BT-Drucksache 16/2720

Verminderung des Pestizideinsatzes und der Pestizidrückstände

Vom 22. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2720
16. Wahlperiode 22. 09. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Peter Hettlich,
Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verminderung des Pestizideinsatzes und der Pestizidrückstände

Der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln (PSM) hat große Auswir-
kungen auf die Agrarökosysteme, kann für den Anwender gesundheitsgefähr-
dend sein, die Qualität von Lebensmitteln beeinträchtigen und sich negativ auf
die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher auswirken, wenn schäd-
liche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln verbleiben. Ziel
der Pflanzenschutzmittelpolitik ist es daher, sowohl den Einsatz von Pflanzen-
schutzmitteln insgesamt als auch ihre Schädlichkeit zu vermindern und ihre bio-
logische Abbaubarkeit und ihre Selektivität zu erhöhen. Gleichzeitig gilt es den
Eintrag in die Umgebung der Agrarökosysteme so gering wie möglich zu halten.

Hier konnten in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erreicht und die
Auswirkungen der Pflanzenschutzmittel auf die menschliche Gesundheit und
die Ökosysteme deutlich vermindert werden. Insbesondere die Gesundheits-
gefährdung durch die Pflanzenschutzmittel – ordnungsgemäßer Einsatz voraus-
gesetzt – wurde deutlich vermindert. Die biologische Abbaubarkeit der Substan-
zen wurde erhöht. Dazu beigetragen haben die systematische Bewertung der
Wirkstoffe und die Verschärfung der Anforderungen bei der Pflanzenschutzmit-
telzulassung, die Festlegung von Pflanzenschutzmittel-Rückstandshöchstmen-
gen für Lebensmittel, die Vorschriften für die Pflanzenschutzanwendung und
die Abstandsregelungen für Gewässer. Auch das Reduktionsprogramm che-
mischer Pflanzenschutz der rot-grünen Bundesregierung von 2004 beginnt
Früchte zu tragen.

Dennoch bestehen weiterhin relevante Umwelt- und Gesundheitsrisiken durch
den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Sie greifen weiterhin massiv in die
Agrarökosysteme und in das Artengefüge ein. Trotz der verminderten Pflanzen-
schutzmittel-Rückstände sind Gesundheitsschädigungen nicht völlig ausge-
schlossen. Weitgehend ungeklärt sind die Auswirkungen von Mehrfachrück-
ständen. Das heißt, sowohl aus Gründen des Verbraucherschutzes als auch des
Umweltschutzes und des Anwenderschutzes ist es erforderlich, weitere Fort-
schritte bei der Verminderung dieser Risiken zu erreichen. Besonders geeignet
sind hierzu Maßnahmen, die den ökologischen Anbau fördern, denn dieser ver-
zichtet komplett auf den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel.

Der Bericht zum Lebensmittelmonitoring 2004 stellte fest, dass insbesondere bei

bestimmten Obst- und Gemüsesorten die festgelegten Höchstwerte für Pflanzen-
schutzmittel übertroffen wurden. Diese Ergebnisse decken sich mit Unter-
suchungen von Greenpeace, denen zufolge insbesondere Tafeltrauben sehr stark
mit Pflanzenschutzmittel-Rückständen belastet sind. Beide Untersuchungsrei-
hen lassen darauf schließen, dass bei bestimmten Obst- und Gemüsesorten aus
verschiedenen Herkunftsländern Probleme mit Pflanzenschutzmittel-Rückstän-
den auftreten.

Drucksache 16/2720 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Pestizid-Belastungen von Obst und Gemüse

1. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung aktuell ergriffen, um die Prob-
leme mit Pflanzenschutzmittel-Rückständen im Bereich Obst- und Gemüse
in den Griff zu bekommen?

2. Plant die Bundesregierung besondere Schritte, um die Rückstandsbelastun-
gen bei importiertem Obst und Gemüse zu reduzieren, und wenn ja, welche?

3. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, nicht erst beim Inver-
kehrbringen importierter Ware in Deutschland einzugreifen, sondern schon
bei der Produktion in den Herkunftsländern auf Auswahl und Einsatzmenge
von Pflanzenschutzmitteln Einfluss auszuüben?

4. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen dem Fehlen
von spezifischen Pflanzenschutzmitteln zur Behandlung von Krankheiten
und Schädlingen an Obst und Gemüse (sog. Indikationslücken) und dem Auf-
treten von Belastungen in Obst und Gemüse durch Anwendung nicht zuge-
lassener Mittel bzw. durch (Mehrfach-)Anwendung unspezifischer Mittel?

5. Welche Maßnahmen gegenüber den betroffenen Betrieben sind ergriffen
worden, nachdem die Organisation Greenpeace im Herbst 2005 Unter-
suchungsergebnisse mit erhöhten Pflanzenschutzmittelbelastungen an die
zuständigen Behörden weitergemeldet hat?

II. Initiative der Lebensmitteldiscounter zur Verringerung der PSM-Rückstände

6. Wie unterstützt die Bundesregierung die Forderung der Verbraucher nach
rückstandsfreiem Obst und Gemüse, die zu den Anforderungen einiger Dis-
counter an die Erzeuger führte, die Pflanzenschutzmittel-Rückstände deut-
lich zu vermindern?

7. Durch welche konkreten Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die
Erzeuger dabei, diese Anforderungen der Discounter zu erfüllen?

III. Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz

8. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um das Reduktions-
programm chemischer Pflanzenschutz umzusetzen und fortzuentwickeln?

9. Wie bewertet die Bundesregierung den Stand der Umsetzung des „Reduk-
tionsprogramms chemischer Pflanzenschutz“?

10. Welche Bedeutung hat die Reduzierung der Pflanzenschutzmittelintensität
auf Grundlage des Behandlungsindexes für die Bundesregierung in Zukunft?

11. Wird das von der Agrarministerkonferenz im März 2005 vereinbarte Re-
duktionsziel beim chemischen Pflanzenschutz von 15 Prozent in zehn Jah-
ren von der Bundesregierung unterstützt, und mit welchen Maßnahmen will
die Bundesregierung dieses Reduktionsziel erreichen?

12. Sieht die Bundesregierung Lücken im staatlichen Management und bei der
Überwachung des chemischen Pflanzenschutzes?

IV. Geplante Maßnahmen in der Pflanzenschutzmittelpolitik

13. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung über das Pflanzenschutz-
mittelreduktionsprogramm hinaus zur Verminderung der Pestizidbelastung
in Lebensmitteln?

14. Wie steht die Bundesregierung zu Forderungen verschiedener Toxikologen
nach einer Neubewertung der Pestizid-Grenzwerte unter Berücksichtigung
von Auswirkungen auf z. B. den Hormonhaushalt oder das Immunsystem

sowie von besonderen Empfindlichkeiten bei sensiblen Verbrauchergrup-
pen wie Schwangeren, Kleinkindern oder Alten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2720

15. Welche Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor Pflanzenschutzmittel-Belas-
tungen ergreift die Bundesregierung speziell für sensible und kranke Perso-
nengruppen und Einzelverbraucher (z. B. in Kliniken, Seniorenheimen,
Schulen und Kindertagesstätten)?

16. Welche Studien zu Vergiftungsfällen und chronischen Intoxikationen mit
Pestiziden der Verbraucher sind der Bundesregierung bekannt?

17. Wird die Bundesregierung, den Schutz der Gewässer vor Pflanzenschutz-
mittel-Einträgen durch die Abstanndsregelungen bei der Anwendung von
PSM in der bisherigen Form erhalten oder ist eine Veränderung der Ab-
standsregelungen geplant?

V. Harmonisierung des EU-Pflanzenschutzmittelrechtes und
Eins-zu-Eins-Umsetzung

18. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die angestrebte Harmonisierung
der EU-Pflanzenschutzmittelzulassung zu einem höheren oder zu einem
eher niedrigerem Schutzniveau für die Umwelt und für die Verbraucher füh-
ren wird?

19. Was wird die Bundesregierung tun, damit die angestrebte Harmonisierung
der EU-Pflanzenschutzmittelzulassung zu einem höheren Schutzniveau und
zu weiteren Erfolgen bei der Verminderung der Schädlichkeit von Pflanzen-
schutzmitteln führt?

20. Wie ist der Stand der Neubewertung und Reduzierung der Rückstands-
höchstmengen in der EU und welche Anpassungsprozesse sind bei der natio-
nalen Umsetzung noch offen?

21. Plant die Bundesregierung, die Pflanzenschutzmittel-Höchstwerte im Rah-
men der Umsetzung von EU-Recht bei denjenigen Pflanzenschutzmitteln
anzuheben, bei denen das deutsche Recht strenger ist als die EU-Vorgaben?

VI. Globale Standards

22. Plant die Bundesregierung, sich für weltweite Standards bei der Pflanzen-
schutzmittelzulassung einzusetzen?

23. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zur Unterstützung von
Entwicklungsländern zur Verminderung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes,
zur Verbesserung des Anwenderschutzes und zur Einhaltung der EU-
Lebensmittelstandards?

VII. Sanktionen für den Lebensmitteleinzelhandel

24. Hält die Bundesregierung die vorgesehenen Sanktionen für den Fall für aus-
reichend, dass im Einzelhandel wiederholt Lebensmittel angeboten werden,
die die festgelegten Grenzwerte überschreiten?

25. Hält die Bundesregierung den Entzug der Gewerbeerlaubnis für Lebensmit-
telhandelsbetriebe, die wiederholt Lebensmittel angeboten haben, die die
festgelegten Grenzwerte überschreiten, für angemessen?

26. Welche Qualitätssicherungssysteme im Lebensmittelhandel, die auf eine
Reduzierung der Pestizidbelastung abzielen, werden von der Bundesregie-
rung in welcher Form unterstützt?

27. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Anzahl der
Grenzwertüberschreitungen in Höhe von jährlich sechs Prozent der über-
prüften Lebensmittel zu vermindern?

28. Welche Kontrollschwerpunkte hat die Bundesregierung mit den Über-

wachungsbehörden der Länder für das laufende Jahr festgelegt?

Drucksache 16/2720 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
VIII. GPS-gestützte Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln

29. Wie bewertet die Bundesregierung die Perspektiven für eine GPS-gesteuer-
te Pflanzenschutzmittelausbringung im Rahmen von precision farming?

30. Unterstützt die Bundesregierung die Einführung einer GPS-gesteuerte
Pflanzenschutzmittelausbringung in Deutschland?

IX. Summenbelastungen

31. Wie will die Bundesregierung die Auswirkungen von Summenbelastungen
durch mehrere Pestizide zukünftig in die Pflanzenschutzmittel-Höchstmen-
gen und in die Berichterstattung des Bundes zur Lebensmittelsicherheit ein-
beziehen?

32. Ist die Einführung von Summen-Höchstmengen für Pflanzenschutz-Wirk-
stoffe geplant; wenn ja, mit welchem Ansatz; wenn nein, warum nicht?

33. Welche internationalen Studien und angewendeten Verbraucherschutzkon-
zepte für Summenbelastungen mit Pestiziden sind der Bundesregierung
bekannt?

34. In welcher Form werden Verbraucher über bestehende Risiken und Gesund-
heitsgefahren durch mehrfach mit Pestiziden belastete Lebensmittel aufge-
klärt, und wo können sich interessierte Verbraucher über die Ergebnisse in
ihrem Supermarkt informieren?

X. Akute Referenzdosen

35. Wie beurteilt die Bundesregierung das Sicherheitsniveau der geltenden
Höchstmengenbestimmungen für Kinder, insbesondere vor dem Hinter-
grund, dass die akute Referenzdosis in Untersuchungen der Organisation
Greenpeace in mehreren Fällen überschritten wurde?

36. Liegt für alle zugelassenen Pflanzenschutz-Wirkstoffe eine akute Referenz-
dosis (ARfD) vor?

37. Welche Berechnungsgrundlagen werden für die akute Referenzdosis
(ARfD) in den zuständigen Behörden der Bundesländer angewendet, und
mit welchen Toleranzfaktoren werden die Verstöße ermittelt?

38. Berücksichtigt der Lebensmittelhandel bei den eigenen Rückstandsunter-
suchungen die akute Referenzdosis?

39. Welche Höchstmengen für Pflanzenschutz-Wirkstoffe liegen über den aku-
ten Referenzdosen?

Plant die Bundesregierung für diese Wirkstoffe eine Absenkung der Höchst-
menge auf einen Wert, der deutlich unter der akuten Referenzdosis liegt?

XI. Spezielle Pestizidwirkstoffe

40. Gibt es eine Analyse oder begründete Anhaltspunkte, dass Pestizidwirk-
stoffe wie Acrinathrin oder Acetamiprid nicht sicher zu handhaben sind und
zum Gegenstand eines Zulassungsentziehungsverfahrens gemacht werden
müssten?

41. Welche weniger toxischen Alternativen zu den zehn von Greenpeace am
häufigsten gefundenen Pestizid-Wirkstoffen stehen heute bereits zur Verfü-
gung?

Berlin, den 22. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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