BT-Drucksache 16/3238

Bilanz der Operation Active Endeavour

Vom 2. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3238
16. Wahlperiode 02. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Wolfgang Gehrcke,
Heike Hänsel, Katrin Kunert, Dr. Norman Paech und der Fraktion DIE LINKE.

Bilanz der Operation Active Endeavour

Am 12. September 2001 beschloss der NATO-Rat auf Grundlage des Artikels 5
der Washingtoner Verträge, den USA militärischen Beistand zu leisten. Die
konkreten Beistandsverpflichtungen wurden vom NATO-Rat am 4. Oktober
2001 beschlossen. Zu den von den NATO-Staaten beschlossenen Aufgaben ge-
hört das Zeigen militärischer Präsenz im Mittelmeerraum. Erste Patrouillen
wurden am 6. Oktober 2001 durchgeführt, 20 Tage bevor die Operation Active
Endeavour (OAE) offiziell begann. Die rechtliche Grundlage für die Beteiligung
deutscher Schiffe an OAE wurde durch Zustimmung des Deutschen Bundes-
tages zum Antrag der rot-grünen Bundesregierung am 16. November 2001 ge-
schaffen.

In den letzten fünf Jahren wurden das Aufgabenspektrum und Einsatzgebiet
wiederholt ausgeweitet. Seit Februar 2004 umfasst es den gesamten Mittelmeer-
raum. Die eingesetzten Kräfte haben nicht mehr nur den Auftrag „militärische
Präsenz“ zu zeigen, sondern anderen Schiffen Geleitschutz zu geben und ver-
dächtige Schiffe zu kontrollieren. Im Rahmen des „Krieges gegen den Terroris-
mus“ übernimmt die NATO zunehmend allgemeine polizeiliche und ordnungs-
politische Aufgaben auf den internationalen Gewässern im Mittelmeer.

Am 23. März 2006 wurde bekannt, dass NATO-Verbände die griechische Küs-
tenwache über ein Schiff mit Flüchtlingen informiert haben. Dies wird als Beitrag
zur Verhinderung illegaler Einwanderung dargestellt und OAE-Kommandeur
Vize-Admiral Roberto Cesaretti rechtfertigte diese ungewöhnliche „Amtshilfe“
mit den Worten: „Although this event relates to criminals, there is also a message
for the terrorists here – we are looking for you, and when we find you – there
will be no place to hide.“ (NATO-Pressemitteilung, 25. März 2006.)

Bislang hat die Bundesregierung der Öffentlichkeit keine Bilanz und Auswer-
tung der Operation Active Endeavour und insbesondere der Notwendigkeit einer
deutschen Beteiligung daran vorgelegt. Stattdessen wurde über die Jahre still-
schweigend unter Verweis auf die Pauschalermächtigung durch Artikel 5 der
Washingtoner Verträge und die allgemeine terroristische Bedrohung die militä-
rische Kontrolle der NATO über den Mittelmeerraum ausgedehnt. Ungeklärt ist
auch bis heute, ob die NATO-Verbände im Mittelmeerraum durch Geleitschutz
für Hilfsschiffe der US-Streitkräfte einen Beitrag zur Durchführung des Angriffs

der USA auf den Irak im März 2003 leisteten, was nicht von Artikel 5 der
Washingtoner Verträge oder dem Bundestagsmandat abgedeckt wäre.

Drucksache 16/3238 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Schiffe wurden seit Beginn der Operation Active Endeavour
durch NATO-Schiffe auf See inspiziert (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren
und unter Angabe der Gründe für eine Inspektion)?

2. An wie vielen dieser Inspektionen waren Schiffe und Besatzung der Bun-
deswehr beteiligt?

3. Seit wann bzw. in welchen Abständen haben sich Schiffe der Bundeswehr
an OAE beteiligt?

4. Werden bei OAE auch U-Boote eingesetzt, und wenn ja, welche Staaten
haben in der Vergangenheit welche U-Boote dafür abgestellt?

5. Nach welchen Kriterien entscheidet die NATO darüber, ob und wann ein
OAE-Einsatz an der Straße von Gibraltar stattfindet?

6. Spielt bei dieser Entscheidung eine bestimmte Anzahl von als „high value
targets“ bezeichneten Schiffen eine Rolle, und wenn ja, was ist die Defini-
tion eines „high value targets“?

7. Gibt es Indizien für die Annahme, dass der Einsatz in der Straße von Gibral-
tar zur Verhinderung von Terroranschlägen beigetragen hat, und wenn ja,
welche?

8. In wie vielen Fällen konnten dabei international gesuchte Terroristen fest-
genommen werden?

9. An wie vielen Festnahmen waren deutsche Schiffe beteiligt?

10. Um wie viel Prozent haben sich die Übergriffe auf Handels- und Marine-
schiffe seit 2001 durch den OAE-Einsatz im Einsatzgebiet reduziert im Ver-
gleich zum Zeitraum 1996 bis 2000?

11. Um wie viel Prozent haben sich die terroristisch motivierten Anschläge auf
Handels- und Marineschiffe seit 2001 durch den OAE-Einsatz im Einsatz-
gebiet reduziert im Vergleich zum Zeitraum 1996 bis 2000?

12. Wie vielen Schiffen wurde seit Beginn der Operation Active Endeavour
Geleitschutz gegeben (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und unterteilt in
„Straße von Gibraltar“, „östliches Mittelmeer“ und „andere Mittelmeer-
regionen“)?

13. Wie vielen Schiffen anderer Streitkräfte inklusive solcher, die im Auftrag
anderer Streitkräfte unterwegs waren, wurde seit Beginn der Operation
Active Endeavour Geleitschutz gegeben (bitte aufgeschlüsselt nach Streit-
kräften und Jahren)?

14. An wie vielen Eskorten für die Schiffe welcher Streitkräfte waren Schiffe
der Bundeswehr beteiligt (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren)?

15. Nach welchen Kriterien entscheiden die NATO-Staaten, welches Schiff im
OAE-Einsatzgebiet Geleitschutz erhält und welches nicht?

16. Hat die Marine in ihrem Einsatzgebiet im Mittelmeer Geleitschutz für
Marine- und Transportschiffe von Staaten gegeben, die sich an der militä-
rischen Invasion des Iraks 2003 beteiligt haben, und wenn ja, für welche
Staaten (für die Jahre 2002 und 2003, bitte aufgeschlüsselt nach Monaten)?

17. Welche Maßnahmen im Rahmen der „Flüchtlingsabwehr“ werden durch das
NATO- und Bundestagsmandat für den OAE-Einsatz gedeckt?

18. Wie häufig wurden diese Maßnahmen in der Praxis angewandt?

19. Hält die Bundesregierung das Betreten von Schiffen in internationalen Ge-

wässern ohne die Zustimmung des Schiffsführers für rechtmäßig?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3238

20. Hat die Bundesmarine nach Auffassung der Bundesregierung das Recht, im
Rahmen von OAE Schiffe ohne die Zustimmung des Schiffsführers zu be-
treten?

21. Welchen Einsatzrichtlinien unterliegen die im Rahmen von OAE eingesetz-
ten Angehörigen der Bundesmarine in Situationen, in denen ein Schiffsfüh-
rer den Zugang zu einem Schiff verweigert?

22. Erlaubt das Bundestagsmandat für den OAE-Einsatz den Einsatz von Waf-
fengewalt zur Verhinderung von Fluchtversuchen?

23. Inwieweit dient der Einsatz der Bundeswehr unter OAE dem vom
Deutschen Bundestag vorgegebenen Ziel, „Führungs- und Ausbildungsein-
richtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, ge-
fangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der
Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten“ (Bundestagsdrucksache
14/7296)?

24. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Bundesregierung zu der
Auffassung gelangt, dass die deutsche Beteiligung an der OAE beendet wer-
den kann?

25. Welchen Behörden in welchen Staaten werden die im Rahmen der OAE ge-
sammelten Informationen über Schiffsbewegungen zur Verfügung gestellt?

26. Welche Kosten hat die Operation Active Endeavour der NATO seit 2001
verursacht, und welcher Anteil daran wurde von Deutschland getragen (bitte
nach Jahren aufgeschlüsselt)?

27. Welche Resolutionen der Vereinten Nationen geben den NATO-Staaten das
Recht, den Schiffsverkehr in internationalen Gewässern zu reglementieren
und zu kontrollieren?

28. Liegt ein Einverständnis sämtlicher Anrainerstaaten des Mittelmeeres vor,
dass die NATO-Staaten mit ihren Schiffen nach ihren Kriterien Polizeiauf-
gaben im Mittelmeer übernehmen?

29. Inwieweit dient die geplante Beteiligung der russischen Marine an OAE der
Bekämpfung des Terrorismus?

30. Welche Einigung wurde in Vorbereitung der russischen Beteiligung an OAE
zwischen der NATO und Russland über eine gemeinsame Definition von
„Terrorismus“, „Terroristen“ sowie über Regelungen zum rechtstaatlichen
Umgang mit festzunehmenden „Terroristen“ erzielt?

31. Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Ausweitung des
OAE-Einsatzgebietes auf das Schwarze Meer ein notwendiger Beitrag zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist und der Sicherheit der
USA dient?

Berlin, den 1. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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