
eigenständige ethnische Gruppe anzuerkennen und ihnen die damit verbundenen
Rechte einzuräumen, blockiert die Bundesregierung den Dialog mit großen Tei-
len der Kurdinnen und Kurden.

Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fällt es der Bundesregierung nun zu,
den „Türkei Fortschrittsbericht 2006“ zum Anlass einer Überprüfung des bis-
herigen Erfolgs der Verhandlungen zu nehmen und neue Impulse für die wei-
teren Verhandlungen, insbesondere in der Frage des türkisch-kurdischen Kon-
flikts, zu geben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die im „Türkei Forschrittsbericht 2006“ geäußerte
Auffassung der EU-Kommission, die Menschenrechtslage im Südosten des
Landes gäbe besonderen Anlass zur Sorge (Türkei Fortschrittsbericht 2006,
S. 15)?

Wenn ja, wegen welcher Gefährdungen oder Verletzungen von Menschen-
rechten, wenn nein, weswegen nicht?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung der Menschenrechtslage
in den kurdischen Gebieten seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen ange-
sichts der von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International
oder der Human Rights Asssociation Turkey (IHD) regelmäßig dokumentier-
ten Menschenrechtsverletzungen (Tötungen, Verletzungen, Festnahmen,
Folterungen, Verbote gegen Vereine, Parteien, Zeitungen und Zeitschriften
etc.)?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass die kurdische Bevöl-
kerung in der Türkei nicht als Minderheit anerkannt ist und ihr dementspre-
chend Minderheitenrechte sowie der Schutz ihrer Kultur und Sprache verwei-
gert werden?

4. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass der von Premier-
minister Recep Tayyip Erdogan am 12. August 2005 angekündigten demo-
kratischen Lösung der „Kurdenfrage“ laut Kommissionsbericht keine ent-
sprechenden Maßnahmen gefolgt sind?

5. Welche Maßnahmen muss die Türkei nach Auffassung der Bundesregierung
im Detail umsetzen, um in der Frage der Menschenrechte sowie der Rechte
und des Schutzes von Minderheiten, insbesondere im Hinblick auf die kur-
dische Bevölkerung, den Kopenhagener Kriterien und internationalen Stan-
dards zu entsprechen?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der EU-Kommission, die Lage der
Binnenflüchtlinge gäbe weiterhin Anlass zur Besorgnis (Türkei Fortschritts-
bericht 2006, S. 25)?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung
notwendig, um die Lage der Binnenflüchtlinge zu verbessern?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die eingeschränkten Rechte nichtmusli-
mischer Glaubensgemeinschaften in der Türkei?

Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung notwendig,
um die Lage nichtmuslimischer Glaubensgemeinschaften in der Türkei zu

verbessern?

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8. Stimmt die Bundesregierung der Feststellung der EU-Kommission (Türkei
Fortschrittsbericht 2006, S. 15) zu, die im Zuge der Novellierung des Anti-
terrorgesetzes eingeführten neuen Bestimmungen könnten die Bemühungen
um die Bekämpfung von Folter und Misshandlungen untergraben?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung
nötig, um dies zu korrigieren?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

9. Stimmt die Bundesregierung der Feststellung der EU-Kommission (Türkei
Fortschrittsbericht 2006, S. 6) zu, das novellierte Antiterrorgesetz ermög-
liche rechtliche Beschränkungen der Meinungs-, Presse- und Medien-
freiheit und senke die Verfahrensgarantien für Personen herab, die terroris-
tischer Straftaten beschuldigt werden?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Stand der „Entwick-
lung eines umfassenden Konzepts zum Abbau des Regionalgefälles, ins-
besondere zur Verbesserung der Lage in der Südosttürkei, mit Blick auf die
Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Chancen für alle
türkischen Bürger, einschließlich türkischer Bürger kurdischer Herkunft“,
wie von der EU in der Beitrittspartnerschaft 2005 formuliert?

11. Welche konkreten Initiativen hat die Bundesregierung seit Beginn der Bei-
trittsverhandlungen ergriffen, um die Türkei zur Einhaltung der Menschen-
rechte und entsprechender Reformen zu bewegen?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Selbstbestimmung und
Gleichberechtigung des kurdischen Volkes und anderer Minderheiten zen-
tral sind für eine nachhaltige politische Stabilität in der Türkei und damit
zentral für die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien?

13. Welche konkreten Initiativen plant die Bundesregierung im Rahmen ihrer
EU-Ratspräsidentschaft, um eine politische Lösung des Konflikts zwischen
der türkischen Regierung und der kurdischen Bevölkerung herbeizuführen?

14. Wie viele bilaterale Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung
und der Türkei haben seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen stattgefun-
den (bitte mit Angaben zu Ort, Datum und Inhalt)?

15. Hat die Bundesregierung im Rahmen dieser Gespräche Auskünfte über eine
Strategie der türkischen Regierung zu einer politischen Lösung des Kon-
flikts mit den Kurden und Kurdinnen eingeholt bzw. selbst Vorschläge
gemacht und ihre Hilfe angeboten?

16. Welche Auskünfte hat die Bundesregierung im Rahmen dieser Gespräche
erhalten, und wie bewertet sie diese?

17. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Verbesserung
der wirtschaftlichen Lage im Südosten der Türkei?

18. Welche der aus Deutschland seit 1998 an die Türkei gelieferten Rüstungs-
güter eignen sich nach Kenntnis der Bundesregierung für die Aufstands-
bekämpfung?

19. Welche Kriegswaffen, Kleinwaffen und leichten Waffen und sonstigen
konventionellen Rüstungsgüter wie z. B. Hubschrauber wurden seit 1998
an türkische Sicherheitsbehörden geliefert (bitte aufgeschlüsselt nach Be-
hörde)?

20. Welche in Deutschland entwickelten Kleinwaffen und Munitionstypen wur-
den und werden nach Kenntnis der Bundesregierung seit 1998 in Lizenz in
der Türkei hergestellt?

Drucksache 16/4732 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
21. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass aus Deutschland gelieferte
Munition und Waffensysteme sowie andere Rüstungsgüter von den tür-
kischen Sicherheitsbehörden gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt
werden?

Wenn ja, wie stellt sie dies sicher?

22. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass aus Deutschland gelieferte
Waffensysteme und Munition von der türkischen Armee bei einem Ein-
marsch in den Irak eingesetzt werden?

Wenn ja, wie stellt sie dies sicher?

23. In welcher Höhe und für welche Rüstungsprojekte wurden seit 1998 staat-
liche Exportbürgschaften, so genannte Hermes-Kredite, für Rüstungs-
exporte in die Türkei zugesagt bzw. vergeben?

24. Erwägt die Bundesregierung angesichts des einseitigen Waffenstillstandes
der PKK eine Aufhebung der Einstufung der PKK als terroristische Ver-
einigung, um damit nationale und internationale Friedensbemühungen zu
unterstützen?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

25. Plant die Bundesregierung im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft den Be-
such einer EU-Delegation in den kurdischen Gebieten, um sich vor Ort
und unter Einbeziehung lokaler Menschenrechtsorganisationen und der
Zivilbevölkerung ein Bild von der derzeitigen Lage zu machen?

Wenn ja, bitte mit Angabe des Zeitraums und der Programmplanung, wenn
nein, mit welcher Begründung?

Berlin, den 19. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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