BT-Drucksache 16/3664

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/575, 16/3641- Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (...StrÄndG)

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3664
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Jerzy Montag
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung
– Drucksachen 16/575, 16/3641 –

Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (… StrÄndG)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen ein Gesamtkonzept zu erstel-
len und umzusetzen, das mit Hilfe struktureller Maßnahmen auf allen Ebenen
dazu beiträgt, dass der Schutz für Opfer von Straftaten nach § 238 des Straf-
gesetzbuches (StGB) (beharrliche Nachstellungen – „Stalking“) und § 4 des Ge-
waltschutzgesetzes (GewSchG) auch tatsächlich gewährleistet werden kann.

In diesem Rahmen soll die Bundesregierung:

1. sich für eine sachgerechte bundeseinheitliche Behandlung von Strafverfahren
wegen Stalkings einsetzen, indem sie gegenüber den JustizministerInnen und
-senatorInnen der Länder darauf hinwirkt, dass die Richtlinien für das Straf-
und Bußgeldverfahren (RiStBV) dahingehend ergänzt werden, dass das be-
sondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung insbesondere bei engen
persönlichen Beziehungen oder bei einer sonstigen Unzumutbarkeit der
Strafantragstellung durch das Opfer anzunehmen ist und diese Richtlinien in
der Praxis konsequent umgesetzt werden;

2. sich für eine bundesweit sachkundige Behandlung von Strafverfahren
nach dem neuen Stalking-Straftatbestand sowie wegen Straftaten nach § 4
GewSchG einsetzen, indem sie gegenüber den JustizministerInnen und
- senatorInnen der Länder darauf hinwirkt, dass die Richtlinien für das
Straf- und Bußgeldverfahren um folgende Punkte ergänzt werden:

● Bei den Staatsanwaltschaften sind zur Verfolgung von Straftaten nach
§ 238 StGB (Stalking) und § 4 GewSchG Sonderzuständigkeiten einzu-

richten.

● Es empfiehlt sich, bei Aussagen von Opfern einer Straftat nach § 238
StGB (Stalking) oder § 4 GewSchG unverzüglich, möglichst im An-
schluss an die polizeiliche Vernehmung, eine richterliche Vernehmung im
Hinblick darauf herbeizuführen, dass Opfer derartiger Straftaten erfah-
rungsgemäß nicht selten ihre Aussagen gegen den Angeklagten in der
Hauptverhandlung nicht aufrecht erhalten.

Drucksache 16/3664 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● Die Staatsanwaltschaft prüft bei Straftaten nach § 238 StGB (Stalking)
und § 4 GewSchG, ob gegen den Beschuldigten Haftbefehl zu beantragen
ist, weil bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, er werde auf
Zeugen in unlauterer Weise einwirken oder einwirken lassen und dadurch
die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Ver-
dunkelungsgefahr, § 112 Abs. 1 und 2 Nr. 3 Buchstabe b Alternative 2 und
Nr. 3 Buchstabe c der Strafprozessordnung – StPO).

● Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das
Wohl der Zeugin oder des Zeugen, wenn sie oder er in Gegenwart der in
der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so wirkt die Staats-
anwaltschaft auf eine Videovernehmung nach § 247a StPO hin.

● Die Verurteilung zu Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt
wird, ist vor allem dann zu beantragen, wenn zu befürchten ist, dass der
Täter erneut gegen § 238 (Stalking) oder eine Schutzanordnung nach dem
Gewaltschutzgesetz verstoßen wird.

● Die Staatsanwaltschaft arbeitet auch mit Stellen zusammen, die sich um
die Betreuung von Opfern des Stalkings oder Straften nach § 4 GewSchG
bemühen;

3. auf die Länder einwirken, dass sie für Polizei und Justiz geeignete Aus- und
Fortbildungsmaßnahmen anbieten, die sie im Hinblick auf Stalking sensibi-
lisieren und ihnen die Auswirkungen dieser Art der Nachstellungen für die
Opfer, Handlungsempfehlungen der einschlägigen Studien und Projekte
sowie die rechtliche Situation nahe bringen;

4. auf die Länder einwirken, dass auch bei der Polizei Sonderzuständigkeiten
und feste AnsprechpartnerInnen für die Opfer von Stalking geschaffen wer-
den;

5. darauf hinwirken, dass Justiz, Polizei sowie Opferberatungs- und Interven-
tionsstellen eng miteinander kooperieren;

6. darauf hinwirken, dass die Opferberatungs- und Interventionsstellen von den
Ländern auskömmlich finanziert werden;

7. darauf hinwirken, dass von Seiten der Polizei sehr frühzeitig Interventions-
maßnahmen vorgenommen werden, um Eskalationen zu vermeiden. Zu sol-
chen Maßnahmen gehört insbesondere die Gefährderansprache;

8. darauf hinwirken, dass die Angebote an täterorientierten Maßnahmen, die auf
Hilfestellung, die Bewusstmachung der eigenen Schuld und auf Verhaltens-
änderung beim Täter abzielen, deutlich ausgebaut werden.

Berlin, den 29. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3664

Begründung

Sinn und Zweck eines Straftatbestandes gegen Stalking ist ein besserer Rechts-
güterschutz für die Opfer. Dies kann aber nur bei konsequenter Strafverfolgung
gelingen. Die Koalition hat sich dafür entschieden, Stalking im Grundtatbestand
nicht als Offizialdelikt auszugestalten, bei dem die Staatsanwaltschaft in jedem
Fall von Amts wegen ermitteln müsste. Die Tat soll vielmehr nur auf Antrag
verfolgt werden, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde ein besonderes
öffentliches Interesse an der Strafverfolgung annimmt. Wird die Tat damit – wie
die Körperverletzung, aber anders als § 4 GewSchG – als so genanntes relatives
Antragsdelikt ausgestaltet, muss jedoch dafür gesorgt werden, dass die beson-
deren Umstände berücksichtigt werden, die dazu führen, dass es für das Opfer
– etwa aufgrund der engen persönlichen Beziehung zwischen den Beteiligten
oder weil der Täter Druck ausübt – unzumutbar sein kann, Strafantrag zu stellen.
Dieses Phänomen ist insbesondere aus dem Bereich der häuslichen Gewalt be-
kannt. Damit Stalking-Opfer nicht von der Staatsanwaltschaft allein gelassen
werden, indem das besondere öffentliche Interesse verneint wird, muss dem mit
Hilfe der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren entgegengewirkt wer-
den. Entsprechende Vorgaben für die Verfolgung von Körperverletzung werden
leider nicht überall konsequent genug in die Praxis umgesetzt. Die Einführung
entsprechender Richtlinien für Stalking-Verfahren sollte zum Anlass für beson-
dere Schulungsmaßnahmen genommen werden.

Strafrechtliche Regelungen allein schaffen noch keinen wirkungsvollen Schutz
für die Opfer. Opfer von Stalking oder häuslicher Gewalt sind zu über
80 Prozent Frauen. Sie erleben häufig, dass ihre Situation nicht ausreichend
ernst genommen und als eine subjektiv wahrgenommene Bedrohung herunter-
gespielt wird. Die Täter hingegen werden oftmals weniger als Straftäter, sondern
als Beteiligte eines privaten Familienkonfliktes behandelt. Der Aktionsplan zur
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hat hier bereits sehr viel bewirkt, trotz-
dem gibt es nach wie vor Probleme, gerade beim Opferschutz. Mit dem Straf-
tatbestand „beharrliche Nachstellungen“ kommen außerdem neue Herausfor-
derungen auf Polizei, Justiz, Behörden zu.

Das „Bremer Modell“ hat gezeigt, wie effektiv die Stalking-Bekämpfung ver-
bessert werden kann, wenn die Bearbeitung durch besonders geschulte Beamte
erfolgt. Sensibilisierte und geschulte AnsprechpartnerInnen bei der Polizei kön-
nen die Gefährlichkeit der Lage deutlich besser einschätzen und dem Opfer die
passende Unterstützung geben. Auch auf der Ebene der Staatsanwaltschaft soll-
ten die Länder daher Sonderzuständigkeiten für Stalking-Verfahren einrichten.
Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die in diesen Einheiten mitarbeiten,
müssen entsprechend fortgebildet werden und – ebenso wie die Polizei – mit den
einschlägigen Opferberatungs- und Interventionsstellen zusammenarbeiten. Sie
sollten an rechtzeitige richterliche Vernehmungen zur Beweissicherung und die
Prüfung der Verdunkelungsgefahr als Haftgrund denken. Sind erneute Verstöße
zu erwarten, dürfte dies den Voraussetzungen einer Strafaussetzung zur Bewäh-
rung entgegenstehen. Die Konfrontation mit dem Täter in der Hauptverhandlung
ist für die Opfer meist eine besondere Belastung, zumal Stalking-Täter in dem
so hergestellten aufgezwungenen Kontakt gerade einen Erfolg ihrer Bemühun-
gen sehen können. Daher sollte die Möglichkeit einer Videovernehmung durch
das Gericht genutzt werden, sofern ihre Voraussetzungen gegeben sind. Die glei-
chen Maßnahmen sind jeweils bei Verfahren wegen Verstößen gegen die Schutz-
anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz angezeigt. Die Richtlinien für das
Straf- und Bußgeldverfahren sind ein geeignetes Instrument, um auf bundesein-
heitliche Handhabung durch die Staatsanwaltschaften hinzuwirken.

Zum Schutz der Opfer muss in Stalking-Fällen und bei Verstößen gegen eine
Wegweisung so früh wie möglich interveniert werden. Gefährderansprachen

haben sich als äußerst wirkungsvolles Instrument erwiesen. Nach den Angaben

Drucksache 16/3664 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
einer der Sachverständigen der Anhörung im Rechtsausschuss am 18. Oktober
2006 wurde festgestellt, dass derartige Interventionen in 80 Prozent der Fälle zu
einer Beendigung des Stalkings führten.

Nur wenige gewalttätige und stalkende Männer suchen von sich aus eine Bera-
tung auf. Sie sehen das Problem – sofern es für sie überhaupt eines gibt – auf
Seiten der Frau, nicht bei sich. Sie sehen daher keinen Anlass, aktiv und eigen-
verantwortlich gegen ihre Übergriffigkeit vorzugehen und sich ggf. Hilfe zu
holen. Täterarbeit, die auf ein Erkennen der Schuld und auf eine Verhaltens-
änderung abzielt, ist daher eine sehr wichtige Maßnahme, die unter Umständen
auch zum Opferschutz beitragen kann. Bereits das geltende Recht gibt den
Gerichten die Möglichkeit, die Verhängung einer Bewährungsstrafe mit der
Weisung zu verbinden, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen. Diese
Möglichkeit sollte vermehrt genutzt werden.

Für die Umsetzung vieler Maßnahmen zur Bekämpfung des Stalkings sind die
Länder zuständig. Der Bund hat seinerseits ein Strafgesetz geschaffen, das den
Opfern von Stalking jedoch nur effektiv helfen kann, wenn bundesweit die oben
genannten Strukturen geschaffen werden. Analog dem Aktionsplan gegen häus-
liche Gewalt ist es auch beim ähnlich gelagerten Phänomen des Stalkings sinn-
voll, einen bundesweiten Anstoß zu geben, solche Strukturen im Rahmen eines
Gesamtkonzeptes zu schaffen und gemeinsam mit den Ländern einen Austausch
über „best practices“ in der Bekämpfung des Stalkings herzustellen.

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