BT-Drucksache 16/4092

Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft

Vom 17. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4092
16. Wahlperiode 17. 01. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘ delen, Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Neskovic
und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft

Seit mittlerweile mehr als eineinhalb Jahren besteht neben dem § 232 StGB
(Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung) auch der § 233 StGB,
der Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft unter Strafe
stellt. Beide Paragraphen wurden durch das 37. Strafrechtsänderungsgesetz ein-
gefügt und beruhen auf internationalen Vorgaben, v. a. auf dem „Zusatzproto-
koll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, ins-
besondere des Frauen- und Kinderhandels zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität vom
15. November 2000“ (Bundestagsdrucksache 15/5150).

Nach einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verrichten
weltweit mindestens 2,4 Millionen Menschen Zwangsarbeit infolge von
Menschenhandel (ILO-Bericht „Eine globale Allianz gegen Zwangsarbeit“,
93. Tagung 2005). In den Industrieländern wird die Zahl auf 270 000 geschätzt,
wobei die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen stark
dominiert. Auf diesem Gebiet liegt bisher auch in Deutschland das Hauptau-
genmerk bei der Bekämpfung von Zwangsarbeit. Rund ein Viertel der Zwangs-
arbeiterinnen und Zwangsarbeiter infolge von Menschenhandel sind jedoch
auch in den Industriestaaten Opfer von nichtsexueller wirtschaftlicher Ausbeu-
tung (ILO-Bericht s. o., S. 15). Aufgrund dieser Tatsache mahnt die Internatio-
nale Arbeitsorganisation, dass „Maßnahmen gegen den Menschenhandel über
die derzeitige Fokussierung auf die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von
Frauen und Mädchen hinausgehen müssen“ (ebenda, S. 55).

Ob in Deutschland eine Anwendung des § 233 StGB seit seiner Einführung
überhaupt schon erfolgte und in welchem Ausmaß dies geschieht, ist nicht be-
kannt.

In Deutschland erschwert das Aufenthaltsgesetz die Durchsetzung der Straf-
normen gegen Menschenhandel in gravierender Weise: Ausländische Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer begehen eine strafbare Handlung, wenn sie
sich ohne die erforderlichen Rechtstitel im Land aufhalten und arbeiten. Das
verhindert, dass Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der
Arbeitskraft sich gegen ihre Ausbeutung wehren und Anzeigen erstatten. Ent-

sprechend der Grundsätze und Richtlinien der Vereinten Nationen zu Men-
schenrechten und Menschenhandel sollte der Schutz der Opferrechte Vorrang
vor der Bekämpfung des organisierten Verbrechens haben. In vielen Ländern
konzentriert man sich beim Menschenhandel jedoch auf die Bekämpfung des
illegalen Aufenthalts der Opfer des Menschenhandels und die Bekämpfung des
Menschenhandels selbst (ILO Bericht: „Menschenhandel und Ausbeutung in
Deutschland“, 2005, S. 65). Außerdem führe die Behandlung des illegalen Auf-

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enthalts als strafbare Handlung dazu, dass die Polizeibehörden zuviel Zeit mit
unbedeutenden Fällen verschwenden und die strafrechtliche Ermittlung gegen
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vernachlässigten (ILO Bericht: „Menschen-
handel und Ausbeutung in Deutschland“, 2005, S. 71/72).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Verfahren sind insgesamt nach § 233 StGB (Menschenhandel)
eingeleitet worden?

Wie viele Verfahren wurden nach § 233a i. V. m. § 233 eingeleitet (bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

2. Aufgrund welcher Alternativen des § 233 StGB (Sklaverei, Leibeigenschaft,
Schuldknechtschaft, Bringen zur Aufnahme/Fortsetzung einer Beschäfti-
gung) erfolgten die Ermittlungsverfahren?

3. Wie viele Verfahren sind weiterverfolgt worden, und wie endeten sie?

Wie viele Ermittlungsverfahren nach den §§ 233 bzw. 233a, 233 StGB wur-
den eingestellt (bitte mit Angabe, nach welchen Paragraphen die Einstellung
erfolgte)?

In wie vielen Fällen kam es zu einem Freispruch, und in wie vielen zu einer
Verurteilung?

Wie viele Ermittlungsverfahren laufen momentan noch (bitte nach Bundes-
ländern aufschlüsseln)?

4. Wurden Ermittlungsverfahren nach den §§ 233 bzw. 233a, 233 StGB wegen
Handlungen im Ausland eingeleitet (§ 6 Nr. 4 StGB)?

Wenn ja, wie oft ist dies geschehen, und in welchen Ländern fanden die
Handlungen statt?

5. Wie viele Opfer wurden im Hinblick auf Straftaten nach § 233 StGB ins-
gesamt registriert (bitte getrennt nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit
angeben)?

6. Wie viele Personen, bei denen der Verdacht bestand, Opfer von Menschen-
handel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft zu sein,

a) besaßen keinen Aufenthaltstitel,

b) waren in Besitz eines Aufenthaltstitels, der nicht zur Arbeitsaufnahme
berechtigt,

c) arbeiteten im Rahmen der offiziell zugelassenen Saisonarbeit in Deutsch-
land

(bitte alle Angaben getrennt nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit an-
geben)?

7. Gegen wie viele Personen, bei denen der Verdacht bestand, Opfer von Men-
schenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft zu sein, ist
gleichzeitig oder im sachlichen Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren
wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz eingeleitet worden (bitte ge-
trennt nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit angeben)?

8. Wie viele Personen, bei denen der Verdacht bestand, Opfer von Menschen-
handel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft zu sein und die ent-
weder keinen Aufenthaltstitel oder keine Arbeitserlaubnis besaßen, wurden
infolge des Ermittlungsverfahrens ausgewiesen bzw. abgeschoben und er-
hielten ein Wiedereinreiseverbot (bitte getrennt nach Geschlecht und Staats-
angehörigkeit angeben)?

9. Bei wie vielen Personen, bei denen der Verdacht bestand, Opfer von Men-
schenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft zu sein und die

entweder keinen Aufenthaltstitel oder keine Arbeitserlaubnis besaßen, ist
die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt worden, damit sie sich durch

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spezielle Beratungsstellen betreuen und helfen lassen können (so genannte
„Orientierungsfrist“) (bitte getrennt nach Geschlecht und Staatsangehörig-
keit angeben)?

10. Wie viele Personen, bei denen der Verdacht bestand, Opfer von Menschen-
handel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft zu sein,

a) sind bisher in Opferschutzprogramme aufgenommen worden,

b) traten als Zeuginnen und Zeugen in Gerichtsverfahren gegen Menschen-
händler auf

(bitte alle Angaben getrennt nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit an-
geben)?

11. Wie viele Personen, bei denen der Verdacht bestand, Opfer von Menschen-
handel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft zu sein, erstritten vor
den Arbeitsgerichten vorenthaltene Lohnzahlungen (bitte getrennt nach
Geschlecht und Staatsangehörigkeit angeben)?

12. Wie beabsichtigt die Bundesregierung durch Änderungen im Aufenthalts-
gesetz sicherzustellen, dass Opfer ihre Rechte einfordern können, anstatt
die Ausbeutung aus Furcht vor ihrer Ausweisung akzeptieren zu müssen?

13. Plant die Bundesregierung,

a) Opfern von Menschenhandel eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären
Gründen zuzugestehen, auch, um eine wirksame Verfolgung von Men-
schenhändlern zu ermöglichen?

Wenn nein, warum nicht?

b) Mittel für Modellprojekte zur Beratung und Unterstützung von Opfern
von Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft zur
Verfügung zustellen?

Wenn nein, warum nicht?

c) Eine nationale Koordinationsstelle für Opfer von Menschenhandel ein-
zurichten?

Wenn nein, warum nicht?

14. Welchen Berufsgruppen gehörten die Täterinnen und Täter der Delikte
– bzw. die Beschuldigten in den Ermittlungsverfahren – nach den § 233
und 233a, 233 StGB an, und welche wirtschaftliche Stellung hatten sie inne
(beispielsweise Geschäftsführer, Inhaber von Unternehmen, Angestellte)?

15. Wie hoch liegt nach Schätzungen oder vorliegenden Zahlen der gesamte
monetäre Schaden, der durch vorenthaltene Steuern, Sozialabgaben und
vorenthaltene bzw. untertarifliche Löhne in den vergangenen Jahren ent-
standen ist?

16. Hat nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei den Täterinnen und
Tätern eine Gewinnabschöpfung stattgefunden, und wenn ja, in wie vielen
Fällen?

17. Welche Maßstäbe werden nach Kenntnis der Bundesregierung in der
Rechtssprechung angelegt, um das in § 233 Abs. 1 StGB verlangte „auf-
fällige Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer“ zu begründen?

18. Wie steht die Bundesregierung zu der Auffassung, bei den im Rahmen der

„Hartz-IV-Reform“ eingeführten „ein-Euro-Jobs“ handele es sich um eine
Art der „Ausbeutung der Arbeitskraft“ im Sinne des § 233 StGB?

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Im Falle einer Ablehnung dieser Ansicht: Aus welchen Gründen fallen
diese nach Meinung der Bundesregierung nicht darunter?

19. Wie stellt sich aus Sicht der Bundesregierung das Verhältnis der Zahl der
Ermittlungsverfahren/Verurteilungen nach § 233 StGB im Verhältnis zu
der Anzahl der Ermittlungsverfahren/Verurteilungen nach § 232 StGB dar,
und wie das Verhältnis der Ermittlungsverfahren/Verurteilungen nach
§§ 233a, 232 und nach §§ 233a, 233 StGB?

20. Was sind nach Meinung der Bundesregierung die Ursachen für dieses Ver-
hältnis bei der Anwendung der beiden Straftatbestände?

21. Plant die Bundesregierung Maßnahmen, die zu einer effektiveren Straf-
verfolgung in Bezug auf die §§ 233 und 233a, 233 StGB führen könnten?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, weshalb nicht?

22. Plant die Bundesregierung über die Umsetzung der EU-Opferschutzricht-
linie vom 29. April 2004 (2004/81/EG) hinaus Maßnahmen im Bereich der
Aufenthaltsbestimmungen und/oder des Opferschutzes, die es den Opfern
von Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft er-
leichtern würden, sich gegenüber den Ermittlungsbehörden zu offenbaren?

23. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, inwiefern
und in welchem Ausmaß

a) die Ahndung des illegalen Aufenthalts als Straftat von potentiellen Op-
fern von Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft
die Aufklärung der Fälle behindert,

b) die Ahndung der „illegalen Beschäftigung“ als Straftat von potentiellen
Opfern von Menschenhandel die Ermittlungen behindert,

c) die Abschiebung potentieller Opfer von Menschenhandel die Auf-
klärung der Fälle behindert?

24. Plant die Bundesregierung, das jährlich vom BKA erarbeitete „Bundes-
lagebild Menschenhandel“ auch auf die Fälle des Menschenhandels nach
§ 233 StGB auszuweiten?

Geschieht dies bereits im „Bundeslagebild Menschenhandel 2006“ – und
wenn nicht, warum nicht?

25. Wie beabsichtigt die Bundesregierung generell, die Bekämpfung des inter-
nationalen Menschenhandels zu unterstützen?

26. Wird bei der Bekämpfung des Menschenhandels neben der sexuellen Aus-
beutung auch ein Schwerpunkt auf den Menschenhandel zum Zwecke der
Ausbeutung der Arbeitskraft gelegt?

27. Ist es Ziel der Bundesregierung, zur Bekämpfung des Menschenhandels die
Rechte der Opfer im Arbeits-, Sozial-, Straf- und Aufenthaltsrecht zu
stärken?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind aus ihrer Sicht hierfür besonders geeig-
net, und wie plant die Bundesregierung deren Umsetzung?

Berlin, den 16. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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