BT-Drucksache 16/4201

Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus erstellen

Vom 31. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4201
16. Wahlperiode 31. 01. 2007

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Kersten Naumann, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus erstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Bezug nehmend auf die Erklärung der „Weltkonferenz gegen Rassismus,
Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhän-
gende Intoleranz“ (2001) in Durban nimmt der Deutsche Bundestag mit
Besorgnis zur Kenntnis, dass in der Bundesrepublik Deutschland Rassismus
und damit zusammenhängende Intoleranz nach wie vor und in gewaltsamer
Form vorkommen und dass Theorien von der Überlegenheit bestimmter bio-
logistisch definierter Gruppen in der einen oder anderen Form weiter ver-
fochten werden. Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, das sich ver-
schiedenen empirischen Studien zufolge auf einem bedrohlich hohem Niveau
stabilisiert (vgl. Heitmeyer, Deutsche Zustände 2002 bis 2006; Brähler/
Decker, Vom Rand zur Mitte, 2006). Neben verbalen Angriffen als Form ras-
sistischer Diskriminierung nehmen physische Gewalt sowie struktureller und
institutioneller Rassismus einen hohen Stellenwert ein.

2. Die Bundesregierung hat sich mit der Abschlusserklärung von Durban ver-
pflichtet, „im Benehmen mit den nationalen Menschenrechtsinstitutionen, an-
deren durch Gesetz geschaffenen Institutionen zur Bekämpfung des Rassis-
mus und mit der Zivilgesellschaft Aktionspläne auszuarbeiten (…)“. Im sechs-
ten Jahr nach der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban (September
2001) hat die Bundesregierung noch immer keinen Nationalen Aktionsplan
gegen Rassismus vorgelegt. Damit gehört die Bundesrepublik Deutschland zu
einer Minderheit von Ländern, die es seit fünf Jahren nicht geschafft hat, einen
nationalen Aktionsplan zu erstellen. Dies kann den Eindruck mangelnden
Interesses an der Bekämpfung rassistischer Diskriminierung erwecken.

3. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, bei der Erstellung eines NAP
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) einzubeziehen. Für die Gewährleis-
tung eines transparenten und demokratischen Verfahrens ist der Einbezug
weiter Teile der Gesellschaft notwendig. Es ist unerlässlich, dass NGOs und
Gruppen, die real und/oder potenziell von Rassismus betroffen sind, bei der
Erstellung eines solchen Aktionsplans frühzeitig und vor interministeriellen

Abstimmungen einbezogen werden. Dafür bedarf es einer unabhängigen
Organisationsstruktur, die eine tatsächliche Mitwirkung der NGOs ermög-
licht. Mit der Auflösung der „Durban-Follow-Up-AG“, die im Rahmen des
„Forums gegen Rassismus“ mit der Erarbeitung eines Aktionsplanes befasst
war, ist die formale Voraussetzung für eine solche Mitwirkung der NGOs
nicht mehr gegeben.

Drucksache 16/4201 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Die von der Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/2936) als Teil eines deut-
schen Aktionsplans angeführten Maßnahmen gegen Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt (Bundestagsdrucksache
14/9519) sind grundsätzlich zu begrüßen. Diese Maßnahmen sind jedoch
nicht ausreichend, da sie zum Beispiel die stärkere politische Partizipation
von Migrantinnen und Migranten (Wahlrecht), Antidiskriminierungsvor-
schriften oder die Aufhebung von Beschränkungen beim Zugang zum Ar-
beitsmarkt nicht einschließen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. bis zum 1. Juni 2007 eine Grundstruktur für ein Konsultations- und Abstim-
mungsverfahren mit den Nichtregierungsorganisationen vorzulegen. Dazu
initiiert die Bundesregierung ein neues Arbeitsgremium, das von Nichtregie-
rungsorganisationen und realen oder potenziellen Opfern von Rassismus ge-
tragen wird. Dieses Gremium arbeitet unabhängig von der Regierung und
gibt Empfehlungen für einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus ab,
die noch vor der interministeriellen Abstimmung mit der Regierung beraten
werden;

2. die Empfehlungen dieses Arbeitsgremiums und den Entwurf der Bundes-
regierung zum NAP der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und diese vor
der Verabschiedung im Parlament im Rahmen einer Expertenanhörung von
wissenschaftlicher Seite begutachten zu lassen;

3. diejenigen NGOs zum Zwecke dieser Arbeit finanziell zu unterstützen, die
sonst eine Mitarbeit nicht gewährleisten könnten;

4. auf der Basis von Empfehlungen und der Expertenanhörung einen NAP zu
erarbeiten, der konkrete Ziele, Maßnahmen und Berichterstattungsverfahren
sowie zur Überprüfung der Arbeitsergebnisse messbare Indikatoren festlegt.
Diese Ziele und Maßnahmen müssen mit einem Zeitplan zur Umsetzung ver-
bunden werden. Außerdem ist es erforderlich, geeignete finanzielle Mittel
zur Umsetzung des NAP zur Verfügung zu stellen und geeignete Instrumente
zu einer unabhängigen Evaluation und einem Monitoringverfahren zu ent-
wickeln und festzulegen;

5. einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus bis zum 31. Dezember 2007
dem Parlament vorzulegen.

Berlin, den 31. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4201

Begründung

Spektakuläre Gewaltübergriffe oder öffentliche Debatten über „No-go-areas“
rücken Rassismus punktuell in den Blickpunkt der Medien. Die alltäglichen
Überfälle, Angriffe, Diskriminierungen und verbalen Attacken, denen Men-
schen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer körperlichen Merkmale, ihres Geschlechts,
ihrer sozialen Stellung, sexuellen Orientierung und anderer Merkmale ausge-
setzt sind, werden nur noch am Rande zur Kenntnis genommen.

Die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft geht vor allem einher mit
einem verstärkten Abgrenzungsbedürfnis größerer Teile der Gesellschaft gegen-
über Migrantinnen und Migranten. Wie der Leiter der Studie des Instituts für
interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, Wil-
helm Heitmeyer, am 13. Dezember 2006 gegenüber dpa betonte, habe das Aus-
maß an Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland in den vergan-
genen Jahren kontinuierlich zugenommen. Fast jeder zweite Deutsche ist danach
der Meinung, in der Bundesrepublik Deutschland leben zu viele Ausländerinnen
und Ausländer, und diese müssen wieder in ihre Heimat geschickt werden, wenn
Arbeitsplätze knapp werden. Mit den im November in einer Studie der Univer-
sität Leipzig vorgelegten Ergebnissen zu rechtsextremem Gedankengut (Anti-
semitismus, Ausländerfeindlichkeit, Verharmlosung von Nationalsozialismus,
Befürwortung einer Diktatur) wird die Dringlichkeit des längst überfälligen
Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus noch einmal auf besondere Weise
deutlich.

Bereits 2001 hat sich auch die Bundesrepublik Deutschland in der Abschluss-
erklärung der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban (Südafrika) zu einem
aktiven Handeln gegen Rassismus im Rahmen eines Nationalen Aktionsplans
verpflichtet. Dessen Erarbeitung bietet die Möglichkeit, Rassismus, Ausgren-
zung und Diskriminierung als Querschnittsaufgabe für Politik und Gesellschaft
zu thematisieren und konkrete Maßnahmen in diesem Bereich vorzuschlagen.
Ein solcher Weg ist aber nur dann Erfolg versprechend, wenn er nicht als allei-
nige Aufgabe der Politik, sondern der gesamten Gesellschaft angesehen wird.
Aus diesem Grund ist der maßgebliche Einbezug von gesellschaftlichen Grup-
pen, die in diesem Themenbereich arbeiten, und von solchen Gruppen, die
(potenzielle) Opfer von Rassismus sind, unbedingt erforderlich.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.