BT-Drucksache 16/386

Voraussetzungen für Entwicklung, Bau und Betrieb einer Europäischen Spallations-Neutronenquelle in Deutschland schaffen - Deutsche Bewerbung vorantreiben

Vom 18. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/386
16. Wahlperiode 18. 01. 2006

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Miriam Gruß, Sibylle Laurischk,
Patrick Meinhardt, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn),
Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Voraussetzungen für Entwicklung, Bau und Betrieb einer Europäischen
Spallations-Neutronenquelle in Deutschland schaffen – Deutsche Bewerbung
vorantreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union hat sich auf der Ratstagung am 24. März 2000 das Ziel
gesetzt, bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wis-
sensbasierten Wirtschaftsraum der Erde zu werden. Hierfür sollen dann jährlich
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschungszwecke verwendet
werden.

Ohne einen starken Beitrag Deutschlands, der größten Volkswirtschaft inner-
halb der EU, wird Europa das Ziel verfehlen.

Es hängt wesentlich davon ab, ob Deutschland in diesem Prozess seine Verant-
wortung wahrnimmt und richtungweisende Ziele, so auch für die Entwicklung
der Forschungsinfrastruktur im eigenen Land definiert und seine entsprechen-
den Mittel für Forschung und Entwicklung (FuE) tatsächlich schrittweise er-
höht. Es ist bereits sehr viel Zeit vergangen, ohne das sich die FuE-Aufwendun-
gen von Wirtschaft, Bund und Ländern entscheidend erhöht haben.

Die neue Bundesregierung steht heute vor der Aufgabe, Deutschland im Wett-
bewerb um Innovationen, Investitionen, Wachstum und Beschäftigung wieder

zu einer der führenden Nationen zu entwickeln.

Für die Weiterentwicklung der natur- und technikwissenschaftlichen Forschung
ist es ein dringliches Erfordernis, auf eine Infrastruktur von leistungsfähigen
Großgeräten zurückgreifen zu können, die es letztlich auch ermöglichen kom-
plexe dynamische Prozesse besser zu verstehen.

Drucksache 16/386 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Methoden der Neutronenstreuung sind heute unverzichtbare Verfahren zur
Erforschung der atomaren und molekularen Details aller Materialien und Stoffe
einschließlich der lebenden Materie. Neutronen liefern der Forschung einzig-
artige Informationen darüber, wo Atome sind und wie sie sich bewegen.

In diesem Zusammenhang tritt die Forderung der Wissenschaft nach einer leis-
tungsstarken Neutronenquelle immer stärker in den Vordergrund.

Die Europäische Spallations-Neutronenquelle (European Spallation Source-ESS)
ist eine solche Einrichtung.

Da es sich hierbei um ein europäisches Projekt und gleichzeitig um die weltweit
leistungsfähigste Neutronenquelle handelt, werden Wissenschaftler aus aller
Welt die Anlage nutzen. Der ESS-Council rechnet mit 4 000 internationalen
Gastwissenschaftlern pro Jahr, die entweder für wenige Tage und Wochen, aber
auch oft für einen längeren Zeitraum Messzeiten an der ESS im wissenschaft-
lichen Wettbewerb erhalten.

Die ESS könnte bereits 2012 ihren Betrieb aufnehmen und ist für eine Mindest-
betriebsdauer von 40 Jahren konzipiert. Die in dieser Zeit anfallenden Betriebs-
kosten in Höhe von 150 Mio Euro pro Jahr werden etwa zu drei Viertel in der
Region wirksam; für die Energie, Wasserversorgung, Verkehrsmittel, den Woh-
nungsmarkt, Freizeit- und Kultureinrichtungen. Nicht zuletzt profitieren auch
die kommunalen Haushalte von einem erhöhten Steueraufkommen.

Bereits im Jahr 1998 hat das Megascience Forum der Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den Bau von Spallati-
ons-Neutronenquellen im Megawattbereich in den drei Weltregionen Asien,
Nordamerika und Europa empfohlen. Dieser Empfehlung wurde auf einem
OECD-Ministertreffen, an dem auch Deutschland teilgenommen hat, im Jahr
1999 zugestimmt.

Japan und die USA haben die Empfehlung aufgegriffen und den Bau derartiger
Neutronenquellen bereits weit vorangetrieben. Das Prinzip dieser Geräte basiert
weitgehend auf den in Europa entwickelten Konzepten.

Die Bewerberländer und die mit ihnen zusammenarbeitenden Forschungsein-
richtungen sowie der Wissenschaftsrat haben sich im Dezember 2002 auf ein
Verfahren geeinigt, das zum Ziel hat, einen gemeinsamen Antrag der drei Be-
werbungsländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Nordrhein-Westfalen zur erneu-
ten Begutachtung der ESS beim Wissenschaftsrat vorzulegen.

Sowohl Nordrhein-Westfalen als auch Sachsen und Sachsen-Anhalt halten an
ihren Standortbewerbungen für die ESS fest. Die Koalitionsvereinbarungen
zwischen CDU, CSU und SPD heben den Willen der Koalitionäre, in den neuen
Bundesländern ein neues Großforschungsgerät anzusiedeln hervor.

Sachsen und Sachsen-Anhalt sind zwischenzeitlich dem ESS-Council in
Grenoble beigetreten.

Die Entscheidung für eine Europäische Spallations-Neutronenquelle ist eine
der wichtigsten Weichenstellungen für die Entwicklung der Forschung am An-
fang des 21. Jahrhunderts.

In Brüssel hat sich die Kommission des European Strategy Forum on Research
Infrastructures im März 2005 in ihrem Schwerpunktprogramm für die Auf-
nahme der Spallations-Neutronenquelle, sowie ihren Bau und Betrieb, entschie-
den.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/386

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● gegenüber der Europäischen Union den festen Willen zu bekunden, die
Europäische Spallations-Neutronenquelle in Deutschland ansiedeln zu wol-
len;

● ihren Einfluss dahin gehend geltend zu machen, dass das ESS-Projekt in die
Großgeräteförderung im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms
aufgenommen wird;

● den Wissenschaftsrat (WR) zu beauftragen, ein zweites Begutachtungsver-
fahren zur Europäischen Spallations-Neutronenquelle durchzuführen. So
wird eine erneute Prüfung und unabhängige wissenschaftliche Bewertung
des Projekts durch den WR ermöglicht;

● das Verfahren in einem zweistufigen, zeitlich voneinander getrennten Pro-
zess durchzuführen, an dessen Ende erst die Finanzierungs- und die Standort-
entscheidung stehen;

● den Deutschen Bundestag an Entscheidungsprozessen über Großgeräte der
naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung und die damit zusammenhän-
genden forschungs- und haushaltspolitischen Weichenstellungen angemes-
sen zu beteiligen;

● die Ergebnisse der Bewertung durch den WR und die Schlussfolgerungen
der Bundesregierung in den zuständigen Parlamentsausschüssen zu erörtern;

● es den Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft freizustellen,
die Bewerbungen von Bundesländern wissenschaftlich zu begleiten;

● nach erfolgreicher Begutachtung durch den WR mit dem Bekenntnis zur
Standortbewerbung für die ESS ein Signal zu setzen, dass Deutschland seiner
Verantwortung für die Weiterentwicklung der Neutronenforschung nach-
kommt sowie bereit und in der Lage ist den Wissensvorsprung der deutschen
und europäischen Forschung gegenüber anderen Weltregionen zu halten und
auszubauen.

Berlin, den 12. Januar 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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