BT-Drucksache 16/2341

Flüchtlingen aus Nahost Schutz bieten

Vom 3. August 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2341
16. Wahlperiode 03. 08. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Monika Knoche, Petra Pau,
Hüseyin-Kenan Aydin, Wolfgang Gehrcke und der Fraktion DIE LINKE.

Flüchtlingen aus Nahost Schutz bieten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der Europäischen Kommission gemäß Artikel 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/
55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 zur Gewährung vorübergehenden Schut-
zes einen Vorschlag zur Anwendung der Richtlinie auf Flüchtlinge aus dem
Libanon zu unterbreiten und sich im Rat für eine entsprechende Beschluss-
fassung einzusetzen;

2. den Bundesminister des Innern zu beauftragen, sein Einverständnis gegen-
über den Bundesländern für eine Aufenthaltsgewährung aus humanitären
Gründen nach § 23 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit
und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) für Flücht-
linge aus dem Libanon zu erklären und sich für entsprechende Regelungen
einzusetzen sowie im Einzelfall für eine Aufnahme aus dem Ausland nach
§ 22 Satz 2 AufenthG zu sorgen;

3. den Bundesminister des Innern zu beauftragen, sich gegenüber den Bundes-
ländern für eine Aussetzung der Abschiebungen von libanesischen bzw. von
palästinensischen Flüchtlingen ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem
Libanon gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG einzusetzen.

Berlin, den 2. August 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Lage der Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet in Nahost spitzt sich dramatisch
und bedrohlich zu. Laut Augenzeugenberichten handelt es sich um über 700 000
Menschen, die auf der Flucht sind.

Direkte Anrainerstaaten und Aufnahmeländer, wie etwa Zypern, Syrien, Jorda-
nien, sind mit einer menschenwürdigen Unterbringung der Flüchtlinge über-
fordert, was etwa die Regierung Zyperns mit Hinweis auf die geringe Bevölke-
rungszahl und Wirtschaftskraft der Insel bereits deutlich machte. Auch das
katholische Hilfswerk Caritas schlägt angesichts der steigenden Zahl von Bin-

Drucksache 16/2341 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
nenflüchtlingen im Libanon Alarm: „Wir wissen nicht mehr, wo wir die Flücht-
linge noch unterbringen sollen“ (der Direktor der Caritas Libanon, George
Khoury, laut einer Meldung von kna vom 26. Juli 2006).

Die Bundesregierung ist deshalb dringend aufgefordert, das ihr Mögliche zu tun,
um den Opfern des Konflikts im Bereich des Flüchtlingsschutzes umfassend und
schnell zu helfen. Die Menschen und Länder der Region dürfen angesichts die-
ser Notlage nicht alleine gelassen werden.

Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union müssen sich ihrer
Verantwortung im internationalen Flüchtlingsschutz stellen und die Länder der
Krisenregion entlasten. Angesichts vieler langjährig in Deutschland lebender
Menschen aus dem Libanon, von denen ein Teil bereits eingebürgert ist, beste-
hen auch familiäre Kontakte und Netzwerke, die im Rahmen der Flüchtlings-
aufnahme genutzt werden können.

Die Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 zur Gewährung vorü-
bergehenden Schutzes ist bis heute nicht angewandt worden. Sie soll Menschen
im Falle von Massenfluchtbewegungen einen befristeten Schutzstatus in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union bieten, bis ihnen eine Rückkehr in ihre
Herkunftsländer möglich ist. Angesichts der Lage im Libanon und in den umlie-
genden Ländern drängt es sich geradezu auf, dass diese Regelung angesichts der
Schutzbedürftigkeit der Menschen zur Anwendung kommt, zumal die Richtlinie
auch für eine solidarische Aufnahmepolitik der Mitgliedstaaten der Union sor-
gen soll.

„Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Aus-
ländergruppen“ kann nach § 23 Abs. 1 AufenthG aus völkerrechtlichen oder hu-
manitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik
Deutschland auf Anordnung der obersten Landesbehörden eine Aufenthalts-
erlaubnis erteilt werden. Dies bedarf jedoch des Einvernehmens des Bundesmi-
nisteriums des Innern. Eine solche Einvernehmenserklärung sollte unmittelbar
erfolgen, mit der Aufforderung an die Bundesländer, § 23 Abs. 1 AufenthG ent-
sprechend anzuwenden, und zwar sowohl auf bereits in Deutschland lebende
Flüchtlinge aus der Region als auch auf solche, die sich noch im Ausland befin-
den und um Schutz nachsuchen.

In Einzelfällen kann das Bundesministerium des Innern auch nach § 22
AufenthG zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland
eine Aufnahme aus dem Ausland und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
verpflichtend anordnen. Hiervon sollte großzügig Gebrauch gemacht werden.

Zwar sind Abschiebungen in den Libanon zurzeit ohnehin ausgesetzt, da es
wegen Unbenutzbarkeit der Flugverbindungen faktisch keine Abschiebungs-
möglichkeiten gibt. Eine offizielle Aussetzung der Abschiebungen nach § 60a
Abs. 1 AufenthG ist jedoch erforderlich, damit für Behörden und Gerichte klar-
gestellt wird, dass eine Ausreise und Abschiebung in den Libanon aufgrund der
Lage vor Ort nicht nur tatsächlich unmöglich, sondern auch unzumutbar ist.

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