BT-Drucksache 16/4653

Euratom

Vom 9. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4653
16. Wahlperiode 09. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Euratom

Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom-Ver-
trag) gehört zu den 1957 geschlossenen sog. Römischen Verträgen. Nach dem
Auslaufen des von Anfang an auf eine Laufzeit von 50 Jahren beschränkten
Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Ver-
trag) 2 von 1951 ist der EAGV zusammen mit dem gleichfalls 1957 geschlosse-
nen Vertrag über die Europäische Gemeinschaft3 (EGV – ehemals Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft: EWGV) einer der verbleibenden Gründungsverträge
der Europäischen Gemeinschaften. Diese Gründungsverträge enthalten – er-
gänzt um den Vertrag über die Europäische Union4 von 1992/1993 (EUV) –
das Primärrecht der Europäischen Union.

Das Gutachten von Prof. Dr. Bernhard W. Wegener von der Friedrich-Alexander-
Universität Erlangen-Nürnberg zu der Möglichkeit einer „Kündigung des Ver-
trages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM)“
kommt u. a. zu folgendem Ergebnis:

„1. Die Europäische Atomgemeinschaft ist in ihren Hauptzielsetzungen ge-
scheitert. Weite Bereiche des primären Euratom-Rechts werden nach einem
erklärten Konsens der Mitgliedstaaten nicht angewendet.

2. Die Entscheidungsstrukturen der Atomgemeinschaft entsprechen nicht dem
in der Europäischen Union allgemein erreichten und vom Grundgesetz
prinzipiell zur Bedingung einer Mitwirkung Deutschlands erhobenen demo-
kratischen Standard.

3. Die unter Berufung auf die überlebten Strukturen des Euratom-Vertrages
ermöglichte traditionelle Ausklammerung der Atomenergiewirtschaft aus
dem allgemeinen Wettbewerbsrecht des EG-Vertrages ist vor dem Hinter-
grund einer veränderten technischen und energiepolitischen Situation nicht
länger zu rechtfertigen. Der Euratom-Vertrag steht dem nach dem EG-
Recht zu entwickelnden freien Binnenmarkt für Energie entgegen.

4. Der Euratom-Vertrag verhindert bis heute die Entwicklung eines europa-
weit einheitlichen Anlagensicherheitsrechts für Atomenergieanlagen. Seine
Auflösung ermöglichte insoweit die Heranziehung der einschlägigen Kom-

petenzgrundlagen des EG-Vertrages.

5. Der Euratom-Vertrag ist ein wesentliches Hemmnis auf dem Weg zu einer
einheitlichen und transparenten Verfassungsordnung der Europäischen
Union. Die Abwicklung des Euratom-Vertrages kann als ein Mittel zur
überfälligen Reform des Primärrechts der Union angesehen werden.“

Drucksache 16/4653 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Als der Euratom-Vertrag geschlossen wurde, herrschte in vielen Ländern eine
Atomenergieeuphorie mit umfassenden Hoffnungen und Erwartungen auf der
einen Seite und geringem Risikobewusstsein gegenüber der Atomenergie auf
der anderen Seite. In den letzten 50 Jahren haben sich die Träume als Wunsch-
träume erwiesen. Stattdessen sind den Menschen und einer Reihe von Regie-
rungen die Risiken der Atomenergie bewusst geworden. Eine Reihe von Mit-
gliedstaaten der EU haben nie Atomkraftwerke gebaut. Andere – wie Deutsch-
land – haben mittlerweile den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Die
Ziele des Euratom-Vertrages haben sich nicht verwirklicht. Dennoch ist er
weiterhin in Kraft und bindet selbst die Länder, die der Atomenergie ablehnend
gegenüberstehen – wie u. a. die Bundesrepublik Deutschland.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Unterstützt die Bundesregierung alle Ziele des Euratom-Vertrages?

2. Hält die Bundesregierung den Euratom-Vertrag für erfolgreich?

3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Entscheidungsstrukturen
von Euratom demokratischen Standards im Sinne von Artikel 23 des
Grundgesetzes und damit den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspre-
chen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die „Reformresistenz“ des Euratom-
Vertrages, der in den 50 Jahren seines Bestehens nicht verändert wurde?

Hält sie den Vertrag in seiner Zielsetzung und in seinen Ausführung für
zielführend?

5. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das allgemeine EG-Wett-
bewerbsrecht auch auf den Euratom-Vertrag anzuwenden ist?

6. Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, dass dem EU-Parlament
anders als anderen Bereichen kein Mitspracherecht bei finanziellen Ent-
scheidungen zu Euratom eingeräumt wurde?

7. Erachtet die Bundesregierung die Entwicklung eines europäischen An-
lagensicherheitsrechts für Nuklearanlagen für erforderlich?

8. Betrachtet die Bundesregierung den Euratom-Vertrag als ein Hemmnis bei
der Entwicklung eines europäischen Anlagensicherheitsrechts für Nuklear-
anlagen?

9. Hält die Bundesregierung es rechtlich für möglich, den Euratom-Vertrag
unilateral zu kündigen?

10. Auf welche juristischen Gutachten stützt die Bundesregierung ihre Ein-
schätzung bezüglich der unilateralen Kündbarkeit?

11. Welche Privilegien kennt die Bundesregierung für die Atomenergie, die
sich aus dem Euratom-Vertrag ableiten?

12. Betrachtet die Bundesregierung die aus dem Euratom-Vertrag abgeleiteten
politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen als Privilegierung der
Atomenergie im Vergleich zu anderen Energieträgern im Allgemeinen so-
wie zu erneuerbaren Energien im Besonderen?

13. Werden aus Sicht der Bundesregierung erneuerbare Energien gegenüber
der Atomenergie infolge des Euratom-Vertrages auf europäischer Ebene
diskriminiert?

14. Wie viele Millionen Euro sind entsprechend den Kenntnissen der Bundes-
regierung laut Euratom-Forschungsprogramm zwischen 2007 und 2013 für

die Kernenergieforschung vorgesehen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4653

15. Wie viele Millionen Euro sind entsprechend den Kenntnissen der Bundes-
regierung laut 7. Forschungsrahmenprogramm der EU zwischen 2007 und
2013 für die Forschung im Bereich Erneuerbare Energien vorgesehen?

16. Wie steht die Bundesregierung grundsätzlich zur Einrichtung eines Euro-
päischen Vertrages für Erneuerbare Energien (EURENEW)?

17. Welche Regelungsstrukturen des Euratom-Vertrages sollten nach Auf-
fassung der Bundesregierung in den EG-Vertrag bzw. den Vertrag über eine
Verfassung für Europa überführt werden?

Berlin, den 9. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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