BT-Drucksache 16/448

Abzug der Atomwaffen aus Deutschland

Vom 25. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/448
16. Wahlperiode 25. 01. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich, Paul Schäfer (Köln),
Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Dr. Kirsten Tackmann, Ulla Jelpke,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Abzug der Atomwaffen aus Deutschland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit dem am 2. Mai 1975 erfolgten
Beitritt zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Nichtver-
breitungsvertrag – NVV) völkerrechtlich verbindlich dazu verpflichtet,
„Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt dar-
über von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen“ (Artikel II).
Mit dem „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“
(2+4-Vertrag) vom 12. September 1990 bekräftigten beide deutsche Regie-
rungen den „Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsge-
walt über atomare, biologische und chemische Waffen“ (Artikel 3 Abs. 1). Auf
dem Gebiet der neuen Bundesländer und Berlins dürfen keine „Atomwaffen
oder deren Träger“ (Artikel 5 Abs. 2) stationiert werden.

2. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat am 8. Juli 1996 in einem von
der Vollversammlung der Vereinten Nationen (VN) angeforderten Gutachten
festgestellt, dass Androhung und Gebrauch von Atomwaffen generell gegen
die Regeln des für bewaffnete Konflikte geltenden Völkerrechts und im
Besonderen gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht verstößt (General List
No. 95, 105.E). Das Bundesverwaltungsgericht stellte in einem am 21. Juni
2005 ergangenen Urteil fest, dass weder der NATO-Vertrag, das NATO-Trup-
penstatut, das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut noch der Aufent-
haltsvertrag eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland vorsehen,
entgegen der VN-Charta und dem geltenden Völkerrecht völkerrechtswidrige
Handlungen von NATO-Partnern zu unterstützen (BVerwG 2 WD 12.04).

3. Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen befindet sich in der
größten Krise seiner Geschichte. Die Überprüfungskonferenz der Vertrags-
staaten im Mai 2005 in New York musste ohne Einigung auf ein substantiel-
les Abschlussdokument beendet werden. Dazu trug die US-Regierung bei,
indem sie es ablehnte, dass in dem Abschlussdokument der Konferenz die

von allen Kernwaffenstaaten mit dem Beitritt zum NVV eingegangenen, und
1995 von der NVV-Verlängerungskonferenz detaillierten, Abrüstungsver-
pflichtungen erwähnt werden. Durch das Scheitern der Konferenz wurde
auch eine Einigung über verbesserte Kontrollmechanismen gegenüber Nicht-
kernwaffenstaaten verhindert.

4. Im Vorfeld der NVV-Überprüfungskonferenz hat der Deutsche Bundestag dar-
auf hingewiesen, dass weitere Fortschritte der nuklearen Abrüstung für die

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Stärkung der nuklearen Nichtverbreitung unerlässlich sind (Bundestagsdruck-
sache 15/5254). Das Scheitern der Konferenz zeigt, dass der Nichtverbrei-
tungsvertrag dringend neue Impulse braucht, mit denen deutlich gemacht
wird, dass die Abrüstungsverpflichtungen der Kernwaffenstaaten integraler
Bestandteil des NVV sind. Es ist deshalb angeraten, die im Vorfeld von der
Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnte Forderung nach einem
Abzug der Atomwaffen aus Deutschland (Antrag der FDP-Fraktion vom
13. April 2005, Bundestagsdrucksache 15/5257) erneut auf die Tagesordnung
zu setzen. Durch die Aufgabe der Stationierung von US-Atomwaffen auf
ihrem Territorium würde die Bundesrepublik Deutschland die Glaubwürdig-
keit des Nichtverbreitungsvertrags insgesamt stärken und ihre eigene Position
in Verhandlungen mit potentiellen neuen Atomwaffenstaaten deutlich verbes-
sern.

5. Die Bundesregierung informiert den Deutschen Bundestag nicht über Anzahl
und Art der gelagerten Atomwaffen, ihre Stationierungsorte und Einsatz-
szenarien. In Antworten auf entsprechende Anfragen wird darauf verwiesen,
dass Informationen über die Anzahl der Atomwaffen in Deutschland der
Geheimhaltung unterliegen. Implizit wurde durch öffentliche Äußerungen
von Regierungsmitgliedern jedoch bestätigt, dass weiterhin Atomwaffen auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelagert sind. Die Stationierung
von Atomwaffen stellt durch die Gefahr von Unfällen und Anschlägen eine
permanente Bedrohung für die Bevölkerung in Deutschland und insbeson-
dere in Rheinland-Pfalz dar. Die Sicherheit der Stationierungsorte und der be-
troffenen Region kann nicht durch Geheimhaltung sondern nur durch den
vollständigen Abzug gewährleistet werden.

6. Aufgrund von Recherchen US-amerikanischer Rüstungskontrollexperten
beim Natural Resources Defense Council (NRDC), die sich auf freigegebene
US-Regierungsdokumente und kommerzielle Satellitenaufnahmen stützen,
darf angenommen werden, dass im Februar 2005 etwa 440 US-Atomwaffen
in sechs europäischen Ländern stationiert waren: in Belgien, Deutschland,
Großbritannien, Italien, den Niederlanden und der Türkei. Unter den in Eur-
opa gelagerten Atomwaffen ist demnach auch der Typ B61-10, bei dem es
sich um eine modifizierte Version des Pershing-II-Sprengkopfs handelt, der
infolge des Abkommens zwischen den USA und der Sowjetunion über die
Beseitigung ihrer Mittel- und Kurzstreckenraketen (INF-Vertrag) von 1987
zunächst abgezogen wurde.

7. Mehr als hundert Atomwaffen lagerten den Schätzungen des NRDC zufolge
Anfang 2005 in Deutschland, verteilt auf zwei Stützpunkte in Rheinland-
Pfalz: 90 in Ramstein, 20 weitere in Büchel. Die auf dem von den US-Streit-
kräften genutzten Areal innerhalb des Bundeswehr-Stützpunktes in Büchel
gelagerten Atomwaffen sind nach Einschätzung der NRDC-Studie für den
Einsatz durch die Bundeswehr vorgesehen. Nach einer Freigabe durch den
Präsidenten der USA würden sie an deutsche Kampfjets montiert und könn-
ten von Piloten der Bundeswehr abgeworfen werden. Unbestätigten Medien-
berichteten zufolge wurden im Frühjahr 2005 die in Ramstein gelagerten
Atomwaffen wegen dort stattfindender Bauarbeiten an einen unbekannten
Ort gebracht (DER SPIEGEL vom 6. Juni 2005, die tageszeitung vom 9. Juni
2005).

8. Die US-Regierung hat öffentlich zugesagt, sich nicht gegen eine Entschei-
dung der Bundesregierung für einen Abzug der US-Atomwaffen zu stellen.
„Ich denke, das überlasse ich den Deutschen und der NATO“, sagte US-
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dem Nachrichtenmagazin DER
SPIEGEL (31. Oktober 2005) auf die Frage, warum weiterhin US-Atom-

waffen auf deutschem Boden gelagert werden.

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9. Nach Angaben der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 15/3609, Ant-
wort zu Frage 44) soll der Eurofighter nicht für den Einsatz mit Atomwaffen
ausgerüstet werden. Nach der angestrebten Außerdienststellung der Torna-
dos wäre die Bundeswehr nach derzeitigem Planungsstand demnach nicht
mehr in der Lage, Einsätze mit den in Büchel stationierten Atomwaffen zu
fliegen.

10. Der Landtag von Rheinland-Pfalz hat sich im September 2005 für einen
Abzug der US-Atomwaffen ausgesprochen (Landtag Rheinland-Pfalz,
Plenarprotokoll 14/100 und Bundestagsdrucksache 14/4159). Bei einem
Besuch in Ramstein kündigte der damalige Bundesminister der Vertei-
digung, Dr. Peter Struck, im Mai 2005 an, sich in den zuständigen Gremien
der NATO für einen Abzug einzusetzen. Nach einer Umfrage des Meinungs-
forschungsinstituts TNS Infratest für das Nachrichtenmagazin DER
SPIEGEL (2. Mai 2005) sprechen sich lediglich 18 Prozent der Deutschen
für einen Verbleib der Atomwaffen aus, wohingegen 76 Prozent den Abzug
der Atomwaffen aus Deutschland befürworten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Flugzeuge und Piloten der Bundeswehr nicht für Einsätze mit Atomwaffen
bereitzustellen und die Vorbereitung auf solche Einsätze zu beenden;

2. der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika mitzuteilen, dass die
Bundesrepublik Deutschland jegliche Stationierung von Atomwaffen auf ih-
rem Territorium ablehnt, und sie aufzufordern, die Atomwaffen vom Territo-
rium der Bundesrepublik Deutschland umgehend abzuziehen;

3. den Deutschen Bundestag über Fortschritt und Abschluss des Abzugs zu un-
terrichten;

4. sich nachdrücklich für weltweite Abrüstung und die Nichtverbreitung von
Atomwaffen einzusetzen.

Berlin, den 24. Januar 2006

Dr. Norman Paech
Alexander Ulrich
Paul Schäfer (Köln)
Wolfgang Gehrcke
Monika Knoche
Dr. Kirsten Tackmann
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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