BT-Drucksache 16/4122

Nutzung des Mitteldeutschen Flughafens Leipzig/Halle für militärische Zwecke

Vom 19. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4122
16. Wahlperiode 19. 01. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Dr. Barbara Höll,
Heike Hänsel, Inge Höger, Ulla Jelpke, Monika Knoche, Michael Leutert, Petra Pau,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Nutzung des Mitteldeutschen Flughafens Leipzig/Halle für militärische Zwecke

Aus medialer Berichterstattung und Recherchen von Medieninformationsdiens-
ten ergeben sich konkrete und offenkundig belegbare Anhaltspunkte dafür, dass
der Flughafen Leipzig/Halle für eine zunehmende militärische Nutzung vorge-
sehen ist: Faktisch ist mitten im Leipziger Flughafen eine Militärdrehscheibe
mit zivilem Nebenbetrieb entstanden. Der Flughafen fungiert bereits als
Kriegsdrehkreuz für die Irak- und Afghanistan-Operationen. Seit dem 23. Mai
2006 lassen die US-amerikanischen Streitkräfte über den Flughafen Leipzig/
Halle Passagierflüge für den regelmäßigen Truppenaustausch im Irak und in
Afghanistan durchführen. Pro Monat werden bis zu 80 Truppentransportflüge
mit ungefähr 160 GIs pro Tag abgefertigt. Die beauftragten Charterflug-
gesellschaften lassen die Maschinen in Leipzig betanken und führen Crew-
wechsel durch. Dies stellt eine Konfliktsituation mit dem völkerrechtlich ver-
bindlichen Zwei-plus-vier-Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den vier Mächten dar, da diese Vereinbarung die Stationierung von NATO-
Flugzeugen und entsprechendem militärischem Personal auf dem Gebiet der
ehemaligen DDR ausschließt.

Die Nutzung für militärische Zwecke hatte schon im März 2006 begonnen, als
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dort, wie berichtet (u. a.
Junge Welt vom 24. März 2006), das NATO-Luftdrehkreuz „Strategic Airlift
Interim Solution“ (SALIS) eröffnete. Hierbei geht es um die Schaffung „strate-
gischer Lufttransportkapazitäten für die Streitkräfte“. Im Rahmen von SALIS
wird der Flughafen Leipzig/Halle seit dem 23. März 2006 von der NATO für
den schnellen Transport übergroßer Ladungen als Basis zweier russischer
Großraum-Transportflugzeuge vom Typ Antonow An-124 genutzt. Vier wei-
tere Maschinen stehen für eine Stationierung bereit. Die Ruslan SALIS GmbH
baut hierzu ein eigenes Gelände mit Hangars aus. Die Großraumtransporter des
Typs Antonow An-124-100 würden vorrangig für militärische Materialtrans-
porte eingesetzt. Beim militärischen Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle
spielt die Deutsche-Post-Tochter DHL eine wichtige Rolle. Die Deutsche Post
wird für die Bundeswehr künftig weltweit Ausrüstungsgegenstände, Sanitäts-

material und Verbrauchsgüter sowie eilige Dokumente transportieren. Die Ko-
operation ist Teil einer strategischen Partnerschaft zwischen Bundesregierung
und Wirtschaft, die der Auf- und Ausrüstung der Bundeswehr für Kriegsein-
sätze dient. Eine Beladung vor Ort mit militärischem Gerät werde nicht ausge-
schlossen.

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Trotz der zahlreichen detaillierten Informationen wird die militärische Nutzung
des Flughafens Leipzig/Halle weiterhin bestritten. In der Beantwortung einer
Petitionseingabe wurde einer Leipziger Bürgerin am 9. November 2006 durch
den Petitionsausschuss geantwortet: „Eine militärische Nutzung des Flughafens
Leipzig/Halle findet nicht statt.“ (Pet 1-16-14-5621-008366 – NATO-Infra-
struktur).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit trifft es zu, dass seit Frühjahr 2006 Transportflugzeuge Anto-
now 124, die für NATO-Einsätze vorgesehen sind, dauerhaft auf dem Flug-
hafen Leipzig/Halle stationiert sind?

2. Welcher Befehlsstruktur werden diese NATO-Flugzeuge bei ihren Einsät-
zen unterstehen?

3. Welchen rechtlichen Status haben die in Leipzig dauerhaft stationierten
Flugzeuge nach deren Stationierung bzw. während ihres Einsatzes im Rah-
men der NATO-Einsätze?

4. Welchen rechtlichen Status haben die Besatzungen dieser Transportflug-
zeuge?

5. Welche Art von Luftfrachten transportieren sie, wer sind die Adressaten,
Auftraggeber der Fracht, und von wem wird die Fracht bezahlt?

6. Wie häufig und von welchen NATO-Staaten wurden die Antonow 124-100
zwischen März 2006 und Dezember 2006 angefragt (bitte aufgeschlüsselt
nach Monaten und Staaten)?

7. An wie vielen Tagen waren mehrere Antonow 124-100 gleichzeitig im
Einsatz (bitte aufschlüsseln nach Anzahl)?

8. Hat Deutschland die vertraglich zugesicherten und bezahlten 750 Flug-
stunden für das Jahr 2006 ausgeschöpft?

9. Wie groß war die durchschnittliche Auslastung der Antonow 124-100 bei
ihren Einsätzen im deutschen Auftrag (bitte in Prozent der maximalen Ka-
pazität)?

10. Welche Ziele wurden 2006 von den Antonow 124-100 angeflogen (bitte
unter Angabe des auftraggebenden Staates)?

11. Wie oft wurden die Antonow 124-100 von der Bundeswehr im Rahmen der
EU-Militärmission EUFOR Congo in Anspruch genommen?

12. Über welche Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der
Eigentums- und Beteiligungsverhältnisse des die Stationierung der Anto-
now-Flugzeuge betreibenden Unternehmens RUSLAN Salis GmbH mit
Sitz in Leipzig?

13. Inwieweit trifft es zu, dass die Deutsche-Post-Tochter DHL sich im Jahre
2002 vertraglich dazu verpflichtet hat, den Lufttransport von militärischen
Ausrüstungsgegenständen der Bundeswehr (nach Informationen von
german-foreign-policy vom 23. Oktober 2006) innerhalb weltweiter Ein-
satzgebiete zu übernehmen, und auf welcher rechtlichen Grundlage ge-
schieht diese zivilmilitärische Kooperation?

14. Inwieweit trifft es zu, dass die Bundesregierung die Privatisierung des
Transportes des gesamten Bundeswehrnachschubs einschließlich von
Munition und Waffen für Auslandseinsätze der Streitkräfte plant (nach In-
formationen von german-foreign-policy vom 23. Oktober 2006 mit Bezug
auf Artikel im Handelsblatt vom 20. Oktober 2005)?

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15. Inwieweit trifft es zu, dass die DHL die Verlegung ihres Luftdrehkreuzes
vom Flughafen Brüssel nach Leipzig/Halle plant bzw. bereits beschlossen
hat?

16. Welche Rolle spielte die verstärkte Nutzung des Flughafens Leipzig/Halle
aufgrund von SALIS und durch die US-amerikanischen Fluggesellschaf-
ten, die Personal und Gerät im Auftrag der US-Streitkräfte transportieren,
bei der Entscheidung für den Neubau der Start- und Landebahn Süd?

17. Ist die Information zutreffend, dass Verhandlungen über eine eventuelle
Luftfahrtkooperation zwischen dem westeuropäischen Rüstungskonzern
EADS und dem russischen Unternehmen „Irkut“ stattfinden mit der Absicht,
den Flughafen Leipzig/Halle zum gemeinsamen Drehkreuz zu entwickeln
(nach Informationen von german-foreign-policy vom 23. Oktober 2006)?

18. In wessen Auftrag fliegt World Airways und welche Art von Fracht trans-
portiert sie?

19. In wessen Auftrag fliegt North American Airlines und welche Fracht trans-
portiert sie?

20. In wessen Auftrag fliegt Gemini Airlines und welche Fracht transportiert
sie?

21. Werden über den Flughafen Leipzig/Halle US-Soldaten in den Irak und
nach Afghanistan transportiert?

22. Falls ja, handelt es sich um Kombattanten für den Anmarsch ins irakisch-
afghanische Kampfgebiet?

23. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob konkret am
23. Mai 2006 sowie am 4. Juni 2006 vom Flughafen Leipzig/Halle aus ein
als zivil ausgewiesenes US-Flugzeug des Typs MD-11, vom Pentagon bei
„World Airways“ (dem unter privater Flagge firmierenden größten Militär-
Logistiger der USA) gechartert, in Richtung Kuwait startete, welches in
der so genannten Couch-Version bis zu 400 Passagiere an Bord nehmen
kann, und etwa 400 US-Kombattanten in die Kriegsgebiete des Mittleren
Ostens über den Flughafen Leipzig/Halle beförderte?

24. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob über Kuwait und
Bangor die Nachschubkoordination für die Irak- und Afghanistankriege
läuft und ob „World Airways“ die bislang in Shannon (Irland) eingelegten
„Versorgungsstopps“ wegen der günstigeren Entfernung zu den genannten
Kampfgebieten fernerhin auf dem Flughafen Leipzig/Halle vornehmen
will?

25. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den zu erwarten-
den Anstieg des Flugaufkommens vor, sollten ab 1. Juli 2006 monatlich bis
zu 160 Start- und Landemanöver im Zusammenhang mit den Aktivitäten
der US-amerikanischen Fluggesellschaft „World Airways“ stattfinden?

26. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass sich auf dem Flughafen
Leipzig/Halle seit geraumer Zeit sukzessive eine Militarisierung der Flug-
logistik vollzieht und die reale Gefahr besteht, dass der Flughafen Leipzig/
Halle zunehmend als Ersatz für die aufgegebenen Nachschubzentren
bzw. Umschlagplätze Frankfurt am Main (Rhein-Main-Airbase), Airbase
Ramstein und Shannon in Irland dient?

Wie viele Starts von Maschinen, die nach Oman, Kuwait, Saudi Arabien,
Usbekistan, Afghanistan und Irak fliegen, finden täglich statt?

27. Um wie viele Nachtstarts handelt es sich aktuell?
28. Wie viele Nachtstarts sind nach Erkenntnis der Bundesregierung künftig
vorgesehen?

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29. Stellen nach Auffassung der Bundesregierung der Transport von Soldaten
sowie die Verfrachtung von militärischen Gütern in eine Kriegsregion, un-
abhängig davon, ob es sich um eine zivile oder militärische Transport-
bereitschaft handelt, eine militärische Nutzung des genannten Flughafens
dar?

30. Im Falle einer Verneinung: Nach welchen Kriterien ordnet die Bundes-
regierung diese Aktivitäten unter der Rubrik „zivil“ ein?

31. Über welche Erkenntnisse hinsichtlich einer erhöhten Lärmbelästigung
verfügt die Bundesregierung und welche Konsequenzen zieht sie daraus
insbesondere für das Umland des Mitteldeutschen Flughafens Leipzig/
Halle?

32. Sind aufgrund der erhöhten Lärmbelästigung durch das anwachsende Flug-
aufkommen, insbesondere die Nachtflugnutzung, besondere Lärmschutz-
maßnahmen für die anwohnende Bevölkerung vorgesehen, und um welche
Art von Maßnahmen handelt es sich?

33. Inwiefern steht diese militärische Nutzung mit dem Zwei-plus-Vier-Ver-
trag vom 12. November 1990 zur Wiedervereinigung Deutschlands, insbe-
sondere mit seinem Artikel 5, im Einklang, wonach ausländische Truppen
nicht auf dem Territorium der ehemaligen DDR stationiert oder dorthin
verlegt werden dürfen?

34. Welche Präventionsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung hat die Bun-
desregierung ergriffen, um einer durch die militärische Nutzung des Flug-
hafens, insbesondere der besonderen Funktion für die Krisenregionen Irak
und Afghanistan, wachsenden Gefahr terroristischer Anschläge für die An-
wohner des Flughafens zu begegnen?

Berlin, den 18. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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