BT-Drucksache 16/2625

Mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz auf dem Telekommunikationsmarkt

Vom 20. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2625
16. Wahlperiode 20. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Matthias Berninger, Bärbel Höhn, Dr. Thea Dückert,
Grietje Bettin, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Christine Scheel und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Wettbewerb und Verbraucherschutz auf dem Telekommunikationsmarkt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat mit ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Telekom-
munikationsgesetzes eine ordnungspolitische Neuausrichtung vorgelegt. Die
Freistellung der Deutschen Telekom AG (DTAG) von der Regulierung durch die
Bundesnetzagentur würde ihr die Möglichkeit geben, als Monopolist in einem
neuen Markt aufzutreten. Denn die DTAG wäre nicht gezwungen, Wettbewer-
bern Zugang zu der neuen Infrastruktur zu gewähren. Zudem wurde die Chance
verspielt, den Verbraucherschutz bei mobiler Mediennutzung auszubauen.

Durch die Wettbewerbsbeschränkungen wäre eine nachhaltig wettbewerbs-
orientierte Marktentwicklung auf dem Sektor der Telekommunikation langfris-
tig nicht mehr möglich. Eine Abkehr von der nachhaltigen Öffnung der Mono-
polmärkte ist verbraucher- und innovationsfeindlich. Der Ausbau neuer Techno-
logien wird durch Wettbewerb und nicht durch den Ausbau neuer Monopol-
strukturen gefördert.

Breitbandanschlüsse sind ein wichtiger Standortfaktor für Unternehmen. Ein
Ausbau einer breitbandigen Infrastruktur ist nur über mehr Wettbewerb im Tele-
kommunikationsmarkt zu erreichen.

Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates hatte eine Änderung an dem Gesetz-
entwurf vorgeschlagen. Auch die EU-Kommission hat bereits mehrfach eine
Öffnung des Hochgeschwindigkeitsnetzes für die Mitbewerber verlangt und ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesregierung für den Fall angekün-
digt, dass der Gesetzentwurf so umgesetzt wird. Die zuständige Kommissarin
Viviane Reding hat diese Position in einem Brief an Bundesminister Michael
Glos deutlich gemacht. Europäisches Recht scheint für die Bundesregierung je-
doch keinen bindenden Charakter mehr zu haben. Das ist ein Tiefpunkt deut-
scher Politik.

Die Bundesregierung will die Deutsche Telekom AG als „nationalen Champion“

fördern. Die DTAG soll auf dem Heimatmarkt Monopolvorteile nutzen können,
um sich so international besser aufstellen zu können. Diese Politik höhlt den
Binnenmarkt aus und ist wirtschaftspolitisch falsch. Durch Monopole gewinnt
man keine dauerhafte Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit.

Die wirtschafts- und rechtspolitischen Ansätze der Bundesregierung auf dem
Telekommunikationsmarkt berücksichtigen die Nachfrageseite nur unzurei-
chend und machen Technologieentwicklungen für Verbraucher und Unterneh-

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men nur unzureichend nutzbar. Eine zusammenhängende und für Verbraucher
verständliche Darstellung der Verbraucherschutzregelungen im Telekommuni-
kationsgesetz (TKG) fehlt auch weiterhin.

Der vorgelegte Gesetzentwurf behebt die bestehenden Verbraucherschutzlücken
im Telekommunikationsmarkt nicht. Er verschlechtert das Verbraucherschutz-
niveau durch Streichung von bereits im Deutschen Bundestag verabschiedeten
Schutzregeln für Verbraucher wie die Preisansagepflicht vor Telefongesprächen.
Die allgemeine Preisobergrenze bei Premiumdiensten wird auf 3 Euro pro
Minute angehoben, ohne dafür Gründe zu benennen. Der mit dem Gesetz zum
Schutz vor Missbrauch bei 0190/0900-Mehrwertdienstenummern beabsichtigte
Schutz der Verbraucher wird damit deutlich geschwächt.

Die Bundesregierung missachtete damit den Wunsch der Verbraucher nach mehr
Transparenz. Drei von vier Handynutzern halten eine Preisansage vor Ge-
sprächsbeginn für wichtig bis sehr wichtig. Lediglich zehn Prozent würden sich
dadurch genervt fühlen. Dies ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage vom
April 2005 im Auftrag der Verbraucherzentrale Bundesverband. Noch deut-
licher ist das Ergebnis bei Call-by-Call-Gesprächen: 80 Prozent der Festnetz-
nutzer bewerten eine Preisansage vor Gesprächsbeginn als wichtig oder sehr
wichtig.

Der Abbau von Verbraucherrechten wird durch unzureichende Jugendschutz-
regeln bei Klingeltönen und mobilen Diensten verschärft. Zwischen 1999 und
2002 erhöhte sich die Zahl der 20- bis 24-Jährigen beim Schuldnerregister
Schufa auf rund 174 000. Laut Verbraucherverbände geben unter 18-Jährige
monatlich etwa 72 Mio. Euro allein für Telefonate und SMS per Handy aus.
Wenn sich Klingelton-Angebote, die bei Jugendlichen einen Umsatz von 190
Mio. Euro erreichen, gezielt an nicht mündige, nicht voll geschäftsfähige Kun-
den richten, ist dringender politischer Handlungsbedarf gegeben.

Die Bundesregierung hat es auch versäumt den erforderlichen Rechtsrahmen für
kostenorientierte Preise im Mobilfunk vorzulegen und die notwendige Trans-
parenz bei Handytarifen herzustellen. Die neuen Möglichkeiten der modernen
Kommunikation verändern die Grundbedürfnisse der Menschen. Angesichts
von über 82 Millionen Handyanschlüssen in Deutschland ist eine Regulierung
längst überfällig.

Den Abrechnungstricks der Telekommunikationsbranche bleiben Kunden somit
auch weiterhin schutzlos ausgeliefert. Erforderliche Regelungen beim rechts-
widrigen Einbehalten von Prepaid-Guthaben durch Mobilfunkanbieter werden
unterlassen, ein Einzelverbindungsnachweis nicht vorgeschrieben. Anschluss-
sperren unterliegen auch weiterhin der unternehmerischen Willkür. Technisch
einfach zu realisierende Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz vor Handydieb-
stahl, wie sie z. B. in Australien bereits praktiziert werden, werden ebenfalls
nicht verbindlich vorgegeben.

Nicht kostenorientierte, überhöhte Preise bei mobilen Diensten nimmt die
Bundesregierung billigend in Kauf. Anders als beispielsweise in Frankreich
setzt die Bundesregierung überhöhten Preisforderungen der Mobilfunkbranche
von 200 bis 400 Prozent bei SMS-Diensten oder bei der Zustellung von Aus-
landsgesprächen (Roaming-Gebühren) nichts entgegen. Ein wirksamer Schutz
vor Preistreiberei und immer neuen Preisfallen unterbleibt auf absehbare Zeit.

Nach einer Studie vom Münchener Institut TNS Infratest im Auftrag des Bun-
desministers für Wirtschaft und Arbeit im Juni 2005 liegen die Handykosten in
Deutschland deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Vieltelefonierer zah-
len in einer Modellrechnung 69,42 Euro pro Monat gegenüber 59,81 Euro in
Italien und 51,77 Euro in Großbritannien. Wenigtelefonierer noch 19,13 Euro

gegenüber 14,72 Euro in Schweden und nur 11,61 Euro in Italien.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2625

Die staatlichen Aufgaben des Wettbewerbsschutzes, der Mindestversorgung,
des verbraucherfreundlichen Rechtsrahmens für Universaldienstleistungen, des
diskriminierungsfreien Technologiezugangs und des Missbrauchsschutzes wer-
den in der Regierungspolitik vernachlässigt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● die entsprechende Klausel in § 9a TKG, die einen Schutz „neuer Märkte“ im
Netzbereich und die in sie fließenden Investitionen vor Konkurrenten vor-
sieht, zu streichen,

● die Preisansage vor der Nutzung anderer Netze, also z. B. bei Call-by-Call-
Gesprächen und Mobilfunktelefonaten verpflichtend vorzuschreiben,

● die Pflicht zur Preisansage für alle Anbieter von Premiumdiensten, auch Aus-
kunftsdiensten und Mehrwertdiensten einheitlich ab dem ersten Cent ver-
bindlich festzuschreiben,

● die Verschlechterung des gesetzlichen Verbraucherschutzes bei den 0900-
Nummern zurückzunehmen und die einheitliche Preisobergrenze von maxi-
mal 2 Euro pro Minute beizubehalten,

● die verbraucherrechtlichen Mindeststandards des Festnetzbereichs wie Sperr-
voraussetzungen, Einzelverbindungsnachweise etc. auf Mobilfunkangebote
auszuweiten,

● eine wirksame Diebstahlsperre bei allen Mobilfunkbetreibern einzurichten,

● im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft auf eine verbraucherfreundliche Mo-
dernisierung des europäischen Telekommunikationsrechts hinzuwirken,

● das Investitionsklima für Wettbewerber zu verbessern, indem faire Marktzu-
gangschancen für große und kleine Unternehmen gewährt werden.

Berlin, den 20. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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