BT-Drucksache 16/4533

Bezeichnung der Bundeswehrgeneralität als opportunistisch, feige und skrupellos

Vom 2. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4533
16. Wahlperiode 02. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger,
Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Bezeichnung der Bundeswehrgeneralität als opportunistisch, feige
und skrupellos

Weil er die Haltung der deutschen Generalität gegenüber Unterstützungsleis-
tungen für den völkerrechtswidrigen Irakkrieg kritisiert hatte, musste der
Oberstleutnant der Bundeswehr Jürgen Rose eine Disziplinarbuße bezahlen.

Insbesondere dem Generalinspekteur der Bundeswehr und den Inspekteuren
der Teilstreitkräfte hatte der Oberstleutnant in einem Artikel in der Zeitschrift
„Ossietzky“ (Ausgabe 11/Mai 2006) den Vorwurf gemacht, sie hätten es ver-
säumt, gegen die Unterstützungsleistungen zu protestieren. Damit spielte der
Oberstleutnant darauf an, dass die Bundeswehr Soldaten als Wachposten vor
US-Kasernen in Deutschland abstellte, den USA umfangreiche logistische
Hilfe leistete, weiterhin Überflug- und Transitrechte rechte gewährte, am Horn
von Afrika den Geleitschutz für US- und britische Schiffe übernahm und deut-
sche Soldaten Dienst in AWACS-Flugzeugen in der östlichen Türkei leisteten.

Den Hintergrund für den kritischen Artikel des Oberstleutnants bildete der
Umstand, dass ein Major der Bundeswehr, F. P., seine weitere Mitarbeit an der
Entwicklung eines Computerprogramms verweigert hatte, weil er befürchtete,
dieses Programm könne zur Unterstützung der US-Kriegsführung missbraucht
werden. Der Major wurde degradiert, erhielt aber vom Bundesverwaltungsge-
richt Recht. Dieses erklärte, die Gehorsamsverweigerung sei von der Freiheit
des Gewissens geschützt und urteilte mit Blick auf die deutschen Unterstüt-
zungsleistungen für den Irakkrieg: „Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen
Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt.“

Die Diskrepanz zwischen der Courage des Majors und dem zumindest nach au-
ßen hin bedingungslosen Gehorsam der deutschen Generäle nahm der Oberst-
leutnant Jürgen Rose zum Anlass, die Generalität massiv zu kritisieren. Unter
anderem führte er aus: „Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken
Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewusstsein im Leibe, so hätte der General-
inspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den
völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung
Folge zu leisten […]“. Die Haltung der Generalität fasste er mit den Begriffen

„Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit“ zusammen.

Der Disziplinarvorgesetzte des Oberstleutnants sprach daraufhin eine Diszipli-
narbuße über 750 Euro aus, weil der inkriminierte Artikel Vorgesetzte „in ehrver-
letzender Weise“ herabgewürdigt habe. Hierzu führte der Oberstleutnant in einem
Interview mit der Tageszeitung „junge Welt“ vom 1. August 2006 aus: „Die Ehre
messe ich am Diensteid. Ich habe auf das ‚Recht und die Freiheit des deutschen
Volkes‘ geschworen, und ich bin dazu verpflichtet, Grundgesetz und Völkerrecht

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zu achten. Es würdigt sich derjenige herab, der das Recht bricht, nicht derjenige,
der das Recht verteidigt.“ (http://www.jungewelt.de/2006/08-01/005.php).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die Bundesregierung der Auffassung, die Meinungsfreiheit von Soldaten
unterliege engeren Grenzen als die von Zivilisten?

Wenn ja, welche zusätzlichen Begrenzungen sind dies, und wie begründet
die Bundesregierung diese?

2. Ist die Bundesregierung der Auffassung, die inkriminierten Äußerungen des
Oberstleutnants Jürgen Rose seien nicht vom Grundrecht auf Meinungsfrei-
heit gedeckt, und wie begründet sie ihre Einschätzung?

Inwieweit berücksichtigt die Bundesregierung dabei die Feststellung des
Bundesverwaltungsgerichtes, dass ein Soldat „auch in überspitzter und pole-
mischer Form Kritik äußern kann“ (NZ Wehrrecht 1994, 249/250)?

3. Darf ein Soldat nach Auffassung der Bundesregierung auch harsche Kritik
in polemischer Form äußern, wenn er sich gegen völkerrechts- und grund-
gesetzwidrige Handlungen wendet, und wenn nein,

a) warum soll die Kritik an Maßnahmen der Bundeswehr, die nach Ein-
schätzung des Bundesverwaltungsgerichtes der Unterstützung des völ-
kerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Irak dienten, der seither Zehn-
tausende Tote gefordert hat, nicht auch hart und polemisch formuliert
werden können;

b) gibt es nach Ansicht der Bundesregierung einen bestimmten Grad von
Völkerrechtsbruch oder eine bestimmte Opferzahl, ab der die Kritik an
der Generalität nicht mehr tolerant formuliert werden muss;

c) wie lässt sich Toleranz gegenüber Völkerrechtsbrechern mit dem Dienst-
eid des Soldaten vereinbaren, der sich ja gerade (u. a.) auf das „Recht“
des „deutschen Volkes“ sowie das Völkerrecht bezieht?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein Soldat die dienstliche
Autorität seiner Vorgesetzten ohne Rücksicht auf seine persönlichen Auffas-
sungen anzuerkennen habe?

Wenn ja:

a) Wie verhält sich die Freiheit des Gewissens mit dem Anspruch, bedin-
gungslos die Autorität von Vorgesetzten anzuerkennen?

b) Müssen Soldaten nicht spätestens dann, wenn Vorgesetzte Rechtsbruch
dulden oder anordnen, deren Autorität anzweifeln, ggf. gar untergraben?

5. Wie verhalten sich die Antworten aus den vorangegangenen Fragen zum
Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“?

6. Muss nach Ansicht der Bundesregierung bei der Entscheidung, ob geäußerte
Meinungen gegenüber der Generalität ehrverletzend sind, berücksichtigt
werden, inwieweit die Generalität Beihilfe dazu geleistet hat, höchstrangige
Rechtsgüter in Gestalt des völkerrechtlichen Gewaltverbotes sowie des im
Grundgesetz verankerten Friedensgebotes zu verletzen?

7. Lässt sich nach Ansicht der Bundesregierung die Respektbekundung gegen-
über Generälen unabhängig von dem Maß bemessen, in dem diese Völker-
recht und Grundgesetz achten bzw. missachten (bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4533

8. Erstreckt sich die Pflicht eines Soldaten nach § 12 Abs. 2 des Soldaten-
gesetzes, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten,
auch auf den Fall, dass die Vorgesetzten Befehle erteilen oder weiterleiten,
die auf die Beihilfe zu einem Völkerrechtsdelikt hinauslaufen?

9. Stellt es nicht vielmehr einen Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaft
dar, Untergebene zur Beihilfe zu einem Völkerrechtsdelikt anzuhalten?

10. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass bei Vorliegen
von Anordnungen, die auf die Beihilfe zu einem Völkerrechtsdelikt hin-
auslaufen, das Vertrauen Untergebener größeren Schaden nehmen kann,
wenn sie feststellen, dass ihre Vorgesetzten diese Anordnungen einfach
weiterleiten, als wenn sie feststellen, dass die Vorgesetzten engagiert da-
gegen protestieren und dabei unter Umständen in Kauf nehmen, dass diese
sich in ihrer Ehre verletzt fühlen (bitte begründen)?

11. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass die Pflicht
eines Soldaten, Disziplin zu wahren, nicht dann gilt, wenn Vorgesetzte Be-
fehle erteilen oder weiterleiten, die auf die Beihilfe zu einem Völkerrechts-
delikt oder anderen Straftaten hinauslaufen (bitte begründen)?

12. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass die Pflicht zur
Einhaltung von Diensteid, Grundgesetz und Völkerrecht im Zweifelsfall
die Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Vorgesetzten überwiegt (bitte
begründen)?

13. Hat die Bundesregierung konkrete Erkenntnisse, ob die zitierten Äußerun-
gen des Oberstleutnants Jürgen Rose das Ansehen der Bundeswehr oder
die Achtung und das Vertrauen, die seine eigene Stellung erfordert, beein-
trächtigt hat, und wenn ja, welche?

14. Hat die Bundesregierung Überlegungen dahingehend angestellt, ob das
Ansehen der Bundeswehr durch den Umstand beeinträchtig worden sein
könnte, dass sie Beihilfe zu einem Völkerrechtsdelikt geleistet hat?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, zu welchen Schlussfolgerungen ist sie dabei gelangt?

15. Sind von Seiten der Generalität, insbesondere vom Generalinspekteur und
den Teilstreitkraftinspekteuren, im Zusammenhang mit dem völkerrechts-
widrigen Irakkrieg jemals gegenüber der Bundesregierung Einwände be-
züglich der deutschen Unterstützungsleistungen (Überflugrechte, Bewa-
chung von US-Kasernen, Geleitschutz für US- und britische Schiffe am
Horn von Afrika, AWACS-Flüge, ABC-Einheiten in Kuwait usw.) ge-
macht worden, und wenn ja, welche, und wie hat die Bundesregierung dar-
auf reagiert?

16. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, der Umstand, dass
die Bundeswehrgeneralität die genannten Unterstützungsleistungen für
einen völkerrechtswidrigen Krieg angeordnet bzw. zugelassen hat, ist nicht
beispielgebend, weder im Sinne des § 10 Abs. 1 des Soldatengesetzes noch
allgemein im Sinne der Verpflichtung gegenüber Grundgesetz und Völker-
recht (bitte begründen)?

17. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Verbreitung der Zeitschrift
„Ossietzky“, insbesondere unter Angehörigen der Bundeswehr?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, inwiefern ist dann aus ihrer Sicht durch die zitierten Äußerun-
gen des Oberstleutnants Jürgen Rose ein Nachteil zuungunsten der Bun-

deswehr zu erwarten?

Drucksache 16/4533 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
18. Inwiefern berücksichtigt die Bundesregierung bei der Würdigung des Ge-
samtvorgangs, dass die Gewissensfreiheit es bei erheblichen Zweifeln an
der Rechtmäßigkeit eines Befehls erlaubt, seine Ausführung zu verwei-
gern, und inwiefern ist nach Ansicht der Bundesregierung aus den gleichen
Gründen erlaubt, Vorgesetzte wie Untergebene nachdrücklich auf die
Rechtswidrigkeit aufmerksam zu machen?

19. Inwiefern berücksichtigt die Bundesregierung bei der Würdigung des Ge-
samtvorgangs, dass an den Unterstützungsleistungen für den Irakkrieg
mehrere Tausend Soldaten beteiligt waren, während die vom Truppen-
dienstgericht angenommene „Ehrverletzung“ des Oberstleutnants Jürgen
Rose sich konkret nur auf eine Handvoll Generale bezog?

Berlin, den 1. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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