BT-Drucksache 16/3020

Gesellschaftliche Auswirkungen von Bürokratieabbau in Europa und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Vom 18. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3020
16. Wahlperiode 18. 10. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Dr. Diether Dehm,
Ulla Lötzer, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Gesellschaftliche Auswirkungen von Bürokratieabbau in Europa und die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft

Die von der EU-Kommission ergriffenen Initiativen zum Bürokratieabbau in
Europa sind gesellschaftlich umstritten. Gewerkschaften und Umweltverbände
kritisierten, die Vorschläge und Maßnahmen für eine „better regulation“ bzw.
bessere Rechtsetzung in Europa seien einseitig an den Interessen der Wirtschaft
und dem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet und sozial- und umweltpoli-
tische Aspekte träten in den Hintergrund. Die Bundesregierung hat sich zu dieser
Frage bisher nicht geäußert. Insbesondere wegen der anstehenden deutschen EU-
Ratspräsidentschaft ab dem 1. Januar 2007 ist dies dringend erforderlich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchem Zusammenhang steht die in der Rede von Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum am 25. Januar 2006 in
Davos angestoßene Debatte um den Freiheitsbegriff mit dem dort angekün-
digten Vorhaben eines forcierten Bürokratieabbaus?

2. Wie verhält sich die Bundesregierung zu den Fragen, die der Europäische Ge-
werkschaftsbund in seinem Memorandum an die jetzige finnische Ratspräsi-
dentschaft aufgeworfen hat; welche lauten:

a) Was sind die Ziele einer besseren Rechtsetzung, was sind die Risiken und
Probleme?

b) In welchem Verhältnis steht das Vorhaben einer besseren Rechtsetzung zu
einem sozialen Europa und zu dem Ziel einer Vollbeschäftigung?

c) Ist das Vorhaben einer besseren Rechtsetzung ein trojanisches Pferd für
eine weitere Deregulierung, den Rückzug des Staates und eine mehr un-
ternehmensorientierte Agenda?

3. Wie stark würde die europäische Wirtschaft nach Ansicht der Bundesregie-
rung durch eine 25-prozentige Reduzierung der Bürokratiekosten entlastet
(bitte ungefähren Betrag in Euro nennen), und welche wirtschaftlichen und
beschäftigungspolitischen Effekte erhofft sich die Bundesregierung davon
(bitte genaue Zahlen über zusätzliches Wachstum, neue Arbeitsplätze nennen
sowie die Ansicht begründen, dass gegebenenfalls zusätzliche Gelder in Er-

weiterungs- und nicht Rationalisierungsinvestitionen fließen)?

4. Wie steht die Bundesregierung dazu, dass die Kommission zur Bewertung von
Verwaltungskosten (Ende 2005) eine Methode vorgeschlagen hat, die sowohl
den Gesamtnutzen wie die Gesamtkosten einer Rechtsvorschrift berücksichtigt,
aber bisher nur einen Vorschlag für die Bewertung von Verwaltungskosten und
nicht für die Erfassung von diesbezüglichem Nutzen vorgelegt hat, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie daraus für die deutsche Ratspräsidentschaft?

Drucksache 16/3020 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
5. Wie steht die Bundesregierung zur am 15. Juni 2005 verabschiedeten Leit-
linie der Kommission, in der der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit
in der Durchführung von Folgenabschätzungen ein stärkeres Gewicht bei-
gemessen wird als sozial- und umweltpolitischen Aspekten?

Sieht sie darin den als Ziel formulierten Einklang der drei Pfeiler für nach-
haltige Entwicklung (Wirtschaft, Soziales und Umwelt) gefährdet, und wel-
che Schlussfolgerungen zieht sie daraus für die deutsche Ratspräsident-
schaft?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die vom Generalsekretär des Europäi-
schen Gewerkschaftsbunds, John Monks, geäußerten Bedenken, dass die
Initiative zur besseren Rechtsetzung eine „deregulierende Übung“ sei mit
der vor allem die Interessen der Unternehmen befriedigt werden solle und
man befürchte, dass Gesundheit und Sicherheit unter dem Vorhaben von
Kommissar Günter Verheugen, die EU-Gesetzgebung zu vereinfachen, ne-
gativ beeinflusst würden?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Erfahrungen mit der von
der Europäischen Kommission seit 2003 sukzessive angewendeten „inte-
grierten Folgeabschätzung“ (wirtschaftlich, ökologisch, sozial) in Bezug
auf Vorschläge von Richtlinien und Verordnungen, Ausgabenprogrammen,
Weißbüchern und Verhandlungsleitlinien für internationale Verträge?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die diesbezüglichen Schlussfolgerungen
einer im Auftrag des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Fragen des
Europäischen Parlaments erstellten Studie des Instituto de la ricerca sociale
(The inclusion of Social Elements in Impact Assessments, Mailand, January
2006, www.irs-online.it), dass soziale Folgen im Rahmen des zwischen
2003 und 2005 von der Kommission vorgenommenen Folgeabschätzungs-
programms entweder gar nicht oder unzureichend einbezogen wurden und
die in den Leitlinien für dieses Programm vorgesehene Überprüfung der
Vereinbarkeit der Ziele der entsprechenden Vorschläge mit den Zielen ande-
rer Gemeinschaftspolitiken nur selten und unzureichend stattgefunden hat?

9. Wie verhält sich die Bundesregierung zum Vorschlag des Europäischen
Gewerkschaftsbundes, neue Instrumente der Bürokratiekostenmessung zu
entwickeln, die auch die Kosten eines Regulierungsverzichtes messen,
beispielsweise die Kosten einer fehlenden Sozialpolitik?

10. Wie steht die Bundesregierung zu einem Brief umweltpolitischer Nicht-
regierungsorganisationen (genannt „Green-10“) an die 25 EU-Kommissare,
in dem an dem Beispiel der Debatte über die Chemikalien-Richtlinie
REACH kritisiert wird, wie „Horrorgeschichten“ über die wirtschaftlichen
Kosten neuer, ehrgeiziger Umweltpolitiken verbreitet werden?

11. Welche konkreten Beispiele kann die Bundesregierung für die Ausführun-
gen des Staatssekretärs im Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-
logie, Dr. Joachim Wuermeling, vom 21. September 2006 nennen, dass ein
„Verzicht auf neue Regelungen … möglich sein“ muss, „wenn diese mehr
schaden als nutzen“?

12. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Bürgerinnen und Bürger
stärker als bisher an den Initiativen zum Bürokratieabbau zu beteiligen, und
wenn ja, welche neuen Vorschläge will sie in das Verfahren zur besseren
Rechtsetzung einbringen?

Berlin, den 18. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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