BT-Drucksache 16/3286

Wissenschaftssystem zukunftsfähig gestalten - wissenschaftsadäquate Arbeitsbedingungen schaffen

Vom 8. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3286
16. Wahlperiode 08. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Horst Meierhofer, Jan Mücke, Dirk Niebel, Detlef Parr, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Wissenschaftssystem zukunftsfähig gestalten – wissenschaftsadäquate
Arbeitsbedingungen schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Wissenschaftsorganisationen, die Hochschulrektorenkonferenz und die
Hochschulleitungen fordern seit Jahren Vergütungsregelungen, die den beson-
deren Bedingungen in Wissenschaft und Forschung Rechnung tragen und die
Realitäten eines hochdynamischen Arbeitsmarktes für Wissenschaftler berück-
sichtigen. Es gilt, ihnen ein ausreichendes und flexibles Vergütungs- und Entloh-
nungssystem zur Verfügung zu stellen, das Universitäten und Forschungsein-
richtungen in die Lage versetzt, erfolgreich in Konkurrenz mit ausländischen
Forschungsinstitutionen, aber auch mit der Wirtschaft treten zu können. Bislang
ergaben sich zunehmend gravierende Probleme bei der Gewinnung und dem
Halten von hoch qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeitern, Fachhochschul-
absolventen und Technikern, aber auch professionellen Mitarbeitern im Wissen-
schaftsmanagement.

Ein den Erfordernissen angepasstes Vergütungssystem sollte folgenden Beson-
derheiten des Wissenschaftssystems gerecht werden:

● Der Wissenschaftsbereich hat auf Grund seiner besonderen Aufgabenstel-
lung gegenüber anderen staatlichen Einrichtungen Alleinstellungsmerkmale

in den tatsächlich gegebenen Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die durch spezifische Vergütungssysteme geregelt werden sollen.

● In einer international wettbewerblich geprägten Hochschul- und Forschungs-
landschaft müssen die Akteure auf exzellente Leistungen in Lehre und
Forschung verweisen können. Das erfordert eine Neuausrichtung der Steue-
rungsinstrumente sowohl für die Hochschulen als auch für die außeruniver-

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sitären Forschungseinrichtungen. Dieser bereits eingeleitete Prozess ist
gekennzeichnet durch eine Globalsteuerung nach Maßgabe von Zielverein-
barungen und durch Budgetierung auf Basis betriebswirtschaftlicher Steue-
rungsinstrumente. Dieser Prozess muss mit einer Flexibilisierung auf tarif-
licher Ebene einhergehen.

● Ein derartiger Reformprozess muss durch eine stärkere Leistungsorientie-
rung – nicht nur bei der Besoldung der Professoren –, sondern auch bei der
Vergütung des wissenschaftsspezifisch tätigen Personals ergänzt werden.

● Die Gewinnung von international renommierten Wissenschaftlern und Wis-
senschaftlerteams für herausragende Forschungsprojekte erfordert betonte
Flexibilität bei der Gestaltung der einer wissenschaftstypischen Leistungs-
vergütung. Wissenschaftsunterstützendes Personal benötigt eine hohe Flexi-
bilität, Kreativität und Offenheit für neue Aufgaben, Methoden und Wege.

● Es besteht eine spezifische, mit den herkömmlichen Arbeits- und Arbeitsver-
tragsbedingungen nicht erfassbare Arbeitssituation des wissenschaftlichen
Nachwuchses (Doktoranden, hohe Fluktuation etc.) sowie der Drittmittelbe-
schäftigten. So können z. B. hervorragende Leistungen oder erfolgreiche
Drittmitteleinwerbungen nicht entsprechend honoriert werden.

● Die hohe Mobilitätsbereitschaft und -notwendigkeit der Mitarbeiter infolge
nationaler und internationaler Kooperationen sowie im Rahmen der Zusam-
menarbeit zwischen Industrie und Hochschule (Wissenstransfer in Forschung
und Entwicklung) erfordern die Optimierung der Übergänge von öffentlichen
in private Systeme und zurück insbesondere im Bereich der Innovation.

Für die Attraktivität der Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Arbeit-
geber kommt es auf die Gesamtheit der Arbeitsbedingungen an; sie benötigen
neue wissenschaftsspezifische Rahmenbedingungen. Regelungen für die allge-
mein öffentliche Verwaltung können den besonderen Verhältnissen des wissen-
schaftlichen Personals (hoher Anteil an befristeten Arbeitsverhältnissen, der
ohne Kompensation durch attraktive Arbeitsbedingungen zu Wettbewerbsnach-
teilen führt; hohe Mobilitätsbereitschaft und Fluktuation; Überwiegen von kre-
ativen Aufgaben und Qualifikation/Lehre gegenüber reinen Dienstleistungen)
nicht gerecht werden. Besonderheiten wie Drittmitteleinwerbung, Ausgründun-
gen, besondere Anforderungen in der Lehre und in der Nachwuchsförderung
u. Ä. haben in der öffentlichen Verwaltung keine Parallele.

Der Wettbewerbsdruck durch die Industrie sowie ausländische Forschungsein-
richtungen und Hochschulen, der bei besonders hoch qualifizierten Wissen-
schaftlern, aber auch bei bestimmten in der Wirtschaft ebenso nachgefragten
Funktionen (z. B. Technologietransfer, Controlling) ständig zunimmt, kann nur
im Rahmen eines eigenständigen Tarif- und Vergütungssystems aufgefangen
werden.

Die Hochschuldienstrechtsreform hat für die beamteten Professoren ein leis-
tungsorientiertes Vergütungssystem geschaffen. Ein Auseinanderdriften der Be-
dingungen für tarifliches und außertarifliches Personal wäre der Leistungs-
bereitschaft und Motivation innerhalb von Forscherteams abträglich.

Die Sorge, ein wissenschaftstypisches Vergütungssystem könnte zu Kostenstei-
gerungen führen, die angesichts der angespannten Haushaltssituation beim
Bund und den Ländern nicht verkraftbar wären, ist nicht begründet. Moderne
Tarifwerke, aber auch Personalausgabenquoten und entsprechendes Personal-
controlling zeigen Wege auf, wie auch ohne finanziellen Mehraufwand Budgets
für Leistungsvergütungen gebildet werden können und eine Begrenzung der
Ausgaben möglich ist.
Der Schwerpunkt der Reform soll in der Modernisierung und Vereinfachung des
Vergütungssystems liegen. Dabei sollte die Variabilität der Vergütungen mit stei-

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gender Verantwortung der Beschäftigten zunehmen. Variable Vergütungen zum
Gewinnen und Halten von qualifizierten Mitarbeitern sind erforderlich, um da-
bei zu helfen, die Wettbewerbsfähigkeit der Einrichtungen auf dem Arbeits-
markt zu verbessern und Bewerber mit herausgehobener Qualifikation zu ge-
winnen. Die Vergütungsordnung muss vereinfacht und den Verhältnissen des
Arbeitsmarktes sowie den spezifischen Tätigkeitsprofilen in der Forschung an-
gepasst werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Deutschen Bundestag Vorschläge für ein attraktives, einfaches, konkur-
renzfähiges und aufgaben- sowie leistungsbezogenes Vergütungssystem für
den Wissenschaftsbereich vorzulegen, das mehr Flexibilität und Differenzie-
rung erlaubt;

2. sich für den Abschluss eines Wissenschaftstarifvertrags einzusetzen, der den
vorgenannten Anforderungen genügt.

Berlin, den 3. November 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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