BT-Drucksache 16/424

Atomwaffen in Deutschland

Vom 20. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/424
16. Wahlperiode 20. 01. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich, Paul Schäfer (Köln),
Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gregor Gysi,
Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Atomwaffen in Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit dem am 2. Mai 1975 erfolgten
Beitritt zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) völker-
rechtlich verpflichtet, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die
Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzuneh-
men“ (Artikel II). Im „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf
Deutschland“ (2+4-Vertrag) vom 12. September 1990 bekräftigten beide
deutsche Regierungen den „Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf
Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen“ (Artikel 3
Abs. 1).

Laut einer Studie des Washingtoner Rüstungskontrollexperten Hans M. Kris-
tensen, die im Februar 2005 vom „Natural Resources Defense Council“
(NRDC) unter dem Titel „U. S. Nuclear Weapons in Europe“ veröffentlicht
wurde und auf freigegebenen US-Regierungsdokumenten sowie der Auswer-
tung von Satellitenaufnahmen basiert, lagern auf dem rheinland-pfälzischen
Bundeswehr-Standort in Büchel 20 Atombomben, die für den Einsatz durch
Piloten und Flugzeuge der Bundeswehr bestimmt sind. Weitere 90 Atomwaffen
waren, der NRDC-Studie zufolge, Anfang 2005 in Ramstein stationiert. Unbe-
stätigten Medienberichten zufolge sollen diese in Ramstein gelagerten Atom-
waffen im Frühjahr 2005 wegen dort stattfindender Bauarbeiten an einen unbe-
kannten Ort gebracht worden sein (DER SPIEGEL vom 6. Juni 2005, die
tageszeitung vom 9. Juni 2005).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass auf dem Bundeswehr-Standort
Büchel in Rheinlad-Pfalz mehr als 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges
weiterhin Atomwaffen gelagert werden, und wenn ja, wie viele?

2. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die auf dem US-Stützpunkt
Ramstein in Rheinland-Pfalz gelagerten Atomwaffen im Jahr 2005 wegen
dort stattfindender Bauarbeiten oder aus anderen Gründen vorübergehend

abgezogen wurden?

3. Wurden vormals in Ramstein gelagerte Atomwaffen an einen anderen Ort
auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland gebracht, und wenn
ja, wohin, und ist geplant, diese nach Ramstein zurückzubringen, und wenn
ja, wann?

Drucksache 16/424 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Kann die Bundesregierung versichern, dass sie jederzeit und präzise durch
die zuständigen US- Behörden über Anzahl, Art und Lagerung der in
Deutschland befindlichen Atomwaffen informiert wird?

5. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass die Ankündigungen
der damaligen Bundesminister Dr. Peter Struck und Joseph Fischer vom
Mai 2005, sich für einen Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einzu-
setzen, als offizielle Bestätigung dafür zu werten ist, dass weiterhin Atom-
waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind?

6. Wann steht die nächste Überprüfung der für die Stationierung von Atom-
waffen in Deutschland relevanten Abkommen mit den Vereinigten Staaten,
wie zum Beispiel das „Atomic Stockpile Agreement“, das „Atomic Coope-
ration Agreement“ und das „Service-Level-Agreement“, an?

7. Hätte eine Weigerung der Bundesregierung, weiterhin Piloten und Flug-
zeuge der Bundeswehr für den Einsatz mit US-Atomwaffen zur Verfügung
zu stellen, vertragsrechtliche Konsequenzen, und wenn ja, welche?

8. Werden die Zielgebiete für den eventuellen Einsatz von Atomwaffen durch
Piloten und Flugzeuge der Bundeswehr durch die US-Regierung oder
durch die Bundesregierung bestimmt?

9. Welche der Waffentypen B61-3, B61-4 und B61-10 mit welcher Spreng-
kraft sind für den Einsatz durch Piloten und Flugzeuge der Bundeswehr
vorgesehen?

10. Inwieweit greift die Bundesregierung bei der Planung von Atomwaffen-
einsätzen durch Piloten und Flugzeuge der Bundeswehr auf öffentlich
zugängliche Einschätzungen und Berechnungen der US- Regierung zu vor-
aussichtlichen Opferzahlen beim Einsatz von Atomwaffen zurück?

11. Hält die Bundesregierung die Lagerung US-amerikanischer Atomwaffen
auf deutschem Boden und die Praxis der „nuklearen Teilhabe“ mit der
Schlussfolgerung des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs (IGH)
von 1996 vereinbar, wonach die Bedrohung durch oder die Anwendung
von Atomwaffen generell in Widerspruch zu den in einem bewaffneten
Konflikt verbindlichen Regeln des internationalen Rechts und insbeson-
dere den Prinzipien und Regeln des humanitären Völkerrechts steht?

12. Hält die Bundesregierung den Einsatz von Atomwaffen zum Zweck der
Demonstration der Fähigkeiten und des eigenen Einsatzwillens eines Staates
für vereinbar mit dem Völkerrecht und würde sie einem Staat, der solch
eine Doktrin vertritt, die Infrastruktur für Atomwaffeneinsätze zur Ver-
fügung stellen, und wenn ja, welchen Staaten?

13. Hält die Bundesregierung den Einsatz von Atomwaffen zur Sicherstellung
der Überlegenheit über gegnerische konventionelle Streitkräfte für verein-
bar mit dem Völkerrecht und würde sie einem Staat, der solch eine Doktrin
vertritt, die Infrastruktur für Atomwaffeneinsätze zur Verfügung stellen,
und wenn ja, welchen Staaten?

14. Unter welchen Umständen betrachtet die Bundesregierung die Beteiligung
von Staaten an der Vorbereitung von Atomwaffeneinsätzen bzw. an den
Einsätzen selbst als völkerrechtlich gerechtfertigt?

15. Wähnt die Bundesregierung die Bundesrepublik Deutschland in einer die
Existenz des Staates bedrohenden Notwehrsituation, gegen die keine
andere Abwehr als der Einsatz von Atomwaffen möglich ist, oder fürchtet
sie, dass solch eine Situation innerhalb kurzer Zeit eintreten kann?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/424

16. Welche Konsequenzen für die Rechtslage der Piloten und Vorgesetzten der
Piloten, die an Übungen für Atomwaffeneinsätze beteiligt sind, hat das am
21. Juni 2005 ergangene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 2
WD 12.04), in dem unter anderem festgestellt wird, dass keiner der Ver-
träge mit der Nato und den Vereinigten Staaten eine Verpflichtung der
Bundesrepublik Deutschland beinhaltet, völkerrechtswidrige Handlungen
zu unterstützen?

17. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die zum Einsatz von Atomwaf-
fen vorgesehenen und ausgebildeten Bundeswehr-Piloten sowie deren Vor-
gesetzte sich nicht an einem Völkerrechtsbruch im Sinne von § 10 Abs. 4
des Soldatengesetzes beteiligen werden?

18. Für das Anfliegen welcher Art von Zielen trainieren die in Büchel statio-
nierten Bundeswehr-Piloten und wo liegen diese Ziele?

19. Welche Ziele auf dem Territorium potentieller militärischer Gegner der
Bundesrepublik Deutschland liegen innerhalb des Aktionsradius, jeweils
mit und ohne Luftbetankung, der in Büchel stationierten Tornado-Kampf-
jets der Bundeswehr?

20. Trifft es zu, dass die Bundesregierung plant, spätestens für das Jahr 2015
die letzten Tornado-Kampfjets außer Dienst zu stellen, und wenn nicht, in
welchem Jahr dann?

21. Plant die Bundesregierung weiterhin, den Eurofighter nicht für den Einsatz
mit Atomwaffen zu befähigen (Bundestagsdrucksache 15/3609, Antwort
auf Frage 44) und bedeutet dies, dass mit der Außerdienststellung der
Tornado-Kampfjets die Beteiligung von Piloten und Flugzeugen der
Bundeswehr an Atomwaffeneinsätzen beendet wird?

22. Hat die Bundesregierung die Frage eines Abzugs der Atomwaffen aus
Deutschland, wie vom damaligen Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Peter Struck, im Mai 2005 in Ramstein angekündigt (vgl. dpa-Meldung
vom 6. Mai 2005), bei der Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe am
9. Juni 2005 oder in anderen NATO-Gremien seitdem vorgebracht und wie
intensiv wurde die vom damaligen Bundesminister Dr. Peter Struck ange-
kündigte Initiative durch Gespräche mit anderen europäischen Stationie-
rungsländern vorbereitet?

23. Hat der Abzug der US-Atomwaffen aus Griechenland im Jahr 2001 nach
Auffassung der Bundesregierung zu einer Krise innerhalb der NATO
geführt, die Beziehungen Griechenlands zu den Vereinigten Staaten ver-
schlechtert oder die Sicherheit Griechenlands gefährdet?

24. Ist die Bundesregierung der gleichen Auffassung wie US-Verteidigungs-
minister Donald Rumsfeld (vgl. DER SPIEGEL vom 31. Oktober 2005),
wonach die Entscheidung über eine Stationierung von US-Atomwaffen in
Deutschland nicht in der Hand der US-Regierung, sondern der Bundes-
regierung Deutschland liegt?

25. Ist die Bundesregierung von der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz
seit Mai 2005 darum gebeten worden, auf einen Abzug der Atomwaffen
hinzuarbeiten, und wenn ja, wann und mit welchen Konsequenzen?

26. Spricht aus Sicht der Bundesregierung etwas dagegen, die von SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Koalitionsvertrag von 1998 fest-
geschriebene Initiative wieder aufzunehmen, die darauf abzielte, den
Ersteinsatz von Atomwaffen aus dem NATO-Strategiekonzept zu strei-
chen, und wenn ja, was?

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27. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der auf der NVV-
Überprüfungskonferenz im Mai 2005 vorgetragenen expliziten Kritik der
Vertreter Ägyptens und Malaysias an der Praxis der „nuklearen Teilhabe“?

28. Würde sich ein Abzug der in Deutschland gelagerten Atomwaffen nach
Auffassung der Bundesregierung positiv oder negativ auf die Unterstüt-
zung anderer Staaten für den NVV und die nukleare Nichtverbreitung ins-
gesamt auswirken?

Berlin, den 17. Januar 2006

Dr. Norman Paech
Alexander Ulrich
Paul Schäfer (Köln)
Wolfgang Gehrcke
Monika Knoche
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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