BT-Drucksache 16/2510

Die weltweit letzten 100 westpazifischen Grauwale schützen

Vom 5. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2510
16. Wahlperiode 05. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Peter Bleser, Ursula Heinen, Klaus Brähmig, Gitta
Connemann, Julia Klöckner, Marlene Mortler, Uda Carmen Freia Heller, Franz-
Josef Holzenkamp, Dr. Peter Jahr, Dr. Hans-Heinrich Jordan, Hartmut Koschyk,
Dr. Max Lehmer, Johannes Röring, Kurt Segner, Jochen Borchert, Hubert Deittert,
Josef Göppel, Susanne Jaffke, Sibylle Pfeiffer, Dr. Norbert Röttgen, Norbert
Schindler, Georg Schirmbeck, Bernhard Schulte-Drüggelte, Christian Freiherr von
Stetten, Volkmar Uwe Vogel, Wolfgang Zöller, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Ulrich
Kelber, Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, Elvira Drobinski-Weiß, Gustav
Herzog, Ute Kumpf, Lothar Mark, Holger Ortel, Dr. Wilhelm Priesmeier, Marianne
Schieder, Olaf Scholz, Dr. Marlies Volkmer, Manfred Zöllmer, Dr. Peter Struck und
der Fraktion der SPD

Die weltweit letzten 100 westpazifischen Grauwale schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bereits seit 1999 fördert die Firma Shell mit ihrem Projekt „Sachalin I“ Öl im
ochotskischen Meer während der Sommermonate. Um dieses sehr bedeutende
Öl- und Gasvorkommen im ochotskischen Meer vor Sachalin weiter auszubeu-
ten, beabsichtigen Shell (55 Prozent) sowie die japanischen Konzerne Mitsui
(25 Prozent) und Mitsubishi (20 Prozent) durch ihre Tochterfirma Sachalin
Energy Investment Company den Bau weiterer Ölplattformen. Das Projekt
„Sachalin II“ umfasst insgesamt drei Offshore-Bohrplattformen, Offshore- und
Onshore-Pipelines, Verladeeinrichtungen und Terminals. Öl und Gas sollen in
800 km langen Pipelines vom Norden in den Süden der Insel transportiert und
in der Aniwa-Bucht, die fast das ganze Jahr eisfrei bleibt, verschifft werden.
Mit der Produktion sollen insbesondere Japan, China und Korea versorgt wer-
den. Der russische Konzern Gazprom plant ebenfalls eine Beteiligung.

Das Projekt hat ein Gesamtvolumen von ca. 21,3 Mrd. US-Dollar. Davon sollen
ca. 11,5 Mrd. US-Dollar durch Eigenkapital, 3 Mrd. US-Dollar durch den sog.
operating cash flow und 6,7 Mrd. US-Dollar durch Kredite finanziert werden.

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) prüft, ob
sie mit einem direkten Kredit in Höhe von 400 Mio. US-Dollar die Konsortial-
führerschaft für ein umfangreiches Darlehen für das Projekt (Höhe noch offen)
übernimmt. Neben der EBWE sollen Exportversicherer und private Geschäfts-
banken aus den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Japan zur Finan-
zierung beitragen. Die EBWE gilt als die Bank, die am sorgfältigsten die Risi-
ken des Projektes für die Umwelt abwägt. Deshalb wird ihre Entscheidung über

Drucksache 16/2510 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

eine Beteiligung an der Finanzierung nicht nur von den Nichtregierungsorga-
nisationen, sondern auch von den anderen Banken aufmerksam verfolgt, die
sich von einer Beteiligung der EBWE eine Legitimierung ihres eigenen Enga-
gements erhoffen. Shell hat unabhängig von der Entscheidung der EBWE
bereits mit der Verwirklichung des Projektes begonnen. Der erste Sockel einer
Ölplattform wurde fertig gestellt.

Durch die Verwirklichung des Projektes „Sachalin II“ werden die Lebensräume
und Arten vor und auf Sachalin nachhaltig negativ beeinflusst und die intakte
Umwelt zerstört. Insbesondere werden die letzten westpazifischen Grauwale
vom Aussterben bedroht. Weltweit gibt es von dieser Grauwalpopulation nur
noch ca. 100 Tiere, wobei nur noch 23 fortpflanzungsfähige Weibchen erfasst
sind. Das Fördergebiet um die Pazifikinsel Sachalin ist das einzig bekannte
sommerliche Nahrungshabitat der verbliebenen Restpopulation. Grauwale sind
die einzige Großwalart, die sich von Organismen des Meeresbodens ernähren.
Eine Verunreinigung des Meeresbodens mit Kohlenwasserstoffen im Rahmen
der Erschließung von Öl- und Gasvorkommen kann insbesondere aufgrund des
kältebedingt langsamen Abbaus gravierende Folgen haben. Darüber hinaus rea-
gieren Grauwale, die sich per Schallwellen orientieren, empfindlich auf Lärm.

Nichtregierungsorganisationen wie der WWF (World Wide Fund For Nature)
und urgewald weisen seit Baubeginn auf die verheerenden Umweltschäden hin.
Seit 1999 registrieren Forscherteams bereits mehrere abgemagerte Grauwale,
was darauf schließen lässt, dass durch die stattfindenden Arbeiten die überle-
benswichtige Nahrungsaufnahme gestört wird. Zu diesem Schluss kommt auch
eine Studie von 14 führenden Walforschern der Weltnaturschutzunion (IUCN),
die von Shell selbst in Auftrag gegeben wurde. Nach Ansicht der IUCN-Studie
steigt zudem durch die Baumaßnahmen die Gefahr, dass Wale mit Schiffen kol-
lidieren und an den Folgen sterben.

2004 befasste sich zum ersten Mal der Wissenschaftsausschuss der Internatio-
nalen Walfangkommission (IWC) auf der 56. Tagung der IWC in Sorrento, Ita-
lien, mit dem Projekt „Sachalin II“. Der Wissenschaftsausschuss wies ebenfalls
auf das drohende Aussterben der Grauwalpopulation vor der Insel Sachalin
durch den Ausbau der Ölplattformen und die Förderung von Öl durch Shell hin.
Maßgeblich durch den Einsatz der damaligen Bundesregierung verabschiedete
die IWC daraufhin im Konsens eine Resolution, die alle Staaten auffordert, sich
zum Schutz der westpazifischen Grauwalen einzusetzen. Diese Resolution
wurde 2005 nochmals im Konsens auf der 57. Tagung der IWC bestätigt.

Am 14. Dezember 2005 hat der EBWE-Präsident Jean Lemierre das Projekt als
„fit for the purpose of consultation“ erklärt. Das bedeutet, dass die Projekt-
dokumentation veröffentlicht wird, damit sie von der Öffentlichkeit kommen-
tiert werden kann. Mit dieser Einleitung soll die Entscheidung über eine Betei-
ligung der EBWE am Projekt „Sachalin II“ nicht vorweggenommen, sondern
lediglich die Entscheidung des EBWE-Direktoriums vorbereitet werden. Denn
nach den Regeln der EBWE muss der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben
werden, das Projekt zu kommentieren, bevor das Direktorium zustimmen kann.
Die Anhörung endete am 21. April 2006.

Zurzeit wird in der EBWE das weitere Vorgehen beraten. Derzeit ist noch offen,
ob sie den Kreditantrag ablehnen oder dem Direktorium eine Empfehlung zur
Kreditvergabe vorlegen wird. Eine solche Empfehlung kann mit Bedingungen
oder Auflagen im Hinblick auf eine umweltgerechte Durchführung des Projek-
tes versehen sein. Die EBWE hat deutlich gemacht, dass ihr der Schutz der Um-
welt besonders wichtig ist und dass sie weiterhin auf die Einhaltung hoher Stan-
dards dringt. Dies deckt sich mit der Haltung der Bundesrepublik Deutschland,
wie sie auf den Tagungen der IWC 2004 und 2005 vertreten und in entsprechen-

den Resolutionen festgehalten wurde.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2510

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich im Direktorium der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwick-
lung (EBWE) für die umweltgerechte Durchführung des Projekts
„Sachalin II“ einzusetzen, mit dem Ziel Umweltschäden, insbesondere
Schädigungen der akut bedrohten Grauwalpopulation – soweit irgend mög-
lich – zu vermeiden;

– sich gegen eine Bewilligung eines Finanzierungsantrags durch die EBWE
auszusprechen, falls diese Anforderung nicht erfüllt wird.

Berlin, den 5. September 2006

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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