BT-Drucksache 16/3385

Zivil-militärische Zusammenarbeit

Vom 7. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3385
16. Wahlperiode 07. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Monika Knoche, Paul Schäfer (Köln),
Hüseyin-Kenan Aydin, Inge Höger-Neuling, Alexander Ulrich und
der Fraktion DIE LINKE.

Zivil-militärische Zusammenarbeit

Unter dem Begriff „vernetzte Sicherheitspolitik“ wird von Mitgliedern der
Bundesregierung und Abgeordneten der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu-
nehmend einer engeren Verflechtung von Entwicklungszusammenarbeit mit den
Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen Deutschlands das Wort geredet. Auch im
Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr
wird Entwicklungspolitik als Element der Sicherheitsvorsorge angeführt (Weiß-
buch, S. 15). Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung,
kündigte an, beim NATO-Gipfel im November 2006 in Riga auf eine Verände-
rung der NATO-Strategie hinarbeiten zu wollen (vgl. FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND, v. 19. September 2006): Sicherheitspolitik müsse mit Ent-
wicklungshilfe und politischer Aufbauarbeit vernetzt werden.

In ihrem gemeinsamen Thesenpapier „Für eine bessere Verzahnung der deut-
schen Entwicklungs- und Sicherheitspolitik“ formulieren Christian Schmidt
(CSU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung
(BMVg), und Dr. Christian Ruck, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen
Bundestag: „In grundlegende politische Entscheidungen zu Fragen auswärtiger
Politik sollten stets unsere nationalen Interessen einfließen. Dies gilt nicht nur
für militärische Einsätze, sondern sollte auch auf unser entwicklungspolitisches
Engagement ausgedehnt werden. … [Hierfür muss die Bundesregierung] end-
lich die Interessenlage unseres Landes im Hinblick auf die zukünftige Verknüp-
fung unserer Sicherheits- und Entwicklungspolitik eindeutig definieren. Des-
halb ist es höchste Zeit für die Entwicklung einer nationalen Gesamtstrategie.
Diese sollte Antworten darauf finden, welche Weltregionen

– für die Abwehr von Gefahren für unsere äußere und innere Sicherheit eine
zentrale Rolle spielen;

– der Ausgangspunkt eines besonders hohen Bedrohungspotentials sind;

– der Ursprung von Angriffen auf unsere freiheitlich-demokratischen Grund-
werte sind;
– für die Steigerung von Deutschlands politischem und wirtschaftlichem Stel-
lenwert in der Welt von besonderer Bedeutung sind;

– für den Zugang zu den für unsere Wirtschaft unverzichtbaren Auslandsmärk-
ten und Rohstoffen besonders wichtig sind;

– und für die Sicherung unserer Energieversorgung eine wesentliche Rolle
spielen.“

Drucksache 16/3385 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die im in der Vorbemerkung genannten Thesen-
papier dargestellte Position?

Falls ja, wie genau sieht nach Meinung der Bundesregierung ein Beitrag der
Entwicklungshilfe „für die Sicherung unserer Energieversorgung“ aus?

2. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Entwicklungshilfe grundsätz-
lich unabhängig von sicherheitspolitischen und/oder ökonomischen Interes-
sen der Bundesrepublik Deutschland vergeben werden sollte?

Wie begründet sie ihre Haltung?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung den im September dieses Jahres geäußer-
ten Vorschlag des Mitglieds der Fraktion der CDU/CSU im Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages, Dr. Ole Schröder, humanitäre Einsätze
der Bundeswehr künftig aus dem Etat des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu finanzieren?

Gibt es seitens der Bundesregierung derartige Überlegungen?

4. In welchem Umfang (aufgeschlüsselt nach Einzelposten, Empfängerstaaten
und Projekten) werden Mittel aus dem Einzelplan 23 des Bundeshaushalts
bereits heute zur Deckung der Kosten militärischer Einsätze (auch von Ein-
sätzen von Drittstaaten/Organisationen, z. B. der Afrikanischen Union) und
anderer sicherheitsbezogener Ausgaben herangezogen?

Soll diese Finanzierung in dieser Form beibehalten werden, oder sind Ände-
rungen beabsichtig?

Wenn ja, in welcher Form?

5. Welche Maßnahmen im Bereich der Sicherheitssektorreform wurden aus
dem Einzelplan 23 finanziert (wann, in welchem Umfang und in welchen
Staaten)?

6. Welche Projekte in zivil-militärischer Zusammenarbeit wurden in den Jahren
2004 bis 2006 aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert oder kofinanziert?

In welcher Höhe und in welchen Ländern?

7. Welche Projekte wurden in Einsatzgebieten der Bundeswehr seit 2004 aus
dem Einzelplan 23 finanziert?

In welcher Höhe?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Oberst i. G. Gerhard J. Klose,
Referatsleiter für Grundsatzfragen im Bereich zivil-militärische Kooperation
des BMVg, zum NATO-Dokument AJP 9 über die Definition von CIMIC
(Civil Military Cooperation): „An einem Punkt, der gern übersehen wird, ist
diese Definition nämlich sehr präzise. Es heißt dort nämlich klar und ein-
deutig: ,in support of the mission‘, also zur Unterstützung der militärischen
Operation. Damit wird der Zweck klargestellt, dem dieses Aufgabengebiet zu
dienen hat, nämlich ausschließlich der Unterstützung der militärischen
Operation.“?

Sieht die Bundesregierung nicht hierdurch die Eigenständigkeit und Wirk-
samkeit ziviler Maßnahmen bedroht, wenn diese „ausschließlich der Unter-
stützung der militärischen Operation“ dienen?

Wie begründet sie ihre Haltung?

9. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Gelder für die Sicherheits-
sektorreform auch dann als offizielle Entwicklungshilfe (ODA) deklariert

werden können, wenn insbesondere in diesem Rahmen ausgebildete Polizei-
einheiten gewaltsam gegen Aktionen des zivilen Ungehorsams vorgehen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3385

10. Befürwortet die Bundesregierung ein Entsendegesetz, mit dem Polizeikräfte
auch gegen deren Willen in Auslandseinsätze geschickt werden könnten?

Sollte sich nach Ansicht der Bundesregierung gegebenenfalls die Bewaff-
nung von Polizeieinheiten im Auslandseinsatz von der bei Inlandseinsätzen
unterscheiden?

Unterscheidet sich diese Bewaffnung grundsätzlich von der Bewaffnung
militärischer Kräfte?

Falls nein, teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass hierdurch Poli-
zeikräfte völkerrechtlich als Kombattanten zu sehen sind?

11. Über welche Erfahrungen verfügt die Bundesregierung bezüglich der
Provincial Reconstruction Teams (PRTs) in Afghanistan, insbesondere
deren Wirkung hinsichtlich der Sicherheit des Militärs und der Leistungen
für den Wiederaufbau?

12. Welche Vorhaben wurden bislang von den deutschen PRTs in Afghanistan
begonnen und beendet, und aus welchen Einzelhaushalten wurden diese
Projekte finanziert?

13. Welche personellen, finanziellen oder materiellen Ressourcen wurden bis-
lang von den Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit, humanitären
Hilfe und Katastrophenhilfe in den Einsatzgebieten der Bundeswehr für das
Gelingen des CIMIC-Auftrages der Bundeswehr bereitgestellt?

Welche Kompensationsleistungen wurden hierfür von der Bundeswehr er-
bracht?

14. Wie viele Hilfs- und Unterstützungsanfragen wurden in Afghanistan bislang
an die Bundeswehr gerichtet?

In wie vielen Fällen hat die Bundeswehr in den Einsatzgebieten Hilfsanfra-
gen abgelehnt, mit welcher Begründung?

15. Hat sich die Gefährdungssituation ziviler Akteure in Afghanistan, insbeson-
dere derjenigen, die im Rahmen der PRTs agieren, nach Kenntnis der Bun-
desregierung in den letzten Jahren erhöht?

Wenn ja, teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass zivile Akteure,
die eng mit militärischen Akteuren zusammenarbeiten, einer größeren
Gefahr ausgesetzt sind, zu Angriffszielen zu werden, als vom Militär unab-
hängig operierende Akteure?

Wie begründet sie ihre Haltung?

16. Wie reagiert die Bundesregierung auf die wachsende Kritik an der zivil-
militärischen Zusammenarbeit, wie sie jüngst von einigen deutschen Ent-
wicklungsorganisationen geäußert wurde, die eine Gefährdung der Sicher-
heit der zivilen Hilfsorganisationen durch die Zusammenarbeit mit dem
Militär beklagen?

17. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus Aussagen von Ent-
wicklungsorganisationen, dass deutsches Militär sich mit zivilen (weißen)
Fahrzeugen ohne deutliche Kennzeichnung in Afghanistan bewege, obwohl
solche Fahrzeuge üblicherweise nur von Entwicklungsorganisationen ge-
nutzt werden?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Bundeswehr verpflichtet
ist, sich im Einsatz klar und deutlich sowohl in der Kleidung als auch bei den
eingesetzten Fahrzeugen von den Hilfsorganisationen zu unterscheiden?

19. Welchen Einfluss haben Vertreter der Hilfsorganisationen vor Ort bei der

Planung der Bundeswehr über konkrete Projekte ihrer PRTs in Afghanistan?

Drucksache 16/3385 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

20. Wie steht die Bundesregierung zu Berichten, dass in Afghanistan von US-
amerikanischer Seite die Vergabe humanitärer Hilfe an die Kooperation im
„Krieg gegen den Terror“ geknüpft wurde?

Befürwortet die Bundesregierung, den Entzug humanitärer Hilfe als Droh-
mittel für die Erreichung sicherheitsbezogener Ziele einzusetzen?

21. Findet eine regelmäßige Evaluierung der PRTs statt?

Falls ja, durch wen und wie ist diese Evaluierung organisiert?

Werden die deutschen PRTs bzw. deren Erfahrungen den amerikanischen
und britischen PRTs gegenübergestellt (Querschnittsevaluierung)?

Welche konkreten Anpassungen sind bei den PRTs als Konsequenz der bis-
herigen Evaluierungen geplant?

22. Werden bei der Evaluierung auch Stellungnahmen von Hilfsorganisationen
und Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit eingeholt?

23. Gibt es Überlegungen innerhalb der Bundesregierung, analog zum briti-
schen Global Conflict Prevention Pool oder zum niederländischen Stability
Fund einen ähnlichen Mechanismus einzurichten, dessen Verwaltung
ressortübergreifend (z. B. Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungsminis-
terium) erfolgen würde?

Falls ja, welche konkreten Vorstellungen gibt es dazu bereits seitens der
Bundesregierung?

24. Gibt es konkrete Überlegungen, integrierte stehende zivil-militärische Ein-
heiten, wie etwa in der Human Security Doctrine for Europe für die EU-
Ebene vorgeschlagen, aufzustellen, und wenn ja, in welchem Umfang und
Zeitrahmen?

25. Unterstützt die Bundesregierung die Überlegungen, wie sie z. B. von Hans
Binnendijk und Richard Kugler vom US-amerikanischen Center for Tech-
nology and National Security Policy (National Defense University) vor-
gebracht wurden, im Rahmen der NATO stehende zivil-militärische sog.
Stabilisierungs- und Wiederaufbautruppen aufzustellen?

Wird sich die Bundesregierung für diesen Vorschlag einsetzen?

Wenn ja, wie, und welche Maßnahmen wurden hierfür bereits in die Wege
geleitet?

26. Wie steht die Bundesregierung zu Forderungen, z. B. von Christoph
Bertram im NATO-Review (Frühjahr 2006), dass „Stabilisierungseinsätze“
zur Kernaufgabe der Allianz werden sollen?

27. Wie weit ist nach Kenntnis der Bundesregierung die geplante Erarbeitung
eines holistischen Ansatzes zur zivil-militärischen Zusammenarbeit (CIMIC)
durch das Allied Command Transformation und das Allied Command
Operations der NATO vorangeschritten?

Was sind die Kernelemente dieses Ansatzes?

28. Wie viele Planstellen auf welchen Ebenen im Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und bei der
Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) existieren
für die Zusammenarbeit und Koordination mit dem Bundesministerium der
Verteidigung bzw. der Bundeswehr im Einsatzgebiet?

29. Auf welchen Ebenen bzw. an welchen Schnittstellen hat das BMZ die Mög-
lichkeit, die Planung und Durchführung im Sinne der zivil-militärischen Zu-
sammenarbeit mitzubestimmen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/3385

30. Wie will die Bundesregierung die Einbindung der Akteure der Entwick-
lungszusammenarbeit sowie der Hilfsorganisationen bei der Planung und
Durchführung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr verbessern und ihre
Rolle stärken?

Berlin, den 6. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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