BT-Drucksache 16/2627

Bundesweiter Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Togo

Vom 20. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2627
16. Wahlperiode 20. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte, Kersten
Naumann, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

Bundesweiter Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Togo

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich gegenüber den Bundesländern für eine Aussetzung der Abschiebungen
von togolesischen Flüchtlingen gemäß § 60a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG) einzusetzen;

2. den Bundesminister des Innern zu beauftragen, sein Einverständnis gegen-
über den Bundesländern für eine Aufenthaltsgewährung aus humanitären
Gründen nach § 23 AufenthG für Flüchtlinge aus Togo zu erklären und sich
für entsprechende Regelungen einzusetzen;

3. den gegenwärtigen Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und ab-
schiebungsrelevante Lage in der Republik Togo zu überarbeiten und dafür
Sorge zu tragen, dass Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie
Amnesty International und der Togolesischen Liga für Menschenrechte maß-
geblich in die asyl- und abschieberelevanten Schlussfolgerungen des Be-
richts einfließen.

Berlin, den 19. September 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

1. Seit den schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen, die
togolesische Sicherheitskräfte und der Regierung nahe stehende Milizen
nach der Präsidentschaftswahl im April 2005 begangen haben, hat sich die
politische und menschenrechtliche Situation in Togo nicht verbessert. Es
herrscht weiterhin ein Klima des Terrors und der Angst, in dem sich Gewalt

gegen tatsächliche oder auch nur vermeintliche Mitglieder der Opposition
richtet.

Im Februar 2005 hatte nach dem Tod des Staatspräsidenten Gnassingbé
Eyadémas dessen Sohn Faure Gnassingbé verfassungswidrig die Macht er-
griffen. Nur auf Druck der Internationalen Staatengemeinschaft und der Afri-
kanischen Union fanden am 24. April 2005 Präsidentschaftswahlen statt, in

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deren Folge sich Faure Gnassingbé zum Präsidenten erklärte. Wegen Wahl-
betrugs und anderer massiver Mängel erkannte das Europäische Parlament
das Wahlergebnis nicht an. Die Opposition protestierte und ging auf die
Straße, worauf das Regime mit systematischer Gewalt reagierte: Togole-
sische Sicherheitskräfte und Milizen verübten schwere Menschenrechtsver-
letzungen wie extralegale Hinrichtungen, Entführungen, Folter, Misshand-
lungen, Vergewaltigungen und willkürliche Festnahmen (Amnesty Interna-
tional, Index AI: AFR 57/012/2005, S. 2). Eine Untersuchung der Vereinten
Nationen kommt zu dem Ergebnis, dass in der Zeit vom 5. Februar bis 5. Mai
2005 400 bis 500 Menschen ermordet wurden, während die Togolesische
Liga für Menschenrechte (LTDH) von mindestens 811 Toten und 4 508 Ver-
letzten von Februar bis Mai 2005 ausgeht. Auch ein Jahr nach den Wahlen
vom April 2005 hat die Regierung keine Anstrengungen unternommen, die
Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Sicher-
heitskräfte und der Miliz anzuklagen oder zu verurteilen. Stattdessen wies der
togolesische Premierminister im März 2006 die Polizei und Staatsanwalt-
schaft an, jede Klage im Zusammenhang mit Verbrechen anlässlich der Prä-
sidentschaftswahlen mit Ausnahme von Mordanklagen fallen zu lassen. Die
Straflosigkeit für Angehörige des Militärs und der Milizen ermuntert die Ak-
teure des Regimes weiterhin zu schweren Menschenrechtsverletzungen (Am-
nesty International, Index AI: AFR 57/001/2006, 26. April 2006).

Die Welle der Gewalt im Frühjahr 2005 zeigte, dass das neue Regime sich der
gleichen Methoden bedient wie das alte: Armee und staatliche Sicherheits-
dienste werden eingesetzt, um den Schutz und den Bestand eines politischen
Systems aufrechtzuerhalten, das von einer Familie beherrscht wird. Amnesty
International wie auch das Institut für Afrika-Kunde gehen davon aus, dass
ein Wandel dieser Despotie auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist (Amnesty
International, Index AI: AFR 57/012/2005, S. 16; Institut für Afrika-Kunde,
Afrika im Blickpunkt, Nummer 1, Juni 2005).

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen wies im August
2006 ebenfalls darauf hin, dass sich die Struktur und Rolle der togolesischen
Armee nicht verändert habe (UNHCR, Update on International Protection
Needs of Asylum-Seekers From Togo, 7. August 2006, S. 1).

Dementsprechend halten staatliche Stellen weiterhin an einer systematischen
und flächendeckenden Verfolgung von Mitgliedern oder vermeintlichen Mit-
gliedern der Opposition fest, die die Legitimität der Wahlen und des Regimes
in Frage stellen. Die Togolesische Liga für Menschenrechte wie auch der
Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen berichten zwar über eine
scheinbar ruhige Lage in Togo. Phasen momentaner Ruhe besagen jedoch in
Diktaturen lediglich, dass sich die Opposition nicht öffentlich artikuliert. Ver-
folgung und Folter gegenüber Oppositionellen finden weiterhin statt, zumeist
nachts und seltener auf offener Straße. Der UNHCR weist auf Berichte aus
zuverlässigen Quellen hin, die nächtliche Razzien, Verhaftungen, Vergewal-
tigungen und Fälle von Verschwindenlassen dokumentieren, die sich gegen
Militante sowie Anhänger und Verbündete der Opposition richten und ver-
mutlich vom togolesischen Militär und dem Militär nahe stehenden Milizen
verübt werden (Stellungnahme des UNHCR zur Behandlung von Asyl-
suchenden aus Togo, 30. August 2005, S. 2). Der stellvertretende Vorsitzende
der LTDH, Herr Clumson-Eklu, berichtet von Milizen, die nachts in Häuser
von Oppositionsanhängern und von Personen, die im Verdacht der Regime-
gegnerschaft stehen, eindringen und sie verschleppen bzw. ermorden. Es
herrsche ein Klima des Terrors und der Angst, das so weit führt, dass viele
der Betroffenen aus Furcht vor weiterer Verfolgung durch das Regime nicht
über die Angriffe gegen sie berichten wollen (junge Welt, 11. März 2006).

Dabei ist zu betonen, dass die Repression sich grundsätzlich gegen jeden
richten kann, den die Sicherheitskräfte als Mitglied der Opposition verdäch-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2627

tigen. Die Verfolgung und Repression sind somit durch Willkür und Unbe-
rechenbarkeit geprägt.

Von den ca. 40 000 Menschen, die vor der brutalen Verfolgung aus Togo im
Sommer 2005 nach Benin und Ghana flohen, sind bisher nur sehr wenige
nach Togo zurückgekehrt. Und das, obwohl die Regierung sie zur Rückkehr
zu bewegen versucht und viele von ihnen in den Nachbarländern äußerst pre-
kär in Flüchtlingslagern leben. Diese Tatsache zeigt, wie groß die Furcht un-
ter den Flüchtlingen vor einer Verfolgung durch das Regime noch heute ist.

2. Aus Deutschland abgeschobenen Flüchtlingen drohen in Togo Verfolgung
und Folter, insbesondere, wenn sie exilpolitisch tätig waren. Der aus Meck-
lenburg-Vorpommern am 31. Januar 2006 abgeschobene Oppositionelle
Alassane Mousbaou wurde am Flughafen nach exilpolitischen Aktivitäten
befragt. Ihm drohte das Militär, ihn zu „eliminieren“ (dpa, 7. Februar 2006).
Er musste untertauchen und floh nach Ghana, wo er sich heute noch aufhält.
Hinrich Kuessner, ehemaliger Landtagspräsident von Mecklenburg-Vorpom-
mern, der zuletzt Anfang 2006 Togo besuchte, berichtet von einem abge-
schobenen Flüchtling aus Bayern, der von der deutschen an die togolesische
Polizei übergeben worden sei. Diese habe ihn daraufhin verhaftet, verhört
und geschlagen. Ein Vertreter der deutschen Botschaft habe ihn nicht be-
sucht. Laut Hinrich Kuessner könne derzeit niemand für die Sicherheit von
abgeschobenen Flüchtlingen in Togo garantieren. Gewaltsame Abschiebun-
gen nach Togo seien zurzeit eine Verletzung der Menschenrechte und auch
der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns (Kurzprotokoll der öffentlichen
Anhörung zur „Lage der togolesischen Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpom-
mern und die Situation in ihrem Herkunftsland“, 29. März 2006, Protokoll
Nr. 85, S. 8; Schriftliche Stellungnahme, Ausschussdrucksache 4/247).
Weitere Fälle von Misshandlungen von in letzter Zeit abgeschobenen Flücht-
lingen sind zwar bisher nicht bekannt, jedoch bedarf es zur Feststellung der
Gefährdung von abgeschobenen Flüchtlingen aus Togo „keiner ‚Lebendver-
suche‘ zu Lasten der Antragssteller, um eine solide Prognose anstellen zu
können“, wie das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg im März 2006 fest-
stellte. Die Prognose über die Gefährdungssituation stellt sich nach Ansicht
des VG Freiburg folgendermaßen dar: „Zwar ist nicht jeder Togoer einzig
und allein schon deshalb verfolgungsgefährdet, wenn er als abgelehnter
Asylbewerber im Wege der Abschiebung aus dem Ausland nach Togo zu-
rückkehrt, wohl aber sind […] Oppositionelle, vermeintliche Anhänger der
Opposition und all diejenigen, die dem Regime aufgrund entsprechender
Auffälligkeiten (z. B. ernstlicher exilpolitischer Aktivitäten) Anlass geben
könnten, ernstliche oppositionelle Einstellungen bzw. Regimefeindlich-
keiten im weitesten Sinne anzunehmen oder auch nur zu vermuten, im Falle
einer Rückkehr nach Togo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr
politischer, menschenrechtswidriger Verfolgung ausgesetzt“ (VG Freiburg,
März 2006 http://www.fluechtlingsrat-hamburg.de/content/VG_freiburg_
togo_Maerz06.pdf).

Wenn es aber für eine Verfolgung völlig unerheblich ist, ob es sich um rang-
hohe Vertreterinnen/Vertreter oder einfache Anhängerinnen/Anhänger der
Oppositionsbewegung handelt und teilweise auch lediglich der Verdacht der
Mitgliedschaft bzw. der oppositionellen Einstellung ausreicht (Stellung-
nahme des UNHCR zur Behandlung von Asylsuchenden vom 30. August
2005; Schriftliche Stellungnahme von Dr. Klaus Kübler zur öffentlichen
Anhörung zur „Lage der togolesischen …“, S. 3 bis 4), dann ist eine Rück-
kehrgefährdung auch im Rahmen einer Einzelfallprüfung nicht eindeutig zu
prognostizieren bzw. zu widerlegen. Auch wenn abgeschobene Flüchtlinge
nach einer kurzen Inhaftierung am Flughafen wieder freigelassen werden, be-

deutet dies nicht, dass ihnen keine Repression mehr droht. Im kleinen Land
Togo mit ca. fünf Millionen Einwohnern ist es kaum möglich, sich der Über-

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wachung durch die Sicherheitskräfte zu entziehen. Weil das Regime einen
Imageschaden in der internationalen Öffentlichkeit fürchtet, kann man davon
ausgehen, dass die Verfolgung erst später einsetzt. Eine langfristige Beobach-
tung ihrer Situation durch die deutsche Botschaft in Lomé ist nicht möglich.

3. Amnesty International und Pro Asyl rufen aufgrund der allgemeinen politi-
schen und menschenrechtlichen Situation in Togo und der konkreten Gefahr
für abgeschobene Flüchtlinge zu einem Stopp der Abschiebungen nach Togo
auf (Amnesty International, Stellungnahme an die IMK, 27. Mai 2006; Pro
Asyl, Presseerklärung, 8. Februar 2006). Das Bundesland Mecklenburg-Vor-
pommern setzte Anfang April 2006 die Abschiebungen nach Togo für sechs
Monate aus. Der Abschiebestopp nach § 60a AufenthG endet jedoch am
10. Oktober 2006. Ohne Zustimmung des Bundesministers des Innern wird
es für das Bundesland nicht möglich sein, die Aussetzung der Abschiebung
zu verlängern. Da auch in anderen Bundesländern togolesische Flüchtlinge
von Abschiebungen bedroht sind, ist ein bundesweiter Abschiebestopp über-
fällig. Notwendig ist er auch deswegen, weil sowohl der aktuelle Lagebericht
des Auswärtigen Amts als auch die Anerkennungspraxis des Bundesamts für
Migration und Flüchtlinge der ernsthaften Gefahr politischer und menschen-
rechtswidriger Verfolgung von Mitgliedern und Sympathisantinnen/Sym-
pathisanten oppositioneller Gruppen nicht gerecht wird. Während die
Schweiz im Jahr 2005 71,6 Prozent der togolesischen Antragsteller Asyl ge-
währte, betrug die Anerkennungsquote togolesischer Asylsuchender beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Deutschland im gleichen Jahr
lediglich 7,45 Prozent.

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