BT-Drucksache 16/2503

Heroinmodell in die Regelversorgung überführen und Therapiefreiheit der Ärztinnen und Ärzte schützen

Vom 5. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2503
16. Wahlperiode 05. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Monika Knoche, Ulla Jelpke, Frank Spieth, Wolfgang Neskovic,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Heroinmodell in die Regelversorgung überführen und Therapiefreiheit der
Ärztinnen und Ärzte schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das bundesdeutsche Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiat-
abhängiger startete im Jahr 2001. Vor allem der mutigen Initiative großer bun-
desdeutscher Städte wie Hamburg, Hannover, Frankfurt, Köln, Bonn, Karlsruhe
und München ist es zu verdanken, dass diese international hoch beachtete wis-
senschaftliche Studie durchgeführt werden konnte. Ausgangspunkt war, dass die
Kommunalpolitiker dieser Städte dem Spritzdrogenelend in ihren Innenstädten
und der medizinischen Unterversorgung eines Teils der Schwerstabhängigen
nicht mehr tatenlos zusehen wollten und darauf drängten, der Abhängigkeit von
illegalen Drogen mit den Mitteln der Gesundheitspolitik zu begegnen. Die ein-
seitige Kriminalitätsbekämpfung war gescheitert. Gemeinsam mit dem Bundes-
ministerium für Gesundheit und den Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-
Westfalen und Hessen arbeiteten diese Städte an der Studie mit und organisier-
ten und co-finanzierten die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe vor Ort.

Die Studienergebnisse des Modellprojekts liegen seit Januar 2006 vor und be-
legen, dass den betroffenen Abhängigen durch die heroingestützte Behandlung
(ärztliche Heroinabgabe plus psychosoziale Betreuung) wirksam geholfen wer-
den konnte. Als besonders erfreulich ist die psychosoziale Stabilisierung der Pa-
tientinnen und Patienten zu bewerten. Viele Patienten und Patientinnen lösten
sich aus dem illegalen Kontext der Drogenszene, die Beschaffungskriminalität
sank, der materielle Zwang zur Prostitution nahm ab und die Delinquenzrate
ging innerhalb nur eines Jahres bei den Heroinsubstituierten von 73,3 Prozent
auf 27 Prozent deutlich zurück. Dies korrespondiert mit dem Rückgang bei
Verurteilungen und Inhaftierungen. Gleichzeitig verdoppelte sich der Anteil der-
jenigen, die einer Arbeit nachgehen innerhalb von zwölf Monaten auf 25 Pro-
zent. Die eigene persönliche Beziehungssituation wird außerdem als zufrieden
stellender erlebt. Die Chance auf ein Leben außerhalb der Kriminalität, im Ver-
bund von Freundinnen und Freunden sowie der Familie steigt.
Diese psychosoziale Stabilisierung hat – gemeinsam mit der Verbesserung des
Gesundheitszustands bei 80 Prozent der mit Heroin Behandelten sowie dem
Rückgang des illegalen Drogenkonsums bei 69,1 Prozent der mit Heroin Behan-
delten – zu einer deutlichen Entlastung der Städte und Kommunen geführt.

Nunmehr ist die Follow-up-Phase des Modellprojekts mit Jahresfrist abgelau-
fen. Eine politische Bewertung und gesetzgeberische Initiative stehen an. Die
befassten Politikerinnen/Politiker sind der Auffassung, dass die Entlastung der

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Städte und Kommunen ebenso wenig gefährdet werden darf wie die Stabilisie-
rung der Abhängigen. Die oben beschriebene Heroinbehandlung muss deshalb
als Ergänzung zur Abstinenztherapie und zur Substitutionstherapie mit Metha-
don ab 2007 in das Regelangebot des medizinischen Hilfesystems aufgenom-
men werden. Aufgrund der Dringlichkeit des gesetzlichen Regelbedarfs ist bis
Ende des Jahres 2006 eine parlamentarische Initiative abzuschließen.

Um die Heroinbehandlung in die Regelversorgung aufzunehmen, muss u. a.
Ärztinnen und Ärzten Diamorphin/Heroin als verordnungsfähiges Medikament
zur Verfügung stehen. Dazu sind Veränderungen des Betäubungsmittelgesetzes,
der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung sowie eine Zulassung von
Heroin/Diamorphin als Arzneimittel notwendig. Nur so ist eine ärztlich kontrol-
lierte Substitution möglich.

Der Gesetzgeber ist gehalten, die ärztliche Therapiefreiheit zu gewährleisten.
Üblicherweise entscheidet die Ärztin/der Arzt frei und nach Kenntnis der indi-
viduellen Situation des Patienten über die Form der Behandlung, die im vorlie-
genden Fall die richtige ist. Entsprechend den jeweiligen Behandlungserforder-
nissen sind daher empfehlende Richtlinien anzustreben.

Zur heroingestützten Behandlung sollte bei entsprechender ärztlicher Indikation
die psychosoziale Betreuung gehören. Diese psychosoziale Betreuung stellt
allerdings eine große logistische und finanzielle Herausforderung für Länder
und Kommunen dar. Es müssen Regelungen gefunden werden, sie als Teil der
Regelversorgung auf diesem Feld der medizinischen Behandlung zu etablieren
und zu finanzieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

– dem Parlament einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der durch entsprechende
Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes die rechtlichen Rahmenbedin-
gungen für eine heroingestützte Behandlung schafft;

– eine Änderung der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung vorzuneh-
men, die die heroingestützte Behandlung Opiatabhängiger im Regelangebot
ermöglicht;

– darauf hinzuwirken, dass der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch zeitnah über die Aufnahme der Heroin-
behandlung als Kassenleistung berät und entscheidet;

– einen gemeinsamen Dialog zwischen Kommunen, Ländern und Kassen zu
initiieren, um eine paritätische Finanzierung der psychosozialen Therapie zu
vereinbaren und ggf. darauf hinzuwirken, dass der Gemeinsame Bundes-
ausschuss nach § 37a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zeitnah über die
Aufnahme der psychosozialen Therapie bei Substitutionsbehandlung als
Kassenleistung berät und entscheidet und

– auf die Therapiefreiheit der Ärztinnen und Ärzte zu achten und die Indikation
zur Aufnahme in eine heroingestützte Behandlung bei entsprechenden bun-
desweiten Therapieempfehlungen der behandelnden Ärztin/dem behandeln-
den Arzt zu überlassen.

Berlin, den 5. September 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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