BT-Drucksache 16/4618

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD und der Bundesregierung -16/3794, 16/4372, 16/4420, 16/4583- Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)

Vom 7. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4618
16. Wahlperiode 07. 03. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Dr. Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Konrad
Schily, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
und der Bundesregierung
– Drucksachen 16/3794, 16/4372, 16/4420, 16/4583 –

Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die
demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen
der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:

Um den Bedürfnissen der Versicherten nach individueller und abgesicherter
Lebensgestaltung im Alter einerseits und den Finanzierungsproblemen der
Deutschen Rentenversicherung aufgrund steigender Lebenserwartung anderer-
seits gerecht zu werden, sollten für alle Versicherten die Möglichkeit eines
flexiblen Rentenzugangs bei gleichzeitig unbegrenzten Hinzuverdienstmöglich-
keiten eingeführt und die steigende Lebenserwartung in der Rentenberechnung
berücksichtigt werden. Ein solches System des flexiblen Übergangs in die Rente
kann mit folgenden Maßnahmen erreicht werden:
1. Leitgedanken

Mit einem flexibleren Rentenrecht werden die Voraussetzungen dafür geschaf-
fen, dass ältere Menschen länger am Erwerbsleben teilnehmen wollen und kön-
nen.

Drucksache 16/4618 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Versicherten in der Rentenversicherung sollen – ab dem 60. Lebensjahr –
den Zeitpunkt ihres Renteneintritts selbst bestimmen können.

Die steigende Lebenserwartung und die damit einhergehende längere Renten-
bezugsdauer werden direkter als bisher bei der Rentenberechnung berücksich-
tigt. Das ermöglicht mehr Generationengerechtigkeit.

Ein individueller Zugangsfaktor verdeutlicht den Versicherten den Zusammen-
hang zwischen dem Zeitpunkt des Renteneintritts und der Rentenhöhe. Wir
brauchen einen Paradigmenwechsel: Nicht mehr die möglichst frühe Verren-
tung, sondern eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben muss zum Leit-
bild werden.

Durch die Aufhebung aller Zuverdienstgrenzen werden Anreize geschaffen,
auch bei Rentenbezug weiter tätig zu sein. Mit dem Zuverdienst kann der eigene
Lebensstandard verbessert werden. Die Verbeitragung der Zuverdienste schafft
zusätzliche Einnahmen für die Sozialversicherung.

Durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt werden be-
stehende Beschäftigungshindernisse für ältere Arbeitnehmer beseitigt und deren
Chancen auf einen Arbeitsplatz verbessert.

2. Flexibler Rentenzugang

Für alle Versicherten wird die Möglichkeit eines flexiblen Rentenzugangs ab
dem 60. Lebensjahr geschaffen. Im Gegensatz zur heutigen Rechtslage wird der
Rentenzugang ab 60 nicht an ein Kriterium (Kriterien für vorzeitigen Renten-
bezug bisher: Arbeitslosigkeit, Altersteilzeit, langjährige Versichertenstellung,
Schwerbehinderteneigenschaft, Geschlecht) gebunden.

Voraussetzung für den flexiblen Rentenzugang ist, dass die Summe der gesetz-
lichen, betrieblichen und privaten Altersversorgungsansprüche sowie sonstiger
Einkünfte des Versicherten ab dem Zeitpunkt des Renteneintritts über dem
Grundsicherungsniveau liegt (dabei kann auf die Bedarfsgemeinschaft abge-
stellt werden). Für einen Renteneintritt ab dem 65. Lebensjahr entfällt die Prü-
fung der Grundsicherungsfreiheit.

Die Versicherten können wählen, ob sie eine Rente ab dem 60. Lebensjahr als
Vollrente oder als Teilrente beziehen wollen.

Die Möglichkeit, wegen Erwerbsminderung bereits vor dem 60. Lebensjahr in
Rente zu gehen, bleibt bestehen.

3. Aufhebung der Zuverdienstgrenzen

Die Grenzen für Zuverdienst neben dem Rentenbezug ab 60 Jahren werden auf-
gehoben. Die Versicherten entscheiden selbst, ob sie neben dem Rentenbezug
noch erwerbstätig sein wollen. Allerdings wird die Möglichkeit eines Zu-
verdienstes in Zukunft auch deswegen immer wichtiger, weil das gesetzliche
Rentenniveau von heute 67 Prozent auf 52 Prozent (Nettorentenniveau nach
Steuern) im Jahr 2030 absinken wird.

4. Sozialversicherung für Zuverdienst

Beiträge zur Sozialversicherung sind für den Zuverdienst neben Rentenbezug
nach folgender Maßgabe zu zahlen:

● Rentenversicherung

Für den Zuverdienst werden sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeit-
geber Rentenbeiträge gezahlt. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrag führen

zum Erwerb zusätzlicher Entgeltpunkte. Sie können vom versicherten Ar-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4618

beitnehmer zu einem von ihm wählbaren Zeitpunkt – unter Verwendung des
für diesen Zeitpunkt geltenden Zugangsfaktors – zur Erhöhung der eigenen
Rente eingesetzt werden.

● Kranken- und Pflegeversicherung

Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen für den Zuverdienst ihren jeweiligen
Anteil zur Kranken- und Pflegeversicherung.

● Arbeitslosenversicherung

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung entfällt. Da die Einkünfte des Ver-
sicherten über der Grundsicherung liegen, besteht keine Notwendigkeit,
durch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einen Anspruch auf Arbeits-
losengeld zu begründen.

Der Wegfall des Arbeitslosenversicherungsbeitrages bedeutet aus Sicht der
Unternehmen einen Kostenvorteil und erhöht für Rentenempfänger, die zu-
verdienen wollen, die Chancen am Arbeitsmarkt. Aus Sicht der Arbeitneh-
mer erhöht sich das verfügbare Einkommen.

5. Individuelle Rentenermittlung

Die Rentenhöhe der Versicherten errechnet sich aus den erworbenen Entgelt-
punkten, dem aktuellen Rentenwert und einem individuellen Zugangsfaktor.

Bei der Umstellung auf die neue Berechnungsweise bleiben die Zahlbeträge zu-
nächst gleich. Veränderungen ergeben sich dann für die Zukunft aufgrund der
folgenden Maßgaben:

Im aktuellen Rentenwert wird für jede Alterskohorte die zu erwartende durch-
schnittliche Rentenbezugsdauer aufgrund ihrer durchschnittlichen Lebenserwar-
tung berücksichtigt. Steigt die durchschnittliche Lebenserwartung stärker als das
durchschnittliche Renteneintrittsalter, führt das zu einer Dämpfung des Anstiegs
des Rentenwertes. Insoweit wird eine gerechte Verteilung der Lasten der Alte-
rung auf die verschiedenen Jahrgänge erreicht.

Über den individuellen Zugangsfaktor wird der Zeitpunkt des individuellen
Rentenzugangs berücksichtigt. Je länger der Versicherte arbeitet, desto höher ist
der Zugangsfaktor. Durch eine progressive Ausgestaltung besteht ein zusätz-
licher Anreiz für die Versicherten nach Möglichkeit über das 60. Lebensjahr
hinaus zu arbeiten und nach eigenen Vorstellungen später in Rente zu gehen.

6. Flankierende Reformen am Arbeitsmarkt

Durch flankierende Reformen des Arbeitsmarktes (insbesondere beim Kündi-
gungsschutz und im Tarifrecht) wird die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu-
sätzlich begünstigt.

Die Anhebung des tatsächlichen Renteneintrittsalters kann mit dem vorgeschla-
genen Maßnahmenpaket auch ohne die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze
auf 67 Jahre erreicht werden.

Berlin, den 7. März 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Drucksache 16/4618 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Begründung

Die Rentenbezugsdauer nimmt mit der steigenden Lebenserwartung zu. Diese
aus Sicht der Rentenbezieher positive Entwicklung belastet die Rentenversiche-
rung finanziell schwer und führt zu steigenden Beiträgen.

Eine Anhebung des starren gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, wie
von den Koalitionsfraktionen der CDU, CSU und SPD vorgeschlagen, verkürzt
zwar die Rentenbezugsdauer, führt aber in der von der Bundesregierung vor-
gesehenen Art und Weise zu unterschiedlichen Jahrgangsbelastungen (belastet
werden besonders die Jahrgänge 1959 bis 1974) und ist von daher nicht genera-
tionengerecht.

Viele Menschen können oder wollen derzeit nicht bis zum 67. Lebensjahr arbei-
ten. Aktuell sind überhaupt nur noch 45 Prozent der über 55-Jährigen und
28 Prozent der über 60-Jährigen erwerbstätig. Der Rentenzugang aus einem Ar-
beitsverhältnis bei Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ist somit von der
Regel zur Ausnahme geworden. Vor diesem Hintergrund empfinden viele Men-
schen die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters als verkappte Renten-
kürzung.

Verkrustete Strukturen schränken die Chancen älterer Menschen am Arbeits-
markt ein. Bei einem Verlust des Arbeitsplatzes – etwa als Folge der Insolvenz
des Arbeitgebers – droht älteren Arbeitnehmern eine lange finanzielle Durst-
strecke bis zum Renteneintritt. Die Verkürzung der Bezugszeit des Arbeitslosen-
geldes (ALG) I hat bei den Betroffenen bestehende Ängste noch verstärkt.

Viele Versicherte haben sich vor diesem Hintergrund in den scheinbar sicheren
Hafen der Altersteilzeit und verschiedener anderer Frühverrentungstatbestände
– allerdings mit engen Zuverdienstgrenzen – geflüchtet. Im Ergebnis haben
diese Lösungsansätze aber zu einer Verdrängung älterer Arbeitnehmer aus dem
Erwerbsleben bei einer gleichzeitigen zusätzlichen Belastung der sozialen
Sicherungssysteme geführt.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.