BT-Drucksache 16/4563

Den Hochschulpakt erfolgreich umsetzen

Vom 7. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4563
16. Wahlperiode 07. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Monika Grütters, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, Katherina
Reiche (Potsdam), Dorothee Bär, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Eberhard
Gienger, Anette Hübinger, Hartmut Koschyk, Johann-Henrich Krummacher,
Carsten Müller (Braunschweig), Dr. Norbert Röttgen, Uwe Schummer, Marcus
Weinberg, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Nicolette Kressl,
Willi Brase, Ulla Burchardt, Dieter Grasedieck, Klaus Hagemann, Gesine
Multhaupt, Thomas Oppermann, René Röspel, Renate Schmidt (Nürnberg),
Heinz Schmitt (Landau), Olaf Scholz, Swen Schulz (Spandau), Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD

Den Hochschulpakt erfolgreich umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Hochschulen in Deutschland stehen in den nächsten Jahren vor großen
Herausforderungen. Dies betrifft zum einen die umfangreiche Reform der Stu-
dienstruktur im Rahmen des Bologna-Prozesses. Die Umstellung auf Bachelor-
und Masterstudiengänge erfordert eine verstärkte Betreuung der Studierenden,
um qualitativ hochwertige Studienbedingungen zu sichern und internationale
Mobilität zu fördern. Hier haben die Länder in Wahrnehmung ihrer verfassungs-
rechtlichen Zuständigkeit bereits vielfältige Maßnahmen eingeleitet.

Zum anderen ist in den nächsten Jahren – bedingt durch demographische Effekte
und durch doppelte Abiturjahrgänge – mit einem erheblichen Anstieg der Stu-
dienbewerber zu rechnen. Sowohl die Zahl der Studienberechtigten als auch
die Studienplatznachfrage werden zunehmen. Schätzungen der KMK (Kultus-
ministerkonferenz) gehen hier mittel- und langfristig von mehr als 150 000 zu-
sätzlichen Studienanfängern aus. Diese erhöhte Studiennachfrage ist eine große
Chance für unser Land.

2. Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten einen erheblich wachsen-
den Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften verzeichnen. Als Folge des de-
mographischen Wandels werden zahlenmäßig starke und gut qualifizierte Jahr-
gänge aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Zugleich führt der wirtschaftliche
Strukturwandel hin zu eher wissens- und forschungsintensiven Unternehmen im

Industrie- und Dienstleistungsbereich dazu, dass die Nachfrage nach insbeson-
dere akademisch ausgebildeten Fachkräften wächst.

Es gilt daher, einem drohenden Fachkräftemangel vorzubeugen und bereits
bestehenden Engpässen zu begegnen. Im Rahmen der Lissabon-Agenda hat sich
die Bundesregierung dem Ziel verpflichtet, dass bis 2010 3 Prozent des Brutto-
inlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufgewendet werden sollen.

Drucksache 16/4563 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Um dieses Ziel zu erreichen, werden nach dem Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands zusätzliche Fachkräfte, insbesondere Natur-
wissenschaftler und Ingenieure in Forschung und Entwicklung benötigt.

Tatsächlich entscheiden sich aktuell deutlich zu wenige Bewerber für ein natur-
oder ingenieurwissenschaftliches Fach, obwohl in diesem Bereich noch freie
Studienplatzkapazitäten vorhanden sind und der Fachkräftebedarf auf dem
Arbeitsmarkt zunimmt.

Auch der Wissenschaftsrat hat in seinen „Empfehlungen zum arbeitsmarkt- und
demographiegerechten Ausbau des Hochschulsystems“ den Ausbau der Stu-
dienplatzkapazitäten als unverzichtbaren Beitrag zur Stärkung der Innovations-
kraft und Produktivität der deutschen Volkswirtschaft und zur Sicherung von
Wachstum und Wohlstand bezeichnet.

3. Während die Zahl der Studienberechtigten in den alten Bundesländern bis
zum Jahr 2020 erheblich ansteigen wird, ist für die neuen Länder eine gegenläu-
fige Entwicklung zu erwarten. Die relevanten Altersjahrgänge werden dort in-
nerhalb der nächsten zehn Jahre um bis zu 60 Prozent zurückgehen. Trotz zuneh-
mender Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen in den alten Ländern
ist die Nachfrage nach Studienplätzen in Ostdeutschland aber noch relativ ver-
halten. Dabei wurden dort exzellente Studienangebote geschaffen. Der Siche-
rung und Ausschöpfung dieser bestehenden Studienmöglichkeiten kommt nicht
nur für den Ausbau der regionalen Wirtschafts- und Innovationskraft als Ele-
ment einer zukunftsgerichteten Politik große Bedeutung zu. Sie vermag zugleich
in gesamtstaatlicher Verantwortung einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung
der in Deutschland insgesamt steigenden Studiennachfrage zu leisten. Hier sind
auch die neuen Länder gefragt, die deutlich machen müssen, dass sie über sehr
attraktive Studienangebote verfügen.

4. Neben den Herausforderungen im Bereich der Lehre müssen die Hochschulen
auch im internationalen Wettbewerb um leistungsfähige Forschung bestehen
können. Sie benötigen dabei finanziellen Entscheidungs- und Gestaltungsspiel-
raum, um ihre erfolgreiche Hochschulforschung weiter auszubauen. Dies ist
eine wichtige Voraussetzung für die Steigerung der Innovationsfähigkeit
Deutschlands und zum Erreichen des 3-Prozent-Ziels für Forschung und Ent-
wicklung.

5. Mit der Föderalismusreform und der Neuformulierung des Artikels 91b des
Grundgesetzes (GG) wurde vom Verfassungsgesetzgeber eine verlässliche
Grundlage für das Zusammenwirken von Bund und Ländern geschaffen. Diese
neue Regelung eröffnet Handlungsspielräume für gemeinsame Maßnahmen, um
die Forschung an Hochschulen zu fördern und der bis zum Jahr 2020 steigenden
Zahl von Studienberechtigten ein qualitativ hochwertiges Studium zu ermög-
lichen. Gleichzeitig hat die Föderalismusreform die Verantwortung der Länder
für die Hochschulen gestärkt. Die Verfassung steckt damit einen klaren Rahmen
ab: Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist ebenso Sache der Länder wie die
Entscheidung über Inhalte und Strukturen des Studiums sowie Maßnahmen zur
Umsetzung des Bologna-Prozesses. Der Bund ist allerdings nachdrücklich auf-
gerufen, die Länder und die Hochschulen im Rahmen seiner Kompetenzen bei
der Bewältigung dieser Aufgaben nachhaltig zu unterstützen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:

1. die Einigung der Wissenschaftsminister von Bund und Ländern auf Eck-
punkte für einen Hochschulpakt 2020 als essentiellen Beitrag, um die Hoch-
schulen für die künftigen Herausforderungen zu rüsten. Diese Einigung zeigt,
dass die neue Aufgabe des Artikels 91b GG in gesamtstaatlicher Verantwor-

tung von Bund und Ländern erfolgreich wahrgenommen werden kann;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4563

2. dass der Bund den Ländern rund 1,27 Mrd. Euro bis 2010 für den Hochschul-
pakt angeboten hat;

3. dass im Bereich der Forschungsförderung mit der Finanzierung von Pro-
grammkostenpauschalen für DFG-geförderte Forschungsprojekte (Deutsche
Forschungsgemeinschaft) der Einstieg in die Vollkostenfinanzierung vor-
genommen wird. Damit wird ein zusätzlicher wettbewerblicher Anreiz für
exzellente Forschung an Hochschulen gegeben, über dessen künftige Aus-
gestaltung zwischen Bund und Ländern auch im Lichte der erreichten Wir-
kung zu verhandeln und zu entscheiden sein wird;

4. dass für die Finanzierung der Aufnahme zusätzlicher Studienanfänger ein
Verfahren entwickelt wurde, das die unterschiedlichen Gegebenheiten in den
Ländern, insbesondere in den neuen Bundesländern und den Stadtstaaten,
berücksichtigt;

5. dass für die Bundesmittel eine eindeutige Erfolgskontrolle vorgesehen ist und
sich das Bundesbudget präzise nach der tatsächlichen Aufnahme von 90 000
angestrebten zusätzlichen Studienanfängern richtet;

6. dass der Hochschulpakt flankiert wird von der Stärkung der Fähigkeit der
Hochschulen zur Erschließung privater Mittel mit Anreizsystemen wie der
Forschungsprämie zur Einwerbung von Forschungsaufträgen aus der Wirt-
schaft und der erleichterten befristeten Beschäftigung von wissenschaft-
lichem und anderem Personal durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Verhandlungen zum Hochschulpakt 2020 auf dieser Linie weiterzuverfol-
gen und nachdrücklich auf den für den Juni 2007 verabredeten endgültigen
Abschluss der Bund-Länder-Vereinbarung zu dringen,

2. darauf zu drängen, dass für die angestrebten 90 000 zusätzlichen Studienan-
fänger auch die tatsächlichen Voraussetzungen für deren angemessene Be-
treuung geschaffen werden,

3. dafür Sorge zu tragen, dass konkrete Maßnahmen zur Umsetzung beider Säu-
len des Hochschulpakts bereits 2007 implementiert werden,

4. gegenüber den Ländern darauf hinzuwirken, dass bei der Verwendung
der Mittel Schwerpunkte in der Schaffung zusätzlicher Stellen an den Hoch-
schulen gesetzt werden, zum Beispiel durch vorgezogene Berufungen auf
Lehrstühle, die Einrichtung zusätzlicher Professuren, den Ausbau von Ju-
niorprofessuren oder die Einführung neuer, lehrbezogener Personalkatego-
rien (z. B. „Lecturer“),

5. gegenüber den Ländern darauf hinzuwirken, dass der Ausbau der Hochschu-
len dafür genutzt wird, den Anteil der Frauen in Lehre und Forschung zu
erhöhen,

6. gemeinsam mit den Ländern Initiativen zur Steigerung des Interesses an
natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern zu ergreifen,

7. zusammen mit den Ländern eine Kampagne für das Studium an Hochschulen
in den neuen Ländern zu starten,

8. neben der quantitativen Erfolgskontrolle der verabredeten zusätzlichen Stu-
dienanfängerzahl auch auf eine Evaluation des Hochschulpakts unter Aspek-
ten der Qualitätssicherung des Studiums hinzuwirken,

9. rechtzeitig mit den Ländern in die Vorbereitung zur Fortschreibung des
Hochschulpakts ab 2011 einzutreten.

Drucksache 16/4563 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
IV. Der Deutsche Bundestag erwartet von den Ländern,

1. die tatsächlichen Voraussetzungen zur Aufnahme von 90 000 zusätzlichen
Studienanfängern zu schaffen,

2. die Gesamtfinanzierung der erforderlichen Maßnahmen durch entsprechend
zusätzliche Mittel für den Hochschulpakt sicherzustellen,

3. den Hochschulpakt insbesondere auch für den Ausbau der Fachhochschulen
zu nutzen,

4. die auf die Länder übertragenen Mittel des Bundes für den Hochschulbau zu
verwenden und in erforderlicher Höhe durch eigene Mittel zu ergänzen,

5. einen ausgewogenen Ausbau der Studienkapazitäten sicherzustellen und da-
bei insbesondere die Natur- und Ingenieurwissenschaften zu berücksichtigen,

6. den Kapazitätsausbau vorwiegend mit jungen Wissenschaftlern zu gestalten
und dabei dem wissenschaftlichen Nachwuchs in Forschung und Lehre die
Chance zu früherer Selbständigkeit zu geben sowie denjenigen, die aus der
Qualifizierungsphase herauskommen, eine Perspektive zu eröffnen,

7. flankierend zum Hochschulpakt über ein professionelles Bewerbermanage-
ment auf nationaler Ebene die vorhandenen Studienkapazitäten effizient zu
nutzen, für eine schnelle Entscheidung über Studienplatzbewerbungen zu
sorgen und eine individuelle passgenaue Auswahl der Studierenden zu beför-
dern,

8. die Leistungsfähigkeit der Studentenwerke zu erhöhen und auch die sozialen
Voraussetzungen für eine deutlich höhere Zahl von Studienanfängern, z. B.
im Bereich der Wohnraumversorgung, rechtzeitig zu schaffen.

V. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Hochschulen,

1. die in fast allen Bundesländern durch neue Hochschulgesetze gewachsene
Freiheit der Hochschulen für eine weitere Steigerung der Effizienz und Leis-
tungsfähigkeit sowie die Einwerbung zusätzlicher Gelder einzusetzen,

2. ihre Anstrengungen für mehr Qualität in der Lehre sowie für eine didaktisch-
methodische Mindestqualifikation des Lehrpersonals und deren lehrbezoge-
ner Weiterbildung zu verstärken,

3. die Leistungsfähigkeit der Studienberatung, von Tutoren-Systemen und
studienbegleitenden Maßnahmen zu erhöhen,

4. die Bewerbungs- und hochschulinternen Auswahlverfahren für die Studie-
renden mit möglichst großer Transparenz, zeitlicher Dichte und finanzieller
Zugänglichkeit zu organisieren, damit keine zeitlichen Verzögerungen im ge-
planten Studienverlauf eintreten,

5. sich vor allen Dingen in den neuen Ländern verstärkt um neue Studierende
aus den alten Bundesländern zu bemühen. Wir appellieren auch an die Stu-
dierenden, Flexibilität bei der Wahl des Studienfaches und des Studienortes
zu zeigen.

Berlin, den 7. März 2007

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.