BT-Drucksache 16/4631

V-Leute in der NPD abschalten

Vom 8. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4631
16. Wahlperiode 08. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, Sevim Dag˘delen,
Wolfgang Neskovic, Kersten Naumann und der Fraktion DIE LINKE.

V-Leute in der NPD abschalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer hatte be-
reits im Januar 2006 deutlich gemacht, dass die Einstellung des Verbotsverfah-
rens gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands im März 2003 kein
„Persilschein“ für die NPD sei. Der damalige Beschluss habe „nichts mit einer
tatsächlichen Verfassungswidrigkeit der Partei“ zu tun gehabt. Ein Parteiverbot
ist nach Meinung Winfried Hassemers nach wie vor „durchführbar“. Allerdings
müssten die Antragsteller dafür sorgen, dass kurz vor und während eines Verbots-
verfahrens V-Leute des Verfassungsschutzes aus den Führungsgremien der Partei
abgezogen oder zumindest abgeschaltet würden (DER SPIEGEL 5/2005). Nach
dem Einzug der Rechtsextremisten in den Landtag von Mecklenburg-Vorpom-
mern hat der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Peter Struck, im Sep-
tember 2006 erneut ein NPD-Verbot ins Gespräch gebracht. Verschiedene Politi-
ker haben sich diesem Vorschlag inzwischen angeschlossen. Die öffentlichen De-
batten um ein neues NPD-Verbotsverfahren erwecken in der gegenwärtigen Form
allerdings den Eindruck der Unernsthaftigkeit und nützen dieser Partei mehr, als
dass sie ihr schaden. So wird von vielen Beteiligten dieser Debatte nicht zur
Kenntnis genommen, dass die Gründe für das Scheitern des ersten Verbotsverfah-
rens in der Anwesenheit von V-Leuten der VS-Behörden in der Führungsebene
der NPD zu suchen sind. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur
Einstellung des Verfahrens ist hier ganz deutlich: „Das Gericht kann seine Auf-
gabe der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nur dann wahrneh-
men, wenn auch die zur Antragstellung berechtigten Verfassungsorgane die ihnen
zugewiesene Verfahrensverantwortung erkennen und wahrnehmen. Es ist zu-
nächst die Pflicht der Antragsteller, durch sorgfältige Vorbereitung ihrer Anträge
die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung eines Verbotsverfahrens
zu schaffen. Deshalb müssen die staatlichen Stellen rechtzeitig vor dem Eingang
des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht – spätestens mit der öffent-
lichen Bekanntmachung der Absicht, einen Antrag zu stellen – ihre Quellen in
den Vorständen einer politischen Partei ,abgeschaltet‘ haben; sie dürfen nach die-

sem Zeitpunkt keine die ,Abschaltung‘ umgehende ,Nachsorge‘ betreiben, die
mit weiterer Informationsgewinnung verbunden sein kann, und müssen einge-
schleuste V-Leute zurückgezogen haben.“ (http://www.bundesverfassungsge-
richt.de/entscheidungen/bs20030318_2bvb000101.html). Ohne eine nur politisch
zu treffende Entscheidung für ein Verbotsverfahren vorwegzunehmen, ist für eine
ernsthafte Debatte über ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD die Besei-

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tigung dieser vom Bundesverfassungsgericht benannten Hindernisse die erste
Voraussetzung.

2. Unabhängig von der Verbotsfrage erscheint die Durchdringung der NPD mit
V- Leuten nicht zielführend bei ihrer Bekämpfung oder Überwachung. Weder ist
eine Schwächung der Partei noch die Aufdeckung verborgener Aktivitäten und
Strukturen durch diese V-Leute erkennbar. Im November 2006 hat die IMK eine
Arbeitsgruppe eingerichtet, um Erkenntnisse über die NPD zusammenzutragen.
Schleswig-Holsteins Innenminister Dr. Ralf Stegner nannte als besonderen Punkt
des Interesses die Finanzen der NPD, ihre Geldgeber und die Frage der Grund-
stückskäufe. Hier drängt sich die Vermutung auf, dass über die vorhandenen
V- Leute solche Erkenntnisse nicht erlangt worden sind.

3. Die vom Bundestag bereits auf Antrag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, FDP und PDS in der 14. Wahlperiode beschlossene Einrichtung einer
personell und finanziell entsprechend ausgestatteten unabhängigen „Beobach-
tungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus“ (Bundestagsdruck-
sache 14/5456), deren Arbeitsschwerpunkt in der Analyse der inhaltlichen und
organisatorischen Entwicklung der extremen Rechten liegt, könnte die wichtigen
Informationen zu diesen Themen effektiver, demokratischer und für die Öffent-
lichkeit nachvollziehbarer erlangen und mit konkreten Handlungsempfehlungen
an Politik und Gesellschaft verbinden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Bundesamt für Verfassungsschutz anzuweisen, alle V-Leute in der NPD ab-
zuschalten,

2. sich im Rahmen der Innenministerkonferenz bei den Bundesländern für einen
ebensolchen Schritt auf Landesebene einzusetzen,

3. dem Bundestag ein inhaltliches und finanzielles Konzept für eine zu schaffende
unabhängige Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemi-
tismus vorzulegen.

Berlin, den 7. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Nach einer Reihe fremdenfeindlicher und rechtsextremer Anschläge und Übergriffe
beschloss die Bundesregierung am 8. November 2000 im Rahmen des von ihr aus-
gerufenen „Aufstandes der Anständigen“, vor dem Bundesverfassungsgericht einen
Verbotsantrag gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands NPD zu stel-
len. Der Bundesrat folgte am 10. November und der Bundestag am 8. Dezember
2000 mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS.
Die Bundesregierung reichte am 30. Januar 2001 ihren Verbotsantrag ein, Bundestag
und Bundesrat zwei Monate später. Das Bundesverfassungsgericht setzte fünf Ver-
handlungstermine für Februar 2002 fest, zu denen 14 „Auskunftspersonen“ vor
allem aus der NPD-Führung geladen wurden. Diese Verhandlungstermine wurden
vom Bundesverfassungsgericht abgesagt, nachdem sich einer der geladenen NPD-
Funktionäre, der von allen drei Antragsstellern als Zeuge angeführt wurde, als lang-
jähriger V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz NRW entpuppte. In der

Folge wurden weitere V-Leute des Bundesamtes und der Landesämter für Verfas-
sungsschutz unter den Funktionären der NPD enttarnt. Bundesrat, Bundestag und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4631

Bundesregierung räumten zunächst zögerlich die Existenz von sechs, dann von
insgesamt 10 V- Leuten unter den NPD-Funktionären ein. Das Bundesverfassungs-
gericht verlangte nun eine umfassende Aufklärung über die Unterwanderung der
NPD durch V-Leute des Verfassungsschutzes. Die Antragssteller des Verbotsantra-
ges erklärten daraufhin am 26. Juli 2002, dass in den Bundes- und Landesvorständen
der NPD etwa jeder siebte Funktionär im Sold des Verfassungsschutzes stand. Bun-
desminister des Innern, Otto Schily (SPD), versicherte bei der Anhörung am
8. Oktober 2002, der Verfassungsschutz habe keine V-Leute in die NPD einge-
schleust, sondern erst dort geworben. Sie seien „Fleisch vom Fleisch der NPD“. Und
der Bundesrat versicherte, im Bundesvorstand der NPD gäbe es keine V-Leute des
VS. Nachdem drei der sieben Karlsruher Verfassungsrichter die Unterwanderung
der NPD durch V-Leute des Verfassungsschutzes als Hindernis für ein rechtsstaat-
liches Verfahren beurteilt haben, gab das Bundesverfassungsgericht am 18. März
2003 die Einstellung des Verfahrens bekannt. Die Verwendung von Aussagen ein-
zelner V-Leute in den Anträgen von Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat,
die zunächst nicht gekennzeichnete und dann nur zögerlich zugestandene V-Leute
Tätigkeit einzelner Zeugen der Kläger und schließlich die Weigerung der Verfas-
sungsschutzämter und der sie führenden Behörden, dem Gericht eine vollständige
Auflistung der V-Leute in der NPD zur Verfügung zu stellen, ließen dem Gericht
keine andere Wahl als die Verfahrenseinstellung. In der Begründung des Gerichts
heißt es: „Die Beobachtung einer politischen Partei durch V-Leute staatlicher Behör-
den, die als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren,
unmittelbar vor und während der Durchführung eines Verfahrens vor dem Bundes-
verfassungsgericht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei ist in der
Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren, die
sich aus Artikel 21 Abs. 1 und Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem Rechts-
staatsprinzip, Artikel 20 Abs. 3 GG, ergeben.“ (http://www.bundesverfassungsge-
richt.de/entscheidungen/bs20030318_2bvb000101.html). Die Einstellung des NPD-
Verbotsverfahrens war also durch die Unfähigkeit und Unwilligkeit der Antragstel-
ler hausgemacht, rechtzeitig vor Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfas-
sungsgericht ihre Quellen in den Vorständen der NPD abzuschalten und einge-
schleuste V-Leute zurückzuziehen.

Die noch im VS-Bericht für das Jahr 2003 formulierte Aussage, das Verbotsverfah-
ren habe „die Partei organisatorisch und finanziell geschwächt“ und zu einem deut-
lichen Mitgliederschwund geführt (vgl. VS-Bericht 2003, S. 26), hat sich schon
kurze Zeit später als gefährliche Fehleinschätzung erwiesen. Das gescheiterte Ver-
botsverfahren gegen die NPD hat aus heutiger Sicht zu einer eindeutigen Stärkung
der Partei geführt, die seit 2004 größere Wahlerfolge verzeichnen konnte. In den
Augen von Teilen der Bevölkerung ist das gescheiterte Verbotsverfahren eine Art
demokratische Legitimierung der NPD. Ihr Einzug als Fraktion in die Landtage von
Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern macht dies deutlich.

Welche konkreten Gefahren bzw. Straftaten durch den Einsatz von V-Leuten inner-
halb der NPD abgewehrt oder verhindert wurden, kann oder will die Bundesregie-
rung nicht benennen (vgl. Antworten auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. „V-Leute in der NPD“, Bundestagsdrucksache 16/3966). Die Schlagkraft
und Aggressivität der NPD hat sich durch den Einsatz von V-Leuten nicht vermin-
dert. Der Öffentlichkeit sind keine Ergebnisse dieser verborgenen Arbeit präsentiert
worden, die zu einer Einschränkung der Wirkungsmöglichkeiten der NPD beige-
tragen hätten. Ganz im Gegenteil wurden im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren
Vermutungen laut, V-Leute hätten zur aggressiven Ausrichtung der Partei aktiv
beigetragen und insofern eine eskalierende Wirkung innerhalb der Partei gehabt:
Wolfgang Frenz, von 1962 bis 1995 bezahlter V-Mann des VS-Landesamtes NRW
und wichtiger Zeuge aller drei Antragsteller, ist Gründungsmitglied der NPD, saß
bis 1998 im Parteivorstand und war zwischen 1977 und 1999 stellvertretender

Vorsitzender des Landesverbandes NRW. Er galt als einer der führenden Köpfe der
Partei und trat in verschiedenen NPD-Organen und Publikationen als rabiater

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Antisemit hervor. Der in den Verbotsanträgen von Bundestag und Bundesrat zitierte
Udo Holtmann war seit 1977 im Bundesvorstand der NPD und kurzzeitig kommis-
sarischer Parteivorsitzender. Seit 1978 war Udo Holtmann offenbar mit Wissen des
damaligen NPD-Vorsitzenden Martin Mußgnug als V-Mann des Bundesamtes für
Verfassungsschutz tätig, was den Wert der von ihm gelieferten Informationen nach-
haltig in Frage stellt. Wie Wolfgang Frenz trat auch Udo Holtmann in zahlreichen
NPD-Publikationen und bei Veranstaltungen als Rassist und Antisemit auf. Mit den
gewaltbereiten Carsten Szczepanski und Tino Brandt wurden auch Neonazis als
V- Leute enttarnt. Diese Entwicklung liegt in der Logik verdeckter Arbeit innerhalb
von Parteien, da eine Unterwanderung eine aktive Rolle der V-Leute statt einer pas-
siv-beobachtenden Rolle erfordert. Dieser Ansatz ist offensichtlich kontraproduktiv.
Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren belegt, dass eine effektive politische Kon-
trolle des Einsatzes von V-Leuten nicht möglich ist.

In vielen Fällen sind es nicht die Verfassungsschutzbehörden, die frühzeitige und
intime Kenntnis der NPD-Aktivitäten und anderer rechtsextremer Strukturen haben
und bekannt machen, sondern engagierte Gruppen und Initiativen vor Ort, die die
regionale rechtsextreme Szene sehr genau im Blick haben. Bis heute finden bei-
spielsweise zahlreiche Neonazi-Konzerte statt, ohne dass die örtlichen Behörden
oder die Öffentlichkeit von den Verfassungsschutzämtern rechtzeitig gewarnt wür-
den. Versuchte Immobilienkäufe der rechtsextremen Szene sorgen immer wieder für
Schlagzeilen und Überraschungen bei Kommunen. Auch hier gibt es anscheinend
wenig Hinweise durch die VS-Behörden. Die Diskussion über die Zahl der von
Rechtsextremen getöteten Menschen seit 1990 ist maßgeblich durch unabhängige
Gruppen ausgelöst worden, wobei sich zeigte, dass die vom BKA und den VS-Äm-
tern veröffentlichten Zahlen lückenhaft sind.

Aufbau, Unterstützung und finanzielle Absicherung einer unabhängigen Beobach-
tungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zur Beobachtung
und Analyse der extremen Rechten in all ihren Erscheinungsformen in der Bundes-
republik Deutschland ist für die Einschätzung der Gefahren durch die extreme
Rechte und die Entwicklung eines demokratischen Widerstandes die sinnvollere Va-
riante gegenüber dem weiteren Einsatz von V-Leuten. Die Prüfung der Einrichtung
einer solchen Beobachtungsstelle wurde schon in der 14. Wahlperiode in einem ge-
meinsamen Antrag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und
PDS verabschiedet (Bundestagsdrucksache 14/5456). Die spätere ablehnende Stel-
lungnahme der Bundesregierung im „Bericht über die aktuellen und geplanten Maß-
nahmen und Aktivitäten der Bundesregierung gegen Fremdenfeindlichkeit, Antise-
mitismus und Gewalt“ (Bundestagsdrucksache 14/9519) argumentiert mit den schon
vorhandenen Institutionen für die Beobachtung und Analyse von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit. Verkannt wird dabei jedoch, dass es in der Bundesrepublik
Deutschland keine zentrale, unabhängige Stelle zur Beobachtung und Analyse der
sich wandelnden Erscheinungsform der extremen Rechten gibt. Die seit 2001 arbei-
tenden Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus und die Beratungsstellen für
Opfer rechtsextremer Gewalt sind als Kristallisationspunkte einer solchen bundes-
weiten unabhängigen Beobachtungsstelle anzusehen, auszubauen und entsprechend
zu nutzen.

Für die Entwicklung einer umfassenden politischen Handlungsstrategie gegen eine
aufstrebende extreme Rechte kann eine solche Beobachtungsstelle nur ein erster
Schritt sein. Stärkere Berücksichtigung für die politische Auseinandersetzung müs-
sen die vorhandenen und weiter anzuregenden wissenschaftlichen Studien zur
Verankerung des Rechtsextremismus und rechtsextremer Ideologiemomente in der
Mitte der Bevölkerung finden. Die Bekämpfung der extremen Rechten darf – un-
abhängig von der Frage eines NPD-Verbots – nicht allein als repressive Aufgabe der
Innenpolitik wahrgenommen werden. Vielmehr müssen die sozialen Ursachen, die
Defizite in der Jugendarbeit, die Aufnahme des Themas in Schule, Lehre und

Ausbildung noch stärker in den Fokus rücken.

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