BT-Drucksache 16/303

Situation der von Zwangsverheiratung bedrohten und betroffenen Frauen und Männer in Deutschland

Vom 20. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/303
16. Wahlperiode 20. 12. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Karin Binder, Jörn Wunderlich,
Diana Golze, Elke Reinke, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Situation der von Zwangsverheiratung bedrohten und betroffenen Frauen und
Männer in Deutschland

Zwangsverheiratungen verletzen auf fundamentale Weise Menschenrechte von
Frauen und Männern und stellen eine Form der häuslichen und meist auch sexu-
alisierten Gewalt dar. Das Problem der Zwangsverheiratung hat in den letzten
Jahren in der Öffentlichkeit an Aufmerksamkeit gewonnen. Am 28. Oktober
2004 wurde die Zwangsehe als „besonders schwerer Fall“ von Nötigung in das
Strafrecht eingefügt (§ 240 Abs 4 StGB). Darüber hinaus ist laut Koalitionsver-
einbarung beabsichtigt, Zwangsverheiratungen als eigenen Straftatbestand in das
Strafgesetzbuch aufzunehmen.

Zum Ausmaß dieser Menschenrechtsverletzung liegen bisher bundesweit keine
Zahlen vor. Von Menschenrechtsorganisationen wie dem Deutschen Institut für
Menschenrechte (Pressemitteilung vom 21. November 2005) oder TERRE DES
FEMMES (Kampagne 2002/2003 „STOPPT Zwangsheirat“) werden regelmä-
ßig aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für die Betroffenen gefordert, da das
Aufenthaltsrecht ein Herauslösen aus der Zwangssituation erschwert, wenn nicht
sogar ganz verhindert. Zum Beispiel können Betroffene mit ausländischer
Staatsangehörigkeit, die ins Ausland verbracht und dort zwangsverheiratet wur-
den und sich länger als sechs Monate dort aufhalten, nicht mehr nach Deutsch-
land zurückkehren, weil sie ihren Aufenthaltstitel verlieren. Ehepartnerinnen
und Ehepartner ausländischer Staatsangehörigkeit, deren Ehe die Dauer von
zwei Jahren unterschreitet, verlieren bei der Aufhebung einer Zwangsehe eben-
falls ihren Aufenthaltstitel in Deutschland.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bundesweit bekannt, in denen Per-
sonen gegen ihren Willen zur Eheschließung gezwungen wurden?

a) Wie viele der Personen besitzen eine deutsche, wie viele eine ausländische
Staatsangehörigkeit, wie viele von den deutschen Staatsbürgern sind Ein-
gebürgerte?

b) Wie viele der Personen sind weiblichen und wie viele männlichen Ge-

schlechts, und wie hoch ist das Alter der Betroffenen?

c) Falls der Bundesregierung dazu bundesweit keine Daten vorliegen, warum
werden keine Daten dazu erhoben?

d) Falls der Bundesregierung dazu Daten vorliegen, von welchen Institutio-
nen und Organisationen und auf welche Weise wurden diese Angaben er-
hoben?

Drucksache 16/303 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. a) Liegen der Bundesregierung Zahlen vor, gegen wie viele Personen auf-
grund der am 28. Oktober 2004 beschlossenen Einfügung der Zwangsehe
als schwerer Fall von Nötigung in das Strafrecht (§ 240 Abs 4 StGB) Er-
mittlungsverfahren aufgenommen wurden, und wenn ja, welche?

b) Liegen der Bundesregierung Zahlen vor, wie viele der Verfahren eingestellt
wurden und aus welchen Gründen dies geschah, und wenn ja, welche?

c) Liegen der Bundesregierung Zahlen vor, wie viele Personen aufgrund
dieses Paragraphen verurteilt worden sind, und wenn ja, welche?

3. Liegen der Bundesregierung Zahlen vor, wie viele Zwangsverheiratungen
aufgrund der Tatbestände Misshandlung von Schutzbefohlenen und Freiheits-
beraubung (§§ 225 und 239 StGB) strafrechtlich verfolgt wurden und wie vie-
le Personen diesbezüglich verurteilt wurden, und wenn ja, welche?

4. Welche Modellprojekte finanziert die Bundesregierung, die ein niedrig-
schwelliges Beratungs- und Unterstützungsangebot für Frauen und Mädchen
anbieten, die von Zwangsverheiratung betroffen bzw. bedroht sind?

a) Welche derartigen Modellprojekte richten sich an Jungen bzw. Männer, die
von Zwangsheirat betroffen bzw. bedroht sind?

b) Wie hoch ist die Finanzierung dieser Modellprojekte?

c) Welche Projekte werden darüber hinaus von den Ländern, welche von den
Kommunen finanziert und wie hoch ist die jeweilige finanzielle Ausstat-
tung?

5. Welche Modellprogramme finanziert die Bundesregierung, mit denen Schul-
sozialarbeiter, Lehrer, Mitarbeiter in Jugendämtern und Polizisten für das
Thema Zwangsverheiratung sensibilisiert und professionell geschult werden?

a) Wie hoch ist die finanzielle Ausstattung der Modellprogramme?

b) Welche Programme sind nach Kenntnis der Bundesregierung diesbezüg-
lich in den Ländern und in den Kommunen vorhanden?

c) Wie hoch ist die finanzielle Ausstattung dieser Programme in den Ländern
und in den Kommunen?

6. Welche Modellprojekte der Präventionsarbeit finanziert die Bundesregierung
an Schulen und Jugendeinrichtungen, die über die Thematik aufklären, und an
welche Zielgruppen richtet sich die Präventionsarbeit?

a) Wie hoch ist die finanzielle Ausstattung der Modellprojekte?

b) Wie viele Modellprojekte der Aufklärung und Beratung richten sich an
Eltern bzw. Jungen bzw. Mädchen?

c) Falls es keine Programme gibt, die Jungen ansprechen, warum gibt es diese
nicht?

d) Falls es keine Programme gibt, die sich an Eltern richten, warum gibt es
diese nicht?

e) Welche Projekte diesbezüglich sind nach Kenntnis der Bundesregierung in
den Ländern und in den Kommunen vorhanden?

f) Wie hoch ist die finanzielle Ausstattung dieser Programme, und an welche
Zielgruppen richten sich die Programme?

7. Wie viele anonyme Schutzeinrichtungen für Frauen und Mädchen wie Frauen-
häuser, Mädchenhäuser, Zufluchtswohnungen sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung in den einzelnen Ländern geschlossen worden bzw. haben seit
2002 Kürzungen an zur Verfügung stehenden Plätzen in Kauf nehmen müssen

(bitte einzeln nach Ländern und Einrichtungen aufführen)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/303

8. In welchem Umfang finanziert die Bundesregierung niedrigschwellige
Opferschutzprogramme für von Zwangsheirat Betroffene und in welchem
Umfang bestehen solche Programme auf Länderebene?

9. Plant die Bundesregierung, die Antragsfrist für die Aufhebung einer Zwangs-
ehe von ein auf drei Jahre zu verlängern und die Frist mit dem Ende der
Zwangslage beginnen zu lassen, und wenn nicht, warum nicht?

10. Welche aufenthaltsrechtliche Verbesserung für in Deutschland lebende aus-
ländische Staatsangehörige, die von Zwangsverheiratungen bedroht werden
bzw. betroffen sind, plant die Bundesregierung?

a) Plant die Bundesregierung, den § 31 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)
dahin gehend zu erweitern, dass zwangsverheiratete Personen mit auslän-
discher Staatsangehörigkeit ein eigenständiges Aufenthaltsrecht unab-
hängig von der Dauer der Ehe gewährt wird?

b) Plant die Bundesregierung eine Aufnahme der Zwangsverheiratung in die
Härtefallklausel nach § 23 AufenthG?

c) Plant die Bundesregierung eine Erweiterung der Rückkehroption nach
den §§ 37 und 51 AufenthG für Personen, die ins Ausland zwangsverhei-
ratet worden sind, und wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 16. Dezember 2005

Sevim Dagdelen
Ulla Jelpke
Karin Binder
Jörn Wunderlich
Diana Golze
Elke Reinke
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Kleine Anfrage
Situation der von Zwangsverheiratung bedrohten und betroffenen Frauen und Männer in Deutschland

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