BT-Drucksache 16/2653

Partnerschaftliche Unternehmenskultur stärken - Mitarbeiterbeteiligung fördern

Vom 20. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2653
16. Wahlperiode 20. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt), Kerstin Andreae,
Matthias Berninger, Brigitte Pothmer, Christine Scheel und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Partnerschaftliche Unternehmenskultur stärken – Mitarbeiterbeteiligung fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mitarbeiterbeteiligung ist Teil einer modernen, offenen Unternehmenskultur.
Sie ist Ausdruck eines partnerschaftlichen Miteinanders im Unternehmen. Sie
stärkt das Wir-Gefühl im Unternehmen und funktioniert gerade dann, wenn sie
mit Formen der immateriellen Beteiligung verknüpft wird. Gerade in dieser
Kombination entstehen neue Teilhabechancen für die Mitarbeiter.

Mitarbeiterbeteiligung eröffnet zusätzliche Mitentscheidungsmöglichkeiten
neben der gesetzlichen Mitbestimmung. Durch Mitarbeiterbeteiligung werden
Mitarbeiter zu Mitentscheidern. Mitarbeiterbeteiligung dient dem Ziel einer
Teilhabegesellschaft mit einem möglichst hohen Grad an Partizipations- und
Mitentscheidungsmöglichkeiten des Einzelnen in allen Gesellschaftsbereichen.
Durch Mitarbeiterbeteiligungsmodelle werden Mitarbeiter zu Teilhabern.

Mitarbeiterbeteiligung ist Ausdruck einer partnerschaftlichen Unternehmens-
kultur, in der starre Hierarchien aufgebrochen werden und ein konsensorientier-
ter Umgang zwischen Management und Mitarbeiterschaft besteht.

Untersuchungen zeigen, dass Mitarbeiterbeteiligung sich insbesondere dann
positiv für das Unternehmen auswirkt, wenn sie in Zusammenhang mit betei-
ligungsorientierten Managementmethoden angewandt wird. Materielle Mitar-
beiterbeteiligung tritt deshalb nicht an die Stelle von immaterieller Mitarbeiter-
beteiligung, und schon gar nicht an die Stelle der gesetzlichen Mitbestimmung,
sondern ergänzt diese.

Zusätzliche Mitentscheidungs-, Kontroll- und Informationsrechte für die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer entstehen insbesondere bei Kapitalbeteiligun-
gen, also bei Belegschaftsaktien, GmbH- und Genossenschaftsanteilen. Fremd-
kapitalbeteiligungen wie beispielsweise Mitarbeiterdarlehen sind dagegen
Instrumente der Vermögensbildung. Mischformen wie Genussrechte oder Stille
Beteiligungen bieten in der Regel nur begrenzt neue Teilhabemöglichkeiten,

haben aber ihre Stärke darin, dass sie insbesondere von kleinen und mittleren
Unternehmen genutzt werden.

Mitarbeiterbeteiligung in Form von Kapitalbeteiligung eröffnet der Arbeitneh-
merin/dem Arbeitnehmer nicht nur Mitbestimmungsrechte, sondern über
Dividenden, Ausschüttungen und Wertsteigerungen der Anteile auch Zugang zu
dem volkswirtschaftlich stetig wachsenden Kapitalvermögen und -einkommen.

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Es fördert die Vermögensbildung und erschließt den Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern eine zusätzliche Einkommensquelle.

Durch Modelle der Mitarbeiterbeteiligung können die Produktivität gesteigert
und die Kapitalbasis der Unternehmen verbessert werden. Die Kooperation von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird verbessert und das unternehmerische
Denken in der Belegschaft wird gefördert. Mitarbeiterbeteiligungen erhöhen die
Bindung der Beschäftigten an das Unternehmen und erleichtern es so dem
Unternehmer, Know-how-Träger im Unternehmen zu halten. Die Arbeitgeber
profitieren also durch die positiven Effekte einer partnerschaftlichen Unterneh-
menskultur. Mitarbeiterbeteiligung führt somit zu einer Win-Win-Situation.

Durch die materielle Beteiligung der Mitarbeiter können die Liquidität und die
Finanzierungsmöglichkeiten des Unternehmens auf eine breitere Basis gestellt
werden. Kurzfristig kann durch diesen Kapitalzufluss Fremdkapital durch güns-
tigeres Beteiligungskapital ersetzt werden, so dass sich langfristig die Eigen-
kapitalausstattung der Unternehmen ihre Kapitalstruktur und damit ihre Rating-
position verbessern. Diese Möglichkeiten sollten insbesondere von den mittel-
ständischen Unternehmen genutzt werden, deren Eigenkapitalausstattung im
internationalen Vergleich niedrig ist. Im Rahmen der neuen Eigenkapitalvor-
schriften nach Basel II wird künftig die Eigenkapitalausstattung noch wichtiger
für die Beurteilung der Bonität eines Unternehmens und damit für die Ausgestal-
tung der konkreten Kreditkonditionen.

Betriebliche Modelle der Mitarbeiterbeteiligung lassen sich dazu nutzen, Löhne
und Gehälter flexibler zu gestalten. Durch eine Kombination von Fixlohn und
erfolgsabhängiger Beteiligung können die Unternehmen besser auf Konjunktur-
zyklen oder Auftragssituationen reagieren. Vorteile ergeben sich hier nicht nur
für den einzelnen Beschäftigten durch Sicherung seines Arbeitsplatzes, sondern
auch für die Gesamtbeschäftigung und damit für den Arbeitsmarkt.

Modelle der Mitarbeiterbeteiligung können zur Lösung von Nachfolgeproble-
men in kleinen und mittleren Familienunternehmen beitragen. Durch Zusam-
menfassung der Anteile in eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft können
Teile oder sogar die gesamte Belegschaft diese Betriebe übernehmen. Damit
könnte das Unternehmen erhalten werden, und die Beschäftigten würden für
ihren Einsatz für das Unternehmen belohnt.

Auch in börsennotierten Unternehmen spielt die Mitarbeiterbeteiligung eine im-
mer wichtigere Rolle. Nachhaltigkeitsindizes sehen das Bestehen von Mitarbei-
terbeteiligung als ein wichtiges Aufnahmekriterium vor. Unternehmen, die in
Nachhaltigkeitsindizes enthalten sind, können neues Nachfragepotential bei
institutionellen Anlegern erschließen und so ihren Börsenwert seigern. Der
Finanzmarkt honoriert somit bereits funktionierende Mitarbeiterbeteiligungen.

Im internationalen Vergleich sind Mitarbeiterbeteiligungen in Deutschland
selten. Derzeit bieten nur rund 3 600 Betriebe ihren Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern eine Kapitalbeteiligung an, während in Großbritannien dagegen etwa
30 Prozent der Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten die Mitarbeiter am
Kapital beteiligen.

Eine breite Mitarbeiterbeteiligung lässt sich aber weder staatlich verordnen noch
durch steuerliche oder sonstige staatliche Anreize durchsetzen. Individuelle
Modelle der Mitarbeiterbeteiligung werden nur realisiert werden, wenn beide
Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – derartige Lösungen entwickeln und
durchsetzen wollen. Das setzt einmal voraus, dass sie von den Vorteilen einer
Mitarbeiterbeteiligung überzeugt sind.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. bürokratische Hürden, die einer stärkeren Verbreitung von Mitarbeiterbetei-
ligungsmodellen im Mittelstand entgegenstehen, zu identifizieren und zu
beseitigen. So beispielsweise im Wertpapierprospektgesetz, solange sicher-
gestellt bleibt, dass die Mitarbeiter ebenso gut informiert werden müssen wie
die Anleger;

2. eine Insolvenzsicherung für alle Mitarbeiterbeteiligungsmodelle, bei denen
steuerliche Förderung in Anspruch genommen wird, verbindlich vorzu-
schreiben. Für kleine und mittlere Unternehmen sollen die Bürgschafts-
banken Programme mit Garantieübernahme nach Berliner Vorbild anbieten;

3. eine Kultur der Beteiligung zu fördern und dabei auf eine Ausweitung steu-
erlicher Subventionstatbestände zu verzichten;

4. bei den Unternehmen dafür zu werben, Aktienoptionspläne nicht nur den
Führungskräften, sondern allen Mitarbeitern anzubieten;

5. bei den Unternehmen dafür zu werben, Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer im Rahmen einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur über Erfolgs-
beteiligungen am Gewinn des Unternehmens partizipieren zu lassen;

6. bei den Sozialpartnern dafür zu werben, Investivlöhne im Rahmen tariflicher
Öffnungsklauseln stärker als bisher zu nutzen;

7. die bereits existierenden Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau (KfW) zur Unterstützung einer Unternehmensnachfolge durch Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter stärker als bisher bekannt zu machen und eventuell
vorhandene Förderlücken zu identifizieren und zu schließen;

8. gelungene Beispiele von erfolgreichen Mitarbeiterbeteiligungsmodellen zu
verbreiten und interessierten Unternehmen auf einer Internetseite zur Verfü-
gung zu stellen.

Berlin, den 20. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Zu 1.

Deutsche Mittelständler beteiligen ihre Mitarbeiter eher selten am Kapital. Die
relativ geringe steuerliche Förderung ist dabei nicht unbedingt die entschei-
dende Ursache. Schwerwiegender sind Vorbehalte auf Seiten der Unternehmer
(Angst, nicht mehr „Herr im eigenen Hause“ zu sein). Neben der Verbreitung
von Best Practice auch und speziell für kleine und mittlere Unternehmen ist es
notwendig, bürokratische Hürden, die einer stärkeren Verbreitung von Mitarbei-
terbeiteiligungen im Wege stehen, abzubauen. Es ist zu prüfen, ob eine verein-
fachte Prospektpflicht zum Bürokratieabbau beitragen kann. Sichergestellt sein
muss, dass die Mitarbeiter nicht schlechter informiert werden als die Anleger.

Zu 2.

Arbeitnehmer werden durch eine Kapitalbeteiligung nicht nur an den Chancen,
sondern auch an den Risiken der Unternehmensentwicklung beteiligt. Durch
Kurs- und Insolvenzrisiko tragen sie ein „doppeltes Risiko“ des Verlustes des

Arbeitsplatzes und des Verlustes der Kapitalanlage. Die Konzentration der

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Kapitalanlage auf ein einzelnes Unternehmen widerspricht dem Grundsatz der
Diversifikation der Risiken und macht Mitarbeiterbeteiligungsmodelle ungeeig-
net zur Sicherung der Altersvorsorge.

Zur Begrenzung des kurzfristigen Risikos für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer muss für steuerlich subventionierte Mitarbeiterbeteiligungsmodelle
eine verbindliche Insolvenzsicherung eingeführt werden. Analog zu bestehen-
den Regelungen bei Mitarbeiterdarlehen müssen Mitarbeiterbeteiligungen für
die Dauer der Sperrfrist zwingend durch eine Bankbürgschaft oder ein Versiche-
rungsunternehmen vor der Insolvenz des Unternehmens geschützt werden. Für
kleine und mittlere Unternehmen ist eine Versicherungslösung jedoch nicht
immer praktikabel. In Berlin und Thüringen existieren deshalb bereits Garan-
tieprogramme für Mitarbeiterbeteiligung bei den Bürgschaftsbanken. Ein der-
artiges Angebot wäre bundesweit wünschenswert.

Zu 3.

Die Mitarbeiterbeteiligung wird sich nicht durch mehr Subventionen verbreitern
lassen, sondern nur durch eine neue Kultur der Beteiligung. Insbesondere
Arbeitgeber und Gewerkschaften sind gefordert, sich mehr für die Mitarbeiter-
beteiligung zu engagieren und dieses Ziel in ihre Tarifpolitik aufzunehmen.

Der Arbeitsmarkt ist seit Jahren durch hohe Arbeitslosigkeit, Verriegelung des
Berufszugangs – Stichwort Generation Praktikum – den Rückgang sozialver-
sicherungspflichtiger Beschäftigung und die Zunahme der Selbständigkeit mit
einem wachsenden Anteil prekärer Selbständigkeit gekennzeichnet. Deshalb ist
es derzeit die vorrangige Aufgabe der Politik, knappe staatliche Mittel für die
Verbesserung der Situation derer einzusetzen, die vom Arbeitsmarkt ausge-
schlossen bzw. in prekärer Beschäftigung sind. Zusätzliche staatlich subventio-
nierte Mitarbeiterbeteiligungsprogramme laufen dagegen Gefahr, knappe Mittel
für den Aufbau von Vermögen für diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer zu verwenden, deren materielle Position vergleichsweise gut ist.

Zu 4.

Bei international agierenden Aktiengesellschaften ist es längst Standard
geworden, nicht nur die international umworbenen Führungskräfte mit Aktien-
optionen an das Unternehmen zu binden, sondern der gesamten Belegschaft ein
Beteiligungsprogramm anzubieten. Derzeit beteiligen 21 der 30 DAX-Unter-
nehmen ihre Mitarbeiter in Form von Mitarbeiteraktien. Die Beteiligung aller
Mitarbeiter in Form von Aktienoptionsplänen ist dagegen noch eine Ausnahme.
Dabei bergen Aktienoptionen für den beteiligten Mitarbeiter ein auf den Wert
der Option begrenztes Verlustrisiko und aufgrund der Hebelwirkung große Ge-
winnchancen. Diese Beteiligungsform sollte deshalb allen Mitarbeitern offen-
stehen. Wichtig ist hierbei, die Transparenz für die Anleger bei Aktiengesell-
schaften zu gewährleisten. Deshalb muss der Umfang der Aktienoptionspläne
offengelegt werden.

Zu 5.

Ausdruck einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur ist es auch, die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen. Auf
diese Weise wird der gemeinsame Erfolg von Management und Mitarbeiter-
schaft auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unmittelbar materiell
spürbar. Erfolgsbeteiligungen sollten zum betrieblichen Standard werden. Er-
folgsbeteiligungen können entweder bar an die Mitarbeiter ausbezahlt werden
oder als Grundstein eines Kapitalbeteiligungsmodells im Unternehmen reinves-
tiert werden.

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Zu 6.

Investivlöhne, also ein Verzicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf
Lohn zugunsten von Kapitalbeteiligungen, können dazu beitragen, dass Lohn-
verzicht und Mehrarbeit einen Gegenwert erhalten und so als Instrument der
Krisenbewältigung gestärkt werden. Im Falle des Lohnverzichts zur Rettung
eines Unternehmens sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dafür auf der
Beteiligung am Unternehmen bestehen, damit sie an künftigen Erträgen beteiligt
werden.

Zu 7.

Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn schätzt, dass jährlich 71 000 Unter-
nehmen mit 680 000 Arbeitsplätzen einer Nachfolgeregelung bedürfen. Gerade
im Mittelstand wird es immer häufiger zum Problem, eine oder einen geeig-
nete(n) Nachfolger(in) zu finden. In diesen Fällen ist eine Firmenübernahme
durch einzelne Mitarbeiter oder die Mitarbeiterschaft als Ganzes eine gute
Alternative, die nicht an Finanzierungsschwierigkeiten scheitern darf. Die KfW
bietet hierfür bereits heute Unterstützungsangebote, im Rahmen beispielsweise
des „Unternehmerkredits“ oder des „ERP-Kapitals für Gründung“. Es muss ver-
stärkt dafür geworben werden, diese Programme nicht nur für Neu-Existenz-
gründungen, sondern auch für Nachfolgen durch Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter; zu nutzen. Eventuell bestehende Förderlücken müssen geschlossen
werden.

Zu 8.

Mitarbeiterbeteiligungsprogramme müssen an die jeweilige Unternehmenssitu-
ation angepasst sein. Das Programm von der Stange hilft nicht. Das heißt jedoch
nicht, dass das Rad jedes Mal neu erfunden werden müsste. Vielmehr können
insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von den Erfahrungen Anderer
profitieren. Das erspart Zeit und Kosten bei der Planungs- und Einführungs-
phase und erhöht somit die Chancen, dass das Projekt Mitarbeiterbeteiligung
überhaupt in Angriff genommen wird. Deshalb soll ein umfassender Best-
Practice-Austausch initiiert werden. Zu diesem Zweck soll eine Internetseite
eingerichtet werden, auf der erfolgreiche Modelle vorgestellt werden können.

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