BT-Drucksache 16/4079

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/3438, 16/4043- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Wissenschaft

Vom 17. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4079
16. Wahlperiode 17. 01. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Cornelia Hirsch, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/3438, 16/4043 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften
in der Wissenschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Gesetz zur Änderung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Wissen-
schaft (Bundestagsdrucksache 16/3438) schafft die Bundesregierung ein Son-
derarbeitsrecht für die Beschäftigten in Wissenschaft und Forschung. Bisherige
Regelungen des Hochschulrahmengesetzes (HRG) zu befristeten Beschäf-
tigungsmöglichkeiten während der Qualifizierungsphase an Hochschulen und
außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden fortgeschrieben. Diese
Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung mit Höchstbefristungsdauer (bis
zwölf Jahre) während der Qualifizierungsphase des wissenschaftlichen und
künstlerischen Personals hat sich bewährt. Sie ist um eine „familienpolitische
Komponente“ in Form von Verlängerungsoptionen der befristeten Vertragslauf-
zeiten von zwei Jahren pro Kind für beide Elternteile ergänzt, sofern die Eltern
sich der Kinderbetreuung widmen. Damit soll jungen Akademikerinnen und
Akademikern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert werden.

Dass Qualifizierungsphasen zeitlich begrenzt werden, wird als sinnvoll angese-
hen. Darüber hinaus werden jedoch neue Befristungstatbestände für wissen-
schaftliches und künstlerisches sowie für nicht-wissenschaftliches und nicht-
künstlerisches Personal eingeführt. Befristung soll zulässig werden, wenn die
Beschäftigung „überwiegend“ aus Mitteln Dritter erfolgt, d. h. ab einem Dritt-
mittelanteil von knapp über 50 Prozent, und wenn die Mitarbeiterin oder der
Mitarbeiter „überwiegend“ der Zweckbestimmung dieser Mittel entsprechend

beschäftigt wird. Dadurch wird die Möglichkeit der Befristung von Arbeitsver-
hältnissen in der Wissenschaft so weit ausgedehnt, dass fast jeder Arbeitsvertrag
im Wissenschaftsbetrieb darauf abgestellt werden kann. Zeitliche Obergrenzen
für Drittmittelbeschäftigte sind nicht vorgesehen; auch muss nicht für die ge-
samte geplante Projektzeit eingestellt werden. Damit wird der arbeitnehmer-
rechtliche Schutz durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verdrängt
und prekärer Beschäftigung Vorschub geleistet.

Drucksache 16/4079 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wenn auch der Deutsche Bundestag die Einführung der „familienpolitischen
Komponente“ begrüßt, so verfehlt diese Maßnahme doch ihren Zweck. Junge
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bedürfen zur Familiengründung und
-planung einer langfristigen beruflich attraktiven Perspektive, die ihnen die
Sicherheit gibt, im Wissenschaftsbetrieb dauerhaft einen Arbeitsplatz finden zu
können.

Die Bundesregierung argumentiert, die Drittmittelbefristung eröffne „Karriere-
perspektiven“ und „attraktive Arbeits- und Studienbedingungen“ für junge Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Gegenteil ist der Fall. Das Gesetz
geht einseitig zu Lasten der Beschäftigten der wissenschaftlichen Einrichtun-
gen. Es schafft lediglich Rechtssicherheit für die Einrichtungen, aber keine
attraktiven Arbeitsbedingungen für Forschende an außeruniversitären Einrich-
tungen und Hochschulen. Dem wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen
Personal wird zugemutet, dauerhaft in Zeitverträgen zu arbeiten. Dies erschwert
die Lebens- und Familienplanung der Beschäftigten erheblich. Schon heute
arbeiten 70 Prozent aller Beschäftigten im Wissenschaftsbereich in befristeten
Arbeitsverträgen. Mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird diese schlechte
Praxis legitimiert. Mit Besorgnis nimmt der Deutsche Bundestag zur Kenntnis,
dass von der den Hochschulen im HRG eingeräumten Möglichkeit, Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler unbefristet zu beschäftigen, bisher wenig
Gebrauch gemacht wurde. Unbefristete Beschäftigung sollte jedoch die Regel
und nicht die Ausnahme sein.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz steht zudem im Widerspruch zur so ge-
nannten Forschungscharta der EU-Kommission [K(2005) 576] vom 11. März
2005 und der Richtlinie 1999/70/EG vom 29. Juni 1999. Die Charta empfiehlt,
die Leistung von Forschern nicht durch die Instabilität von Arbeitsverhältnissen
zu beeinträchtigen und die Beschäftigungsbedingungen für Forscher zu verbes-
sern. Die Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten auf, befristete Beschäftigungs-
verhältnisse zugunsten von Kündigungsschutzregelungen einzudämmen. Bei-
des leistet das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht.

Die Bundesregierung hat es versäumt, im Einvernehmen mit den Ländern die
Hochschulen finanziell in die Lage zu versetzen, ihr Personal entsprechend den
steigenden Studierendenzahlen ausbauen zu können. Mit der Einführung des
neuen Befristungstatbestandes wird dem Brain Drain und dem Trend zur Um-
wandlung von unbefristeten in befristete Stellen weiter Vorschub geleistet. Feh-
lendes Dauerpersonal an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen stärkt
die Forschungsfreiheit jedoch nicht, sie schwächt das Wissenschaftssystem.

Die Einbeziehung des nicht-wissenschaftlichen und nicht-künstlerischen Perso-
nals in den Drittmittelbefristungstatbestand bedeutet zudem eine erhebliche Ver-
schärfung für das Verwaltungspersonal und stößt auf arbeits- und verfassungs-
rechtliche Bedenken. Die befristete drittmittelbasierte Beschäftigung wurde
durch das Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund der grundgesetzlich
garantierten Wissenschafts- und Forschungsfreiheit explizit nur für das zusätzli-
che wissenschaftliche Personal als gerechtfertigt angesehen. Daher ist die Rege-
lung von Arbeitsbedingungen für das so genannte akzessorische Personal Sache
der Tarifvertragsparteien.

Die im Gesetz enthaltene Tarifsperre verbietet es den Tarifparteien, kollektiv-
rechtlich zu besseren Lösungen zu kommen. Die Tarifsperre stellt einen un-
zumutbaren Eingriff in die Koalitionsfreiheit und in das verfassungsrechtlich
geschützte Recht der Tarifautonomie dar. Mit der Einigung der Tarifvertrags-
parteien trat am 1. November 2006 der Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes
der Länder (TV-L) in Kraft. Er kündigt die Einigung der Parteien auf wissen-
schaftsspezifische und verantwortungsbewusste Befristungsregelungen an.

Tarifliche Regelungen können wesentlich zielgerichteter den spezifischen Be-
dingungen in den unterschiedlichen Wissenschaftsinstitutionen und -organisa-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4079

tionen Rechnung tragen als das vorgeschlagene Gesetz. Vor diesem Hintergrund
ist die Tarifsperre weder erforderlich noch verhältnismäßig.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den akademischen Mittelbau in den Blick zu nehmen und im Rahmen ihrer
neuen Gesetzgebungskompetenz bezüglich der Personalstruktur gegenüber
den Ländern darauf hinzuwirken, dass Defizite des geltenden Hochschulrah-
mengesetzes ausgeglichen werden. Die Personalkategorien sind differenziert
und aufgabengerecht zu gestalten. Dazu gehört die Möglichkeit einer dauer-
haften Beschäftigung von qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern im Wissenschaftsbetrieb unterhalb der Professur genauso wie die
Gewährleistung der Durchlässigkeit zwischen den Personalkategorien und
die Wahrung der Einheit von Forschung und Lehre.

2. gemeinsam mit den Ländern dafür Sorge zu tragen, dass für die Infrastruktur,
das Personal und die Sachmittel der Hochschulen eine auskömmliche Finan-
zierung gewährleistet wird. Vor dem Hintergrund der steigenden Studieren-
denzahlen in den nächsten Jahren hat dies besondere Priorität.

Berlin, den 16. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.