BT-Drucksache 16/3416

Betreuungssituation und Fallmanagement bei den Trägern der Grundsicherung

Vom 14. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3416
16. Wahlperiode 14. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Betreuungssituation und Fallmanagement bei den Trägern der Grundsicherung

Seit dem 1. Januar 2005 gilt in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
der Grundsatz des „Förderns und Forderns“. Konkret bedeutet dies im Bereich
des Förderns neben einer quantitativen Verbesserung des Betreuungsverhältnis-
ses auch die Einführung eines qualitativen Fallmanagements. Über Hilfen, An-
gebote und Qualifizierung soll so die Integration von Langzeitarbeitslosen und
anderen Arbeitsuchenden in den Arbeitsmarkt verbessert werden.

Die quantitative Verbesserung des Betreuungsverhältnisses soll durch einen Be-
treuungsschlüssel erreicht werden, der für die Vermittlung und Betreuung von
Ü25 ein Verhältnis von 1:150 empfiehlt. Für hilfebedürftige Jugendliche und
junge Erwachsene im Alter von unter 25 Jahren wird ein Verhältnis von 1:75 an-
gestrebt. Das qualitative Fallmanagement soll individuelle Stärken und Defizite
der Erwerbslosen analysieren, um eine entsprechende Förderung zu ermög-
lichen und damit die Chance auf Wiedereintritt in die Erwerbstätigkeit zu
erhöhen.

Mehr als eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten des SGB II bleibt die Praxis jedoch
weit hinter den Absichten zurück. So zählt der Bundesrechnungshof in seinem
Bericht zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom Mai
2006 unter anderem folgende Mängel auf:

● Auch nach über sieben Monaten im Arbeitslosengeld-II-Bezug hat es bei
einem Drittel der Betroffenen noch kein Erstgespräch zur Abstimmung einer
Eingliederungsstrategie gegeben.

● Obwohl die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zu den besonderen
Schwerpunkten gehört, lag in mehr als zwei Dritteln der geprüften Fälle kein
überzeugendes Profiling vor, das Voraussetzung für eine erfolgreiche Ver-
mittlungsstrategie ist.

● Entgegen der gesetzlichen Verpflichtung wurde bei der Hälfte der geprüften
Fälle keine Eingliederungsvereinbarung geschlossen.

● Durchschnittlich müssen Hilfebedürftige drei Monate auf ein qualifiziertes
Erstgespräch warten.
Auch der Ombudsrat bestätigte in seinem Schlussbericht diese Auffassung:
„Der Ombudsrat teilt die Auffassung des Bundesrechnungshofs, dass die Ver-
mittlungsaktivitäten der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende defizitär
sind“ (S. 38).

Drucksache 16/3416 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Untersuchungen bestätigen die Vermutung, dass sowohl die personellen als
auch die erforderlichen qualifikatorischen Voraussetzungen für die Ausfüllung
des Prinzips Förderns bei weitem noch nicht erfüllt sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik des Bundesrechnungshofes und
des Ombudsrates an den defizitären Vermittlungsaktivitäten der Träger der
Grundsicherung, und mit welchen konkreten Maßnahmen will sie die Behe-
bung der genannten Defizite unterstützen?

2. Auf welcher Datengrundlage, von wem und in welchen Zeitabständen wird
der tatsächliche Betreuungsschlüssel bei den Trägern der Grundsicherung er-
mittelt?

3. Welche Gruppen von Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Beziehern
werden ausdrücklich nicht für die Ermittlung des Betreuungsschlüssels her-
angezogen?

a) Wie und wie häufig wird überprüft, ob Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen
und Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die nicht für die Ermittlung des Betreu-
ungsschlüssels herangezogen werden, noch dieser Gruppe zugerechnet
werden können?

b) Fallen Arbeitsuchende, die in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einge-
bunden sind, aus der Datengrundlage für die Ermittlung des Betreuungs-
schlüssels heraus?

Wenn ja, wird dies grundsätzlich oder unter bestimmten Voraussetzungen
so gehandhabt?

4. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betreuung von Ü25 und
wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Leistungsgewährung sind
bei den Arbeitsgemeinschaften aktuell beschäftigt?

5. Wie viele der beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betreu-
ung von Ü25 und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Leis-
tungsgewährung in den Arbeitsgemeinschaften sind befristet eingestellt?

Wann laufen die befristeten Verträge in der Regel aus?

6. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, hinsichtlich der jewei-
ligen Erreichung des empfohlenen Betreuungsschlüssels für Ü25 bei den
Arbeitsgemeinschaften in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten
(bitte einzeln aufführen)?

7. Welche Gründe gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für die Nichtein-
haltung des empfohlenen Betreuungsschlüssels in Arbeitsgemeinschaften,
und wie beurteilt die Bundesregierung diese Gründe?

8. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den empfoh-
lenen Betreuungsschlüssel bei Nichteinhaltung in Arbeitsgemeinschaften
umzusetzen?

9. Was wird von der Bundesregierung unter Fallmanagement verstanden?

a) Welche Prozessschritte und Steuerungselemente und welche Quali-
fikationsanforderungen der persönlichen Ansprechpartnerinnen und
Ansprechpartner werden mit diesem Verständnis verbunden?

b) Hat die Bundesagentur für Arbeit davon ein anderes Verständnis?

c) Welche Gründe gibt es für etwaige Abweichungen der im SGB II realisier-
ten Konzeption des Fallmanagements vom allgemeinen fachlichen Ver-
ständnis des Konzepts wie es etwa in den Empfehlungen des Deutschen

Vereins zu Qualitätsstandards für das Fallmanagement zum Ausdruck
kommt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3416

10. Welche Abschlüsse und berufliche Erfahrungen in der Arbeit mit Arbeit-
suchenden haben die

a) unbefristet eingestellten persönlichen Ansprechpartnerinnen und -part-
ner in den Arbeitsgemeinschaften?

b) befristet eingestellten persönlichen Ansprechpartnerinnen und -partner
in den Arbeitsgemeinschaften?

c) persönlichen Ansprechpartnerinnen und -partner, die Jugendliche und
junge Erwachsenen unter 25 Jahren betreuen in den Arbeitsgemeinschaf-
ten?

11. Welche konkreten Qualifikations- und Weiterbildungsmaßnahmen werden
von der Bundesagentur für Arbeit und den Arbeitsgemeinschaften angebo-
ten, und in welchem Umfang werden diese in Anspruch genommen?

12. Wie groß ist der Anteil der in Anspruch genommenen Verwaltungskosten
für Qualifikations- und Weiterbildungsmaßnahmen der Beschäftigten bei
den Arbeitsgemeinschaften?

13. Hält die Bundesregierung die Qualifizierung der Beschäftigten der Arbeits-
gemeinschaften und die angebotenen Qualifizierungsmaßnahmen für hin-
reichend?

Wenn nein, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Qualifi-
zierung der Beschäftigten der Arbeitsgemeinschaften bzw. die angebotenen
Qualifizierungsmaßnahmen zu verbessern?

14. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Leistungsgewährung und
wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betreuung stehen für
junge Erwerbslose unter 25 Jahren in den Arbeitsgemeinschaften zur Ver-
fügung?

15. Wie viele persönliche Ansprechpartnerinnen und -partner stehen für die
Beratung und Qualifizierung junger Erwerbsloser unter 25 Jahren in den
Arbeitsgemeinschaften zur Verfügung?

16. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der jeweili-
gen Erreichung des empfohlenen Betreuungsschlüssels in den Arbeitsge-
meinschaften für die Erwerbslosen unter 25 Jahren von 1:75 in den Kreisen
und kreisfreien Städten vor (bitte einzeln aufführen)?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur tatsächlichen Kontakt-
dichte der persönlichen Ansprechpartner und der Erwerbslosen unter 25
Jahren im Rahmen des Fallmanagements in den Arbeitsgemeinschaften?

18. Gibt es ein gesondertes Fallmanagement für Erwerbslose unter 25 Jahren,
und wenn ja, welche besonderen Maßnahmen beinhaltet es?

19. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter für die Betreuung und über die Anzahl der Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter für die Leistungsgewährung bei den Options-
kommunen?

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der befristeten
Verträge bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betreuung und bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Leistungsgewährung bei den
Optionskommunen?

21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Einhaltung des emp-
fohlenen Betreuungsschlüssels in den Optionskommunen (wenn möglich,
bitte einzeln aufführen)?

Drucksache 16/3416 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
22. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Ausbildung und
Qualifikation der persönlichen Ansprechpartnerinnen und -partner in den
Optionskommunen?

Berlin, den 14. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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