BT-Drucksache 16/4219

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung -16/2190- Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft - Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen und Stellungnahme der Bundesregierung

Vom 31. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4219
16. Wahlperiode 31. 01. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer
Stinner, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 16/2190 –

Fünfter Bericht zur Lage der älteren Generation
in der Bundesrepublik Deutschland
Potentiale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft – Der Beitrag
älterer Menschen zum Zusammenleben der Generationen
und Stellungnahme der Bundesregierung

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit August 2005 lag der 5. Bericht zur Lage der älteren Generation bereits der
Bundesregierung vor. Im Juli 2006 befasste sich das Bundeskabinett mit diesem
Bericht und stellte fest: „Die Expertenmeinung wurde von der politischen Wirk-
lichkeit überholt.“ Der Bericht, hieß es, ist für die Regierung nicht mehr rele-
vant.

Der deutsche Bundestag stellt ausdrücklich fest, dass die Expertenkommission

zur Erstellung des 5. Altenberichtes eine wegweisende Arbeit in der Befassung
mit der Lebenswirklichkeit der älteren Generation vorgelegt hat. Die Aussagen
des Berichts haben nichts von ihrer Bedeutung für künftige Maßnahmen auf dem
Gebiet der Politik für die ältere Generation eingebüßt. Dass der Bericht Teile
enthält, welche politisch kontrovers diskutiert werden, spricht nicht gegen den
Bericht, sondern für die Arbeit der Experten.

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Ein zentraler Gedanke zieht sich durch den umfassenden Bericht zur Lage der
älteren Generation: Alter kann nicht mit Krankheit und Unproduktivität gleich-
gesetzt werden, wie es in der Debatte um Gesundheits- oder Rentenreformen im-
mer wieder geschieht. Ältere tragen vielmehr schon heute erheblich zum gesell-
schaftlichen Wohlstand bei.

Wie aktiv ein älterer Mensch ist, ist das Ergebnis einer lebenslangen Entwick-
lung. „Die im Alter verfügbaren Ressourcen sind nicht nur durch frühere Ab-
schnitte der Erwerbs- und Bildungsbiografie, sondern bereits durch die soziale
Herkunft, das Geschlecht oder für das soziale Umfeld charakteristische Lebens-
lagen, Normen und Rollenvorstellungen beeinflusst“, schreibt die Kommission.
Der Altenbericht weist sehr deutlich auf die Probleme älterer Frauen hin. „Armut
im Alter ist heute vor allem ein weibliches Problem, das sich als Konsequenz aus
einer Benachteiligung in früheren Abschnitten des Lebenslaufs ergibt“, heißt es.
Erstens hätten Frauen im Job weniger Verdienst- und Karrierechancen. Zweitens
sorgten alte Rollenklischees dafür, dass Frauen wegen der Kindererziehung oder
der Pflege von Angehörigen nur wesentlich geringere Rentenanwartschaften
aufbauen oder sich nicht ausreichend weiterbilden könnten. Drittens hätten
schlechte Rahmenbedingungen zur Folge, dass Frauen mit Kindern und Beruf
häufig überfordert seien. Um negative Folgen weiblicher Doppelbelastung wie
z. B. Krankheiten im Alter zu vermeiden, fordert die Kommission die Politik
auf, flächendeckend Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen zu
schaffen. Auch müssten Angebote in ambulanter und teilstationärer Versorgung
ausgebaut werden. Die Arbeitgeber wiederum sollen Erziehungsaufgaben stär-
ker achten und ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass die Altenpflege das neue
„Vereinbarkeitsproblem“ vor allem für Frauen darstellen werde.

Fünf Leitbilder hat die Kommission ihrem Bericht vorangestellt: Mitverantwor-
tung, Alter als Motor für Innovation, Nachhaltigkeit und Generationengerech-
tigkeit, Lebenslanges Lernen und Prävention. Die Kommission stellt klar, dass
das Leitbild des Alters dringend revidiert werden muss, nicht nur um das Bild in
den Köpfen an die Realität anzupassen, sondern auch, um im demographischen
Wandel bestehen zu können.

Hierzu bedarf es dringend, dass von der Kommission geforderte neue Leitbild
des produktiven Alters umzusetzen. Kernthese des Deutschen Bundestages für
eine Politik für die ältere Generation ist daher: Unsere Gesellschaft braucht ein
neues Altenbild. Trotz höherer Lebenserwartung, trotz immer besser werdender
Gesundheit und damit verbundener höherer körperlicher Leistungsfähigkeit im
Alter, scheint die gesellschaftliche Wahrnehmung von Alter in genau die gegen-
sätzliche Richtung zu gehen. Das Bild, welches Alter mit Hilfs- und Pflegebe-
dürftigkeit, Armut, Senilität oder Gebrechlichkeit gleichsetzt stimmt nicht mehr.
Was heute unter „Alter“ verstanden wird, betrifft nur 5 Prozent der über 60-Jäh-
rigen, die tatsächlich der Pflege bedürfen. Die überwiegende Mehrheit der Bür-
ger zwischen 60 und 80 ist körperlich und geistig fit und will aktiv an der Ge-
sellschaft teilhaben. Diese Bereitschaft sich zu engagieren und zu beteiligen,
stellt die gesellschaftliche und wirtschaftliche Chance unseres Landes dar.

Im demographischen Wandel ist die gesellschaftliche Akzeptanz des Leistungs-
vermögens der älteren Generation essentiell. Diese Anerkennung und Akzep-
tanz ist eine gemeinsame Aufgabe von Politik, Medien und Verbänden – aber
insbesondere jedes einzelnen Bürgers.

Eine besondere Aufgabe kommt den Unternehmen zu. Die Potenziale des Alters
werden in deutschen Unternehmen noch nicht erkannt.

In 60 Prozent aller Unternehmen in Deutschland gibt es derzeit keine Arbeitneh-
mer über 50 Jahre. Obwohl gerade ältere Arbeitnehmer über eine gute Qualifi-
kation, über Erfahrung, Wissen und Gelassenheit verfügen, gehören sie – neben

den Geringqualifizierten – zu den großen Verlierern am Arbeitsmarkt. Bereits

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für Vierzigjährige ist es immer schwieriger, eine feste Anstellung zu finden. Ein
Umsteuern ist dringend geboten. Die Gesellschaft kann es sich nicht länger leis-
ten, Kenntnisse und Engagement ganzer Generationen brachliegen zu lassen.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit rund 40 Prozent Erwerbstä-
tigen im Alter von 55 bis 64 Jahren im unteren Drittel des OECD-Durchschnitts
von 48 Prozent. Schweden und Norwegen haben im Vergleich dazu mit 70 Pro-
zent von Menschen in dieser Altersgruppe einen sehr hohen Beschäftigungsan-
teil. Der geringe Erwerbstätigenanteil in Deutschland erklärt sich durch die mas-
sive Förderung von Frühverrentung und Frühausgliederung bis zur Mitte der
1990er Jahre.

Die demographische Entwicklung mit dem zunehmenden Älterwerden unserer
Gesellschaft und der geringer werdenden Geburtenrate zwingt uns zu einem
Einstellungswechsel gegenüber der Erwerbstätigkeit älterer Menschen über-
haupt. Neue Vorgehensweisen in der Wirtschaft und in der Personalentwicklung
sind erforderlich. Den Vorsprung an Energie, Dynamik und Ehrgeiz der Jünge-
ren können die Älteren durch Wissen, Erfahrung und Zuverlässigkeit ausglei-
chen. Vor allem wird die in einem längeren Berufsleben erworbene berufliche
und soziale Kompetenz einen positiven Einfluss auf die berufliche Leistungs-
fähigkeit ausüben.

Von einer veränderten Personalpolitik profitieren nicht nur die älteren Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Unternehmen selbst. Die
Unternehmen müssen sich darüber klar werden, dass die Zeit kommt, in der sie
auf die Älteren angewiesen sind. Betriebe und Verwaltungen müssen ihre
„Jugendzentrierung“ aufgeben und sich auf die besonderen Beschäftigungs-
bedingungen altersgemischter Belegschaften einstellen. Arbeitsplätze, Arbeits-
organisation und Arbeitszeit sollten auf das veränderte, stärker durch Lebens-
und Berufserfahrung geprägte Leistungsvermögen älter werdender Belegschaf-
ten ausgerichtet werden.

Eine wichtige Voraussetzung für ein längeres Verbleiben im Beruf ist der Erwerb
neuer Qualifikationen und die Sicherung von Kompetenzen, um mit der techno-
logischen Entwicklung Schritt halten zu können. Obwohl dies längst Realität ist,
ist besonders bei älteren Arbeitnehmern zu beobachten, dass der Wille zur Wei-
terbildung häufig mit zunehmendem Lebensalter abnimmt. Allerdings sind auch
die Chancen der älteren Arbeitnehmer auf Weiterbildung seitens des Betriebes
heute sehr eingeschränkt. Ein radikales Umdenken ist sowohl bei den Betrieben
als auch bei der älteren Generation erforderlich. Arbeitgeber und Betriebsräte
müssen der Weiterbildung älterer Arbeitnehmer eine hohe Priorität einräumen.

Neben den allgemeinen Vorbehalten bei der Beschäftigung oder Einstellung Äl-
terer hat eine über Jahre verfehlte Tarif- und Arbeitsmarktpolitik dazu geführt,
dass Ältere vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden. Statt deren Integration zu
fördern, richten sich viele tarifliche Regelungen nach dem Alter oder der Dauer
der Betriebszugehörigkeit. Um die Beschäftigungsaussichten Älterer zu erhö-
hen, tritt der Deutsche Bundestag dafür ein, dass alle tariflichen und gesetzlichen
Regelungen für den Arbeitsmarkt auf ihre hemmende Wirkung für die Einstel-
lung älterer Arbeitsloser hin überprüft werden. Mögliche Hemmnisse, die einer
besseren Integration Älterer in das Erwerbsleben entgegenwirken, müssen be-
seitigt werden. Kontraproduktive Schutzbestimmungen für ältere Arbeitnehmer,
die sich z. B. in der Kündigungsschutzgesetzgebung oder auch im Sozialgesetz-
buch im Hinblick auf den Vorruhestand finden, müssen dahingehend geändert
werden, dass ältere Arbeitnehmer nicht mehr benachteiligt werden. Nur wenn
sich die Rahmenbedingungen ändern, haben auch ältere Menschen wieder eine
reelle Chance, an einer Belebung des Arbeitsmarktes teilzuhaben.

Neben einer generell anderen Personalpolitik, die die Potenziale älterer Arbeit-

nehmer erkennt und würdigt, braucht Deutschland eine Steuer-, Wirtschafts-,

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Tarif- und Arbeitsmarktpolitik, die zu mehr Wachstum und damit zu mehr Ar-
beitsplätzen führt. Erst eine deutliche Erhöhung der Anzahl der Erwerbsplätze
wird zu einer Trendwende auf den Arbeitsmarkt für Ältere führen können. Heute
ist jeder vierte der mehr als 4 Millionen registrierten Arbeitsuchenden älter als
50 Jahre. Diese Zahl steigt sogar noch deutlich, wenn man diejenigen mitzählt,
die sich im Vorruhestand befinden oder der Bundesagentur für Arbeit nach der
sog. 58er-Regelung nicht mehr zur Verfügung stehen wollen.

Um den demografischen Wandel auch auf dem Arbeitmarkt zu bestehen, muss
die Gesellschaft akzeptieren, dass Kompetenz, Kreativität und Innovationskraft
auch jenseits der Lebensmitte vorhanden sind, dass Lernfähigkeit und persön-
liche Weiterentwicklung nicht mit 50 enden.

Berlin, den 31. Januar 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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